Peter Petersen (1884-1952)

Petersen1Peter Petersen in jüngeren Jahren (Saupe 1929)
Peter Petersen gehört zu den profiliertesten Reformpädagogen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er ist der Begründer des weltweit bekannten Jenaplankonzepts, das in den 1920er Jahren an der Universität Jena entwickelt wurde – daher der Name. Darüber hinaus hat sich Petersen mit dem Kindergarten und seinem „Stifter“ Friedrich Fröbel befasst - wenn auch nicht in der Intensität wie mit der Schulpädagogik.

Biografische Notizen

Peter Petersen erblickte am 26. Juni 1884 in dem in der Nähe von Flensburg gelegenen Dorf Großenwiehe als ältestes von neun Kindern des Kleinbauern Carsten Petersen (1855-1939) und dessen Ehefrau Catherine Marie, geb. Johannsen (1860-1921), das Licht der Welt. Ab Ostern 1890 besuchte er die einklassige Schule seines Heimatdorfes. Der Dorfpastor erteilte ihm den ersten Lateinunterricht, somit konnte er im Herbst 1896 in die Quinta (2. Klasse) des „Königlichen Gymnasiums und Realgymnasiums zu Flensburg“ eintreten. Nach dem Abitur, das er im Herbst 1904 ablegte, studierte der frischgebackene Abiturient u. a. Evangelische Theologie (Hauptfach), Philologie, Geschichte, Philosophie und Pädagogik an den Universitäten in Leipzig, Kiel und Kopenhagen sowie an der „Königlichen Akademie zu Posen“. Im Mai 1908 wurde er mit der Dissertation „Der Entwicklungsgedanke in der Philosophie Wundts, zugleich ein Beitrag zur Methode der Kulturgeschichte“ promoviert. Diese erschien im gleichen Jahr als Buch. Im Februar 1909 legte Petersen die staatliche Prüfung für das Lehramt (examen pro facultate docendi) ab. Danach unterrichtete er für ein halbes Jahr am „Königin-Carola-Gymnasium“ in Leipzig und übersiedelte anschließend nach Hamburg. In der Hansestadt wirkte er bis 1919 als Oberlehrer für Evangelische Religion, Englisch, Geschichte, philosophische Propädeutik und Hebräisch an der traditionsreichen Gelehrtenschule des „Johanneums“. Im Mai 1920 übernahm der promovierte Gymnasiallehrer für ein Jahr die Leitung der fortschrittlichen Realschule in Hamburg-Winterhude, die sich später „Lichtwarkschule“ nannte. Zusätzlich habilitierte er 1920 an der neugegründeten Universität der Hansestadt für Philosophie und Pädagogik mit der Arbeit „Geschichte der Aristotelischen Philosophie im protestantischen Deutschland“ (1921).
Mit seiner zum 1. August 1923 erfolgten Berufung auf den Lehrstuhl für Pädagogik an die Philosophische Fakultät der Landesuniversität in Jena „wurde der Grundstein für seine spätere weltweite Wirksamkeit gelegt“ (Kosse 1979, S. 186). Dort begründete er den Jenaplan, der an der „Universitätsschule“ praktisch erprobt und theoretisch untermauert wurde. Durch Petersen wurde Jena „nicht nur ein Pilgerort für reformmutige deutsche Pädagogen… sondern wurde auch ein Sammelpunkt ausländischer Studenten. Viele Professoren der Pädagogik im Ausland haben zu Füßen Petersens gesessen“(Mieskes 1964, S. 12 f).

Während der NS-Zeit hatte sich Petersen mehr oder weniger dem braunen Regime angepasst (vgl. Ortmeyer 2008). Er gehörte aber weder der NSDAP, der SS oder SA an. Seine Mitgliedschaft seit 1934 im „Nationalsozialistischen Lehrerbund“ (NSLB) „Reichsfachschaft I – Lehrer an Hochschulen“ (Nr. 3196) ist letztlich ohne politische Bedeutsamkeit, weil es sich hier um den en bloc gleichgeschalteten „Bund für Schulreform“ handelte. Der Universitätsprofessor war nicht aktiv im NSLB an dessen politischer und weltanschaulicher Arbeit beteiligt. Jedenfalls gibt es bis jetzt keine Gegenbeweise. Im Mai 1943 referierte Petersen erstmals an der in Braunschweig angesiedelten „Akademie für Jugendführung“. Hierbei handelte es sich um „die höchste Führerschule der HJ (Hitlerjugend; M. B.) zur Ausbildung des hauptamtlichen Führernachwuchses“ (Schultz 1978, S. 9). An genannter Kaderschmiede sprach er erneut im August d. J. zur Erzieherschaft der „Adolf Hitler-Schulen“, hielt des Weiteren einen „Kursus vom Mai alldort über ‚Erziehung in USA‘, bevor er im Rahmen des dritten ‚Lehrgangs erneut eine ganze Woche mit 23 Vorlesungen ‚Erziehungsformen und Erziehungssysteme‘ (von Hellas bis Gegenwart: USA, England, Russland) in Braunschweig war“ (Döpp 2003, S. 562). Auch zeichnete er für drei Vorträge im KZ-Buchenwald verantwortlich (vgl. Schwan 2007, S. 137 ff.; Harten 2012, S. 265 f). Der Jenaer Universitätsprofessor sprach u.a. am 25. April 1944 zum Thema „Wissenschaft im Dienst des Lebens – Erziehungswissenschaft der Gegenwart“. Die Zuhörer waren verschleppte norwegische Studenten, die wegen ihrer Proteste gegen die deutsche Besatzungsmacht in Norwegen inhaftiert wurden. Der Vortrag diente dem Ziel, die norwegischen Studenten zum Eintritt in die Waffen-SS zu bewegen (vgl. Ortmeyer 2009, S. 290).

Nach dem Zusammenbruch der Hitler-Ära konnte Petersen an der Universität Jena weiter arbeiten. Er trat am 1. Februar 1946 in die SPD ein, die am 22. April 1946 mit der KPD zur SED zwangsvereinigt wurde. Wegen deutlicher Angriffe aus SED-Kreisen gegen seine Schulauffassung verließ er im Mai 1948 aus Protest die SED. Dieser Schritt gereichte ihm nicht zum Vorteil und wurde von seinen Gegnern für seine Demontage ausgenutzt. Petersens Bemühungen in West-Deutschland eine berufliche akademische Anstellung zu erhalten, liefen ins Leere. In seiner Willenskraft gebrochen und „vor der Vernichtung des äußeren Lebenswerks stehend“ (Heintze 1964, S. 533), zog er sich immer mehr zurück. Er starb am 21. März 1952 in der Jenaer Universitätsklinik. Seine letzte Ruhestätte befindet sich in seinem Heimatdorf Großenwiehe.

Petersen2Peter Petersen im Alter (Ida-Seele-Archiv, Akte Käte Heintze)Petersen war zweimal verheiratet. Am 1. September 1911 ehelichte er Gertrud Zoden (1892-1957). Aus der Verbindung gingen eine Tochter (*1912) und zwei Söhne (*1914; *1916) hervor. Am 22. Dezember 1927 wurde das Ehepaar geschieden. Wenige Wochen später, am 9. Februar 1928, heiratete Petersen die Studienassessorin Else Müller (1891-1968). Dem Ehepaar wurden drei Kinder geboren: zwei Töchter (*1928; *1930) und ein Sohn (*1932).

Von Montessori zu Fröbel

Unter Petersens Leitung erfreute sich die „Lichtwarkschule“ in Hamburg eines beachtlichen Aufschwungs und avancierte zu einer Vorbildeinrichtung. Célestin Freinet (1896-1966), Begründer der Freinet-Pädagogik, wie auch die dänische Montessori-Pädagogin Sofie Rifbjerg (1886-1981) besuchten die reformpädagogischen Bildungseinrichtung. Vermutlich kam Petersen über die Dänin verstärkt in Kontakt mit der „Neuen Erziehung“ der italienischen „Dottoressa“, wie Maria Montessori (1870-1952) ehrfurchtvoll genannt wurde. Das von Rifbjerg in Kopenhagen geleitete Montessori-Kinderheim hatte er besucht (vgl. Retter 2007, S. 168), desgleichen das „Montessori-Landheim der dänischen Montessori-Gesellschaft in Engludhus auf der Insel Seeland“ (Döpp 2003, S. 360). Der Montessori-Experte Harald Ludwig konnte anhand der im Nachlass von Petersen vorhandenen Montessori-Literatur nachweisen, dass der Reformpädagoge sich bereits sehr früh mit der Montessori-Bewegung befasste, mutmaßlich in Zusammenhang mit dem für 1914 in Köln geplanten, aber wegen Kriegsausbruch nicht zustande gekommenen Kongresses des „Bundes für Schulreform“ (vgl. Ludwig 1990, S. 26 f). Seinerzeit war Petersen Geschäftsführer bzw. Generalsekretär des Interessenverbandes. Ein weiterer Montessori-Experte, Franz-Michael Konrad, ist der Ansicht, dass in dem Jenaer Universitätsprofessor die Montessoripädagogik den „(zunächst) wohl vorbehaltslosesten Anhänger unter den wenigen Hochschulpädagogen in Deutschland, die sich überhaupt mit ihrem Ansatz zu beschäftigen bereit waren… hatte“ (Konrad 1997, S. 147). Petersen reihte Maria Montessori neben Paul Geheeb (1870-1961), Ovide Decroly (1871-1932), Berthold Otto (1859-1933), Hermann Lietz (1868-1919) und weiteren männlichen Pädagogen unter die Großen in seiner Publikation „Die neueuropäische Erziehungsbewegung“ (1916) ein (vgl. Petersen 1926, S. 74 ff.). Beispielsweise konstatierte er über das dänische „Montessori-Landheim“, dass dieses die „Neue Erziehung“ in vorbildhafter Weise verwirkliche. Es sei eine pädagogische Einrichtung, in welcher beeindruckend „der Versuch gemacht wird, zu erlauschen, wozu Kinder fähig sind und wohin sie führen, wenn der Erwachsene sie als Führer zum Sittlichen erkennt“ (Petersen 1925, S. 102). Mehrfach plädierte Petersen für eine engere Anbindung der Jenaer Montessori-Grundschule sowie des Montessori-Kinderhauses an die von ihm geleitete Jenaer „Universitätsschule“.

Gegen Ende der 1920er und verstärkt ab Anfang der 1930er favorisierte Petersen immer mehr Friedrich Fröbel (1782-1852) und dessen Pädagogik (vgl. Ludwig 1992, S. 87 ff.). Seine Hinwendung zum „Kindergartenstifter“ stand, äußerlich gesehen, in Verbindung mit der so genannten ‚Fröbel-Renaissance‘ in Thüringen… Wesentlicher Teil dieser Bestrebungen war seit 1925 die Wiederbelebung der Fröbelvereine und die Pflege der verwaisten Fröbelstätten in Bad Blankenburg, Schweina und Bad Liebenstein“ (Retter 2007, S. 217). Noch 1926 vertrat Petersen die Auffassung, man könnte Montessoris Konzept, soweit es den Kindergarten betrifft, „als eine wissenschaftliche Überprüfung und Reinigung der von Friedrich Fröbels Anhängern entwickelten Praxis [verstehen; M. B.]“ (Petersen 1926, S. 75). Jedoch Maria Montessoris „zunehmende Hinwendung zum Religiös-Metapsychischen und die damit einhergehende Abkehr vom naturwissenschaftlichen Argumentieren und der um sie herum entstehende und von der Montessoribewegung inszenierte ‚Kult‘ stießen bei ihm auf deutliche Kritik“ (Konrad 1997, S. 147). Nun vertrat er die Ansicht, dass die „Kindergärten im echten Sinne Fröbels… den Kinderheimen der Maria Montessori stets überlegen“ (Petersen 1930, S. 11) waren. Zudem bemängelte er am System und der Methode Montessoris deren „positivistischen Gedankengänge“, das „fehlende Gemeinschaftsdenken“ (Retter 2007, S. 169) sowie ihre „vermeintliche Starrheit“ (Klein-Landeck 2009, S. 222). Obwohl sich Petersen immer mehr von der Montessoripädagogik abwandte, unterschrieb er noch anfangs der 1930er Jahre Petitionen für den Erhalt der Jenaer Montessori-Grundschule, die aufgelöst werden sollte. Des Weiteren betreute er wissenschaftliche Arbeiten, die in den Montessori-Einrichtungen in Jena durchgeführt wurden, „darunter mindestens eine, die den Vergleich von Kindern der Montessori-Grundschule mit solchen der Universitätsschule zum Gegenstand [hatte; M. B.]“ (Konrad 2012, S. 55). Bei der voranstehend angedeuteten wissenschaftlichen Arbeit handelte es sich um eine von Petersen betreute, 51 Seiten umfassende, Dissertation mit dem Titel „Die Vergesellschaftung von Kindern in der Unterrichtsarbeit. Zum Problem des spontanen Verhaltens. Beiträge zur Sozialpsychologie auf Grund von Beobachtungen an Kindern nach dem Besuch der Jenaer Montessori- und Universitäts-Grundschule“ (1928). Der Promovend ging der Frage nach, „wie Kinder beider Geschlechter, von bestimmter Altersstufe in einem bestimmten Unterrichtsmilieu sich unter bestimmten Umständen gruppieren, welches Gesamtverhalten, welche Arbeitseinstellung und welche Bildungsinteressen dabei in Erscheinung treten“ (Sesemann 1933, S. 1). Die Vergleichsstudie endete mit der Überlegenheit der Montessori-Grundschulkinder in allen untersuchten Parametern.

Nach der Abwendung von der Montessoripädagogik äußerte sich Petersen pathetisch über den Kindergartenstifter, der „zu den tiefsten Kennern und Kündern kindlichen Geisteslebens gehört, die je gelebt haben und leben werden“ (Petersen 1932, S. 224). Auch könne man nicht leugnen, so fährt er in seinem Aufsatz „Die Knabenführung im Sinne Fröbels in Kindergarten und Schule nach ihrer besonderen pädagogischen Situation“ weiter, dass „in Friedrich Fröbel ein priesterlicher Pädagoge hier auf Erden gelebt und gewirkt hat, denn das war er nach Haltung, nach Lebensführung und Werk. Das erklärt uns die Unerschütterlichkeit seines Glaubens an die Erziehung, das Beharrliche an seinem idealen Streben, die Zähigkeit seines Ringens darum, die Idee der Erziehung so rein wie nur möglich in die Wirklichkeit hineinzusehen und darzustellen, seine Kraft zur Auslese in einem Leben der Tat, seine Liebe und Güte zu den Kindern, den Menschen, sein Leben nach dem Bilde Jesu“ (ebd., S. 254).

Der von Petersen geleiteten „Universitätsschule“ wurde 1934 der „Universitäts-Fröbel-Kindergarten“ angegliedert, der anfänglich ca. 20-22 Plätze hatte und halbtags von 8-12 Uhr, im Winter von 9-13 Uhr geöffnet war. Mit der vorschulischen Einrichtung schuf der Ordinarius für Erziehungswissenschaften „eine Lebensgemeinschaft von 120 Mädchen und Jungen vom 3. bis zum 14. Lebensjahr. Er handelte darin bewußt in derselben Erkenntnis, die Fröbel schon fordern ließ, die gesamte kindliche Entwicklung bis zur Reife als einen in sich geschlossenen, organisch wachsenden Lebenszusammenhang aufzufassen und aufzubauen“ (Westermann 1943, S. 158 f). Anlässlich der feierlichen Eröffnung des „Universitäts-Fröbel-Kindergartens“ betonte Petersen, dass es „heute ein feststehendes Ergebnis erziehungswissenschaftlicher Untersuchungen (sei; M.B.), daß die Fröbelschen Kindergärten – nicht ebenso die Montessori-Arbeit – deutscher Art entsprechen“ (zit. n. Retter 2007, S. 170). Er stellte, wie es seinerzeit sich gehörte, „die Verwandtschaft heraus, die seit je zwischen der neuen Erziehungswissenschaft… und der nationalsozialistischen Weltanschauung bestanden hat. Beide finden… in der Volksgemeinschaft, ihre Grundlage und ihr Ziel“ (zit. n. Döpp 2003, S. 208). Infolgedessen habe sich die Erziehungswissenschaft von „ihrer eigenen geschichtlichen Entwicklung her… freudig eingeordnet in die Volkserziehung im Sinne des Dritten Reiches“ und danke dem „neuen Staat und seinem Führer“ für die Möglichkeit an der „volkhaften Ausgestaltung des deutschen Erziehungswesens mitzuarbeiten“ (zit. n. ebd.). Der Universitätskindergarten wurde „mehr und mehr ein gewisser Mittelpunkt des ganzen Schullebens der Petersen-Schule“ (Heintze 1964, S. 528). Die Verbindung des Kindergartens mit der „Universitätsschule“ stellt bis heute ein Novum dar. Erstmals erhielt der Kindergarten akademische Anerkennung und wurde als integraler Bestandteil des öffentlichen Bildungssystems ernst genommen – eine Erkenntnis, die „in der Tat bildungspolitische Bedeutung besaß und in der Bundesrepublik erst wieder 1970 im Strukturplan für das Bildungswesen gefordert wurde“ (Retter 2007, S. 390 f).
petersen3 4Universitätskindergarten Jena (Ida-Seele-Archiv, Akte Käte Heintze)

Deutschlands größter Erzieher

Im NS-Staat wurde allgemein Fröbel als der „völkische Erzieher“ gepriesen und die Montessoripädagogik desavouiert (vgl. Berger 2019, S. 160 ff.). Um vermutlich seine Nähe zum „Regime“ zu demonstrieren löschte Petersen den Namen Montessoris aus seinen Veröffentlichungen über den „Jenaplan“. In den Ausgaben 1927, 1929, 1932 und 1934 bekannte er sich „noch voll und ganz zur Forderung Montessoris in ihrer ‚Pädagogischen Anthropologie‘, daß der Lehrer das anthropologische Studium des Kindes der Erziehungsarbeit vorangehen lassen sollte“ (Petersen 1927, S. 36). In der 7./8. „neu durchgesehenen und erweiterten Auflage“ des Jena-Plans aus dem Jahre 1936 findet sich der Name der italienischen Ärztin und Pädagogin nicht mehr. Es heißt nur noch: Wir bekennen „uns u. a. ganz zur Forderung, daß der Lehrer das anthropologische Studium des Kindes der Erziehungsarbeit vorangehen lassen sollte“ (Petersen 1936, S. 92). Dieser stillschweigende Akt der Entfernung Montessoris aus seinen Schriften wirft, wie Hein Retter schreibt, „einen Schatten auf Petersen als internationalen Reformpädagogen“ (Retter 2007, S. 171).

Zum 100. Geburtstag des Kindergartens erschien Petersens Schrift „Von der Fröbelschen „Vermittlungsschule“ zur Deutschen Fröbel-Schule“ (1940). Darin weist er darauf hin, dass der „Kindergartenstifter“ für die Zeit bis zum 9. Lebensjahr eine „Vermittlungsschule“ gefordert hatte und sich der Jenaer „Universitäts-Förbel-Kindergarten“ „seit 1934 ernst und ehrlich darum… müht,… den echten Fröbelkindergarten mit der Volksschule organisch zu verbinden, und zwar so eng und in sich geeint, wie es Friedrich Fröbel selber freilich in den Einzelheiten nicht vorsah, wie er es aber geistig, vom Grunde seiner Erziehungswissenschaft her, vorausnahm“ (Petersen 1940, S. VII). In einem historischen Rückblick kritisierte er die Verschulungstendenzen des Kindergartens, ausgelöst durch die Fröbelepigonin Bertha von Marenholtz-Bülow (1810-1893) (ebd., S. XVII) und begrüßte die 1920 auf der Reichsschulkonferenz beschlossene Zuordnung des Kindergartens zum Bereich der Jugendwohlfahrt. So verschwand der „Kindergarten aus dem Bereiche und damit recht stark aus dem Blickpunkt der Schulverwaltung. Nirgends konnte er nach 1920 besser geschützt und gefördert werden, um über die Jahrzehnte der ‚Verschulung‘ und ‚Verkopfung‘ hindurchgerettet und so in seiner pädagogischen Eigenart in der Nähe des echten Fröbels erhalten zu werden. Die Flucht aus dem schulischen Bezirk unter die Jugendwohlfahrt zeugt vom rechten Instinkt der Anhänger Fröbels in jenen Tagen, und zwar aller Richtungen. Es war in der Tat das Beste, einen schirmenden Hafen aufzusuchen“ (ebd., S. XXIX). Damit der organische Übergang vom Kindergarten in die Volksschule gelingt, hielt Petersen es für angebracht, dass mit der „Deutschen Fröbelschule“ ein „echter Fröbelkindergarten“ verbunden werde. Dabei sollten beide Institutionen in „räumlicher Verbindung“ stehen (ebd., S. XLI). Bedingt durch die Tatsache, dass „das deutsche Kind, auf den großen Durchschnitt gesehen, erst während des siebten Lebensjahres schulreif wird, verlangt (diese; M. B.) eine innere Schulorganisation, Führung der Schüler und eine Lehrweise, die von der Kindergartenpädagogik gelernt hat“ (ebd.). Als logische Konklusion forderte Petersen die Fortbildung der Kindergärtnerinnen (Hortnerinnen) zu Grundschullehrerinnen. Dabei berief er sich auf Fröbel, der die Ausbildung der Kindergärtnerinnen nicht nur auf die Kindergartenstufe beschränkte, sondern auch die ersten Schuljahre miteinbezog. Eine entsprechende Eingabe an den Ministerialrat im Thüringischen Volksbildungsministerium, Ferdinand Stier (1886-1966), wurde abgelehnt. Doch Petersen ließ nicht locker. Er teilte am 17. Juni 1943 seinem Schüler Heinrich Döpp-Vorwald (1902-1977) mit, er wolle in die Reichshauptstadt Berlin fahren, „um die… geplante Umschulung von Kindergärtnerinnen zu Lehrerinnen der Grundschule zu besprechen“ (zit. n. Stutz 2012, S. 360). Jedoch seine Bemühungen waren erneut vergebens.

petersen5Bucheinband von Friedrich Fröbel Deutschlands größter Erzieher (Ida-Seele-Archiv) Petersens Monographie „Friedrich Fröbel Deutschlands größten Erzieher“ (1942), publiziert auf dem Höhepunkt der deutschen Aggression gegenüber der internationalen Staatengemeinschaft, „stellt das letzte abschließende Wort“ eines „breit mit Fröbels Pädagogik vertraute[m] Pädagogen der NS-Ära dar“ (Heiland 2003, S. 220). Darin wird die Fröbelsche Pädagogik als eine nationale Volkspädagogik, als Ausdruck eines „nationalen Genius“ und „charismatischen Führers“ begriffen (vgl. Proll 1988, S. 43 ff.). Petersen zufolge wurde mit Fröbel dem deutschen Volk „aus dem Volke selbst ein Genius der Erziehung geschenkt, und weil er aus der Mitte des Volkes aufstieg, so war er besonders begnadet, des Volkes letzte und tiefste Gestalt zu geben. Das innerste Wesen unseres Volkes breitete er vor uns aus in seiner Philosophie des Geistes. Darin ergriff er des deutschen Menschen wahre Bestimmung, ja des Menschen Sinn und Sendung überhaupt, und aus dieser idealen Welt nahm er die Maßstäbe, um den Lebenskreis der Kindheit wie der Jugendzeit ganz real und nüchtern praktisch abzugrenzen und zu formen“ (Petersen 1942, S. 50 f).

Und die von Fröbel in Keilhau „vollbewußt deutsch“ (ebd., S. 8) gegründete Erziehungsanstalt stand im Dienste einer völkischen Erziehung, zu männlicher deutscher Haltung. Demzufolge war für Petersen Fröbel soldatisch, wie „ebenso in seiner ganzen geistigen Haltung. Der echte Soldat steht immer in Arbeit und Kampf auf Wacht für sein ganzes Volk… In diesem Sinne soldatisch, schuf Fröbel sein Lebenswerk vor dem Angesicht seines Volkes. Niemals bestimmten ihn Teilfragen, Klasseninteressen oder Machtinteressen bestimmter Volksteile, gar nicht zu reden vom eigenen Vorteil. Ohne ichhafte Interessen, blickte er lediglich auf das, was dem ganzen Volke am besten frommte. Wehrhaften und wahrhaften Sinnes schritt er den Weg des Freiheitskämpfers in seinem Bereiche zu Ende, führte er im Felde der Erziehung und Volksbildung ein zäh angesetztes und niemals aufgegebenes Stoßtruppenunternehmen bis zum letzten Atemzuge durch“ (ebd., S. 16). Voranstehendes Zitat betreffend, resümiert der Fröbelexperte Helmut Heiland, dass in „dieser Charakteristik Fröbels nichts mehr von der sphärephilosophischen Religiosität und dem individualistischen Freiheitsstreben Fröbels zu erkennen [ist; M.B.]. Es bleibt nur „soldatische Pflichterfüllung im Dienste des Volkes“ (Heiland 2003, S. 28).

Nach 1945 hatte sich Petersen nicht mehr mit dem Kindergarten und Friedrich Fröbel auseinandergesetzt. Wie aus dem „Peter-Petersen-Archiv“ hervorgeht, hatte er noch kurz vor seinem Tod einen Vortrag über Fröbel vorbereitet. In diesem hält er zum Schluß fest, dass die politischen (demokratischen) Ideen des „Kindergartenstifters“, mit denen dieser „seine Kindergärten nicht [[nur]] umrankte und schmückte, nein sie innerlich erfüllte, bezeugen, wie stark und wie innig er seine Kindergärten als Fundament einer allumfassenden Volkserziehung betrachtete, als einen der wichtigsten Bausteine eines vom Volke getragenen Staates“ (Peter-Petersen-Archiv, S. 9).

Literaturverzeichnis

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