Wie Klaus Kokemoor in der Einleitung ausführt, geht es bei der Marte-Meo-Videomethode darum, einen sozusagen mikroskopischen Blick auf das Verhalten der Kinder zu richten und „Antworten auf die Fragestellungen aus den Bildern der Praxis abzuleiten“. Ein Schwerpunkt liegt dabei darauf, die Kompetenzen der Kinder zu identifizieren, zu aktivieren und weiterzuentwickeln. Aus seiner Praxis als Inklusions-Berater zeigt der Autor anhand von zahlreichen Fall-Beispielen, wie die bewegten Bilder bei Fachkräften dazu führen, eine neue Perspektive zu gewinnen und das verhaltensauffällige Kind mit anderen Augen zu sehen – denn allzu häufig verfestigt sich im KiTa-Alltag das Bild von einem Kind als eines, dass „immer nur“ stört, schlägt, beißt oder klammert und in dem die positiven Verhaltensweisen ausgeblendet sind.
Ungeteilte Aufmerksamkeit als Zaubermittel
Aus entwicklungspsychologischer Sicht untermauert Klaus Kokemoor, dass destruktives oder aggressives Verhalten von Kindern häufig daraus resultiert, dass „Kinder sich ihrer Bedürfnisse, ihrer Interessen, ihrer Wünsche oder ihrer Würde beraubt sehen“. Aus seiner Beobachtungspraxis zeigt er auf frappierende Weise, wie das Verhalten von auffälligen Kindern sich ändert, wenn ihnen ungeteilte Aufmerksamkeit zukommt und sie auf einer sowohl körperlichen wie emotionalen Ebene Resonanz spüren können. Das Kind sollte daher dort abgeholt werden, „wo es sich mit seiner Aufmerksamkeit befindet. Es ist ein Einlassen auf das Kind und die Situation, ohne etwas Spezifisches zu erwarten.“Dreiraumprinzip
Für den stressigen Arbeitsalltag unter häufig ungenügenden Rahmenbedingungen schlägt Klaus Kokemoor ein „Dreiraumprinzip“ vor: einen Organisationsraum, einen Begleitungsraum und einen Regenerationsraum. Im Begleitungsraum steht das vorbehaltlose Einlassen auf das Kind bzw. die Kinder im Fokus und es der der Ort für ungeteilte Aufmerksamkeit. Da man in der Praxis eine Vermischung der Räume kaum vermeiden kann, möchte Klaus Kokemoor mit seinem Dreiraumprinzip insbesondere „verschiedene Formen von Aufmerksamkeitszuständen vor Augen führen und diese stärker ins Bewusstsein rücken“. Kritisch nimmt er an dieser Stelle auch die „enge Taktung von Angeboten und Aktivitäten“ in vielen KiTas in den Blick, deren Organisation viel Zeit und Raum in Anspruch nehme. Er plädiert stattdessen dafür, dem kindlichen (Frei-) Spiel als Motor der Entwicklung mehr Platz zu geben.(Selbst-) Reflexion und Professionalisierung der Fachkräfte
Der Autor schlägt vor, das Prinzip des Dreiraums auch auf die Dienstbesprechung als Ort der Entwicklungsbegleitung und Professionalisierung der Fachkräfte zu übertragen. Durch die Arbeit mit Videos und das Lernen am Modell könnten hier entscheidende (Zukunfts-) Kompetenzen weiterentwickelt werden: „der kollegiale Austausch über eine gelebte und erlebte Alltagspraxis macht es hier möglich, die Fachkompetenz, die Analysekompetenz und die Selbstreflexionskompetenz des Einzelnen weiterzuentwickeln sowie eine werteorientierte Handlungskompetenz zu verinnerlichen“."Aha-Momente"
Klaus Kokemoor führt in seinem Buch den Leser*innen ganz praxisnah und mit einigen großen „Aha-Momenten“ vor Augen, wie auffälliges Verhalten von Kindern in der KiTa übersetzt und entschlüsselt werden kann und wie wichtig ungeteilte Aufmerksamkeit und ein Einlassen auf das Kind und seine Bedürfnisse sind. Überzeugend zeigt er auf, wie wirkmächtig das Instrument der Video-Analyse dabei ist und wie es die (Selbst-) Reflexion und ProfessionalisierungProfessionalisierung|||||Eine Professionalisierung findet im weiteren Sinne statt wenn die Entwicklung einer privat oder ehrenamtlich ausgeübten Tätigkeit zu einem Beruf wird. Im Rahmen der Professionalisierung werden häufig Qualitätsverbesserungen und Standardisierungen erreicht. Professionalisierung bedeutet auch die Entwicklung eines Berufs zu einer Profession, darunter wird meist ein akademischer Beruf mit hohem Prestige und Anerkennung verstanden. der Fachkräfte in der KiTa befördern kann. Für die alltägliche pädagogische Praxis empfiehlt er dabei so viel Begleitung wie möglich, und so viel Anleitung oder Instruktion wie nötig. Gerade unter einer inklusiven Perspektive gelte es, „genauer hinzuschauen und Lernen sowie Lernangebote stärker aus der Perspektive des Kindes zu gestalten“.- Klaus Kokemoor: Von der Ohnmacht zur Handlungskompetenz. Die Begleitung von Kindern mit herausfordernden Verhalten. Psychosozial-Verlag, 190 S., 19,90 Euro
Weiterer Lesetipp:
Jedes Verhalten hat seinen Sinn
Karsten Herrmann