Johannes Prüfer (1882-1947)
Über einen bedeutenden Fröbelforscher des 20. Jahrhunderts
Johannes Prüfer erblickte am 4. September 1882 als Sohn eines „Stellmachers“ in Leipzig das Licht der Welt. Nach Ablauf der gesetzlichen Schulzeit (Bürger- und Realschule) besuchte er von 1897 bis 1903 in Grimma das „Königliche Lehrerseminar“. Nachdem er die Reifeprüfung nachgeholt und als Freiwilliger den Wehrdienst im „ 7. Königl. Sächs. Infanterieregiment Nr. 106 ‚König Georg‘“ abgeleistet hatte, war er als Hilfslehrer in Afffalter (heute ein Stadtteil von Lößnitz) von Ostern 1904 bis Ostern 1906 tätig. Nach bestandener „Wahlfähigkeitsprüfung“ immatrikulierte sich Johannes Prüfer Ostern 1906 (und nicht 1904 wie der Fröbelexperte Helmut Heiland (1992, S. 165) vermerkt) an der Universität Leipzig. Er studierte Pädagogik, Philosophie, Deutsch und Religion und schloss 1909 das Studium mit der Promotion ab. Nachfolgend unterrichtete er für ein Jahr an der „Freien Schulgemeinde Wickersdorf“,“,anschließend an einer Realschule in Dresden. Inzwischen verheiratet, übernahm Johannes Prüfer im Sommer 1911 eine Dozentur an der neu gegründeten „Hochschule für Frauen zu Leipzig“, die im selben Jahr Henriette Goldschmidt ins Leben gerufen hatte (vgl. Prüfer 1911, S. 213 ff.). An genannter Bildungsinstitution hielt er „Vorlesungen und Übungen über Erziehungskunde und Kinderpsychologie; auch übertrug man ihm die Verwaltung der gesamten Hochschule“ (Kirmsee 1917, S. 232). Als der Erste Weltkrieg ausbrach wurde Johannes Prüfer zum Militärdienst einberufen. Verwundet kehrte er aus dem Krieg zurück. Nach kurzer Zeit der Genesung kehrte er an die „Hochschule für Frauen“ zurück. Außerdem leitete er das „Institut für Erziehungskunde“, das „Archiv für Erziehungsfragen“ und war maßgebend am Auf- und Ausbau eines „Erziehungsmuseums“ beteiligt. 1917 gründete der Pädagoge in Leipzig die „Deutsche Gesellschaft zur Förderung häuslicher Erziehung“, die die seinerzeit hochgeschätzte Fachzeitschrift „Eltern und Kind“ herausgab. Außerdem war er Herausgeber der im „Teubner Verlag“ erschienen Reihe „Deutsche Elternbücherei“, die den Eltern allgemeinverständlich neue pädagogische Erkenntnisse vermittelte. Zudem plante Johannes Prüfer zusammen mit zwei weiteren Fröbelexperten, Otto Wächter (Leiter der Erziehungs- und Bildungsanstalt in Keilhau) und Prof. Rudolf Lehmann (Universität Posen), die Edition einer Gesamtausgabe von Friedrich Fröbels Schriften und Briefen, die in acht Bänden erscheinen sollte. Da Prof. Rudolf Lehmann 1927 unerwartet verstarb, wurde das Veröffentlichungsvorhaben eingestellt.
Im Jahre 1933 übersiedelte der inzwischen in den frühzeitigen Ruhestand versetzte Oberstudiendirektor nach Bad Blankenburg, wo er sich für die Wiederherstellung des Fröbelmuseums einsetzte, „das während des Krieges als Schneiderwerkstatt benutzt wurde“ (Std. 1952, S. 61). Johannes Prüfer starb am 9. Juni 1947 in Bad Blankenburg an den Folgen eines langjährigen Herzleidens. Sein Tod wurde von der pädagogischen Fachwelt nicht wahrgenommen.
Friedrich Fröbel der „größte Vertreter der Kleinkinderpädagogik“
In seiner von dem Philosophieprofessor Johannes Volkelt betreuten Dissertation „Die pädagogischen Bestrebungen Friedrich Fröbels in den Jahren 1836 bis 1842“ versuchte Johannes Prüfer darzulegen, wie Friedrich Fröbel „in der umrissenen Zeitspanne eine Neufundierung des gesamten Erziehungswesens begann, aus der das Dauernste Fröbelscher Pädagogik, die Idee des Kindergartens erwachsen ist“ (Kirmsse 1917, S. 228). Dabei stützte sich der Doktorand auf Quellen, dessen zerstreute Teile er „an verschiedenen Orten – u. a. Bad Blankenburg, Keilhau, Eisenach, Erfurt, Berlin, Rudolstadt... sichern konnte“ (Heiland 1992, S. 166). Bereits ein Jahr vor seiner Dissertation hatte Johannes Prüfer im „Auftrag des Blankenburger Fröbelvereins eine Schrift über die ‚Fröbelstätten‘ in Blankenburg – Festschrift zur Einweihung des Friedrich-Fröbel-Hauses (Heim/Kindergarten und Museum) in Bad Blankenburg – verfaßt“ (Heiland 1992, S. 166). Es folgten weitere ungezählte (quellenkritische) Veröffentlichungen über Friedrich Fröbels Leben und Wirken (vgl. Heiland 1990). Somit gehört er zu den wichtigsten Fröbelforschern des 20. Jahrhunderts. Johannes Prüfer hatte bereits 1913 darauf hingewiesen, dass Friedrich Fröbel, den er als „größten Vertreter der Kleinkinderpädagogik“ (Prüfer 1913, S. 105) bezeichnete, unter der Wortwahl „Kindergarten“ ursprünglich „etwas ganz anderes [verstand ; M. B.] als jetzt“ (ebd.):„Der Vater des Kindergartens... hatte klar erkannt, daß die Kinder nicht nur durch das erzogen werden, ‚was in den nächsten Verhältnissen für die Erziehung geschieht, sondern auch durch das, was in ihrer gesamten Umgebung erziehend auf sie einwirkt‘. Er dachte dabei an die Natur, wo eine einzelne Pflanze auch nicht für sich allein gedeiht, unabhängig von allem anderen, sondern wo sie mit den übrigen Pflanzen zusammen unter der Einwirkung des ‚gesamten Naturzustandes‘ steht, d. h. abhängig ist von Jahreszeit , Standort, Witterung u.s.w. Wir dürfen daher die ganze, das Kind umgebende Außenwelt bei der Erziehung nicht außer Acht lassen. Darum wollte Fröbel die Familie veredeln, überhaupt die ganze Atmosphäre, in der das Kind aufwächst. Im Geiste sah er einen Garten, der sich über ganz Deutschland ausdehnte und in dem die Frauen und Jungfrauen mit sinnigem Gemüte der Kleinen und Kleinsten warteten. Das war der ‚Deutsche Kindergarten‘, den Fröbel verwirklichen wollte, in seiner ursprünglichen Bedeutung“ (ebd., S. 105 ff.).
In seinen Publikationen wies der Fröbelexperte stets auf „die hohe Bedeutung, die das echte Kinderspiel für die Entwicklung des Menschen hat“ (Prüfer 1919, S. 417) hin. Das Spiel ist ein menschlicher Trieb, „der aus dem Innersten des Kindes hervorquillt“ (ebd.). Aufgabe der Erziehenden ist es, dem Kind „Raum und Stoff zur Betätigung seines Spieltriebes... zu gewähren“ (ebd.) und dem Kind nur solches Spielzeug anzubieten, was die meisten Veränderungen zulässt:
„Der idealste Spielstoff - im Freien – ist der Sandhaufen, im Zimmer: der Baukasten. Nur, wo der kindliche Geist formlosem Stoff Gestalt zu geben vermag – nur, wo der menschliche Geist mit dem toten Material gleichsam ringen muß, nur da entwickelt er sich höher durch solches Tun. Das ist der große Gedanke, der dem Fröbelschen Spielmaterial zugrunde liegt“ (Prüfer 1931, S. 52).
Der überzeugte Fröbelianer stand der Montessoripädagogik von Anfang an äußerst neuralgisch gegenüber. „An die Genialität Friedrich Fröbels reicht Maria Montessori wahrlich nicht heran“ (Prüfer 1915. S. 22 f), so seine kompromisslose Bewertung, die in folgende bedenkliche nationalistische Töne mündete:
„Also gerade die deutsche Pädagogik hat es nicht nötig, bewundernd vor dem Werke der römischen Ärztin zu stehen, am wenigsten die Vertreter des deutschen Kindergartens... Zur Erziehung und Höherbildung unseres deutschen Volkes bedürfen wir keiner romanischen Ärztin; nur echt deutsche Denker können uns dabei Führer sein“ (ebd., S. 24).
Johannes Prüfer brandmarkte Maria Montessori als die „schärfste Gegnerin des Kinderspiels“ (Prüfer 1931, S. 52), da sie „in der kindlichen Phantasie nur Reste des Erbteils wilder Vorfahren... erblickt, die ein Zeichen der Unreife seien. Wo sich in ihren Anstalten daher der Spieltrieb des Kindes einmal spontan regt, wird er unterdrückt – obwohl sie sonst soviel von der ‚Freiheit‘ des Kindes spricht. Sie hat merkwürdigerweise den Sinn des Kinderspiels nicht erkannt“ (ebd.).
Friedrich Fröbels „untrügbarer Instinkt für echte deutsche Art“
Der Vorstand des „Deutschen-Fröbel-Verbandes“ beauftragte Mitte der 1930er Jahre den hochgeachteten Fröbelforscher, die „arische“ Abstammung von Luise (fälschlicher Weise auch Louise) Fröbel, geb. Levin, Friedrich Fröbels zweiter Ehefrau, zu erforschen. Ihr Mädchenname hatte die Gerüchte geschürt, Luise Fröbel wäre „jüdisch versippt“. In einem fragwürdigen Gutachten versuchte Johannes Prüfer diese Latrinenparole zu widerlegen. Sein kryptisches Fazit:„Die Abstammung Louise Levins, der zweiten Gattin Friedrich Fröbels:
1. Der Name ‚Levin‘
Über der Geschichte des Familiennamens Levin liegt eine gewisse Tragik. Er kommt heute sowohl bei Ariern als auch bei Juden vor... Der Name Levin war im Mittelalter deutscher Taufname. Er geht zurück auf den ‚Heiligen Levin‘. Der 14. November ist der Tag des Heiligen Levin, eines flämischen Apostels bei den Friesen. In früherer Zeit war der Name als Taufname besonders in Norddeutschland sehr beliebt... Er tritt als Vorname bei vielen Adelsfamilien bis in die letzte Zeit auf und kommt noch heute vor bei den Familien: von Bismarck, von Gumppenberg, von Kniestädt, von Meding, von Minnigerode... und anderen... Erst am Ende des 18. Jahrhunderts, als die Juden plötzlich deutsche Familiennamen annehmen mußten, wurde der deutsche Familienname Levin von den Juden übernommen, und zwar leider besonders häufig, da jeder bisherige Levi nur ein n an seinen bisherigen jüdischen Namen anzuhängen und die Betonung von der ersten auf die zweite Silbe (Levin) zu verlegen brauchte. Für den Juden der einfachste Weg, zu einem deutschen Familiennamen zu kommen, für den deutschen Familiennamen aber eine Trübung – man kann auch sagen Fälschung – seines ursprünglich arischen Charakters...
2. Die Vorfahren der Louise Levin
Louise Levin stammt aus dem Zweig der Familie Levin, der auf dem Eichsfeld zuhause ist. Diese Familie begründet ihren Stammbaum auf den Müller Hans Levin... Die Familie Levin ist evangelisch... Bäuerlichen Ursprungs sitzt die Familie noch heute auf der alten Scholle in den Dörfern Bockelnhagen und Zwinge. Aus der umfangreichen ‚Stammliste‘ läßt sich mit Leichtigkeit die direkte Linie vom ältesten Ahnherrn der Familie bis herab auf Louise Levin verfolgen...
3. Schlußbemerkung
Louise Fröbel geb. Levin war nicht nur blutsmäßig, sondern auch ihrer Gesinnung nach eine echt deutsche Frau. Ihr schlichtes, tief innerlich deutsches Wesen wird von allen gerühmt, die sie gekannt haben... Friedrich Fröbel hatte einen so feinen, untrügbaren Instinkt für echte deutsche Art, für Klarheit und Reinheit in allen Dingen, daß es für ihn nicht nur eine Sünde wider das Blut, sondern auch eine Untreue gegen sich selbst, gegen sein tiefstes Sein gewesen wäre, wenn er eine Nichtdeutschblütige zur Gattin gewählt hätte. Eine solche Verletzung seines innersten Lebenskernes aber ist bei einer so starken und kompromißlosen Natur wie Fröbel einfach undenkbar. Wir können also in jeder Beziehung ganz sicher sein: Louise Levin war deutschen Blutes“ (Prüfer 1938, S. 231 f.).
Der Fröbelkenner hatte nicht mit der zu Gebote stehenden wissenschaftlich genealogischen Akribie gearbeitet. Sein Augenmerk lag nur auf der matrilinearen Linie von Luise Fröbels Abstammung, deren Mutter auch eine geborene Levin war. Die patrilineare Herkunftslinie negierte Johannes Prüfer, aus welchen Gründen auch immer. Bis heute ist die Abstammung Luise Levins nicht zufriedenstellend geklärt, was letztlich auch nicht von Bedeutung ist.
Verdienstvoll ist und bleibt vor allem die von Johannes Prüfer 1911 herausgegebene Neuauflage (Faksimiledruck) der „Mutter- und Kose-Lieder“ (vgl. Konrad 2006, S. 169 ff.). Mit dieser Edition, die 1927 in vierter Auflage erschien, hatte er „Fröbels Originalfassung wieder einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht“ (Heiland 1992, S. 195). Das „Alterswerk“ des Kindergartenvaters bezeichnete er „rein literarisch höchst interessant: [Es ist; M. B.] die reinste und vollkommenste Auswirkung der deutschen Romantik auf pädagogischem Gebiet“ (Prüfer 1927, S. 101). Seltsamerweise findet sich so gut wie kein Hinweis von ihm auf die Vertonungen der Lieder durch Robert Kohl, der auch die Fröbel’schen Balllieder in Töne setzte. Wer Friedrich Fröbel richtig verstehen wolle, der müsse sich auf jeden Fall, so Johannes Prüfer, mit den Mutter- und Kose -Liedern beschäftigen, denn hier „leuchtet ihm der ganze Genius Fröbels entgegen, der unerschöpfliche, reiche Geist dieses seltenen Mannes“ (Prüfer 1919, S. I). Fröhliches Kinderlachen und das Nachdenken über Einigungsgedanken, Häuser, Handwerker, Ritter, Blumen und Wolken, Tiere, Wälder, Symbolisches und Gegenständliches, alles hat hier seinen Platz:
„Und doch ruht über dem ganzen Werk ein einheitlicher hehrer Geist, ein feiner poetischer Zauber wie auf keinem anderen pädagogischen Buch. Kunst und Leben, Religion und Philosophie, Gegenwart und Vergangenheit klingen hier zusammen zu einem einzigen großen und wunderbaren Akkord. Die ganze Zeit, in der Fröbel gelebt, taucht vor uns auf, wenn unser Auge sinnend auf seinen Liedern und Versen ruht“ (ebd.).
Literatur
- Berger, M.: Johannes Prüfer. Vertiefung der mütterlichen Erziehungsarbeit, in: Kinderzeit 1997/H. 2, S. 28
- Ders.: Prüfer, Johannes – Verwaltungsdirektor der Frauenhochschule Leipzig, in: Hugo Maier (Hrsg.): Who is who der Sozialen Arbeit. Lambertus, Freiburg im Breisgau 1998, S. 481–483
- Heiland, H.: Bibliographie Friedrich Fröbel. Primär- und Sekundärliteratur 1820-1990, Hildesheim/Zürich/New York 1990
- Ders.: Fröbelbewegung und Fröbelforschung. Bedeutende Persönlichkeiten der Fröbelbewegung im 19. Und 20. Jahrhundert, Hildesheim/Zürich/New York 1992
- Kirmsse, M.: Die Schriften des Fröbelforschers Dr. Johannes Prüfer. In: Eos. Zeitschrift für Heilpädagogik 1917, S. 226–236
- Konrad, C.: Die „Mutter- und Koselieder“ von Friedrich Wilhelm August Fröbel Untersuchungen zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte. Textband, Würzburg 2006 (Dissertation)
- Prüfer, J.: Die neue Hochschule für Frauen zu Leipzig, in: Kindergarten 1911, S. 213-217
- Ders.: Zur Kritik der Montessori-Methode, in: Archiv für Pädagogik. I. Teil 1915, S. 21-24
- Ders.: Vom Kulturwert des Kinderspiels, in: Zeitschrift für Pädagogische Psychologie und Experimentelle Pädagogik 1919, S. 415-418
- Ders.: Kleinkinderpädagogik, Leipzig 1913
- Ders.: Die Erziehung des Kleinkindes vom Standpunkt der modernen Pädagogik, Leipzig/München 1923
- Ders.: Friedrich Fröbel. Sein Leben und Schaffen, Leipzig/Berlin 1927
- Der.: Erziehungskunde auf Erlebnisgrundlage. Für Mütter und Erzieherinnen in Familie und Anstalt, Leipzig/Berlin 1931
- Ders.: Die Abstammung Louise Levins, der 2. Gattin Fröbels, in: Kindergarten 1938, S. 231-232
- Std.: Ein Wort der Erinnerung und des Dankes, in: Festschrift zum Fröbel-Gedenkjahr 1952, Heidelberg 1952, S. 59-62
- Zuletzt bearbeitet am: Freitag, 03. Mai 2019 12:54 by Karsten Herrmann