Neue Medien im Kita-Alter?!

Ein Interview mit J. G. Brandt und T. Schmidt

Von: Janna Steen und Lasse Häusgen, Initiative für frühe Bildung

Die „neuen Medien“ sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken und sie nehmen einen immer größeren Stellenwert in unserer Gesellschaft ein. Auch in Kitas halten sie vermehrt Einzug, schon „unsere Kleinsten“ kommen mit ihnen in Berührung, wachsen fast selbstverständlich mit ihnen auf. Dennoch erscheinen die „neuen Medien“ eben „neu“ und viele Eltern und Fachkräfte fühlen sich unsicher hinsichtlich des Umgangs von Kindern mit Medien. Sollten Kinder im Kita-Alter überhaupt schon mit neuen Medien in Berührung kommen? Wie können sie sicher und altersgemäß herangeführt werden?

Wir haben nachgefragt!

Weshalb die Untersicherheit im Umgang mit neuen Medien keine Neue ist: Ein Rückblick


  • Weshalb ist der Umgang mit Medien bereits in der Kita grundsätzlich gar nichts Neues?
Brandt: In Kitas wird immer mit Medien gearbeitet. Selbst ein Buch, welches Kinder durchblättern, ist ein Medium. Auch Spielkarten und andere analoge Spiele gehören dazu. Deshalb ist das Thema nicht neu. Das was neu ist, ist der Umgang mit digitalen Medien. Auch dabei werden alte Medien vorausgesetzt: das Bildverständnis, das Verstehen von Texten. Neue Medien funktionieren also ohne alte Medien nicht. Deshalb ist der Umgang in Kitas schon immer ein medialer.

  • Der Umgang mit neuen Medien im Kita-Alter wird kritisch diskutiert. Ist diese Diskussion neu aufgetaucht?
Schmidt: Wenn man sich das historisch ansieht, wurde die Nutzung eines neu aufgetauchten Mediums schon immer diskutiert, verboten oder sogar unter Strafe gestellt. Ein Beispiel hierfür ist der Buchdruck. Dieser wurde erst verboten und im weiteren Verlauf dann zunächst auf die Bibel beschränkt. Betrachtet man also den Verlauf, hat es immer gedauert, bis ein neues Medium die Akzeptanz gefunden hatte, die es heute hat. Neben dem Buch gilt dies auch fürs Fernsehen, welches am Anfang total abgelehnt wurde. Mittlerweile wird es mit verschiedensten Sendungen wie „Die Sendung mit der Maus“ für Kinder unter sechs Jahren akzeptiert und hat auch eine Relevanz.

Brandt: Die Kritik an jeweils „neuen Medien“ zieht sich tatsächlich schon durch die ganze Geschichte durch, angefangen beim Höhlengleichnis von Platon. Der Buchdruck wurde schon benannt, der Klerus [Anmerkung der Redaktion: die Kirche] argumentierte damals mit einem Sittenverfall, was Manfred Spitzer heute ebenfalls in exakt der gleichen Argumentation vorführt. Jedoch sind die neuen Medien eine neue Kulturtechnik.

Neue Medien als neue Kulturtechnik: Wieso ihnen offen begegnet werden sollte, ein erlernter Umgang schon vor Schuleintritt wichtig ist und auch die „Digital Natives“ begleitet an das Thema herangeführt werden sollten.


  • Warum und inwiefern sollten Kita-Kinder schon mit neuen Medien in Berührung kommen?
Schmidt: Eine frühe Auseinandersetzung mit neuen Medien ist unter anderem wichtig, um vorzubeugen, dass dann in einem bestimmten Alter ganz plötzlich davon ausgegangen wird, dass Kinder Kompetenzen in dem Bereich haben; beispielsweise Textverarbeitung können. Häufig wird bei den Kindern von sogenannten „Digital Natives“ gesprochen, weil man meint, dass Kinder sich durch die dauerhafte Präsenz von Neuen Medien im Alltag von Geburt an mit diesen auskennen. Jedoch ist dieses Auskennen natürlich nicht genetisch veranlagt. Nur weil sie tagtäglich Menschen mit Smartphones, Tablets und Laptops sehen und dies dann selbstverständlich interessant finden und es sich selber genauer ansehen wollen, können die Kinder nicht automatisch kompetent damit umgehen.

Eine Heranführung sollte strukturiert, begleitet und mit einem medienpädagogsichen Konzept geschehen. So machen wir es ja auch im Straßenverkehr. Wir lassen kein Kind das erste Mal allein im Straßenverkehr eine Straße überqueren, sondern begleiten das Kind dabei und führen es so heran, dass es das irgendwann allein schafft. So sehe ich auch Medienbildung in der Verantwortung. Es ist enorm notwendig, das Anwenden einer neuen Kulturtechnik begleitet zu lernen und einzuüben und das in einem geschützten Rahmen. Hier sind Eltern und pädagogische Fachkräfte gefragt.

Brandt: Zudem wird, wenn wir Bordieus Habitustheorie anschauen, völlig akzeptiert, dass Kinder Bücher lesen. Das ist ein kulturelles, wertgeschätztes Kapital. Wenn wir davon ausgehen, dass die neuen Medien schon zu Leitmedien geworden sind, dann werden diese auch ein kulturelles Kapital sein, was man nicht vernachlässigen kann. Irgendwann wird es heißen: Der kann ja gar nicht mit Medien umgehen. Für die Zukunft der Kinder ist ein gelernter Umgang mit Medien von Anfang an wichtig, um unter anderem in der Lage zu sein, zwischen „Fake News“ [Anmerkung der Redaktion: falsche/gefälschte Nachrichten] und richtigen Nachrichten unterscheiden zu können. Jugendliche die einen Umgang damit nicht erlernt haben, konnten eine solche Unterscheidung nicht vornehmen. Dies hat eine Untersuchung der Stanford University 2016 ergeben.
Kinder wachsen in Familien auf, in denen Medien wie selbstverständlich genutzt werden. Dieses recht unreflektierte Nutzen kann bewusster gemacht werden, wenn dies in der Kita mit pädagogisch gut ausgebildetem Personal begleitet wird. Luhmann sagt hierzu: „Was wir von der Welt wissen, das wissen wir von den Medien.“

Wie Eltern ihre Kinder an einen gesunden Umgang mit neuen Medien heranführen können und welch wichtige Rolle sie dabei spielen

  • Was können Eltern tun, um einem gefährlichen und schädlichen Medienkonsum ihrer Kinder vorzubeugen?

Schmidt: Natürlich gibt es gewisse Gefahren im Zusammenhang mit neuen Medien, wie zum Beipspiel übermäßigen Konsum, gewisse Chatrooms... Wichtig ist, das so etwas medienpägagogisch aufgegriffen und thematisiert wird und den Kindern der Umgang damit nicht selbst überlassen wird. Gerade im Alter von 3-6 Jahren sind die erwachsenen Bezugspersonen wichtige Vorbilder. Als Elternteil oder pädagogische Fachkraft ist es wichtig, sich der Vorbildrolle bewusst zu sein und sie anzunehmen. Wichtig ist es auch, das Kind mit seinen Ängsten und Wünschen, auch im Bezug auf die Medienwelt zu akzeptieren und sich dafür zu interessieren. Wünsche und Vorstellungen zur Mediennutzung sollten im Gespräch ausgehandelt werden, um auch Ängste von beiderlei Seiten klar und deutlich zu machen. Kategorische Verbote sind hier nicht sinnvoll.

  • Was können Eltern tun um einem übermäßigem Konsum vorzubeugen?

Brandt: Hier kommt es besonders auf Angebote an, die die Eltern machen. Wenn es andere interessante Angebote gibt, die nichts mit neuen Medien zu tun haben, werden Kinder ohne Probleme davon wegzubekommen sein.

Schmidt: Angebote aus der Offlineperspektvie zu gestalten, ist genauso wichtig, wenn nicht sogar noch wichtiger: Miteinander Zeit verbringen, im Garten spielen, die Kinder sich auch mit sich allein beschäftigen lassen, auch mal Langeweile haben. Wie kreativ kann Langeweile sein?! Hier ist es wichtig, dass digitale Medien nicht immer gleich genutzt werden, um der Langeweile entgegenzuwirken.

Wie Medienpädagogik in Kitas sogar offline umgesetzt werden kann und inwiefern dies schon stattfindet

  • Wie sollte Medienpädagogik in der Kita umgesetzt werden?
Schmidt: Dieter Baacke benennt verschiedene Medienkompetenzen und macht deutlich, dass es bei Medienkompetenzen nicht nur um das Wissen „welche Medien gibt es und wie kann ich diese anwenden“ geht. Es geht vielmehr auch um einen kreativen, künstlerischen, fantasievollen, aber auch kritischen Bezug in der Anwendung von Medien. Angebote in der Kita sollten also auch in diese Richtung gemacht werden: Wie funktionieren Medien, wie funktioniert Werbung? Eine Möglichkeit hierfür bietet das Konzept „Medienhelden“. Hierbei geht es darum, über die Medienhelden der Kinder ins Gespräch zu kommen: Was interessiert dich? Was findest du an dem „kleinen gelben Schwamm“ so toll, wieso findest du ihn lustig? So können Wünsche, Sorgen und Freuden der Kinder wahrgenommen und angenommen werden. Dies gemeinsam zu tun, kann viel Freude bereiten. Medienpädagogsiche Angebote können also sehr gut auch offline entstehen.

Brandt: So eine Auseinandersetzung, wie Herr Schmidt sie eben benannt hat, hat also auch den großen Vorteil in den Dialog darüber gehen zu können, was hierzu in den Köpfen der Kinder vorgeht, obwohl sie gerade nicht mit dem Medium an sich beschäftigt sind. Mit Medienpädagogik kann also auch Dialogbereitschaft und Dialogkompetenz gefördert werden. All dies setzt natürlich voraus, dass die pädagogischen Fachkräfte ein Interesse daran haben, kritisch und künstlerisch mit neuen Medien zu arbeiten. Darüber hinaus sollten sie entsprechend geschult sein.

  • Inwiefern findet eine solche Umsetzung in Einrichtungen schon statt?
Schmidt: Oft findet das so statt, dass hierzu Experten von extern eingeholt werden, die dann mit Kindern und Fachkräften ein medienpädagogisches Angebot entwickeln. Das finde ich auch gut. Dauerhaft soll es aber auch dahin gehen, dass Fachkräfte und natürlich auch Eltern selbst eine gewisse Einstellung und Wertschätzung dem Thema gegenüber entwickeln.

Politisch bedingte Barrieren der Umsetzung von Medienpädagogik in Kindertagesstätten und neue Weiterbildungsmöglichkeiten für pädagogische Fachkräfte


  • Fehlende Zeit wird oft als Grund benannt, weshalb es an der Umsetzung von medienpädagogischen Angeboten im Kita-Alltag scheitert. Was kann getan werden, um diese möglich zu machen?

Brandt: Das Naheliegendste und wahrscheinlich Falscheste ist davon auszugehen, das Programm noch mit den vorhandenen Ressourcen „aufzupropfen“. Ihre Frage ist daher eine politische. Es gibt eine Studie von Strehmel und Kiami aus dem Jahr 2016 zu den Fehlzeiten von Personal in Kitas in Schleswig-Holstein. Das sind dramatische Zahlen. Man muss sich hierbei auch die eher schlechte Bezahlung anschauen und kann nicht davon ausgehen, dass eine gute medienpädagogische Arbeit in Kitas geleistet werden kann, wenn die Ressourcen so bleiben wie sie sind. Es ist also ein ganz klarer Auftrag und eine ganz klare Aufforderung an die Politik hier mehr Geld einzusetzen, wesentlich bessere Bedingungen für die Erzieher*innen zu schaffen, zumindest die Ausstattung zu finanzieren, um so eine neue Kulturtechnik zu etablieren und möglich zu machen.

  • Welche Möglichkeiten der Weiterbildung für Fachkräfte gibt es, welche Formen sind empfehlenswert?
Schmidt: Auch hier gibt es, um im Bild von vorhin zu bleiben, Offline- und Onlineangebote. Um erst einmal bei Präsenzveranstaltungen vor Ort zu bleiben, finde ich es wunderbar, wenn Fortbildungen in den Einrichtungen im Kontext des Kitaalltags und mit den Kindern gemeinsam stattfinden. Zum einen sehen so die Fachkräfte die „leuchtenden Augen“ und Reaktionen der Kinder und der Bezug ist ein anderer, sodass sie gleich passende Hinweise und Materialien zur Verfügung gestellt bekommen.

Für den Bereich der Wissensvermittlung besteht auch die Möglichkeit, sich online fortbilden zu lassen, zum Beispiel über E-learning-Plattformen. Hier können verschiedene Materialien zur Verfügung gestellt und Videos hochgeladen werden. Dies hat den Vorteil, nicht an Raum und Zeit gebunden zu sein, sodass die Pädagog*innen nicht in den Einrichtungen ausfallen und sie flexibel teilnehmen können.

Außerdem können sie die Inhalte „Häppchenweise“ verdauen, da sie immer noch so viel aufnehmen und anschauen können, wie sie möchten. Videos können zurückgespult und über einen längeren Zeitraum zur Verfügung gestellt werden. Für den Bereich der Wissensvermittlung ist das Resultat somit ein mannigfaltigeres und breiteres.

Dies kann noch mit Präsenzveranstaltungen verbunden werden, bei denen dann ein Austausch stattfinden kann. Dieses Konzept heißt „blended learning“. Ein weiterer Vorteil von E-learning Angeboten ist, dass dadurch Barrieren und die Distanz zum Thema digitale Medien aufgebrochen und abgebaut werden können, wenn ich als Fachkraft diese praktisch für mich nutzen kann. So kann eine offene und wertschätzende Einstellung zu den neuen Medien entstehen.

  • Wir danken Herrn Brandt und Herrn Schmidt für das spannende Interview!

Zu den Personen:
Thomas Schmidt und Jürgen Georg Brandt sind Mit-Herausgeber des Sammelbandes „Frühe Kindheit und Medien“. Herr Brandt ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Department Soziale Arbeit an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg (HAW). Unter anderem lehrt er im Bereich Medien- und Kulturtheorie. Herr Schmidt ist Diplom-Pädagoge und Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der HAW Hamburg im Studiengang Bildung und Erziehung in der Kindheit. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehört unter anderem das Thema 'Kindheit und digitale Medien'. Als Beiratsmitglied berät Herr Schmidt die Initiative für frühe Bildung.


Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung der
"Initiative für frühe Bildung"



Tipp:
Ein erweitertes fünfteiliges Video-Interview mit Thomas Schmidt und Jürgen Georg Brandt ist auf der Homepage der "Inititiative für frühe Bildung" abzurufen. Hier gibt es auch die kostenlose Teoleo-App für Eltern und pädagogische Fachkräfte



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