Kitas als qualitätsvolle Orte gestalten

In fünf Schritten zu einem guten Alltag

SYLVIA KÄGI
RAINGARD KNAUER
NADINE BACKER
OLIVIER BIENIA

Länge, Breite und Höhe lassen sich problemlos messen. Doch wie verhält es sich mit Qualität im Alltag von Kitas? Sich selbst und das pädagogische Handeln zu reflektieren, fällt ohne Maßstab oder Waage recht schwer. Die Autorinnen und der Autor haben ein Messgerät entwickelt, mit dem Sie die Situationen des Alltags hinterfragen und auswerten können.

Qualität


Siebzig Prozent der wachen Tageszeit verbringen Kinder in Kindertageseinrichtungen. Kitas sind für viele Kinder in Deutschland zu wichtigen Orten in ihrem Lebenslauf geworden. Hier verbringen sie das erste Mal einen Teil des Tages außerhalb ihrer Familie, begegnen anderen Kindern und Erwachsenen und eröffnen sich neue Welten. So werden Kitas zu bedeutenden Orten für Kinder und ihre Familien. Daher ist es wichtig, dass sie auch pädagogisch gute Orte für Kinder sind.

Was pädagogische Qualität konkret ausmacht, ist nicht beliebig. Hier spielen gesetzliche Vorgaben sowie fachliche Standards frühkindlicher Pädagogik eine Rolle. Solche Standards sind in den Landern vor allem durch die Bildungsrahmenplane und in den Kita-Gesetzen formuliert. In den Bildungsrahmenplanen werden Bildungskonzepte, die Kinder als Akteure ihrer Bildungsprozesse sehen, beschrieben.

Die Komplexität pädagogischer Qualität einer Kita ist jedoch schwer zu fassen und abzubilden. Wir haben uns gefragt, wie die verschiedenen Facetten pädagogischer Arbeit sichtbar gemacht und weiterentwickelt werden können? Also, wie pädagogische Qualität abgebildet werden kann?

Diesen zentralen Fragen sind wir zusammen mit Trägervertretungen und pädagogischen Fachkräften im Projekt „Pädagogische Qualität in schleswig-holsteinischen Kindertageseinrichtungen im Dialog entwickeln“ (PQD) nachgegangen. Das Projekt wird gefordert vom Ministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren des Landes Schleswig-Holstein.



Anforderungen an pädagogische Fachkräfte
Unter pädagogischer Qualität verstehen wir in Anlehnung an den emeritierten Professor für Kleinkindpädagogik Wolfgang Tietze unter anderem das Handeln der pädagogischen Fachkräfte mit dem einzelnen Kind und mit einer Gruppe von Kindern. Wir fragten uns: Was tun pädagogische Fachkräfte, damit sich Kinder in der Kita wohlfühlen und auf dieser Grundlage gute Bildungsprozesse ermöglicht werden? Die Rahmenbedingungen spielen bei der Frage um Qualität eine große Rolle. Es ist nicht egal, wie viel Zeit pädagogische Fachkräfte haben, um sich mit Kindern zu beschäftigen, wie groß die Gruppen sind oder über welche Ausbildung die Fachkräfte verfügen.

Eine pädagogische Fachkraft sollte über eine Vorstellung davon, was zentrale Merkmale guten pädagogischen Handelns sind, verfügen. Kitas haben den Auftrag, jedes Kind mit seinen individuellen Fähigkeiten und Erfahrungen darin zu unterstützen, sich die Welt, in der es lebt, anzueignen und hier gemeinsam mit anderen handlungsfähig zu werden. Insbesondere auch dann, wenn die Lebensumstände der Kinder Bildungsprozesse eher einengen.

Das SGB VIII sowie die Kita-Gesetze der Länder stellen weitere fachliche Anforderungen, etwa in Bezug auf Partizipation und Kinderschutz. Darüber hinaus formulieren die jeweiligen Träger Anforderungen an die fachliche, pädagogische Arbeit, die in den jeweiligen Konzeptionen niedergeschrieben sind. Auch die Zusammenarbeit mit den Erziehungsberechtigten gehört zu den Aufgaben einer Kita. Nach § 1 SGB VIII haben Kita-Fachkräfte auch den Auftrag, eine kinder- und familienfreundliche Umwelt im Sozialraum zu gestalten, um Kindern positive Lebensbedingungen zu schaffen. Darüber hinaus beschreiben die Bildungsrahmenpläne der Länder in unterschiedlicher Art und Weise Anforderungen, etwa zu den Erziehungs- und Bildungsherausforderungen oder den Entwicklungs- und Gestaltungsanforderungen.


Fünf Schritte, um Qualität zu messen

Die Komplexität von Alltagsherausforderungen ist das Eigentümliche, das pädagogisches Handeln in der Kita ausmacht. Pädagogisches Handeln ist immer nur begrenzt planbar, geschieht im Hier und Jetzt und ist in seiner Qualität häufig erst im Nachhinein zu reflektieren. Für diese Reflexion schlagen wir fünf übergeordnete Perspektiven auf das pädagogische Handeln der pädagogischen Fachkräfte vor, die in einem halbdurchsichtigen Prisma angeordnet sind. Die verschiedenen Seiten ermöglichen es, sich spezifische Aspekte besonders anzuschauen, ohne die Komplexität des Handelns zu vernachlässigen.

Die Mittelachse: Erziehung und Bildung
Im Kern geht es pägogischer Arbeit um die Gestaltung von Erziehung und Bildung. Darauf beziehen sich auch die fünf Perspektiven des oben genannten Prismas. Sie unterstützen pädagogische Fachkräfte darin, die vielfältigen Themen, denen Kinder in der Welt begegnen, aufzunehmen, zu begleiten und zu erweitern. Dabei handelt es sich um Themen, die einerseits von den Kindern selbst eingebracht werden und andererseits den Kindern durch die Erwachsenen zugemutet werden, so auch der Soziologe Hans-Joachim Laewen und die Erziehungswissenschaftlerin Beate Andres.

Prinzipiell verweisen die Begriffe Erziehung und Bildung auf zwei zentrale und nicht voneinander zu trennende Perspektiven fachlichen Handelns in der Kita hin: Bildung wird primär als die Aktivität der Kinder verstanden, in der sie sich verschiedene Themen auf ihre eigene Art und Weise aneignen. Erziehung verweist auf die Tätigkeiten der Erwachsenen, mit denen sie Bildungsprozesse der Kinder zu bestimmten Themen anregen und begleiten wollen.

Pädagogische Fachkräfte in der Kita können Kinder bei der Entwicklung ihrer vielfaltigen Potenziale unterstützen. Sie müssen sich dabei aber immer wieder entscheiden, welche Themen der Kinder sie aufgreifen und welche Erziehungsziele sie verfolgen. Bildung als Tätigkeit der Kinder kann so durch Erziehung als Tätigkeit der Pädagoginnen und Pädagogen gefördert werden.

In fünf Punkten zu guter pädagogischer Qualität

Im Folgenden beschreiben wir die fünf Perspektiven des Prismas pädagogischer Qualität genauer.

1 Alltagsorientierung: Gute Orte basieren auf einem guten Alltag. Ob die Kita für Kinder ein guter Ort ist, zeigt sich im Alltäglichen, nicht im Besonderen (wie Ausflüge)! Der Alltag ist das Normale, das Nichtbesondere. Er besteht aus Gewohnheiten, Ritualen und Bräuchen. Er gibt Sicherheit. Ohne groß darüber nachzudenken, gehen wir davon aus, dass es morgen so wird wie gestern, dass wir uns darauf verlassen können, dass Dinge so geschehen, wie wir sie bislang erlebt haben. Die Soziologen Peter L. Berger und Thomas Luckmann haben dies als „Jedermannswissen“ bezeichnet.

Dabei findet Alltag immer in Bezügen zu anderen statt (unserer Familie, Freunden, Arbeitskollegen und Arbeitskolleginnen). Alltag findet in einer Welt statt, die wir mit anderen teilen. Alle Facetten des Alltags finden sich auch in Kindertageseinrichtungen wieder. Der Alltag sollte auch Basis und Bezugspunkt didaktischer Planungen sein. In diesen gilt es, vor allem gemeinsame Themen aufzugreifen, wie das Matschen am Rand der Pfütze nach dem letzten Regen oder das gemeinsame Einkaufen, bei dem vielleicht die Frage entsteht, wie Tomaten eigentlich in die Dose kommen. Angebote und Projekte müssen dann nicht mehr künstlich in die Kita gebracht werden, sondern ergeben sich auf der Basis solcher gemeinsamen Alltagserfahrungen.

2 Gestaltung einer feinfühligen Fachkraft-Kind-Interaktion:
Pädagogische Qualität basiert zu einem hohen Maß auf der Art und Weise, wie pädagogische Fachkräfte mit Kindern interagieren. Gelingende Beziehung ist ein Fundament der pädagogischen Arbeit. Ob ein Kind sich wohlfühlt, hängt in großem Maß damit zusammen, ob es zu den Fachkräften gute Bindungen aufbauen kann. Dabei kann ein Kind neben den Eltern mehrere, nicht konkurrierende Bindungspersonen für sich finden und zeigt diesen gegenüber unterschiedliches Bindungsverhalten.

Bei der Gestaltung einer feinfühligen Fachkraft-Kind-Interaktion geht es zunächst darum, dass die Fachkräfte das Kind mit seinen Anliegen, Wünschen, Grenzen, Bedarfen offen und sensibel wahrnehmen. Geprägt wurde der Begriff der Feinfühligkeit Ende der 1970er-Jahre von der Bindungsforscherin Mary Ainsworth. Feinfühlige Beziehung gelingt vor allem, wenn die Erwachsenen aufmerksam sind und mit dem Kind wertschätzend interagieren, beispielsweise, indem sie dem Kind mit Worten und durch körperlichen Ausdruck (Gesichtsausdruck, Gestik, Mimik) zeigen, dass sie sich für es interessieren. So wird das Kind sowohl in seinen Erkundungen von Räumen und Materialien unterstutzt als auch in der Erschließung der Welt der Gleichaltrigen und Erwachsenen.

Pädagogen und Pädagoginnen sind grundsätzlich für eine gute Fachkraft-Kind-Interaktion verantwortlich. Dazu benötigen sie die Bereitschaft und Fähigkeit, sich auf ein Kind oder eine Gruppe von Kindern einzulassen. So werden sie zu Entwicklungsbegleitenden von Kindern, die ihnen erste positive Erfahrungen außerhalb der Familie ermöglichen.

3 Lebenslagen- und Lebensweltorientierung als kulturelle und gesellschaftliche Herausforderung:
Die Entdeckung der Welt in der Kita korrespondiert immer auch mit den lebensweltlichen Erfahrungen der Kinder. Ein Wissen um die Lebenslagen und Lebenswelten der Kinder und ihrer Familien erlaubt es den Fachkräften, ihr pädagogisches Handeln besser auf die Kinder abzustimmen. So bekommen pädagogische Fachkräfte beispielsweise bei der Planung eines Kita-Ausflugs ein Gespür dafür, wie viel Geld den Familien ihrer Kinder zur Verfügung steht. Kinder setzen sich mit den vielfaltigen Themen in der Kita immer vor dem Hintergrund ihrer bisherigen Erfahrungen auseinander.
Gutes pädagogisches Handeln zeichnet sich daher auch dadurch aus, dass pädagogische Fachkräfte versuchen, Lebenslagen und Lebenswelten der Kinder zu verstehen und in ihrem didaktischen Handeln zu berücksichtigen.

4 Demokratische Partizipation:
Nach § 8 und § 45 SGB VIII sind Kindertageseinrichtungen gesetzlich verpflichtet, Kindern Beteiligungsrechte bei Angelegenheiten, die sie betreffen, zu eröffnen. Der Nachweis der Gestaltung demokratischer Partizipation ist daher für jede Kita ein verpflichtendes Qualitätsmoment.

Partizipation der Kinder in der Kita ist immer zwingend auch von dem pädagogischen Handeln der Fachkräfte abhängig. Kinder können nur dann mitentscheiden und mithandeln, wenn die pädagogischen Fachkräfte Beteiligungsmöglichkeiten so gestalten, dass sie auch jedem Kind zuganglich sind. So braucht ein zweijähriges Kind andere Informationen und Unterstützung, um sich beteiligen zu können, als ein fünfjahriges Kind. Und auch ein Kind mit einer Behinderung oder ein Kind, das der (deutschen) Sprache nur wenig mächtig ist, sollte sein Recht auf Beteiligung realisieren können. Das kann es nur dann realisieren, wenn es den Fachkräften gelingt, ihm Zugang zu dem konkreten Thema zu eröffnen und ihm Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung stellt, so auch die Diplom-Pädagogin Reingard Knauer und der Erziehungswissenschaftler Benedikt Sturzenhecker.

5 Didaktik:
Professionelles pädagogisches Handeln der Fachkräfte basiert bis zu einem gewissen Grad auf einer didaktischen Planung. Das Planen und Handeln sollte sich jedoch immer wieder an den beschriebenen Qualitätsdimensionen orientieren und diese berücksichtigen.

Pädagogische Qualität in der Kita gestalten

Wenn pädagogische Qualität in der Kita vor allem durch pädagogisches Handeln der Fachkräfte entsteht, erfordert Qualitätsentwicklung von ihnen, ihr konkretes Handeln im Alltag immer wieder zu reflektieren. Aufgrund der hohen Komplexität kann dies nur ausschnittsweise geschehen.

Das Buch des Autors Bernd Groot-Wilken „Pädagogische Qualität in der Kita“, das durch die Bildkarten „Pädagogische Qualität“ ergänzt wird, unterstutzt Kita-Teams darin, sich mit einzelnen Aspekten ihres Handelns genauer zu beschäftigen, ohne die Komplexität und die Wechselwirkungen zu den anderen Perspektiven zu vergessen.

Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus
TPS 2-2019, S. 20-23


Verwandte Themen und Schlagworte