Kulturelle Unterschiede in der Erziehung - Vertiefung

Inhaltsverzeichnis

  1. Was verstehen wir unter Kultur?
  2. Soziodemographische Kontexte und kulturelle Modelle
  3. Konsequenzen für die Erziehung
  4. Gefahren des normativen Blicks
  5. Wohin geht die Reise?
  6. Weiterführende Literaturhinweise

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Seit einigen Jahren nehmen die Themen der frühkindlichen Bildung und Entwicklung, der Übergang zur Elternschaft und die Stärkung elterlicher Kompetenzen einen immer größeren Raum in der öffentlichen Debatte ein und auch die Politik nimmt sich zunehmend dieser Thematik an. Familienbildungsstätten und viele andere öffentliche Einrichtungen halten eine breite Palette an Kursangeboten für interessierte Mütter und Väter bereit, die alle dazu dienen sollen, die optimale Entwicklung des Kindes zu fördern.

Schaut man sich genauer an, was dabei eigentlich unter optimaler Entwicklung oder unter optimalem Elternverhalten verstanden wird, fällt auf, dass es sich dabei um ein sehr spezifisches Bild handelt. Beispielsweise liest man in den Broschüren der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: „Bei aller Abhängigkeit ist Ihr Baby schon eine eigene kleine Persönlichkeit mit eigenen Interessen. Wenn Sie Ihr Baby als Partner betrachten und ihm viel von sich und seiner neuen Welt mitteilen, werden Sie ein Team fürs Leben sein.“ (BZgA, 2009, S. 39). Oder an die Eltern gerichtet: „Bei allem, was Sie tun, ist eines ganz besonders wichtig: Achten Sie die Individualität und Eigenständigkeit Ihres Kindes!“ (BZgA, 2008, S. 18). In Aussagen wie diesen steckt ein ganz spezifisches Bild davon, was ein Baby ist – eine eigene kleine Persönlichkeit mit eigenen Interessen – und wie man sich ihm gegenüber am Besten verhalten sollte – Seien Sie ein Partner in einem Team fürs Leben! Achten Sie die Individualität und Eigenständigkeit Ihres Kindes! Einem ganz ähnlichen Gedanken folgen verschiedene Ansätze zur Förderung der Mutter-Kind-Interaktion (siehe z.B. „watch, wait and wonder“ von Cohen, Muir & Lojkasek, 2003).

Natürlich ist dieses Bild vom Kind nicht falsch und genauso wenig lehnen wir das beschriebene Elternverhalten generell als unangemessen ab. Worum es uns in diesem Kapitel geht, ist viel eher zu zeigen, dass es sich dabei nicht um universell gültige Aussagen handeln kann, sondern um eine ganz bestimmte, kulturspezifische Sichtweise, die sich in einem bestimmten soziokulturellen Kontext – der gebildeten städtischen Mittelklasse westlicher Gesellschaften – als adaptiv erwiesen hat. Daneben gibt es jedoch auch viele andere Vorstellungen davon, was ein Neugeborenes oder Kleinkind ausmacht, wozu es sich entwickelt, was der beste Umgang mit dem Kind ist, etc., die von dem oben gezeichneten Bild abweichen oder diesem sogar diametral gegenüberstehen.



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