Auf dünnem Eis

Zusammenarbeit mit Eltern gelingen lassen



Fachkräfte und Eltern als Erziehungspartner für das Kind, die sich auf Augenhöhe austauschen: Das hört sich gut an und hat sich längst als Forderung etabliert. Doch in der Realität ist diese Partnerschaft gar nicht so leicht umzusetzen. Damit der Dialog gelingt, müssen beide viel voneinander wissen.

Eigentlich wollen alle nur das Beste – und doch prallen in der Kita die Sichtweisen von Eltern und Fachkräften oft hart aufeinander. „Das Kind wird einfach krank in die Kita gebracht“, empört sich eine Leiterin. „Die Erzieherinnen zwingen mein Kind zu essen“, sagt eine Mutter aufgebracht. Solche Sätze berücksichtigen vor allem das persönliche Anliegen und die eigene Perspektive. Die Sicht des jeweils anderen wird ausgeblendet.

Gegenseitiges Verständnis entsteht jedoch nur, wenn man mehr über die Position des anderen weiß. Erst dann können die eigenen Vorstellungen über den anderen kritisch hinterfragt und damit auch wirklich gute Lösungen gefunden werden.

Der Maßstab für die Zusammenarbeit mit Eltern in der Kindertagesstätte ist seit Langem klar: Erziehungs- und Bildungspartnerschaft auf Augenhöhe. Dieses Konzept verspricht eine gute Zusammenarbeit zwischen Eltern und pädagogischen Fachkräften, die durch Kooperation, Offenheit, Austausch und Gleichberechtigung geprägt ist. Aber ist das eine realistische Forderung? Und welche Konsequenzen gehen mit ihr einher? Warum kommt es dennoch regelmäßig zu Konflikten zwischen Fachkräften und Familien? Was sagt die Forschung?

Pädagogikprofessor Peter Cloos und Britta Karner beschäftigten sich kritisch mit der Frage, wie die Erziehungs- und Bildungspartnerschaft und der damit verbundene Anspruch an Kooperation begründet und theoretisch gefasst werden können. Beschrieben wurde genanntes Konzept nach Aussage der beiden Autoren meist so, als würde es bereits erfolgreich praktiziert und als wäre belegt, dass es gut funktioniert.

Das setzt Fachkräfte unter Druck, es zu erfüllen, auch wenn die realen Bedingungen es gar nicht hergeben. Erziehungswissenschaftlerin Tanja Betz hat sich in ihrer Studie kritisch damit beschäftigt, was hier eigentlich Wunsch und Wirklichkeit ist. Sie beschreibt, dass es viele Ideen zur idealen Partnerschaft gibt, in denen Eltern auf Augenhöhe miteinander zum Wohl der Kinder kooperieren. Sie betont aber, dass es keine belastbaren Studien gibt, die belegen, dass die Kinder tatsächlich von diesen Partnerschaften profitieren. Vielmehr könnte es auch als kritisch betrachtet werden, wenn Fachkräfte und Eltern sich verbünden und das Kind zum Objekt ihrer Bemühungen machen. Dies geschieht beispielsweise dann, wenn beide Parteien das Kind als eine zu bearbeitende Baustelle ansehen. Für das Kind kann das zu einer hohen Belastung werden.

Kein Mittagsschlaf für Sophie!?

In vielen Punkten, wie Wohlbefinden, Konfliktbewältigung oder sozialem Lernen, sind sich Eltern und pädagogische Fachkräfte laut einer Befragung des Deutschen Jugendinstituts zur Begleitung der Kinder häufig einig. Wenn es aber um die Einflussnahme auf die Familienerziehung geht, wünschen sich Eltern eher Zurückhaltung von den Erzieherinnen und Erziehern und sehen diese als ihren Hoheitsbereich an.

Beim Ringen um die Lösung von Alltagskonflikten, bei denen unterschiedliche Interessen und Sichtweisen gegeneinanderstehen, wird es schwierig, wenn jeder Akteur stark in seiner Perspektive verhaftet ist. Im Vordergrund steht hier dann häufig eher die Frage der Macht beziehungsweise die, wer denn die eigentlichen Experten („die besseren Eltern“) für die optimale Entwicklung der Kinder sind. Eine Alltagssituation, wie sie in jeder Kita vorkommen könnte, zeigt exemplarisch die Hintergründe und Motivation eines Elternteils:


Um kurz nach acht kommt Axel Müller hektisch mit dem zweijährigen Töchterchen Sophie in die Krippe. Während er das Kind in die Obhut seiner Bezugserzieherin gibt, betont er, wie wichtig es sei, dass Sophie heute keinen Mittagsschlaf mache. Gestern Abend sei es schwierig gewesen, sie ins Bett zu bekommen, weil sie in der Kita geschlafen habe.

Sophies Papa hat einen Job, bei dem er sehr gefordert ist. Auch ihre Mutter ist berufstätig und stemmt zudem im Wesentlichen die vielen Familien- und Haushaltsaufgaben. Beide müssten nach ihrem Arbeitstag ein wenig Kraft tanken für die Bewältigung des Alltags – von Dingen, die die Partnerschaft der beiden stärken, mal ganz zu schweigen. Für die Eltern wäre es sehr gut, wenn Sophie nach einem gemeinsamen Abendessen und ein bisschen Spiel müde wäre und sich problemlos ins Bett bringen lassen würde.

Sophie muss morgens früh aufstehen und ist oft noch müde, da sie abends immer spät einschläft. Nach dem Mittag in der Krippe ist ihr Energielevel dann niedrig und mitunter wird sie nörgelig und reizbar. Die Erzieherinnen nehmen wahr, dass Sophie eine Mittagsruhe benötigt.


So haben die Eltern ihren Blick auf die Herausforderungen im familiären Alltag. Und die Erzieherinnen und Erzieher achten mit ihrem professionellen Blick auf das Kind und die Abläufe im Kita-Alltag. Beide haben sich widersprechende Anliegen, die aus ihrer jeweiligen Perspektive gut nachvollziehbar sind. Wichtig wäre nun ein gemeinsamer, konstruktiver Austausch, der die Bedürfnisse von Sophie in den Mittelpunkt stellt, ohne dabei die Lebensrealität der Familie oder die Handlungslogiken in der Kita aus dem Blick zu verlieren. Wie eine passende und gute Lösung im Einzelnen aussehen kann, müssen die Beteiligten miteinander aushandeln und gemeinsam entscheiden.

Eltern im Alltagsdschungel

Wunsch und Realität bezüglich des eigenen Lebensentwurfes driften in Familien mitunter weit auseinander. Nicht alle schaffen es, ihre favorisierte Rollenverteilung im Alltag umzusetzen. Beispielsweise würden gerne achtunddreißig Prozent beider Elternteile dreißig Stunden pro Woche arbeiten, um Familienarbeit und Familienzeit gemeinsam tragen und erleben zu können, nur sechs Prozent setzen das Modell laut einer Forsa-Umfrage um. Neue Studien, wie die Pampers-Studie zum Thema „Eltern sein“, zeigen, dass über zwei Drittel der Eltern sich mitunter in ihrer Elternrolle überfordert fühlen.

Fast drei Viertel der Eltern vertreten die Meinung, dass die Ansprüche an sie als Eltern höher sind als in der Generation davor. Druck und erhöhte Ansprüche wirken sich auf die Bewältigung der Familienarbeit und die gemeinsame Familienzeit negativ aus. Die im Kinder- und Jugendbericht des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend festgestellte mangelnde Erziehungskompetenz der Eltern ist aus dieser Perspektive eher ein Indiz für Überforderung als für mangelnde Motivation. Familien wollen ihren Kindern sicher mehr Ruhe, Aufmerksamkeit und Unterstützung bieten, haben aber nicht immer optimale Bedingungen dafür. Daher ist es schwer, an einem Ideal von Erziehungs- und Bildungspartnerschaft festzuhalten. Deshalb ist es so wichtig, in einen echten Austausch über reale Möglichkeiten zu kommen.

Fachkräfte am Limit

Der Arbeitsalltag von pädagogischen Fachkräften in Kitas ist durch zahlreiche anspruchsvolle Aufgaben geprägt. Fachkräfte betreuen und fördern Kinder unterschiedlicher Altersstufen, aus unterschiedlichen sozialen Milieus, mit unterschiedlichen Begabungen und Förderbedarfen. Hinzu kommen Elternarbeit, Dokumentation, Organisation und Konzepterstellung. Fachkräfte haben in all diesen Bereichen eine hohe Verantwortung und müssen damit vielfältige berufsspezifische Belastungen bewältigen.

Die kontinuierliche Beziehungsarbeit und Gefühlsarbeit macht den Beruf psychisch oft sehr fordernd und anstrengend. Hinzu kommen häufig ungünstige Rahmenbedingungen als Belastung. Derzeit spitzt sich die Situation in den Kindertageseinrichtungen aufgrund des Fachkräftemangels vielerorts noch weiter zu. Mitunter müssen Erzieherinnen und Erzieher auch entgegen ihren pädagogischen Werten handeln, beispielsweise wenn sie es bedenklich finden, dass die sehr jungen Kinder sehr viel Zeit in der Einrichtung verbringen. Unter diesen Bedingungen ist es schwer, die individuellen Bedürfnisse der Familien im Blick zu behalten.

Dialoge wohlwollend gestalten

Wie kann dennoch eine gute Zusammenarbeit gestaltet werden? Oder wie lassen sich deren Grenzen ausloten? Das ist nur möglich, wenn die verschiedenen Bedürfnisse und Zwänge der einzelnen Akteure in den Blick genommen werden. Eltern und pädagogische Fachkräfte sind für unterschiedliche Bereiche Experten. Pädagogische Fachkräfte fokussieren ihre Arbeit auf die Begleitung und Förderung von kindlichen Lernprozessen im Gruppenkontext und haben ein gutes allgemeines Fachwissen zur Entwicklung von Kindern. In ihrer Arbeit stehen das Wohlbefinden der Kinder und soziales Lernen im Zentrum.

Studien zeigen immer wieder, dass Familien den größten Einfluss auf die Entwicklung und den Bildungsverlauf ihrer Kinder ausüben. Im Dialog zwischen Eltern und Fachkraft geht es dann darum, die unterschiedlichen Perspektiven deutlich zu machen und Verständnis für diese zu erzeugen. In Aushandlungsprozessen, die von Wohlwollen getragen sind, lassen sich in der Regel auch Lösungen im Konsens finden.

Die angestrebte Erziehungs- und Bildungspartnerschaft legt die Latte hoch. Zwar eint alle Beteiligten grundsätzlich das Interesse am Wohlergehen der Kinder. Die Vorstellungen darüber, wie dieses unterstützt werden kann und soll, sind je nach Erziehungs- und Bildungsvorstellungen im Familienalltag und in der Kita-Arbeit jedoch mitunter ziemlich unterschiedlich. Nur im Dialog können die Besonderheiten der Familien mit ihren Vorstellungen, Wünschen und Bedürfnissen sichtbar werden. Damit Eltern und pädagogische Fachkräfte sich nicht überfordern, könnte es daher hilfreich und entlastend sein, im Gespräch miteinander auszuhandeln, wie eine Partnerschaft für Eltern, Fachkräfte und Kinder gestaltet und in der Kita umgesetzt werden kann. Dabei sollte auch deutlich werden, wer was zu einer Partnerschaft beitragen kann und will und auf welcher Ebene und zu welchen Themen die Zusammenarbeit sinnvoll ist. Hier braucht es für Erzieherinnen und Erzieher gute Gesprächsführungsfähigkeiten.

Darüber hinaus gibt es auch Grenzen der Zusammenarbeit, die akzeptiert werden müssen, wenn sie der Interessenvertretung für das Kind nicht widersprechen. Die Kindeswohlgefährdung setzt hier eine Grenze. Entsprechend sind Fachkräfte zwar Ansprechpartnerinnen für die Eltern, aber es ist auch gut, wenn sie um ihre Grenzen wissen und diese begründet und angemessen vertreten und kommunizieren können. Die Bildungsbegleitungen von Kindern sind in der Regel sehr Mittelschicht- orientiert angelegt. Familien, die anderen Milieus zugehörig sind, werden häufig als defizitär angesehen. Dadurch kann der Blick auf die Ressourcen der Kinder aus diesen Familien, wie beispielsweise Mehrsprachigkeit oder Selbstständigkeit, verstellt sein. Deshalb ist es so relevant, Zuschreibungen und Vorurteile zu hinterfragen und ihnen einen differenzierten Blick auf Familien gegenüberzustellen, der die verschiedenen Fähigkeiten, Perspektiven, Wünsche und Bedürfnisse der Eltern berücksichtigt.

Fühlen Eltern sich verstanden und ernst genommen, kann sich dies sehr positiv auf den alltäglichen Umgang auswirken. Voraussetzung dafür ist, wie Daniela Kobelt Neuhaus 2018 schreibt, dass „sowohl Fachkräfte als auch die Eltern Lehrende und Lernende zugleich sind“. Es gibt umgekehrt auch Eltern, die die Fachkräfte mit ihren Erwartungen überfordern. Sie wünschen sich nachdrücklich, wie an gleicher Stelle zu lesen ist, dass sie ihre eigenen Kinder zu „kleinen Wissenschaftlern, sozial kompetenten und gesellschaftsfähigen Persönlichkeiten machen“. Dann wird den Fachkräften die Hauptverantwortung für das Gelingen von Erziehung und Bildung der Kinder übertragen.

Sicher ist, dass die Kita im Leben von Kindern an Bedeutung gewinnt. Deshalb ist Kooperation und Kommunikation zwischen den Erzieherinnen und Erziehern und den Eltern so wichtig, um den bestmöglichen Weg für die Bildungsbegleitung der Kinder zu gehen.

Buchtipp zum Weiterlesen: Zusammenarbeit mit vielfältigen Familien


Übernahme des Beitrag mit freundlicher Genehmigung aus
TPS 6-2020, S. 8-10