Flüchtlingseltern in der Kita auf Augenhöhe begegnen


Kitas nehmen eine wichtige Rolle in der Willkommenskultur für Flüchtlingsfamilien ein. Für viele Familien mit kleinen Kindern ist die Kita der erste Ort, an dem sie engeren Kontakt mit Einheimischen erleben. Der Text von nifbe-Mitarbeiterin Dr. Birgit Behrensen gibt Einblicke in die Lebenssituation von Flüchtlingen und schlägt vor diesem Hintergrund einige Wege für eine Kommunikation auf Augenhöhe vor.


Die konkreten Erlebnisse von Familien, die von Flucht und Vertreibung betroffen sind, und der individuelle Umgang damit unterscheiden sich sehr. Aufgrund grober Schätzungen wird zurzeit allgemein davon ausgegangen, dass mindestens ein Drittel der Asyl suchenden Flüchtlinge traumatisiert ist.


Ein psychisches Trauma ist ein Ereignis oder eine Folge von Ereignissen, die die betroffene Person so sehr erschüttert haben, dass das Urvertrauen in die Welt und in andere Menschen zerstört wurde. Wenn es einer Person gelingt, in einer gefährlichen Situation zu kämpfen oder zu fliehen, wird dieses Ereignis möglicherweise als stark belastend empfunden, aber wahrscheinlich nicht als Trauma gespeichert. Kann der Mensch jedoch weder erfolgreich kämpfen noch erfolgreich fliehen, dann setzt eine innere Erstarrung ein. Traumatische Erlebnisse gehen in der Regel mit Gefühlen der Todesangst, der Furcht, der extremen Hilflosigkeit oder des abgrundtiefen Entsetzens einher.


Für Eltern kommt die Sorge und Angst um ihre Kinder als extrem verstärkendes Moment hinzu. Viele Eltern, die mit ihren Kindern vor Krieg, Vertreibung, Hunger oder Verfolgung flohen, haben erlebt, dass sie ihre Kinder nicht immer vor Gewalt schützen konnten. Andere sind so sehr belastet, dass sich dies auch auf die Beziehung zu ihren Kindern auswirkt.


Schwierige Lebensbedingungen in der Gegenwart


Flüchtlinge in Deutschland unterscheidensich hinsichtlich ihres Aufenthaltsstatus und ihrer damit verbunden Rechte. Flüchtlinge im Asylverfahren können zum Beispiel ihren Wohnort nicht frei wählen. Zurzeit stehen viele Kommunen vor dem Problem, dass sehr kurzfristig viele Menschen untergebracht werden sollen. Bezahlbarer Wohnraum für diese Bevölkerungsgruppe ist aber beschränkt. Gerade in ländlich gelegenen, kleinen Kommunen müssen sich hierfür private Vermieter finden, die Flüchtlinge als Mieter aufnehmen wollen. Daher variieren auch die Unterkünfte für Flüchtlinge sehr stark. Es kann vorkommen, dass eine Flüchtlingsfamilie in einer schönen Wohnung lebt, die aber sehr entlegen ist. Eine Folge ist dann möglicherweise ein schwieriger Anschluss an die Gemeinschaft anderer Flüchtlinge. Genauso gut kann es vorkommen, dass eine Familie in einem Zimmer einer Gemeinschaftsunterkunft lebt, in der Wasch- und Duschgelegenheiten mit anderen geteilt werden müssen. Eine Folge ist dann die unzureichende Möglichkeit, sich einzeln oder als Familie zurückzuziehen.


Vielerorts werden Flüchtlinge mit Aufenthaltsgestattung oder Duldung dazu verpflichtet, für die Dauer ihres gesamten Aufenthaltsverfahrens in solchen Gemeinschaftsunterkünften zu leben. In vielen Kommunen gibt es Anstrengungen, gerade für Familien bessere Lösungen zu finden. Wegen der Schwierigkeiten bei der Wohnraumsuche dauert dies manchmal aber recht lange.


"Die Asylanerkennung kann nicht nur Monate, sondern manchmal auch Jahre dauern."


Neben Einschränkungen im Wohnraum erleben Asyl suchende auch Einschränkungen bei Sozialleistungen und in der medizinischen Versorgung. So bekommen Flüchtlinge mit einer Aufenthaltsgestattung im Asylverfahren oder mit einer Duldung im Vergleich zu Einheimischen erheblich geringere Sozialleistungen, auf der Grundlage des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG). Im Moment gilt das noch für die Dauer von 4 Jahren. Dieser Zeitraum wird demnächst auf 15 Monate verkürzt. Die Finanzierung medizinischer Leistungen beschränkt sich für den gleichen Zeitraum in der Regel auf die Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände (§ 4 AsylbL). Auch der Zugang zu öffentlich geförderten Sprachkursen oder zum Arbeitsmarkt ist zunächst eingeschränkt.


Eine besondere Belastung ist die unsichere Zukunft, von der viele Flüchtlinge betroffen sind. Anstehende Asylverfahren beispielsweise führen bei vielen dazu, dass Ängste wieder akut werden. Gleiches gilt, wenn die Abschiebung von anderen Flüchtlingen miterlebt wird.


Flüchtlinge befinden sich mit diesen Unsicherheiten und Einschränkungen in Deutschland in einem neuen sozialen Umfeld, in dem oftmals viel Vertrautes fehlt. Besonders fehlen soziale und familiäre Netzwerke. Viele Flüchtlinge haben nahe Angehörige verloren oder zurückgelassen. So haben viele von ihnen zunächst kaum jemanden, der emotionalen Halt geben kann.


Eine Atmosphäre des Willkommseins gestalten


Wenn Flüchtlingseltern mit ihren Kindern dann in die Kita kommen, ist es dringend notwendig, offensiv und zugleich respektvoll eine Atmosphäre des Willkommenseins zu signalisieren.


Laut Bundesinnenministerium ist etwa jeder siebte Flüchtling, der gegenwärtig nach Deutschland kommt, jünger als 6 Jahre. Da der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz gilt, wenn sie nach dem Aufenthalt in Erstaufnahmeeinrichtungen auf die Kommunen verteilt werden, erleben auch die Mitarbeiterinnen in vielen Kindertagesstätten die aktuellen Zuwanderungen.


Ein Problem ist zunächst vielerorts die Sprache. Hier sind kreative Lösungen gefragt. Zum einen bieten sich öfter Möglichkeiten, Eltern oder Großeltern mit ähnlichem Sprachhintergrund in Übersetzungen einzubinden. Diese Möglichkeiten können in vielen Alltagssituationen, in der Vermittlung pädagogischer Gepflogenheiten der Einrichtung oder bei einem ersten Kennenlernen hilfreich sein. Wenn es um sensible Inhalte geht, sollte lieber auf professionelle Sprachmittlerinnen oder Sprachmittler zurückgegriffen werden. Mit diesen professionell ausgebildeten Personen ist am besten gewährleistet, dass Inhalte vertraulich behandelt werden, dass korrekt übersetzt wird und dass die Übersetzenden auch für sich persönlich professionell mit den vielleicht belastenden Inhalten der Gespräche umgehen. Welche Möglichkeiten es jeweils vor Ort gibt und welche Wege der Finanzierung möglich sind, das wissen die Beratungsstellen für Flüchtlinge. Für die Kommunikation der täglichen Aktivitäten in der Kita ist darüber hinaus die Arbeit mit visuellen Materialien, mit erläuternden Bildern, sehr hilfreich.


"Wichtiger als das Verstehen jeden Wortes ist die Signalisierung einer einladenden Atmosphäre."


Wichtiger als das Verstehen eines jeden Wortes ist gerade die Signalisierung einer einladenden Atmosphäre. Eine solche Atmosphäre beginnt zum Beispiel bei dem redlichen Bemühen, die Namen der Kinder und der Familien richtig auszusprechen. Damit wird Achtung vor der Identität signalisiert. Ein solches Signal ist gerade im Umgang mit Menschen wichtig, die durch Flucht so viel verloren haben. Über die Thematisierung des Vornamens des Kindes oder des Familiennamens eröffnen sich vielleicht Zugänge zur Familiengeschichte, zur spezifischen Bevölkerungsgruppe oder allgemein zur Kultur, aus der die Familie kommt. Das Allgemeine, das hierin zum Ausdruck kommt, ist die Wahrnehmung des Gegenübers.


Sinnvoll ist darüber hinaus die Suche nach kreativen Wegen, Eltern in die Aktivitäten in der Kita einzubinden. Dies können beispielsweise handwerkliche, musische, sprachliche, sportliche oder mathematische Aktivitäten sein. Gelingt eine Einbindung beispielsweise in ein Projekt, von dem viele Kinder oder die Kita als Einrichtung profitieren, dann können Eltern die Rolle des Opfers und Hilfeempfängers ein Stück weit überwinden. Das eigene Tun kann dann in ein komplexes System von Geben und Nehmen eingeordnet werden. Solche Systeme gibt es in allen menschlichen Gemeinschaften. Sie sind ein Grundpfeiler des menschlichen Miteinanders. Ferner können Eltern durch eine solche Aktivierung gestärkt werden, was sich wiederum positiv auf den Umgang mit ihren Kindern auswirkt. Dies ist besonders wichtig in Zeiten, in denen der Weg auf den Arbeitsmarkt versperrt ist.


Darüber hinaus ist die Einladung zum gemeinsamen Tun ein wichtiger Grundpfeiler für Kommunikation. Aus der Empathieforschung weiß man, dass das Mitfühlen da am besten gelingt, wo Menschen miteinander etwas tun. Über gemeinsames Handeln entsteht tieferes Vertrauen. Dies ist gerade da der Fall, wo Sprachen oder Kulturen oder soziale Bedingungen sehr unterschiedlich sind. Das gemeinsame Arbeiten kann hier Brücken bauen.


Ferner lernen Eltern die Einrichtung so auf Augenhöhe kennen. Eltern mit Fluchthintergründen kennen in der Regel das deutsche System der frühkindlichen Betreuung noch nicht. Die Einladung zum Mittun ist eine Einladung zum Kennenlernen. Wie alle Pädagogik beruht dies aber auf Freiwilligkeit. Eine alleinerziehende Mutter mehrerer Kinder braucht vielleicht eher die Zeit, die die Kinder in der Kita gut betreut und begleitet werden, um sich für den restlichen Tag zu stärken. Dies trifft nicht nur für Flüchtlingseltern zu. Aber hier kommt es in besonderer Weise zum Tragen.


Gemeinsames Arbeiten als aktive Form der Willkommenskultur


Wenn es gelingt, Eltern mit Fluchthintergründen in Aktivitäten einzubinden, dann profitiert auch die Kita als Institution davon. Diese Kompetenzen liegen gerade zu Beginn ihrer Zeit in Deutschland oftmals brach.


Das Gegenüber ins eigene Tun einzubeziehen ist eine aktive Form der Willkommenskultur. Es zeigt, dass es ernst gemeint ist, den anderen als Teil der Gemeinschaft einzuladen.

 

Erstveröffentlichung  in KiTa Aktuell ND 7-8/2015



Zum Weiterlesen:

Linksammlung: Angebote für die Kommunikation mit Flüchtlingen in der KiTa

Hintergrundinfo: Sprachen von Flüchtlingen

Hintergrundinfo: Herkunftsländer von Flüchtlingen

ABC Flucht und Asyl

 



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