Mit Freude einfach draußen sein

Impulse aus der Naturpädagogik

Einiges ist schon erforscht worden und noch mehr wurde geschrieben zur positiven Wirkung vom Naturerleben auf uns Menschen. Darüber hinaus kann jeder dies am eigenen Körper und am eigenen seelischen Erleben selbst erfahren. Hier werden Beispiele vorgestellt, die sich in der pädagogischen Praxis mit Kindern unter freiem Himmel bewährt haben.

Es tut gut, sich auf eine gänzlich andere Geschwindigkeit der Dinge dort draußen einzulassen und so den Alltagsstress für eine Weile zu vergessen. Nun haben die Jüngsten zum Glück noch nicht im gleichen Maße Stress und Sorgen wie Menschen, die schon länger auf der Welt und mit mehr Verantwortung betraut sind. Dennoch ist ein Tag in der Kindertagesstätte von der Anstrengung und Herausforderung her mit der Werktätigkeit der Großen zu vergleichen. Das gilt für drinnen wie für draußen gleichermaßen.

Natürliche Vielfalt

Trotzdem gibt es bei einem Vormittag draußen mehr Möglichkeiten für jedes einzelne Kind, sich Aktivitäten und Räume zu suchen, die gerade seinem Tempo am ehesten entsprechen. Und so ist es oftmals gar nicht erforderlich, dass draußen ein Angebot das nächste jagt. Sondern das freie Spiel ist bedeutender Inhalt für die Kinder. „Es ist die direkte Art, sich mit dem Alltag, mit sich und der Welt zu verbinden. Für Kinder ist das freie Spiel ein Bedürfnis. Eine Veranlagung, ein Hang, oft ein Drang“ (Stern 2016, 20).

Im Vergleich zum Aufenthalt in einem Raum hat das Forschen, Spielen und Bewegen in der Natur besondere Erlebnisqualitäten, die sich wie folgt zusammenstellen lassen: In der Natur kommt es zur gleichzeitigen Vielfalt von Reizen durch wechselnden Wind, wechselnde Lichteffekte, wechselnde Temperaturen, Gerüche und Untergründe. Ein kontinuierlicher Wechsel findet statt von hell zu dunkel, von trocken zu nass und von warm zu kalt. Die Instabilität und Fragilität in der Natur verlangt zudem besondere Aufmerksamkeit (Gebhard 2009).

Die Überlegung zum freien Spiel draußen im Hinterkopf behaltend wollen wir mit diesem Beitrag Ideen für Angebote vorstellen, die sich in der Praxis mit Kindern unter freiem Himmel bewährt haben. Die von uns vorgestellten Aktionen, Spiele und Methoden können einen roten Faden bilden. Sie unterstützen dabei, ängstliche Kinder zuversichtlich werden und zappelige Kinder zur Ruhe kommen zu lassen. Die Wahrnehmung wird auf etwas Bestimmtes gerichtet und Neues wird dadurch erlebbar. Dafür braucht es keinen ganzen Anhänger voll teuer zu beschaffenden Materials. Als Naturpädagoginnen/Naturpädagogen haben wir gelernt, dass das meiste an erforderlichem Material die Natur selbst stellt. Es geht darum, die Dinge zu nutzen, die gerade am Ort und zur entsprechenden Jahreszeit verfügbar sind.

Ideen für alle Sinne

Folgende Aktivitäten können Kindern helfen, den Wald und seine Materialien zu entdecken, zur Ruhe zu kommen und eigene Spielideen zu entwickeln. Zudem haben sie als Ziele: Sinne anzusprechen, zur Ruhe zu kommen und die Aufmerksamkeit zu fördern.



Sinnes-Spiel mit Blättern
  • Materialien: Helles Tuch, frische Blätter von Bäumen und Sträuchern

So geht’s:
Auf einem Tuch werden Blätter von vier verschiedenen Baumarten ausgelegt. Diese werden für ca. 10 Sekunden den Kindern gezeigt und danach mit einem zweiten Tuch verdeckt. Die Kinder haben nun Zeit, jedes für sich oder in Kleingruppen, die vier Blätter in der nahen Umgebung zu finden. Zurück am Tuch werden die gefundenen Blätter untereinander angeordnet und Farben, Formen und Vielfalt bestaunt.



Blindparcours mit Taststationen
  • Materialien: lange Schnur (z. B. 25 Meter) Beutel mit Naturmaterialien

So geht’s:
Ein Seil wird von Baum zu Baum durch den Wald gespannt. Hieran gehen die Kinder einzeln und mit ausreichend Abstand entlang, wer sich traut, geht mit verbundenen Augen. Am Seil verteilt hängen Stoffbeutel, darin verstecken sich Gegenstände aus der nahen Natur (z. B. Fichtenzapfen, Steine, morsches Holz, Moos, Borke), die ertastet werden sollen. Am Ende erzählen sich alle gegenseitig, was sie gefühlt und erraten haben. Die Beutel werden geöffnet und der Inhalt bestaunt.


Bodenmosaik
  • Materialien: Stöcke, Naturmaterialien

So geht’s:
Für Aufbau und Form eines Bodenmosaiks sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Für eine einfache Variante werden kleine Stöcke zu einem Kreis angeordnet und der Kreis ebenfalls mit Stöcken in Tortenstücke geteilt. Jedes Tortenstück wird nun flächendeckend mit einem Naturmaterial gefüllt.


Spiegellauf
  • Materialien: kleine Handspiegel mit abgerundeten Ecken oder kleine Kosmetikspiegel

So geht’s:
Die Kinder finden sich in Paaren zusammen, jedes Paar bekommt einen Handspiegel. Ein Kind führt seinen Partner ein Stück durch den Wald. Der Partner hält sich dabei den Spiegel direkt unter die Nase, so dass durch den Spiegel sein Blick nach oben fällt. Das führende Kind muss gut aufpassen, dass keine Unebenheiten im Weg sind!


Bewegungsspiele


Die meisten der folgenden Bewegungsspiele für Kinder im Elementarbereich können dabei helfen, spielerisch zu einzelnen Tier- und Pflanzenarten einen emotionalen Bezug herzustellen. Außerdem schulen sie motorisches Geschick sowie die Orientierung im Raum und verhindern das Auskühlen der Kinder an kalten Tagen. Nicht zuletzt machen sie den Kindern einfach großen Spaß und selten bleibt es bei einer Spielrunde. Bei allen Bewegungsspielen muss auf einen stolperfreien Untergrund geachtet werden.



Zeckenticken / Klettenticken
  • Materialien: Wäscheklammern (pro Kind 3–6)

So geht’s:
Bei diesem Spiel geht es darum, möglichst geschickt die Wäscheklammern (die Zecken) an die Kleidung der Mitspielerinnen/Mitspieler entweder anzuheften (Zeckenticken), oder aber dort befestigte Klammern abzuziehen (Klettenticken).


Eidechsenschwanz
  • Material: dünnes Tuch

So geht’s:
Einige Eidechsenarten können ihren Schwanz abwerfen, wenn sie sich dadurch einer bedrohlichen Situation durch einen Beutegreifer entziehen können. Bei diesem Spiel werden zwei Gruppen gebildet, die jeweils in einer Reihe hintereinander stehen. Sie bilden nun jeweils eine Eidechse. Die Kinder legen ihre Hände auf die Schultern vor ihnen. Nur die erste Person in der Reihe hat die Hände frei zum Greifen. Das letzte Kind in der Reihe bekommt ein Tuch als Eidechsenschwanz locker hinten in den Hosenbund gesteckt. Auf ein Signal versuchen nun beide Eidechsenköpfe, den jeweils anderen Schwanz abzuziehen. Die eigene Reihe darf dabei nicht auseinanderreißen.


Mäusebussard und Krähen
Hier schlüpft ein Kind in die Rolle des Mäusebussards, die anderen spielen die Krähen. Der Mäusebussard hat es auf die Jungvögel in den Nestern der Krähen abgesehen, was die Krähen unbedingt verhindern wollen. Dies geht nur, indem sie sich zusammenschließen. Der Mäusebussard fängt die Krähen durch Tippen. Jede angetippte Krähe stellt sich mit ausgebreiteten Armen und breitbeinig hin und muss nun an beiden Händen jeweils von einer anderen Krähe berührt werden, um wieder frei zu sein.


Der Waldschrat
Es gibt ein rechteckiges Spielfeld frei von Stolperfallen. Eine Person wird der Waldschrat, der an der einen kurzen Seite des Feldes steht. Die Prinzessinnen/Prinzen stehen an der anderen kurzen Seite. Beim Durchqueren des Spielfeldes versucht der Schrat, die Prinzessinnen/Prinzen zu fangen bzw. anzutippen. Wer berührt wird, ist als Baum verzaubert und bleibt dort stehen, wo er getippt wurde. Die Bäume dürfen durch Ausbreiten ihrer Arme dem Waldschrat helfen, die Prinzessinnen/Prinzen zu fangen, wenn diese wieder versuchen das Spielfeld zu durchqueren; aber die Bäume müssen stehen bleiben.


Bauen und Konstruieren, Kreativität

Der Wald ist eine wahre Schatzkammer, randvoll gefüllt mit Bau- und Bastelmaterial. Zusätzlich haben die natürlichen organischen Formen ihre ganz eigene uns berührende Ästhetik. Im Wald können Tippis und Höhlen, Brücken und Dämme entstehen. Alleine das Herbeischaffen von Stämmen und Ästen ist eine Aktion für sich, die Ausdauer, Kraft, und Teamgeist erfordern. Große Stämme können mit Hilfe eines Seiles von mehreren Kindern herbeigeschafft werden. Die Konstruktion eines Tippis erfordert Geschick und Verständnis von Statik und Belastbarkeit des Materials. Hier muss viel nachgedacht, diskutiert und ausprobiert werden, bis ein stabiles Tippi entsteht. Kehrt die Gruppe öfters an denselben Waldplatz zurück, lohnt sich der Bau eines Waldsofas.



Bau eines Waldsofas
Gemeinsam werden tote Äste und Stöcke herbeigetragen und im Kreis auf dem Boden angeordnet. Nach und nach wird immer mehr Material gesammelt und angeordnet, bis eine angenehme Sitzhöhe erreicht ist. (Vorher lohnt sich ein Blick in die Baumkronen. Tragen die Bäume Totholz, sollte ein anderer Platz für das Waldsofa gesucht werden.) Im Waldsofa lässt es sich gut frühstücken, hier liegen die Rucksäcke während des Spielens und hier findet der Morgenkreis statt.


Schnitzen, Raspeln und Schmirgeln
  • Materialien: Raspeln, Feilen, Handbohrer, Schmirgelpapier, Schnitzmesser (mit feststehender Klinge)

So geht’s:
Stöcke, Rindenstücke und Totholz laden zum Schnitzen und Raspeln ein. Eine kleine Auswahl an geeignetem Werkzeug (siehe Materialien) sollte hierfür mit in den Wald genommen werden. Als Ort eignet sich das Waldsofa, hier kann sitzend und in Ruhe gearbeitet werden. Kleinere herumliegende Äste eignen sich zum Schnitzen, schon das Abschälen der Rinde bringt große Freude. So entstehen Zauberstäbe, Angelruten, Pfeil und Bogen. Rindenstücke eines umgefallenen Baumes eignen sich zum Schmirgeln. Es entstehen Handschmeichler, Schlüsselanhänger oder Amulette. Große am Boden liegende Stämme eigenen sich zum Sägen und Raspeln. Durch ihre Größe und ihr Gewicht liegen sie stabil am Boden. Davor kniend kann hier sicher gearbeitet werden. Alleine der Umgang mit dem Werkzeug ist hier Ziel und Freude genug. Die herunterfallenden Späne werden gerne zum Kochen oder als Feenstaub verwendet.


Zwergenwald am Baumstumpf
Die Gruppe liest gemeinsam eine Zwergengeschichte (z. B. Rotmütz der Zwerg /Pomaska 2016). Anschließend besucht die Gruppe einen Teil des Waldes, der als Zwergenwald auserkoren wird. Hier eignet sich ein Platz mit umgefallenen und verwitterten Baumstümpfen und -stämmen und viel Moos. Die Kinder legen einzeln oder in Kleingruppen die Wohnung und den Garten des kleinen Zwerges an. Meist entstehen daraus intensive Rollenspiele, in denen die Zwergengeschichte und andere für die Kinder wichtige Themen ausprobiert und reflektiert werden. In Verbindung mit der Holzwerkstatt können einfache Figuren oder Zäune für das Zwergengärtchen und viele weitere Spielutensilien entstehen.



Achtsamkeit, Naturschutz und Vorbildfunktion

Das Aufsuchen von Naturräumen für unmittelbare Erlebnisse hat auch immer eine Veränderung des Vorhandenen zu Folge. Oft ist es die Sorge der begleitenden Erwachsenen, dass dabei eine Naturzerstörung stattfindet. Aus diesem Grund werden bestimmte Verhaltensregeln ausgesprochen. „Keine Zweige abknicken“ ist dabei das am häufigsten zu hörende Verbot. Einerseits ist es wichtig, den Kindern den Wert und die Bedeutung des Schutzes von Flora und Fauna zu vermitteln. Jedoch „die Befürchtung (...) Kinder würden durch impulsives und oft schonungsloses Handeln die eigentlich zu bewahrende Natur in ihrem Spiel zerstören, scheint (...) relativ gegenstandslos zu sein“ (Gebhard 2009, 78). Wichtiger als starre Verbote erscheint es uns, das Kind in dem Widerspruch zu begleiten, mit Natur einerseits direkt in Kontakt kommen zu wollen, und andererseits damit auf viele der Lebewesen eine Beeinflussung auszuüben.

Natürlich muss man sich an die örtlichen Regeln halten. So dürfen in Naturschutzgebieten die Wege nicht verlassen werden und es darf nichts gesammelt oder geerntet werden, während dies in den meisten Wirtschaftswäldern erlaubt ist. Dies gilt es vorher in Erfahrung zu bringen.

Gemeinsam mit den Kindern sollten in einem dialogischen Prozess sinnvolle Werte und Handlungen besprochen und etabliert werden: Welches Holz darf zum Schnitzen verwendet werden? Wie viel Moos darf für Bastelaktivitäten gesammelt werden?

Dabei darf auch zur Sprache kommen, dass wir als Gesellschaft diesbezüglich ein sehr schlechtes Vorbild sind. Global betrachtet beuten wir die Ressourcen dieser Erde schonungslos aus und zerstören dabei unsere Lebensgrundlage. Auf individueller Ebene sieht es oftmals nicht besser aus, betrachten wir zum Beispiel unsere sterilen und überpflegten Gärten. Dies sind alltägliche Lebensrealitäten von Kindern, die nun lernen müssen, es besser zu machen als wir selbst.

Für uns als Naturpädagoginnen/Naturpädagogen steht dabei an erster Stelle: um Natur und den Wert aller auf diesem Planeten existierenden Lebewesen kennen und schätzen zu lernen, müssen junge Menschen mit ihr in Kontakt treten und viel Zeit und viele positive Erfahrungen in ihr sammeln.

Literatur

  • Gebhard, Ulrich: Kind und Natur. Die Bedeutung der Natur für die psychische Entwicklung. VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009
  • Pomaska, Astrid: Rotmütz der Zwerg. Pomaska-Brand 2016 Stern, André: Spielen, um zu fühlen, zu lernen und zu leben. Elisabeth Sandmann 2016

Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus
klein&groß 5-2019, S. 16-19




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