Auftakt zum nifbe-Schwerpunkt Demokratiebildung und Partizipation in der KiTa
Wie kann Demokratiebildung und Partizipation in der KiTa tagtäglich gelebt werden und was bedeutet sie einerseits für die Kinder, andererseits aber für das Team und die Leitung, für Eltern und Träger? Diese Fragen standen im Fokus der mit über 400 Teilnehmer*innen frühzeitig ausgebuchten und von nifbe-Referent Peter Keßel moderierten digitalen nifbe-Fachtagung „Erbsen esse ich nicht“. Sie bildete den Auftakt zum neuen Schwerpunkt „Demokratiebildung und Partizipation“ im Rahmen der landesweiten nifbe-Qualifizierungsinitiative „Vielfalt leben und erleben!“



Partizipation als zentrales Moment guter Pädagogik
Im Hauptvortrag stellte Prof. Dr. Raingard Knauer die Grundlagen und zentralen Herausforderungen der Demokratiebildung und Partizipation in der KiTa vor. Die frisch emeritierte Professorin der Fachhochschule Kiel beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit diesem Thema, u.a. mit den großen Modellprojekten „Kinderstube der Demokratie“ sowie „Mitentscheiden und Mithandeln in der Kita“.„Warum ist Partizipation von Kindern so wichtig?“ fragte Raingard Knauer zum Auftakt und forderte die Teilnehmer*innen zu einem Perspektivwechsel auf: „Warum will ich als Erwachsener beteiligt werden?“ Die Antworten reichten von „weil es mein Recht ist!“ über „weil es ungerecht ist, wenn nur andere bestimmen dürfen“ bis zu „weil ich ein Mensch bin!“ Und genau diese Argumente treffen auch alle auf Kinder zu, sagte sie und zitierte den Pädagogen, Schriftsteller und Erzieher Janusz Korczak „Kinder werden nicht erst zu Menschen, sie sind schon welche“. In diesem Sinne, so Raingard Knauer, ist die Beteiligung von Kindern auch gesetzlich verpflichtend – von der UN-Kinderrechtskonvention über das SGB VIII bis hin zu den Bildungs- und Orientierungsplänen der Länder für den KiTa-Bereich. Deshalb und weit darüber hinaus sei „Partizipation zentrales Moment guter Pädagogik in den KiTas“.
Die Frage der Macht
In der Folge beleuchtete Raingard Knauer die in Pädagog*innen-Kreisen oftmals ausgeblendete Frage der Macht und der Machtverhältnisse in der KiTa. In ihren Projekten sei sehr deutlich geworden, dass Kinder die Machtverhältnisse genau wahrnehmen und auf die Frage, wer der Bestimmer in der KiTa sei, kam regelmäßig die Antwort „Die Großen sind die Bösse“. Und in der Tat hätten Leitung und Fachkräfte in der KiTa im Hinblick auf die Kinder eine weitreichende Gestaltungs-, Verfügungs-, Definitions- und Mobilisierungsmacht. „Macht“, so die Pädagogik-Professorin, „ist aus der KiTa nicht wegzudenken“ und sie kann sowohl positiv gebraucht als auch missbraucht werden. In diesem Sinne „beginnt Partizipation mit der Reflexion der Macht in der KiTa“ und in der Folge müsse geklärt werden, welche verlässlichen (Mit-) Entscheidungsrechte Kinder bekämen – und zwar ganz konkret und im Detail.Als ersten Schritt zur gezielten Einführung von Partizipation in der KiTa schlug Raingard Knauer die gemeinsame Planung eines Partizipationsprojektes vor – zum Beispiel die Umgestaltung des Außenbereichs und die Anschaffung eines neuen Klettergerüstes. Bei der kleinteiligen Planung und Durchführung eines solchen Projektes zeige sich dann, an wie vielen Stellen die Rolle und die (Mit-) Entscheidungsrechte der Kinder geklärt werden müssten.

Als zweiten Schritt führte Raingard Knauer die Erarbeitung einer KiTa-Verfassung vor, mit der klar geregelt sein müsse, „worüber Kinder auf jeden Fall und worüber sie auf keinen Fall mitentscheiden sollen.“ Am Beispiel des Essens und der Fragen zum „Wann?“, „Wo?“ oder „Wie?“ zeigte sie einmal mehr, dass der Teufel dabei im kleinsten Detail stecken kann. Einzelne Schlüsselsituationen wie das Essen sollten dann mit den jeweiligen Partizipationsmöglichkeiten in eigenen Verfassungsartikeln ausformuliert werden.
Projekte, KiTa-Verfassung, Verfahren und Gremien
Nach diesen ersten Schritten könnten dann, so Raingard Knauer, Gremien und Verfahren in der KiTa eingeführt werden – von der Gruppenbesprechung über das Kinderparlament bis hin zu den wichtigen Beschwerdeverfahren: „Kinder haben 100 Sprachen, in denen sie sich beschweren“ und die Herausforderung für Fachkräfte liegt darin, „diese zu erkennen und zu entschlüsseln“ sagte sie.Grundsätzlich unterstrich Raingard Knauer in ihrem Vortrag, dass „Kinder Demokratie lernen, indem sie sie im alltäglichen Handeln erfahren. Nichtsdestotrotz müssten Fachkräfte Kindern aber auch immer wieder zeigen und bewusst machen, wie Demokratie funktioniert. Letztlich sei die Demokratiebildung und Partizipation in der KiTa aber auch ein herausfordernder Bildungsprozess für Leitung und Fachkräfte: Sie müssen sich über ihr eigenes Verhältnis zur Demokratie und über ihr Bild vom Kind klar werden, sie müssen Eltern mit ins Boot holen und ihre partizipative Pädagogik transparent machen sowie auch die Elternbeteiligung klären. Nicht zuletzt müsse aber auch der Träger den sicheren Rahmen und die Rückendeckung für Demokratiebildung und Partizipation in der KiTa bieten - denn diese „sind Dauerbrenner und Kernthema in der frühkindlichen Bildung“ resümierte Raingard Knauer.

Selbst-Reflexion als schwierigste Hürde
„Die schwierigste Hürde“, so Vera Katona, „ist die Selbst-Reflexion der Fachkräfte über ihre Kindheit und ihre eigenen Erfahrungen und Einstellungen zum Thema Demokratie und Partizipation“. Dazu gehöre auch, wie Martina Steinmann ergänzte, „das Bild vom Kind zu überprüfen und Machtverhältnisse sowie Alltagsroutinen zu reflektieren“. Gemeinsam müsse das Team den Stand der Dinge analysieren und sowohl aus der Perspektive von Fachkräften wie auch von Kindern überprüfen, welche Regeln in welcher Gruppe gelten und wo man hinmöchte. „Partizipation“, so Raingard Knauer, „zeigt sich immer im konkreten Handeln und kleine Dinge könne dabei ganz groß werden.“Im Hinblick auf ihre Zukunftsvisionen für eine demokratische und partizipative KiTa zeichneten die Diskutantinnen ein Bild, in der in jeder KiTa ganz selbstverständlich Kinderräte und Beteiligungsverfahren eingeführt sind und die Kinder „sich beschweren, auseinandersetzen und gemeinsam Lösungen finden“. Multikulturelle Teams und Kinder würden sich auf Augenhöhe begegnen und der Träger stellt großzügige Rahmenbedingungen wie Verfügungszeiten und bessere Personalschlüssel zur Verfügung. Das Thema bekomme zudem eine hohe Priorität beim Bund und den Landesregierungen.
Einig waren sich die Praxis-Expertinnen aber auch darin, dass in den letzten zwanzig Jahren schon eine „enorme Entwicklung“ in Richtung Beteiligung der Kinder stattgefunden habe. Wichtig sei nun den Blick auch verstärkt auf die Ausbildung und vor allen Dingen auf die nächsten schulischen Bildungsstufen zu richten – und das sei das Bohren noch dickerer Bretter.
Partizipation und Inkluson im Fokus

„Grundsätzlich“, so die Entwicklungspsychologin, „gilt das Recht auf Freiheit und das Recht auf Gleichheit“ und mit Annedore Prengel brachte sie hier den Begriff der „egalitären Differenz“ ein. Gleichheit sei aber nicht zwangsläufig mit Gerechtigkeit verbunden, denn „es gibt ungleiche Voraussetzungen die gleichen Rechte gleichermaßen zu nutzen“. In diesem Sinne sei Partizipation auch nicht zwangsläufig inklusiv und es drohe immer die Gefahr, dass sich in solchen Prozessen die „Starken und Lauten“ durchsetzen. Wichtig seien daher folgende Reflexionsfragen:
• Werden alle Kinder eingeladen mitzuwirken und mitzugestalten?
• Haben alle Kinder Zugang zu den notwendigen Informationen?
• Sind die Beteiligungsformen für alle zugänglich?
• Wo liegen mögliche Barrieren der Beteiligung?
• Wie können Barrieren überwunden werden?
Eigensinn und Gemeinsinn in Balance bringen
Ziel müsse es sein, so Bettina Lamm resümierend, „die Entfaltung der persönlichen Freiheiten des Einzelnen in Einklang mit dem der sozialen und gesellschaftlichen Verantwortung zu bringen.“ Diese Balance könne dabei durchaus kulturell variieren und sei auch über unterschiedliche kulturelle Entwicklungspfade zu erreichen.In zehn verschiedenen Workshops konnten die Teilnehmer*innen sich am Nachmittag dann mit einzelnen Aspekten des Themas Demokratiebildung und Partizipation auseinandersetzen – von einem inklusiven Beschwerdemanagement und dem Adultismus über entwicklungspsychologische Voraussetzungen und die Partizipation in Schlüsselsituationen bis hin zum Umgang mit Rechtspopulismus in der KiTa und zur Zusammenarbeit mit Eltern.
Was macht Partizipation mit Leitung und Team?

Wie Susanne Kalbreier ausführte, „gibt es Veränderungsprozesse nie ohne Widerstand“ und im Team zeigten sich nicht nur die „Begeisterten“, sondern auch die „Staunenden“, die „Skeptiker“, „Müden“ oder „Scheinheiligen“. Der Weg zur Veränderung und zu der KiTa als Lernende Organisation führe durch ganz verschiedene und verschlungene Phasen und nach der sonnigen Aufbruchseuphorie kämen auch Wolken, Regen oder heftige Gewitter. Oftmals würden dabei persönliche Grenzen und der Punkt erreicht, an dem es heißt: „Jetzt reicht es aber!“ Wichtig sei es in solchen Konflikten immer wieder „Das ‚Ja‘ im ‚Nein‘ zu suchen“ und grundsätzlich eine fehlerfreundliche Kultur zu etablieren, in der Situationen mit Verbesserungspotenzial auch als Chance für Teamentwicklung genutzt werden können.
Die Rolle der Leitung und des Trägers
Eine zentrale Rolle spielt in solchen Veränderungsprozessen natürlich die Leitung und auch ihre Haltung zur Partizipation der Mitarbeiter*innen. Als unabdingbare Prinzipien für die Partizipation des Teams stellte die Referentin folgende heraus:- Information
- Transparenz über Mitgestaltungsmöglichkeiten
- Freiwilligkeit
- Verlässlichkeit von Leitung und Träger
- Individuelle Begleitung
Abschließend unterstrich die Referentin noch die Rolle des Trägers, der ebenfalls eine klare Entscheidung für die Partizipation von Kindern treffen und die KiTa unterstützen müsse – durch Fortbildungen, durch Coaching oder Supervision für die Leitung und auch durch eine ausreichende und im Thema kompetente Fachberatung. Letztlich, so Susanne Kalbreier, brauche es bei der Einführung von Partizipation und Demokratiebildung in der KiTa „Brennende Ungeduld im Gegenwind“.
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Karsten Herrmann