Kleine Kinder, großes Wissen

Hochbegabung ist ein Mythos. Es gibt viele Kinder, die mehr können, als sie altersgemäß müssten. Doch wann ist ein Kind wirklich hochbegabt?

„Und wir klatschen fünf Mal in die Hände“, singt die Erzieherin. Ben* langweilt sich, dreht sich weg. Wie so oft. Denn er beherrscht bereits den Zahlenraum bis 50 sicher, kann mit vier Jahren das Alphabet. Lilli*, sieben Jahre alt, ist anders – sie ist aktiv, beim Spielen in der Nachmittagsbetreuung dabei, fragt viel nach. „Kommt das Wort Germany von den Germanen?“, wollte sie wissen. Schon mit zwei Jahren konnte sie lange Sätze mit zehn Wörtern ohne Fehler bilden. Sind das Anzeichen von Hochbegabung?

Wird von hochbegabten Kindern gesprochen, so ist das Verständnis darüber erst einmal recht breit und bunt. Jeder hat jedoch eigene Vorstellungen davon, welch spezielle Eigenschaften diese meist entwicklungsschnellen Kinder wohl haben mögen. Um den Mythos der Hochbegabung von Kindern im Vorschulalter ranken sich daher viele Fragen.

Hochbegabung erkennen

Im Allgemeinen wird der Begriff „Hoch-begabung“ mit der Messung des Intelligenzquotienten (IQ) in Verbindung gebracht. Bei Erwachsenen und Schulkindern kommen standardisierte Intelligenztests zur Diagnostik zum Einsatz. Ab einem IQ-Wert von 130 gilt eine Person als hochbegabt. Bei jungen Kindern verändert sich die Ausprägung der Begabungen meist noch, daher ist eine Hochbegabung im Vorschulalter nicht sicher diagnostizierbar. Daher sprechen viele Erzieherinnen und Erzieher von entwicklungsschnellen Kindern.
Der amerikanische Psychologe James T. Webb entwickelte Merkmale, die auf eine Hochbegabung bei Vorschulkindern hindeuten können. Diese Merkmale sind nur eine Orientierung und keine Checkliste.

  • zügige Aufnahme und Verarbeitung von Informationen
  • ein besonderes Interesse, sich sehr genau mit Dingen zu beschäftigen
  • (er-)forschendes, kreatives und erfinderisches Spielverhalten und großes Wissen über verschiedene Sachbereiche
  • ein großer, gegebenenfalls altersunüblicher Wortschatz
  • das Kind ordnet und strukturiert gern Spielabläufe
  • Kinder fangen gegebenenfalls schon in der Kindertageseinrichtung an, sich das Lesen und Rechnen beizubringen

Wichtig ist: So unterschiedlich, wie alle Kinder sind, so unterschiedlich kann sich auch eine Hochbegabung bemerkbar machen.

Förderung durch Projektarbeit

Es geht bei der Förderung entwicklungsschneller Kinder nicht darum, eine spezielle Förderung anzubieten. Vielmehr sollten pädagogische Fachkräfte sich als Lernbegleiter für das eigenmotivierte Lernen von Kindern verstehen. Wird in der Kindertageseinrichtung das Grundprinzip verfolgt, dass der Lernfreude und der Lernbegeisterung von Kindern keine Grenzen gesetzt werden, ist bereits das wichtigste Kriterium der Begabungsförderung erfüllt.

Eine Möglichkeit, begabungsgerecht zu arbeiten, ist die Projektarbeit. Sie ist partizipativ ausgerichtet, ermöglicht dienTeilhabe aller Kinder mit ihren individuellen Stärken und setzt an den Themen an, die Kinder besonders interessieren. Es geht dabei um das gemeinschaftliche Erarbeiten, Planen und Durchführen von Themen in einer Gruppe. Gerade entwicklungsschnelle Kinder profitieren davon, da sie sich mit ihren Potenzialen gut einbringen können. Projektideen entstehen oft aus alltäglichen Spielsituationen. Dadurch wird auf die Interessen der Kinder eingegangen und ihre Lernfreude gestärkt.

Ein Beispiel hierfür ist die Methode des (frühen) Service Learnings. Dahinter steht folgendes Prinzip: Kinder beschäftigen sich intensiv mit Dingen, die sie besonders interessieren und eignen sich darüber Wissen an. Ihr Wissen und Können geben sie wiederum an andere Kinder weiter. Julian* ist entwicklungsschnell. Er interessiert sich für Dinosaurier und hat ein großes Wissen darüber. Die Erzieherin ermutigt ihn, den anderen Kindern über Dinosaurier zu erzählen, damit diese auch etwas über die ausgestorbenen Tiere lernen. Gemeinsam überlegen sie, dass Julian einen Morgenkreis gestaltet, um den anderen Kindern etwas darüber zu berichten. Er malt Bilder und schreibt einige Zeilen, die er den anderen Kindern vorliest. Die Kinder stellen Fragen und alle haben gemeinsam Spaß an Dinosauriern. In der pädagogischen Praxis gibt es viele Einsatzmöglichkeiten dieses Instruments, da es alltagsorientiert und für Fachkräfte gut durchführbar ist.

Um hochbegabte Kinder zu fördern, sollten Aktivitäten und pädagogische Methoden die Interessen der Kinder widerspiegeln und das Spiel und die Freude für alle im Vordergrund stehen. Denn hochbegabt oder nicht – das Wohlbefinden steht an erster Stelle.

* Namen von der Redaktion geändert
 
 
Zum Weiterlesen:
Christine Koop, Markus Riefling: Alles eine Frage der Haltung? Begabtenförderung in der Kindertagesstätte. Karg Stiftung, 2017
Download unter: www.karg-stiftung.de/medien/karg-heft-10-1087
 

Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus
Meine Kita 3-2018, S. 22-24




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