Die Rechte der Kinder und ihre Partizipation sind in der Corona-Pandemie immer wieder aus dem Blick geraten und teilweise auch völlig ausgehebelt worden. Worauf ist in der KiTa und auch gesamtgesellschaftlich daher zu achten und wo muss man gegensteuern? Diese Fragen beantwortete Prof. Dr. Jörg Maywald im Rahmen der kostenlosen digitalen nifbe-Vortragsreihe „KiTa in Corona-Zeiten“. Moderiert wurde die Veranstaltung mit rund 400 Teilnehmer*innen von den nifbe-Transfermanagerinnen Inga Doll und Sandra Köper-Jocksch.

Zum Auftakt unterstrich der Geschäftsführer der Deutschen Liga für das Kind noch einmal „die massive Einschränkung der Rechte und Möglichkeiten der Kinder in der Corona-Pandemie“ und warnte vor einem „Rollback“ in Gesellschaft und KiTa – bei letzterer zum Beispiel durch die Einschränkungen bei der Offenen Arbeit oder durch eine zurückgefahrene Elternbeteiligung. Bei allen berechtigten Fragen nach Sinn und Notwendigkeit der Maßnahmen wies er aber auch darauf hin, dass jede Krise auch Chancen enthält.

„Kinder wurden wegorganisiert und als Objekte behandelt“

In einem kurzen Rückblick führte Maywald die verschiedenen Phasen der Corona-Pandemie von der vollständigen Schließung vor rund einem Jahr über Wiedereröffnungen, Teilöffnungen bis zu Notbetreuung vor Augen. „Kinder wurden wegorganisiert und als Objekte behandelt“ kritisierte er. Ab Januar 2021 seien dann unter anderem durch die „Copsy-Studie“ zunehmend die seelischen und psychischen Belastungen von Kindern in den Blick gekommen. Belastet sind Kinder so beispielweise durch:
  • Erkrankung von Angehörigen
  • Angst vor der eigenen Ansteckung und Angst, andere anzustecken
  • Distanz zu Freunden und Angehörigen
  • Einschränkung von Bildungsmöglichkeiten
  • Einschränkung von Spiel- und Freizeitmöglichkeiten
  • Wirtschaftliche Einbußen in den Familien
  • Zunehmende familiäre Spannungen und Konflikte

Jörg Maywald machte deutlich, dass gerade auch Kinder aus sozial benachteiligten oder bildungsfernen Familien unter der Pandemie zu leiden hätten und dass „die soziale Schere noch weiter auseinander geht“.

Die aktuelle Situation kontrastierte er dann mit den auf der 1989 verabschiedeten und von Deutschland ratifiziertratifiziert|||||Die Ratifikation, auch Ratifizierung ist eine verbindliche Erklärung des Abschlusses eines Vertrages durch  Vertragsparteien.en UN-Kinderrechtskonvention, die zwar geltendes Bundesrecht in Deutschland, aber schwierig einzuklagen sei. Die UN-Kinderrechte gebieten einen „Vorrang des Kindeswohls“ bei allen sie betreffenden Entscheidungen und basiere auf den Säulen der Schutz-, Förder- und Beteiligungsrechte. In Bezug auf den Kinderschutz gebe es einen „intervenierenden“, einen „präventiven“ und einen aus seiner Sicht in der Zukunft anzustrebenden „kinderrechtsbasierten“ Ansatz.

Selbstbestimmung und Beteiligung ermöglichen

Wie Jörg Maywald an einigen Praxisbeispielen zum Essen oder Anziehen in der KiTa deutlich machte, steht im Zentrum der Kinderrechte das Recht der Kinder auf Selbstbestimmung und auf Partizipation. Dabei müsse allerdings immer die Balance mit den „Schutzrechten“ gewahrt werden, wenn beispielsweise eine deutliche Mangelernährung („Ich esse nur Nudeln“) oder eine Erkrankung („Ich will die Buddelhose und die Jacke nicht anziehen“) drohen. Spannende Dimensionen eröffnete auch eine Frage aus dem Plenum, wie eine KiTa damit umgehen solle, wenn die Eltern ihr Kind vegetarisch ernähren wollen, es aber in der KiTa Fleisch essen wolle: „Hier muss man in einer positiven und wertschätzenden Weise mit den Eltern sprechen und ihnen die Schwierigkeiten und potenziellen Konflikte darstellen“, die beispielsweise schon beim Essen von Gummibärchen mit Schweinegelatine in der KiTa beginnen. „In einer nicht rein vegetarischen KiTa kann man nicht verhindern, dass Kinder auch mal tierische Produkte zu sich nehmen“ sagte der Kinderrechte-Experte.

Grundsätzlich unterstrich Jörg Maywald, dass Kinder im Alltag der KiTa die Erfahrungen machen müssten „ernst genommen und beteiligt zu werden“. KiTa-Fachkräfte müssten hier durch ihr Verhalten immer wieder ein Vorbild sein und „kindgerechte Antworten“ geben. Hierüber würden gerade die Jüngsten in der Krippe dann auch ihre Rechte implizit kennen lernen und bei größeren Kindern könnten und sollten diese dann auch verbal vermittelt werden. Wichtig sei für die Realisierung von Kinderrechten und Partizipation der Kinder in der KiTa aber auch die Weiterbildung und Reflexion der Fachkräfte zum Beispiel auch im Hinblick auf ihren eigenen Erfahrungen mit Selbstbestimmung und Partizipation in der Kindheit oder auch in der Ausbildung und im aktuellen Job.

Herausforderungen für Leitung und pädagogische Arbeit

Für die aktuellen Corona-Herausforderungen hob Jörg Maywald im Hinblick auf das Team und die Arbeit mit den Kindern folgende Punkte heraus:
  • Selbstfürsorge und Solidarität im Team (d.h. auch sich selbst und andere nicht zu überfordern)
  • Regelmäßiger Austausch und Schaffen von Reflexionsräumen
  • Partizipativer Führungsstil und Mitarbeiterfürsorge durch Leitung und Träger
  • Frühe Ansprache bei Fehlverhalten und Gewalt durch Fachkräfte
  • Zweiklang aus klaren Strukturen und festen Ritualen auf der einen Seite und freien Bewegungs- und Kreativangeboten auf der anderen Seite
  • Funktionierende Beschwerdeverfahren für Kinder und Eltern (auch extern)
  • Anlassbezogene Gesprächsangebote für Eltern (auch digital oder per Telefon)
  • Institutionelle Schutzkonzepte

Deutlich machte Jörg Maywald zum Abschluss seines durch rege Nachfragen und Kommentare begleiteten Vortrags auch den Reformbedarf der Kinderrechte auf der gesamtgesellschaftlichen und politischen Ebene. Er forderte hier unter anderem eine „tatsächliche Verwirklichung des Kinderrechtsansatzes auf allen gesellschaftlichen Ebenen“, die „flächendeckende Einführung von Beteiligungsstrukturen und Beschwerdestellen“ sowie die „Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz gemäß den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention“. Gerade Corona habe aber gezeigt, dass darüber hinaus für die Verwirklichung der Kinderrechte auch eine „Bekämpfung der Kinderarmut“ und ein „Ausbau der digitalen Infrastruktur“ notwendig sei.

In diesem Sinne bleibt im Kleinen und im Großen noch eine Menge zu tun für die Rechte der Kinder und es ist alles daran zu setzen, dass die Perspektive der Kinder und der „Vorrang des Kindeswohls“ bei der weiteren Krisenbewältigung nicht noch einmal aus dem Blick gerät und der zur Zeit sichtbare „Rollback“ bei der Partizipation von Kindern sich nicht verfestigt.

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Karsten Herrmann