Partizipation braucht eine starke Führung

Das Zusammenspiel von Fachkräften und Leitung im Rahmen von Partizipation

Wenn es darum geht, Partizipation in einer Kita strukturell zu verankern und realistisch für alle Kinder im Alltagshandeln umzusetzen, sind große Fragen anzupacken. Unter anderem gilt es auch zu klären, wo der Lernprozess der Fachkräfte zu positionieren ist und welches Verständnis von Führung zur Grundlage genommen wird.

Stellt sich ein Team der Herausforderung, Beziehungen mit Kindern partizipativ zu gestalten, verlässt es seine Komfortzone. Partizipation stellt Bisheriges in Frage und rüttelt schonungslos an »geerbten Ansprüchen« und »traditionellen Wertvorstellungen«. In der Konsequenz ist Partizipation daher nur so gut, wie die Bereitschaft und die Möglichkeit der Fachkräfte, sie umzusetzen. Das heißt auch, »echte« Partizipation fordert von den Fachkräften Lernoffenheit. Schließlich können gewünschte Veränderungen pädagogischen Handelns seitens der Leitung weder angeordnet noch wirklich kontrolliert werden.

Leitungen öffnen Zugänge für handlungsorientierte Lernprozesse (z.B. Planung und Durchführung eines Beteiligungsprojekts) und Entscheidungsfragen, die Fachkräfte zu eigenen Auseinandersetzungen und Beiträgen auffordern – beispielsweise ob die Kinder selbst entscheiden dürfen, wann sie eine Matschhose tragen, oder ob die Teilnahme am Morgenkreis für alle Kinder freiwillig sein sollte. Durch die Beteiligung der Fachkräfte an solchen Entscheidungsprozessen werden sie zugleich auf eine neue zentrale Statusebene gestellt.

Alle dürfen bzw. sollen zu Wort kommen und mitbestimmen und sie alle haben Standpunkte, Bedenken, Fragen und Selbstkritik. Viele Fachkräfte probieren gerne etwas Neues aus. Einige wissen mit der Neuausrichtung nicht umzugehen. Andere wiederum haben das Gefühl, dass die ihnen versprochene Partizipation gar nicht stattfindet. Was nun? Mit welchen Strategien verbinden Leitungen Theorie und Praxis am besten miteinander und formulieren sinnvolle Aufgaben und Fragen – insbesondere wenn Entscheidungsfragen verlangsamend und dämpfend wirken und die Motivation lebendig gehalten werden muss? Wie tragen Kitaleiter/innen dafür Sorge, dass Fachkräfte in ihren vorhandenen Bewältigungsmöglichkeiten nicht überfordert werden und sich gesehen fühlen?

An bisherigen Erfahrungen anknüpfen, aber nicht überschwänglich werden
Das Anknüpfungsprinzip ist häufig der erste Gedanke. Die Fachkräfte müssen die Gelegenheit haben, neue Erkenntnisse an vorhandene Erfahrungsmuster zu knüpfen. Nach dem Motto: »Was läuft denn schon? Wo beteiligen wir die Kinder bereits?« machen Teams in der Regel zuerst eine Bestandsaufnahme.

Hiermit wird zum einen dem Gedanken Rechnung getragen, dass das Implementieren von Partizipation ein Entwicklungsprozess ist, der nicht bei null anfängt. Ebenso erfahren die Fachkräfte von ihren Stärken, die benötigt werden, um Entwicklung zu fördern. Die Kitaleitung und/oder andere Expertinnen und Experten würdigen das bisher Erreichte, indem sie ihre Anerkennung aussprechen: »Sehen Sie?! Sie machen doch schon ganz viel in Sachen Beteiligung!«. Ein solcher oder ähnlicher Satz könnte aber für die Hörenden auch bedeuten: »Sie machen schon ganz viel und richtig! Das ist Partizipation!«. Hier lauert die Gefahr, den Blick auf entscheidende Unterschiede zu verstellen.

Partizipation ist eine bewusste Entscheidung über die Art und Weise, wie wir mit Kindern (im weiteren Sinne auch mit ihren Familien und untereinander im Team) umgehen. D.h. wir müssen nicht nur lernen, wie man sich »partizipativ verhält«, sondern wir müssen partizipatives Verhalten selbst auslösen. Es geht nicht darum, in den Köpfen nach etwas zu suchen, was schon da ist. Noch geht es darum, aus den Mustern der Vergangenheit auszubrechen und etwas in den Köpfen zu verändern. Es geht um neue Impulse. Es geht um neue Emotionen. Der § 45 SGB VIII verordnet einen Kulturwandel, welcher verlangt, von allen Beteiligten gestaltet zu werden. Er fordert eine Kultur, die eine lebenslange Entwicklung mit dem Kind beschreibt.

Praktische Schritte von Partizipation vor Augen führen, aber noch selber denken und fühlen
Einige Fachkräfte wünschen sich konkrete, sichtbare Erfahrungen von Partizipationsprozessen und suchen Inspirationen. Praxisartikel werden gelesen, Experten-Kitas konsultiert und an Kita- bzw. trägerübergreifenden Gesprächszirkeln teilgenommen. »Best Practices« können allerdings nicht unkritisch kopiert, sondern nur als Anregung verstanden werden. Jede Kita hat ihre ganz eigene Geschichte. In jeder Kita wird anders gedacht und an Fragen und Problemen anders herangegangen. Gerade deshalb ist Partizipation nicht irgendein »Material«, sondern ein ganz bestimmtes »Material«, an das Fachkräfte nur durch eigene Kopf- und Baucharbeit kommen. Darüber hinaus kommen Fachkräfte eigentlich erst zu »wahren Inspirationen«, wenn sie sich auf Begegnungen mit Kindern einlassen.

Klärung, was erreicht werden soll, aber sich keine Ziele in den Weg stellen
Das Ziel ist »eigentlich relativ klar«. Es lautet: »Die Kinder werden beteiligt!«. Ebenso deutlich ist auch, dass das »Wie« nicht über eine Transitstrecke führt. Wenn im Rahmen von Partizipation über Zielsetzungen, aus denen Handlungen
abgeleitet werden sollen, gesprochen wird, stoße ich auf einige Besonderheiten.

1. Das Ziel in einer sich verändernden Lebensweltorientierung ist eher dynamisch zu sehen. Soll heißen: Partizipation ist eher prozessorientiert als zielorientiert.

2. Auch wenn Partizipation als durchgehendes Querschnittsthema zu begreifen ist, müssen Fachkräfte in einer ständig wachsenden Komplexität zurechtkommen. D.h. es gibt mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit weitere Ziele, die aufmerksamkeitsbindend sind und miteinander konkurrieren. Hierbei möchte ich auch erwähnen, dass Ideale und Werte von Partizipation häufig mit unangemessenen Rahmenbedingungen kollidieren. Fachkräfte ersetzen in der Regel zwar sehr gerne den Mangel an Ressourcen durch ihren Einfallsreichtum, allerdings kann dies ebenso häufig zu Überforderung und negativen Emotionen führen.

3. Es wird aus meiner Erfahrung gerne ignoriert, dass Partizipation auch darauf drängt, überkommende Ziele aufzugeben. Nun geht es nicht mehr um die perfekte Qualität von selbstgebastelten Schultüten oder Muttertagsgeschenken. Partizipation bedeutet, verzichten zu können. Mit diesen Verlusten müssen sich Fachkräfte auseinandersetzen dürfen.

4. Es gibt Fachkräfte, die die Ziele mit einer inneren Distanz ins Auge fassen, da sie ihre eigenen pädagogischen Vorstellungen – geprägt aus der Mentalität alter Erziehungsmuster – höher einstufen als Leitlinien, Bildungspläne oder rechtliche Grundlagen. Sie verfolgen eigentlich andere Ziele, was Ihnen nicht unbedingt bewusst ist. Sei es, weil sie alles richtig machen wollen und lieber eine klare Ansage wünschen oder zu jenen gehören,die sich wünschen, an die Hand genommen zu werden, weil sie die Wege zum Ziel noch nicht von sich aus ausgestalten können.

Partizipation ist so komplex, dass aus meiner Wahrnehmung heraus Prozesse, Haltung und Bedürfnisse der Fachkräfte eine größere Rolle spielen als klare Zielsetzungen. Dieser Eindruck verschärft sich insbesondere, wenn ich mit dem Phänomen konfrontiert werde, dass Kita-Verfassungen, die einst mit viel Herzblut entstanden sind, später kaum mit Leben gefüllt werden, da sie nicht konsequent in Reflexionsprozesse eingebunden sind.

Fachkräfte beteiligen, aber auch hier wissen woran und wie
Fachkräfte sind Teil einer Organisation und ihr Denken und Handeln wird natürlich durch die Unternehmenskultur beeinflusst. Viele Trägervertreter/innen wünschen sich Mitwirkung, sind meist jedoch noch sehr geprägt durch Hierarchiedenken, zentrale Entscheidungen und traditionelle Handlungsmuster. Sie stoßen an Grenzen, »echte Partizipation« zu ermöglichen, lösen Verwirrung aus und werden dadurch angreifbar.

Ebenso wie Fachkräfte und Leiter/innen müssen auch Trägervertreter/innen erst lernen, wie mit einem partizipativen Kulturwandel zurechtzukommen ist. Sie müssen daran wachsen, strategische Ziele aus übergreifenden Themen und Initiativen in Aufgaben und Entscheidungen der Fachkräfte zu übersetzen. Hier gilt es, die Bedürfnisse, Motive und Selbstständigkeit der Fachkräfte zu berücksichtigen. Schließlich darf »Mitarbeiterbeteiligung« den Aufgaben- und Zielorientierungen nicht widersprechen.

Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn Fachkräfte eigenständig die Dienstpläne schreiben mit der Idee, möglichst wenig Dienstzeit am Nachmittag zu verbringen. Grundsätze der Orientierung und Sicherheit für die Kinder dürfen nicht aus persönlichen Motiven untergraben werden. »Mitarbeiterbeteiligung« verlangt demnach von allen Beteiligten – Fachkräfte, Leiter/innen und Trägervertreter/innen – eine proaktive Offenheit und eine hohe Reflexionsfähigkeit.

Partizipation braucht eine starke Führung
Partizipation schärft ein Bewusstsein für das »Wofür« von Führung. »Führung ist das Bestimmen der Richtung von Bewegung« (Hofert 2018, S. 97) und muss nicht von Hierarchien abhängig sein. Die Frage ist: Wie kommt was in Bewegung? Es ist sicherlich gut, wenn Leiter/innen leidenschaftlich gerne führen. Es wird nur schwierig, wenn sie die Leidenschaft in einer festen Vorstellung von dem, wie es laufen soll, verankern. Ebenso kann es problematisch werden, wenn sich Leiter/innen zu stark mit ihrem Team und zu wenig mit den Aufgaben identifizieren.

Es geht nicht darum, den Weg für die Fachkräfte zu bereiten, sondern die Fachkräfte für ihren Weg vorzubereiten. Fachkräfte sind da abzuholen, wo sie gerade stehen. Wenn Leiter/innen zu übereifrig Fachkräfte von Partizipation überzeugen wollen und »irgendetwas zurechtbasteln«, statt geduldig zu sein und Vertrauen aufzubauen, kompensieren sie nicht nur, sie verschlechtern möglicherweise auch ihre Beziehung zu den Fachkräften. Im schlimmsten Fall verlieren Fachkräfte und Leiter/innen gegenseitig den Respekt.

Das Verständnis von Führung orientiert sich an einem kompetenten Menschenbild. Die Frage ist: Wie sehen Leiter/innen die Fachkräfte? Sehen sie Freigeister, Sprachrohre, Glaubenskrieger, Zweifler, Richtigmacher und Zuschauer? Oder sehen sie in erster Linie Menschen, die dynamisch, anpassungsfähig und entwicklungsfähig sind? Ebenso stellt sich die Frage, ob es den Leiterinnen/Leitern gelingt, Räume für individuelle Entwicklungsprozesse zu schaffen, ohne dabei entwicklungspsychologische Kenntnisse außer Acht zu lassen und das »Chaos zu fürchten«.

Fazit
Partizipation setzt Wissen voraus, denn wer wenig weiß, kann sich auch wenig vorstellen. Aber hier geht es nicht nur um Lernprozesse. Partizipation beharrt auf persönliche Entwicklungsprozessen (Denken und Handeln). Ohne den Willen
persönlicher Entwicklung – ohne eine Führung von innen heraus – ist Partizipation aus meiner Sicht nicht zu haben. Fachkräfte, Leiter/innen und Trägervertreter/innen – sie alle müssen sich selbst führen und Verantwortung für ihre Entwicklung
übernehmen.

Literatur
  • Hofert, S. (2018): Das agile Mindset. Mitarbeiter entwickeln, Zukunft der Arbeit gestalten. Wiesbaden:
  • Springer Fachmedien.
  • Hofert, S. (2017): Hört auf zu coachen. Wie man Menschen wirklich weiterbringt. München: Kösel Verlag.
  • Schacht, M: (2010): Das Ziel ist im Weg. Störungsverständnis und Therapieprozess im Psychodrama. Wiesbaden: VS Verlag, 2. durchgesehene Auflage.

Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus KiTa aktuell ND, 12-2018, S. 245 . 247




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