Kinderläden zwischen Selbstorganisation & sozialer Dienstleistung

Elternarbeit in Elterninitiativen

Der Begriff Elternarbeit hat im Bereich der Elterninitiativträger einen besonderen Stellenwert, der in der spezifischen Tradition dieser Einrichtungen begründet ist. Was lässt sich nach mehr als 50 Jahren Kinderladengeschichte über das Thema Zusammenarbeit mit Eltern erfahren?

Die Zusammenarbeit mit Eltern ist heute ein zentrales Ziel von Tageseinrichtungen für Kinder und als solches in den Bildungsplänen sowie in Gesetzestexten auf Bundes- und Landesebene fixiert. Dass Kitas dieses Thema ernst nehmen, ist auch an den Ergebnissen einer aktuellen »Blitzumfrage« des Kompetenzzentrums für Gesundheitsförderung in Kitas (kogeki) abzulesen. Von den mehr als 470 Teilnehmenden an der Online-Befragung haben über 78% angegeben, dass ihnen die Zusammenarbeit mit Eltern sehr wichtig ist. 81% der Befragten streben einen weiteren Ausbau der Elternarbeit an (www. kogeki. de/ befragungen).

Während also die große Bedeutung der Elternarbeit in der pädagogischen Praxis offenbar unumstritten ist, gibt es bisher nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen, die sich dieser Annahme empirischempirisch|||||Empirie bezeichnet wissenschaftlich durchgeführte Untersuchungen und Erhebung, die gezielt und systematisch im Forschungsfeld oder im Labor durchgeführt werden. Empirische Forschungen können durch verschiedene Methoden praktisch angewendet werden. genähert haben. Die Studien von Tanja Betz und ihren Kolleginnen im Auftrag der Bertelsmann Stiftung haben in den vergangenen Jahren Licht in das Themenfeld gebracht. Darin hinterfragen sie durchaus kritisch, inwiefern das Ideal der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft seiner hohen Bedeutung in der frühkindlichen Bildung gerecht werden kann, und welche Herausforderungen sich daraus ergeben. (vgl. Betz, Tanja, 2015)

Als Landesgemeinschaft der Elterninitiativen in Niedersachsen und Bremen e.V. vertreten wir einen Trägerbereich, in dem die sehr enge Zusammenarbeit zwischen Eltern und Kita-Fachkräften bereits auf eine lange Tradition zurückblicken kann. Wie der Name »Elterninitiative« verrät, ist die Beteiligung von Eltern quasi das Fundament selbstorganisierter Kindertagesbetreuung. Die ersten Elterninitiativen oder auch »KinderlädenKinderläden||||| Die Kinderladenbewegung entstand in den 1986 in Frankfurt mit ersten selbstverwalteten Kindergärten, oftmals Elterninitiativen, in denen Kinder verschiedenster Alter  betreuut wurden. Es wurde die Maxime eines antiautoritären Erziehungsstil vertreten, um neue Erfahrungen für Kinder zu ermöglichen, sowie die Ansicht, dass Regeln von "Autoritäten" nicht blind verinnerlicht werden dürften. Dies führte und führt noch heute zu Diskussionen und fälschlichen Verwechslungen mit dem Laissez-Faire Erziehungsstil.   « wurden Ende der 60er Jahre von Eltern gegründet, die sich für ihre Kinder Alternativen zur damals gängigen Kindergarten-Pädagogik wünschten. Das funktionierte zunächst komplett selbstorganisiert, zu Beginn oft noch ohne Fachkräfte und ohne Fremdfinanzierung. Ein solidarisches Miteinander und gemeinsame politische Ideale machten es möglich. Heute sind Elterninitiativen bereits seit Jahrzehnten als anerkannte Träger der Jugendhilfe etabliert und insbesondere in größeren Städten stark vertreten. In Niedersachsen sind etwa 10 Prozent der Kindertagesstätten Elterninitiativen.

Die Strukturen der Kinderläden haben sich im Verlauf der letzten 50 Jahre professionalisiert – mithilfe öffentlicher Förderung erfüllen Elterninitiativen heute alle gesetzlichen Rahmenbedingungen und können dank intensiver Vernetzung miteinander (auf kommunaler Ebene ebenso wie auf Landes- und Bundesebene) professionelle Beratungsnetzwerke sowie politische Interessenvertretungen vorweisen. Die Elternarbeit ist und bleibt bis heute ein zentrales Merkmal der Kinderläden. Aber inwiefern unterscheidet sich diese Zusammenarbeit von Eltern und Fachkräften von der Elternarbeit anderer Träger?

Eltern als Akteure

Um diese Frage beantworten zu können, muss die besondere Entstehungsgeschichte der Kinderläden betrachtet werden. Es waren und sind auch heute noch die Eltern selbst, die die Initiative zur Gründung eines Kinderladens ergreifen. Die Ausrichtung der Kita orientiert sich also automatisch an den spezifischen Bedarfen der gründungswilligen Eltern. Da die Gründung einer Kita mit einem großen Aufwand verbunden ist, sind dabei oftmals jene Bedarfe handlungsleitend, die durch das sonstige Betreuungsangebot nicht erfüllt werden können. Deshalb waren und sind Elterninitiativen nicht selten Pioniere im Kitabereich: Die Betreuung von Kindern unter 3 Jahren, die Integration von Kindern mit Behinderung und auch die Waldkindergärten sind nur einige Beispiele dafür. Es handelt sich hierbei also um eine Art »bottom-up«-Dynamik, bei der das Angebot von der späteren Zielgruppe selbst und nach den eigenen Vorstellungen – quasi von unten nach oben – geschaffen wird.

Das große inhaltliche Innovationspotential dieser Wirkrichtung wurde bereits angesprochen. Auch für das Thema Elternarbeit ergeben sich daraus erhebliche Besonderheiten. Während Elternarbeit in Einrichtungen anderer Träger vor allem die pädagogische Arbeit MIT den Eltern meint, ist die Arbeit VON Eltern in den meisten Elterninitiativen auch heute noch ein zentrales strukturelles Element, das den Träger überhaupt handlungsfähig macht. Die Eltern selbst sind Träger der Einrichtung – sie müssen mitarbeiten, um den Laden am Laufen zu halten. Die Mitarbeit reicht von der aufwendigen Arbeit des mehrköpfigen Vereinsvorstands (mit Personal- und Finanzverantwortung) über das Handwerks-, dem Fest- bis hin zum Einkaufsamt. Weitere Arbeiten ergeben sich im aktuellen Tagesgeschäft zuhauf – jedes (ehemalige) Mitglied einer Elterninitiative kann vermutlich nur bestätigen, dass auf jedes abgearbeitete Feld neue, oftmals ungeahnte Herausforderungen folgen.

Es wäre jedoch falsch, diese Art der Elternarbeit als leidige Notwendigkeit zu verstehen, denn die Mitarbeit der Eltern hat sehr weitreichende Auswirkungen auf die pädagogische Qualität der Einrichtungen.

Die Eltern sind in den Einrichtungen präsent. Oftmals verfügt jede Familie über einen eigenen Schlüssel zur Kita, und einige von ihnen haben womöglich schon Räume renoviert, noch bevor ihr Kind nach der Schließzeit im Sommer in die Eingewöhnung startet. Was zunächst vor allem nach zusätzlicher Belastung klingt, wirkt nachhaltig im Sinne der Kinder und ihrer Eltern. Die Mitarbeit und Präsenz, das Miteinander mit den anderen Familien stärken die Identifikation mit dem Kinderladen. Dieser wird so mindestens für ein paar Jahre »unser Laden«. Für das Kind gelingt damit die Verbindung der zwei Welten Kita und Familie, was für die Fachkräfte wiederum eine ideale Ausgangssituation für die pädagogische Arbeit MIT den Eltern darstellt. Die besondere Doppelrolle der Eltern (z.B. als Arbeitgeber sowie hilfesuchender Elternteil) muss dabei zwar bedacht werden, führt aber im Alltag seltener zu Konflikten als dies von Außenstehenden oft vermutet wird.

Dienstleistung nicht um jeden Preis

Elterninitiativen stellen damit einen interessanten und auf den ersten Blick fast altmodisch wirkenden Kontrast zur gegenwärtigen Entwicklung dar, Kindertagesbetreuung als soziale Dienstleistung zu verstehen. Natürlich entwickeln sich auch Elterninitiativen weiter. Die starke Einbindung beider Elternteile in das Berufsleben und eine hohe Zahl alleinerziehender Eltern fordern auch von selbstorganisierten Kitas eine zunehmende Entlastung der Eltern. Vor allem dann, wenn die Elternvereine weiterhin für alle interessierten Familien offenstehen möchten. Während Eltern früher sowohl im hauswirtschaftlichen Bereich des Kinderladens als auch in der Kinderbetreuung selbst aktiv eingebunden waren, gibt es heute vielerorts professionelle Kochlösungen sowie Reinigungs- und Vertretungskräfte. Eltern springen zumeist nur noch dann ein, wenn die bestehenden Strukturen ausfallen. Dachverbände helfen ihren Mitgliedern bei Verwaltungsaufgaben und unterstützen sie bei der Bewältigung der immer komplexer werdenden Vorstandsaufgaben. Und trotzdem fällt auch heute noch viel Elternarbeit in Elterninitiativen an. Dass das auch wichtig ist und bleibt, zeigen die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte. Dort wo Dienstleistung Elternengagement zu stark ersetzt, geht nicht selten eine Menge verloren. Denn die Erleichterung über die Entlastung hält meistens nur kurz an, weil die nächste Elterngeneration schon gar nicht mehr ahnt, welche Aufgaben 3 Jahre früher noch in ihre Zuständigkeit gefallen wären. Sie nehmen nur wahr, dass – subjektiv betrachtet – noch immer mehr für sie zu tun ist als in den Kitas anderer Träger. Einmal etablierte Entlastungen der Eltern sind auch deshalb nur schwer wieder zurückzunehmen, weil es für das System Elterninitiative sehr wohl einen Unterschied macht, ob die Einbindung der Eltern das Resultat gemeinsamer Entscheidungsprozesse ist (selbst wenn diese schon Jahre und Jahrzehnte zurückliegen) oder später quasi per »Verordnung« wieder eingeführt wird.

Die Abkehr von einem reinen Dienstleistungsgedanken hat aber nicht allein organisatorische bzw. strukturelle Gründe. Wie die vorangegangenen Ausführungen gezeigt haben, erhöht das Engagement der Eltern die Identifikation mit dem Kinderladen. Und das passiert bemerkenswerter Weise auch dort, wo sich Eltern nicht AUFGRUND sondern eher TROTZ zu leistender Elternarbeit für den Kinderladen entschieden haben. Gemeinsame Putzwochenenden und die Notwendigkeit, sich bei den sehr regelmäßigen Elternabenden über Organisatorisches einig zu werden, fördern den Zusammenhalt und die Präsenz der Eltern. Das organisatorische Mitwirken führt auf sehr vielfältige Weise dazu, dass die Eltern Einblicke in den Kitaalltag ihrer Kinder erhalten. So erfährt zum Beispiel das Einkaufsamt eine Menge über Frühstückstraditionen und kulinarische Vorlieben der Gruppe. Das Handwerksamt muss nicht selten genau das reparieren und Instand setzen, was für die Kinder von besonderer Bedeutung ist und entsprechend intensiv in Anspruch genommen wird. Auch die Planung, der Erwerb und der Zusammenbau neuer Anschaffungen schärft ganz nebenbei den Blick für die Bedürfnisse und alltäglichen Bedarfe von Kindergruppe und Fachkräften. Der Einblick in die Abläufe geschieht auf diese Weise ganz nebenbei und ohne wertenden Kontext. Das so erlangte Wissen über den Kitaalltag kann den Eltern Sicherheit geben, das Vertrauen in die Pädagogik stärken und Anschlussfähigkeit herstellen.

Die organisatorische Einbindung der Eltern in Elterninitiativen verändert das Beziehungsgefüge aller Erwachsenen im Kita-Kontext. Während die Kommunikation von Fachkraft und Eltern in der Kita üblicherweise vom Austausch über das jeweilige Kind geprägt ist, muss es in Elterninitiativen gezwungenermaßen weitere Themen geben, über die beide Personengruppen in den Austausch treten. Die Rollenverteilungen sind damit vielfältiger und potenziell gleichberechtigter. Ganz ohne (explizit) pädagogischen Kontext erfahren beide Seiten viel übereinander und entwickeln gegenseitiges Vertrauen. Die Erwachsenen begegnen sich auf Augenhöhe und als Individuen. Für die Fachkräfte sind die Eltern durch den engen Kontakt greifbar, nah und offen für die pädagogische Elternarbeit. Die Notwendigkeit zur engen organisatorischen Zusammenarbeit erleichtert damit das, was als ein Ziel zeitgemäßer frühkindlicher Bildung gilt: eine Bildungs- und Erziehungspartnerschaft von Kita und Familie.

Die Kita als Raum für Familien Für Elterninitiativen bedeutet dies eine Gratwanderung. Einerseits eine gewisse Öffnung für Dienstleistungsaspekte, um die Eltern in ihrem Alltag entlasten zu können, und andererseits den Erhalt selbstorganisierter Strukturen, um die spezifischen Effekte von Kinderläden nicht über die Jahre und Jahrzehnte einzubüßen. Diese Gratwanderung lohnt sich allein mit Blick auf die Kinder. Die Erfahrung zeigt, dass vor allem auch sie stark vom Kita-Engagement ihrer Eltern profitieren. Die Tätigkeit für den Kinderladen nimmt der Familie nicht zwangsläufig gemeinsame Zeit, sondern ist selbst oftmals ein wertvoller Teil der Familienzeit. Während die Eltern die Zeit nach dem Abholen damit verbringen, gemeinsam mit einigen anderen die neue Hochebene zu planen, spielen die Kinder gemeinsam in den ihnen vertrauten Kinderladenräumen. Die Räume sind Kita- und Familienräume zugleich. Für die Kinder in Elterninitiativen beschränkt sich die Wahrnehmung der anderen Erwachsenen dadurch nicht auf die Eigenschaft »Mama oder Papa von...« – die Kinder nehmen die anderen Eltern im Kinderladen als Individuen wahr und sprechen diese wie selbstverständlich mit dem Vornamen an. So erlernen sie bereits in der Krippe einen selbstbewussten und kompetenten Umgang mit Erwachsenen, die in keinem familiären oder pädagogischen Verhältnis zu ihnen stehen. Sie erleben Augenhöhe von Groß und Klein, von Hauptberuflichen und Ehrenamtlichen. Ganz nebenbei nehmen die Kinder wahr, dass alle Erwachsenen aktiv mitwirken, sich einbringen und mitgestalten. Zivilgesellschaftliches Engagement kann sich fortsetzen, wenn es frühauf erlebbar ist.

Doch welche Rückschlüsse ergeben sich daraus für den Bereich der frühkindlichen Bildung? Elterninitiativen sind zweifelsohne ein Spezifikum der Kita-Landschaft. Ihre Entstehungsgeschichte ist ebenso spezifisch wie ihre Struktur und – ja, in gewisser Weise auch noch immer – ihre Zielgruppe. Die Erkenntnisse aus nunmehr 50 Jahren Kinderladen-Geschichte lassen sich nicht ohne weiteres auf andere Trägerbereiche übertragen. Wie die vorangegangenen Ausführungen deutlich gemacht haben, lässt sich ohnehin nicht »von oben« verordnen, was einst eigeninitiativ entstanden ist. Diese Tradition ist und bleibt wichtig und wirkt im Bereich der Elterninitiativen auch dort fort, wo sich Träger heute zu größeren Verbünden zusammengeschlossen haben. Für die Kinder in Kindertagesstätten ist es bedeutsam, dass Elternarbeit trägerübergreifend zur alltäglichen pädagogischen Arbeit dazugehört. Dass engagierte Fachkräfte unermüdlich daran arbeiten, alle Eltern mit niedrigschwelligen Angeboten in die Kitas zu holen. Die Geschichte der Elterninitiativen kann dazu ermutigen, den Dienstleistungsgedanken mit gutem Gewissen auch mal in den Hintergrund rücken zu lassen und sich zu trauen, die Eltern stärker »in die Pflicht« zu nehmen und Aufgaben an sie abzugeben. Nicht damit zusätzliche Energien gebunden werden, sondern damit diese freigesetzt werden können – im Sinne der Kinder und ihrer Familien.

Fazit

Für alle Einrichtungen – insbesondere auch für die Elterninitiativen – sollten die regelmäßigen Auseinandersetzung mit der eigenen Elternarbeit und die Reflektion über Haltungen, Methoden und Motive im Rahmen der Teamentwicklung dazugehören. Und in diesem Zusammenhang kann sich vielleicht auch ein Blick auf die Ergebnisse der zu Beginn dieses Artikels erwähnten Studien lohnen.


Literatur

  • Betz, Tanja: Das Ideal der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft. Kritische Fragen an eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Kindertageseinrichtungen, Grundschulen und Familien. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) 2015
  • Betz, Tanja et al.: Kinder zwischen Chancen und Barrieren. Zusammenarbeit zwischen Kita und Familie: Perspektiven und Herausforderungen. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) 2019
Übernahme des Beitrag mit freundlicher Genehmigung aus
KiTa aktuell ND, S. 191-193


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