Deutliche Entwicklungs-Auffälligkeiten
In der Folge stellte Dr. Susanne Bantel vom Team Sozialpädiatrie und Jugendmedizin der Region Hannover aktuelle Ergebnisse aus den Schuleingangsuntersuchungen vor, die gravierende Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Gesundheit und Entwicklung der Kinder andeuteten. Jährlich führt das Team über 10.000 Schuleingangsuntersuchungen nach dem „SOPESS“-Modell durch, das aus einer körperlichen Untersuchung und einem Entwicklungsscreening besteht und unter Einbeziehung der Dokumentation der KiTas entsprechende Förderbedarfe für Fähigkeiten mit Schulrelevanz ermittelt. Grundsätzlich konnte Susanne Bantel aus den Ergebnissen der Vorjahre resümieren: „Je länger ein Kind die KiTa besucht, desto geringer ist der Anteil der Auffälligkeiten“. Auffälligkeiten werden dabei insbesondere im Bereich der Sprache, der sozialen Entwicklung und der emotionalen Entwicklung festgestellt.In der Corona-Pandemie haben sich die Auffälligkeiten in diesen Bereichen nun um jeweils rund 20 Prozent signifikant erhöht. Deutlich erhöht waren auch die Ergebnisse für Übergewicht und Adipositas sowie die Auffälligkeiten bei der Feinmotorik. Ebenso zeigte sich ein deutlich erhöhter Medienkonsum. Wie Susanne Bantel weiter zu berichten wusste, treten diese Auffälligkeiten insbesondere in Haushalten mit einem niedrigen Bildungsabschluss und einem entsprechend tendenziell niedrigen sozio-ökonomischen Status auf. „Damit wird die gesundheitliche Ungleichheit verstärkt“ resümierte sie und wies auf die „sozialkompensatorische Bedeutung" der Schuleingangsuntersuchungen hin.
Ängste und Sorgen der Kinder
In einer zusätzlichen Befragung mit über 1.200 Teilnehmer*innen wurden die Eltern auch noch befragt, wie ihre Kinder unter der Krise gelitten hätten und wie sich ihr Verhalten geändert habe. Vermisst haben die Kinder demnach insbesondere ihre Freund*innen (80%) und dass sie nicht auf den Spielplatz oder in der Kindergarten gehen konnten (je rund 75%). Im zweiten Lockdown gaben die Eltern an, dass rund ein Drittel der Kinder „häufiger traurig“ sind, dass es häufiger „Streit in der Familie“ gebe (24,5%) oder das Kinder „häufiger Wutanfälle“ (24,9%) oder „Durchschlafprobleme“ (15,3%) gehabt hätten. Auch wenn diese Befragung nicht repräsentativ sei, spiegele sie doch die Ergebnisse größerer Studien wie der „COPSY“ wider, so Susanne Bantel.Übergang als kritische und entwicklungsintensive Phase
Nach diesen Ergebnissen zu den sozio-pädriatischen Folgeerscheinungen der Corona-Pandemie nahm Dr. Meike Sauerhering vom nifbe die grundsätzliche Bedeutung und Herausforderung des Übergangs KiTa-Grundschule in den Blick und wies unter dem Motto „Sicherheit auch in unsicheren Zeiten bieten!“ auf entscheidende Gelingensbedingungen hin. Übergänge zwischen verschiedenen Lebensphasen beschrieb die nifbe-Transferwissenschaftlerin übergreifend als einerseits „entwicklungsintensive Phase“ und andererseits als „auch kritische Lebensphase“. Als erster verpflichtender Übergang sei der in die Grundschule „bildungsbiographisch besonders bedeutsam“ und wirke sich tendenziell auf alle weiteren Bildungsübergänge aus.Wie Meike Sauerhering weiter ausführte, habe der Übergang in die Grundschule Auswirkungen auf der individuellen Ebene (Identitätsentwicklung), der interaktionalen Ebene (neue Beziehungen zu Kindern und Lehrkräften) sowie auf der kontextuellen Ebene mit einem „Systemwechsel“ zum Beispiel im Hinblick auf das Bildungsverständnis. In der Schule werde das Spiel in der KiTa durch das Lernen ersetzt, die Ganzheitlichkeit durch einen Fächerkanon und eher lockere durch festere Strukturen. „Das verlangt massive Anpassungsleistungen von den Kindern“ unterstrich sie.
Als „Übergangsbewältigungskompetenzen“ führte Meike Sauerhering insbesondere folgende Persönlichkeitsmerkmale und Resilienzfaktoren an, die es von Seiten der Eltern und der Fachkräfte zu unterstützen und zu stärken gelte:
- positives Selbstwertgefühl
- positives Selbstkonzept
- Selbstwirksamkeit
- positives Sozialverhalten
- aktives Bewältigungsverhalten
Persönlichkeit und Vorläuferfähigkeiten stärken
Daneben sei es aber natürlich auch wichtig die schulrelevanten Kompetenzen wie Sprache, Zahlenverständnis und Feinmotorik in Alltagssituationen in KiTa und Zu Hause zu stärken, z.B. durch Schnürsenkel binden, An- und Ausziehen, Zahlenspiele, Vorlesen, Mal- und Schreibübungen oder Bastel- und Schneidearbeiten.An dieser Stelle wurde die Diskussion mit den gut 200 Teilnehmer*innen eröffnet und sie trugen viele innovative Ideen und Ansätze bei, um den Übergang auch in Zeiten der Pandemie gut zu gestalten. Eine große Rolle spielten dabei natürlich die digitalen Medien mit „Vorstellung der Schule im Video“, „digitale Fragen und Antworten von KiTa-Kindern und Grundschüler*innen“, „Whats-App-Gruppen“ oder „Videokonferenzen mit Eltern. Analoge Zugänge boten aber auch „Patenbriefe von Grundschüler*innen an die KiTa-Kinder“, „Ranzentag in der KiTa“, „Schulhofbesuche am Nachmittag“ oder „Einladung der Eltern zu Walk and Talk“ oder „Haustürbesuche“.
"Druck rausnehmen"
Abschließend riet Meike Sauerhering noch dazu bei Eltern und Fachkräften in der aktuellen Situation beim Thema Übergang „Druck rauszunehmen“, denn die KiTa-Kinder müssten nicht ab dem ersten Tag „perfekte Schulkinder sein“ und es gelte auf allen Seiten sich „Zeit für den Übergang zu nehmen“.Die Kinder würden in der Schule ja auch von professionellen Akteuren empfangen, die die Entwicklung der Kinder im Blick haben und verantwortungsvoll zu begleiten wissen.Download Präsentation Meike Sauerhering
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Handreichung der Stadt Dortmund zum Übergang in Corona-Zeiten
Karsten Herrmann