Bildungsräume wahrnehmen und effektiv gestalten

Wie Sie Kitaräume optimal für die Entwicklung der Kleinsten gestalten

Co-Autorin: Sabrina Braunert


Die Gestaltung von Räumen hat eine große Bedeutung für die Selbstbildungsprozesse von Kindern. Sie löst Gefühle aus, die zwischenmenschliche Beziehungen beeinflussen und ist ein Faktor für die Handlungs- und Erfahrungsspielräume von Kindern. Bedürfnisse der Kinder sind die Basis für die Gestaltung einer entsprechenden Umwelt. Wie pädagogische Fachkräfte mit der Gestaltung eines Raumes auf die Bedürfnisse von Kindern reagieren können, darum soll es in diesem Beitrag gehen.

Tim rennt schnell durch die Eingangstür der Kita. Er zieht seine Jacke und Schuhe aus und verstaut sie an der Garderobe unter dem Jaguar, der sein Platz- und Lieblingstier ist. Er schaut zu Frau Rothe, die gerade den jüngeren Kindern beim Ausziehen hilft und geht dann in den Gruppenraum. Hm, und nun? Wie gerne würde er jetzt mit Frau Rothe zusammen einen großen Turm aufbauen. Er schaut sich um und entdeckt das Regal mit den Spielen, die mit roten und gelben Punkten gekennzeichnet sind. Tim greift zu dem Bauernhofpuzzle mit einem gelben Punkt, denn er weiß: Spiele mit gelben Punkten sind für die jüngeren Kinder und können ohne Begleitung gespielt werden. Dann setzt er sich in den Bereich hinter den halbhohen Regalen, wo er sich ganz auf sein Puzzle konzentrieren und trotzdem Sichtkontakt zu Frau Rothe halten kann.

Nach Maria Montessori sorgt die äußere Ordnung für die innere Ordnung des Kindes (Montessori 2000). Kinder brauchen im Raum Orientierung und Anleitung, um aus den vorhandenen Angeboten auswählen, situationsbezogen handeln und Ablenkungen besser ausblenden zu können. Viele Kitas arbeiten heutzutage ganz selbstverständlich mit einer strukturierten Raumgestaltung und kleinen Helferlein (z.B. das beschriebene Garderobentier), die Kinder dabei unterstützen, ihren Alltag zu organisieren und sich in ihm zurechtzufinden.

Ein genauer Blick auf die Raumgestaltung lohnt: Denn eine gut strukturierte Kita gibt dem Kind viel mehr als Orientierung und Sicherheit. Sie bezieht es aktiv in seinen Lern- und Entwicklungsprozess mit ein und unterstützt selbstständiges Handeln. Die pädagogischen Fachkräfte treten hierbei in ihrer aktiven Rolle zurück. Sie gestalten stattdessen die Umgebung des Kindes nach entwicklungsförderlichen Aspekten und stehen ihm als sicherer Begleiter zur Verfügung.

Hinsichtlich der Entwicklung exekutiver Fähigkeiten wird der Einfluss der Raumgestaltung besonders deutlich. Im Kita-Alltag beobachtet man häufig, dass es Kindern mal besser und mal schlechter gelingt, sich selbstreguliert zu verhalten. So macht es Sinn, die Raumgestaltung im Hinblick auf die dadurch ermöglichte Selbstregulation der Kinder fortlaufend zu reflektieren und zu optimieren.




WIE SIE EINE GRUNDRISSANALYSE DURCHFÜHREN
Pädagogische Fachkräfte beobachten im Alltag ganz nebenbei, in welchen Bereichen es den Kindern noch nicht so gut gelingt, sich selbstreguliert zu verhalten oder wo Konfliktsituationen entstehen. Mit der Methode der Grundrissanalyse kann identifiziert werden, an welchen Stellen noch Handlungsbedarf besteht.
  • Schritt 1: Zeichnen Sie den Grundriss des Raumes oder eines Bereichs auf, den Sie genauer betrachten möchten.
  • Schritt 2: Kennzeichnen Sie die Orte mit Smileys, an denen sich Kinder gerne aufhalten und solche, die Kinder meiden.
  • Schritt 3: Markieren Sie die Bereiche, in denen sich die Kinder gut selbstreguliert verhalten können (z.B. Orte, an denen ein vertieftes Spiel gelingt) oder wo es ihnen noch schwerfällt (z.B. Orte, wo Konflikte entstehen), mit unterschiedlichen Farben.
  • Schritt 4: Gleichen Sie ab, wo Unstimmigkeiten zwischen der Beliebtheit der Orte und der Selbstregulationsfähigkeit der Kinder bestehen (z.B. Wie beliebt sind Orte, an denen es Kindern schwerfällt, sich selbstreguliert zu verhalten?) und beleuchten Sie deren Ursachen.
  • Schritt 5: Sammeln Sie im Team Ideen, um gemeinsam Lösungsansätze zu finden.




Was sind exekutive Funktionen und welche Bedeutung haben sie?

Unter exekutiven Funktionen versteht man geistige Fähigkeiten, mit denen wir unser Denken und Verhalten steuern. Sie ermöglichen uns ein planvolles, zielgerichtetes und situationsangemessenes Verhalten und unterstützen einen kontrollierten Umgang mit den eigenen Gefühlen.

Das exekutive System umfasst die drei Komponenten Arbeitsgedächtnis, Inhibition und kognitive Flexibilität.

Informationen verarbeiten
Im Arbeitsgedächtnis werden Informationen aufrechterhalten und weiterverarbeitet. Es unterstützt die Fähigkeit, sich an Handlungspläne oder Anweisungen anderer zu erinnern und begünstigt damit zielgerichtetes und planvolles Verhalten. Kinder benötigen ihr Arbeitsgedächtnis, wenn sie sich Spielregeln merken und einzelne Handlungsschritte nacheinander ausführen. Dies wird z.B. deutlich, wenn Kinder zuerst den Rand eines Puzzles vervollständigen, bevor sie die restlichen Teile einsetzen.

Impulse hemmen
Die Fähigkeit zur Impulskontrolle (Inhibition) hilft dabei, spontane Impulse zu unterdrücken und Gefühle zu regulieren. Bei einem Streit unterstützt sie die Kinder darin, nicht grob oder gemein zu werden und hilft ihnen, ihre eigenen Bedürfnisse und Gefühle angemessen auszudrücken. Mit einer gut ausgebildeten Inhibition gelingt es außerdem, die Aufmerksamkeit auf relevante Dinge zu lenken und Störreize auszublenden, z.B. sich beim Bauen nicht durch Nebengeräusche ablenken zu lassen.

Sich auf neue Situationen einstellen
Kognitive (geistige) Flexibilität beschreibt die Fähigkeit, sich auf neue Situationen oder Anforderungen einstellen zu können und das eigene Verhalten situationsangemessen anzupassen. Im sozialen Miteinander hilft sie uns dabei, Meinungen und Bedürfnisse anderer zu berücksichtigen, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen und zwischen diesen zu wechseln.

Exekutive Funktionen sind bedeutsam
Gut ausgebildete exekutive Funktionen bilden die Basis für ein erfolgreiches soziales Miteinander (z.B. Trentacosta/Shaw 2009). Des Weiteren konnten zahlreiche Studien zeigen, dass exekutive Funktionen die akademische Leistung und den Schulerfolg maßgeblich beeinflussen (z.B. Duckworth/Seligman 2005). Darüber hinaus sagen gute exekutive Fähigkeiten im Kindes- und Jugendalter nachweislich die psychische und physische Gesundheit im Erwachsenenalter voraus (z.B. Molt et al. 2011).

Exekutive Funktionen reifen bis ins Erwachsenenalter
Exekutive Funktionen haben eine vergleichsweise lange Entwicklungsperiode. Sie bilden sich vom Kleinkindalter bis ins frühe Erwachsenenalter aus. Dabei schreitet der Reifungsprozess der exekutiven Funktionen zwischen 3 und 6 Jahren besonders schnell voran. Kinder im Kindergartenalter können bereits zwischen verschiedenen Perspektiven wechseln, Pläne schmieden und sich Regeln merken. Sie haben jedoch noch Schwierigkeiten, ihre Impulse zu kontrollieren. Ihre exekutiven Funktionen beenden sich noch in der Reifung. Das bedeutet, sie brauchen noch mehr Orientierung, Unterstützung und Anleitung, um selbstreguliertes Verhalten zu zeigen, als ältere Kinder. Dies kann durch Bezugspersonen, aber auch durch die (räumliche) Umgebung geschehen

Wie können Räume die exekutiven Funktionen unterstützen?
Um die exekutiven Funktionen von Kindern zu fördern und damit selbstreguliertes und selbstständiges Verhalten zu unterstützen, lohnt es sich, folgende Aspekte genauer in den Blick zu nehmen und zu reflektieren:

Räume strukturiert gestalten

Die Struktur des Raumes ist von großer Bedeutung, denn er bildet den Rahmen, in dem Kinder ihre exekutiven Funktionen üben und weiterentwickeln können. In einem gut strukturierten Raum können Handlungsalternativen auf einen Blick erfasst werden. Das unterstützt die Kinder einerseits darin, Aktivitäten auszuwählen und andererseits flexibel zwischen den Alternativen zu wechseln. Eine klare Gliederung und optische Abgrenzung der Spielbereiche helfen den Kindern dabei, sich im Raum zu orientieren. Raumteiler, Regale, Bodenelemente oder Teppiche verdeutlichen Grenzen zu anderen Bereichen, schaffen Orientierung und helfen den Kindern dabei, sich im Raum zurechtzufinden sowie sich selbstbestimmt zu verhalten.

Eine räumliche oder visuelle Abgrenzung der Bereiche (z.B. durch Stellwände oder Vorhänge), in denen sich Kinder konzentrieren, hilft ihnen dabei, andere Reize zu ignorieren, Ablenkungen auszublenden und fokussiert an einer Sache zu bleiben. Die Rollenspielecke dagegen ist sehr bunt und enthält viele Gegenstände, wie eine Küche, Puppen oder Kleider, die die Fantasie der Kinder anregen. Damit zeigt der Raum den Kindern einerseits Möglichkeiten auf, wie sie sich beschäftigen können, setzt aber auch Grenzen und hilft ihnen, sich selbstreguliert zu verhalten.

Material kindgerecht darbieten

Bei der Darbietung von Material ist es hilfreich, wenn Kinder selbstständig darauf zugreifen können. Dabei ist es wichtig, auf ein gut strukturiertes und überschaubares Materialangebot zu achten. Hier gilt der Leitsatz »weniger ist mehr«. Aufgrund der sich entwickelnden Inhibition sind jüngere Kinder noch nicht dazu in der Lage, das Material zu priorisieren. Es fällt ihnen schwer, ein ihrem Entwicklungsstand oder ihren Bedürfnissen entsprechendes Spiel auszuwählen, da das große Angebot sie überfordert. Eine Kennzeichnung der Spiele – bspw. durch farbige Punkte – kann Kinder dabei unterstützen, altersgerechte Spiele zu finden, mit denen sie ihre Fähigkeiten üben oder weiterentwickeln können. Auch die Anordnung im Regal kann einer Ordnung folgen, indem z.B. Spiele für die jüngeren Kinder im unteren Bereich platziert werden, während Spiele für die älteren Kinder weiter oben ihren Platz finden. Ampelsysteme können den Kindern anzeigen, ob Materialien alleine und zur freien Verfügung (grün), unter Anleitung (orange) oder unter Aufsicht einer pädagogischen Fachkraft (rot) verwendet werden dürfen.

Um Kindern das selbstständige Suchen und Wiederfinden von Spiel- und Gebrauchsmaterialien zu erleichtern, können Ordnungssysteme oder Visualisierungen eingesetzt werden. Dazu können z.B. Inhalte von Materialboxen durch Fotos visualisiert oder Materialien mithilfe von farbigen Schubladen oder Fächern sortiert werden. Wenn Kinder wissen, wo sie was finden, sind sie in der Lage, ihre eigenen Pläne selbst umzusetzen.

Illustrierte Anleitungen können Kinder anfangs noch dabei unterstützen, die einzelnen Handlungsschritte auszuführen. Damit das Spielzeug nach dem Spielen selbstständig wieder an seinen Platz geräumt werden kann, hilft z.B. ein Foto, das abbildet, wie die aufgeräumte Regalwand aussieht. Das hilft ihnen nicht nur beim Aufräumen, sondern weist sie gleichzeitig auch darauf hin, wenn ein Spielzeug noch nicht an seinen Platz zurückgeräumt wurde, z.B. »Da ist noch ein Parkplatz frei, wo ist das rote Auto?«.

Das Materialangebot kann zeitweise auch reduziert oder unter den Gruppen ausgetauscht werden, um den Kindern immer wieder neue Anregungen zu bieten und eine »Reizüberflutung« zu vermeiden.

Regeln anschaulich visualisieren

Klare und nachvollziehbare Regeln helfen Kindern, sich selbstreguliert zu verhalten. Doch um sich an Regeln zu halten, müssen Kinder die Regeln kennen und sich an sie erinnern. Hierbei kann man die Kinder unterstützen, indem man Regeln sichtbar macht und so deren Arbeitsgedächtnis entlastet. Als Erinnerungsstütze können Bilder, Zeichen und Symbole zum Einsatz kommen, die zusammen mit den Kindern gestaltet werden können (z.B. kleine Schuhabdrücke vor Räumen, die anhand der abgestellten Schuhe zeigen, ob der Raum bereits belegt ist). Wichtig ist, dass Regeln nicht als Einschränkungen und Verbote wahrgenommen werden, sondern vielmehr das gewünschte Verhalten benennen (z.B. »Hier darf getobt werden.«) – das entlastet sowohl das Arbeitsgedächtnis als auch die Inhibition und erleichtert es den Kindern, sich angemessen im Raum zu verhalten.

Fragen Sie sich selbst: Sind die Regeln für die Kinder klar und nachvollziehbar? Sind die Regeln im Raum für die Kinder präsent oder brauchen sie Unterstützung, um sich an diese zu erinnern? Inwieweit werden die Kinder bei der Gestaltung von Regeln miteinbezogen?

Fazit

Eine gut strukturierte Raum- und Materialgestaltung wirkt sich positiv auf die Entwicklung des Kindes aus und unterstützt es in seinem alltäglichen (selbstregulierten) Handeln. Somit ist es zentral, den Raum fortlaufend aus Kinderaugen zu betrachten, ihn an die momentanen Bedürfnisse der Kinder anzupassen und diese dabei aktiv in den Prozess mit einzubeziehen.




TIPPS ZUR FÖRDERUNG UND UNTERSTÜTZUNG EXEKUTIVER FUNKTIONEN DURCH UND IM RAUM

Seien Sie sich Ihrer Rolle als (indirekter) Gestalter des Raumes bewusst.
  • »Kleine Helferlein« wie (Bild-)Pläne unterstützen Kinder dabei, eigenständig mehrschrittige Handlungsabfolgen auszuführen und zu verinnerlichen (z.B. beim Händewaschen).
  • Markierungen, Visualisierungen und Ordnungssysteme (z.B. Fotos, aufgemalte Umrisse von Materialien an der Wand oder durchsichtige Boxen) helfen Kindern beim Aufräumen und Finden von Materialien und unterstützen das Arbeitsgedächtnis (»Wo hatte ich das nochmal rausgeholt?«).
  • Durch klar voneinander abgegrenzte Bereiche fällt es Kindern leichter, sich nicht durch andere Reize ablenken zu lassen und konzentriert bei der Sache zu bleiben.
  • Tauschen Sie Materialien von Zeit zu Zeit aus und reduzieren Sie das allgemeine Angebot, um neue Ideen anzuregen und eine Überforderung zu vermeiden.
  • Beziehen Sie die Kinder in die Raumgestaltung mit ein, indem sie z.B. Gegenstände von den Kindern zeichnen und dort aufhängen lassen, wo sie hingehören.



Literatur

  • Bauer, D./Evers, W. F./Otto, M./Walk, L. M. (2016): Förderung exekutiver Funktionen durch Raumgestaltung. Bad Rodach: Wehrfritz GmbH.
  • Duckworth, A. L./Seligman, M. E. (2005): Selfdiscipline outdoes IQ in predicting academic performance of adolescents. In: Psychological Science 16 (12), S. 939–944.
  • Molt, T. E. et al. (2011): A gradient of childhood self-control predicts health, wealth and public safety. In: Proceedings of the National Academy of Sciences 108 (7), S. 2693–2698.
  • Montessori, M. (2000): Das kreative Kind (14. Auf.). Freiburg: Herder.
  • Trentacosta, C. J./Shaw, D. S. (2009): Emotional selfregulation peer rejection, and antisocial behavior: Developmental associations from early childhood to early adolescence. Journal of Applied Developmental Psychology 30 (3), S. 356–365.
  • Walk, L.M./Evers, W. F. (2013): Fex – Förderung exekutiver Funktionen. Bad Rodach: Wehrfritz GmbH.


Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus
KiTa aktuell ND, 5-2019, S. 100 - 103


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