Jungen erleben männliche Vielfalt

Männliche Vorbilder in den Kitas

Die Anwesenheit von Männern in frühpädagogischen Einrichtungen ist notwendig, um das Spektrum geschlechtlicher Rollenentwürfe zu erweitern. Jungen schauen sich als männlich anerkannte Verhaltensweisen zwar auch von anderen Kindern und medialen Vorbildern ab, vor allem aber von Männern aus ihrem Umfeld. In den Kitas haben sie leider selten die Gelegenheit dazu. Dieser Beitrag soll Fachkräften einige Handlungsoptionen aufzeigen.

Im frühpädagogischen Bereich werden durch die Anwesenheit von Männern viele positive Effekte erwartet, vor allem für Jungen. Nicht alle sind wissenschaftlich belegt und einige eher übertriebenes Wunschdenken. Diese Nichterfüllbarkeit kann aber alle Beteiligten relativ schnell frustrieren. Nicht von der Hand zu weisen ist jedoch, dass sich die Vielfalt in den Einrichtungen vergrößert und das Spektrum möglicher geschlechtlicher Rollenentwürfe erweitert.

Jungen schauen sich als männlich anerkannte Verhaltensweisen nicht nur von anderen Kindern und medialen Vorbildern ab, sondern eben auch von realen Männern (vgl. Neubauer 2011, S. 16 f.). Letztere erleben sie in der Kita aber momentan kaum.

Männlichkeit lernen

Männlichkeit ist keine natürliche Gegebenheit, sondern entsteht ausschließlich in Abgrenzung zu Weiblichkeit bzw. anderen Männern und muss somit ständig vom Einzelnen behauptet und dem Umfeld anerkannt werden. Hierfür müssen Eigenschaften und Verhaltensweisen erkennbar sein, die im sozialen Milieu, der ethnischen Gemeinschaft und für die Generation als männlich gelten (vgl. Meuser 2011, S. 275 ff.).

Verhaltensweisen sind routinierte Handlungen, die sich in bestimmten Situationen als erfolgreich erwiesen haben und deswegen später (unbewusst) immer häufiger angewendet werden. Sie können zwar auch auf Vorstellungen oder Instruktionen basieren, am besten werden Verhaltensweisen jedoch gelernt, indem die Aktivitäten anderer beobachtet und anschließend nachgeahmt werden. Auf diese Weise kann nicht nur Neues gelernt, sondern auch Bekanntes intensiviert werden.

Wurde eine beobachtete Aktion als attraktiv eingeschätzt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass das Gesehene behalten und in ein Modell umgewandelt wird. In einer passenden späteren Situation werden dann zunächst die Machbarkeit des Beobachteten und die Erfolgsaussichten geprüft und dann die Handlungsstrategie angewendet. Dies kann auch mit großem zeitlichem Abstand zu der entsprechenden Beobachtung geschehen.

Neue Lösungsstrategien können z. B. entstehen, nachdem mehrere Personen beobachtet wurden und deren Verhaltensweisen kombiniert werden – eine Vorgehensweise, die häufig von Erfolg gekrönt ist (vgl. Bandura 1979).

Im vorliegenden Fall bedeutet dies nun, Jungen lernen neue Verhaltensweisen oder akzeptieren bereits bekannte eher als männliche, indem sie sich abschauen, was reale Männer in gewöhnlichen Situationen tun. Empfanden sie ein beobachtetes Vorgehen als bemerkenswert, nehmen sie es in ihr Handlungsrepertoire auf. Da Jungen körperlich noch nicht vollständig entwickelt sind, können sie einige Dinge nicht sofort umsetzen. Dies geschieht vielleicht später, wenn sie so weit sind. Damit sie aber das zeigen, was sie bereits könnten, bedarf es eines akzeptierenden Umfeldes.

Die Weichen für die weitere Entwicklung eines Menschen werden schon im frühen Kindesalter gestellt und bestimmen dann die Verhaltensweisen für den Rest des Lebens, da auf sie immer wieder in unsicheren Situationen zurückgegriffen wird (Hüther 2009, S. 83). Es ist demnach sinnvoll, dass Jungen bereits in der Kita ein breites Spektrum möglicher männlicher Verhaltensweisen erleben und so einen großen Bestand mit einem breiten Spektrum aufbauen können.

Mögliche Begegnungen


Erzieher in der Kita

Die Annahme liegt nahe, bei Männlichkeit in der Kita an Erzieher zu denken. Diese sind fachlich ausgebildet und verbringen regelmäßig viel Zeit mit den Kindern, also auch mit den Jungen. Dadurch könnten diese sich Verhaltensweisen in verschiedenen Situationen an- und abschauen. Jedoch bekommen nur wenige Jungen diese Gelegenheit, denn Einrichtungen, in denen Erzieher arbeiten, sind selten, da ihr Anteil an den Fachkräften weiterhin sehr gering ist und Männer häufiger Leitungspositionen übernehmen (Rübenach/Kucera 2014) und so weniger praktisch arbeiten. Kitas mit zwei oder mehr pädagogischen Fachmännern existieren nur vereinzelt, sodass kaum von männlicher Vielfalt gesprochen werden kann.

Externe Fachkräfte
Diesem Umstand begegnen Einrichtungsleitungen gelegentlich, indem sie externe männliche Fachkräfte beauftragen, meist um speziell mit den Jungen zu arbeiten. Dieses Vorgehen ist jedoch insofern problematisch, als diese Experten in der Regel oft mit Jugendlichen arbeiten und meist nur geringe frühpädagogische Kenntnisse besitzen. Darüber hinaus sind auf diese Weise das Thema und die Teilnehmer aus den alltäglichen Abläufen ausgeschlossen (Rohrmann 2009, S. 63). Wenn die finanziellen Mittel dafür dem eigenen Etat entnommen werden müssen, sollte doch überlegt werden, ob sie an anderer Stelle nicht wirkungsvoller investiert werden können.

Experten
Eine weitere Möglichkeit wäre, wenn das Team von Erzieherinnen im Umfeld der Einrichtung und in ihrem Bekanntenkreis nach Männern suchen würde, die bestimmte Fähigkeiten in die Kita einbringen. So könnten dann beispielsweise Handwerker, Lehrer, Bankiers, (Tier-)Ärzte, (Straßen-)Künstler, Ladenbesitzer, „Elternzeitnehmer“ oder Senioren mit einem spannenden Hobby den Kindern ihre speziellen Fähigkeiten und persönlichen Problemlösungsstrategien präsentieren. Dieses Engagement muss den so aktiven Erzieherinnen selbstverständlich auch vom Träger ermöglicht, also als Arbeitszeit anerkannt werden.

Soziale Kontakte als Ressource
Eine zusätzliche Ressource sind die sozialen Kontakte der Kinder, denn über diese können Väter und andere männliche Familienmitglieder angesprochen werden. Sie könnten beispielsweise Ausflüge als zusätzliche Betreuer begleiten, ein „Tagespraktikum absolvieren“ oder über ihre Tätigkeit(en) berichten.

Zudem bieten sich reine „Vater-Kind-Aktionen“ an oder die Männer werden zu Instandhaltungsmaßnahmen ermuntert, an denen auch die Kinder teilnehmen. So ist es den Jungen möglich, Männern auch außerhalb der eigenen Familie zu begegnen. In der Regel endet die Bereitschaft, sich einzubringen, wenn das eigene Kind die Einrichtung verlässt, deshalb müssen kontinuierlich neue Interessierte begeistert werden.

Zu beachten
Erfolgversprechend sind diese Aktivitäten dann, wenn nicht nur die Kinder, sondern auch die Männer davon profitieren.
  • Für die Jungen sind die Treffen v. a. dann eine Bereicherung, wenn die allgemeinen Rahmenbedingungen der Einrichtung es ihnen ermöglichen, alternativ zu handeln.
  • Finden die Kinder die Männer sympathisch und schätzen sie diese als kompetent ein, beobachten sie aufmerksamer. Achten Sie darauf, dass das Erlebte bzw. Beobachtete (nach)besprochen wird, dann behalten es die Jungen besser (Wälte et al. 2011, S. 26).
  • Die eingeladenen Männer sollten sich in ihrem Auftreten und Verhalten nicht zu ähnlich sein, damit die Kinder verschiedene Verhaltensmuster kennenlernen.
  • Jeder Gast sollte auf dem Gebiet, welches er den Kindern vorstellt bzw. auf dem er helfen soll, nicht nur kompetent sein, sondern auch die Inhalte kindgerecht vermitteln können.
  • Das, was die Männer in der Kita zeigen, vorleben oder vorstellen, soll von den Kindern hinterfragt werden dürfen, es soll darüber diskutiert werden können.
  • Die Begegnungen sollten zunächst in der Einrichtung stattfinden. Die vertraute Umgebung sorgt dafür, dass die Kinder weniger abgelenkt sind. Auf diese Weise können sie in Ruhe beobachten und sich auf besprochene Inhalte konzentrieren. Sind die Weichen gestellt, können Sie auch gemeinsame Ausflüge planen. Dort kann das Beobachtete und Gehörte erinnert und eventuell in der Praxis erlebt werden.

Bedanken Sie sich bei den helfenden Männern für deren Engagement am besten mit dem, was sie motiviert (hat):
  • einem angemessenen Honorar bzw. einer Aufwandsentschädigung oder
  • Werbung für ihren Einsatz als berufliche Unterstützung; z B. mit einem Artikel/Fotos über die durchgeführten Projekte mit den Kindern in der Lokalzeitung (z. B. für einen Schreiner, der mit den Kindern etwas gebaut hat) oder
  • (mehr) Kontakte zu anderen Vätern.
  • Für manchen Vater besteht der Lohn für seinen Einsatz vielleicht auch darin, nur einmal das eigene Kind einen Tag in der Kita im Umgang mit anderen zu erleben.

Impulse für die Praxis

Öffentliche und freie Träger können ein solches Engagement anregen und indem sie thematische Weiterbildungen und Reflexionsrunden anregen sowie Zeitkontingente vorsehen, die Fachkräfte dafür nutzen können, geeignete Männer zu suchen, diese für das Vorhaben zu gewinnen und die einzelnen Angebote vorzubereiten.

Wie diese richtungsweisenden Impulse dann in der Praxis angenommen und umgesetzt werden, dafür sind die jeweiligen Fachkräfte verantwortlich. So lange aber viele Erzieherinnen die Worte Eltern und Mütter synonym denken (Rohrmann/Walter 2011, S. 228) und Fachkräfte wie Eltern die Kinder zu geschlechtsstereotypten Spielaktivitäten ermuntern (vgl. Hunger 2011), ist es fraglich, ob entsprechende Angebote initiiert werden, die vorgestellten männlichen Verhaltensweisen voneinander klar unterscheidbar sind, diese zielführend nachbesprochen werden und eine Atmosphäre herrscht, in der Jungen alternatives Handeln erproben können.

Dies setzt vor allem die Bereitschaft voraus, die persönlichen geschlechtsspezifischen Vorstellungen zu überdenken und die eigene Genderkompetenz auszubauen.

Optimistischer Ausblick

Mehr als eine männliche Fachkraft in jeder deutschen Kita wird es in absehbarer Zeit nicht geben, zumal ja auch keine Erzieherinnen aufgrund ihres Geschlechts verdrängt werden sollen. Zudem ist es kostspielig und pädagogisch fragwürdig die männliche Leerstelle in den Einrichtungen durch externe Angebote zu füllen.
Vielversprechend scheinen jedoch die Überlegungen, nach potenziellen Modellen in der Umgebung sowie in den sozialen Netzwerken von Fachkräften und Kindern zu suchen und diese als Ressourcen zu aktivieren. Alle vier Zugänge können selbstverständlich auch kombiniert werden, sich so ergänzen und gegenseitig verstärken.

Es ist somit für Jungen möglich männliche Vielfalt in der Kita zu erleben; ob dies auch im Einzelfall wirksam wird, hängt aber sehr stark von den Interessen der Verantwortlichen ab. Die mediale Präsenz des Themas, der gesellschaftliche Wandel sowie die immer differenzierteren Lebensweisen einerseits und anderseits der Umstand, dass viele interaktive Aktionen von Männern in den Einrichtungen sicherlich auch mit anderen Bildungszielen korrespondieren, stimmen bezüglich einer mittelfristigen Einführung vorsichtig zuversichtlich.

Ein Wort zum Schluss
Schließen Sie Mädchen von solchen Aktionen nicht aus. Ihre Teilnahme hindert die Jungen nicht daran, das zu beobachten und zu lernen, was sie interessiert. Und die Mädchen können ebenfalls von den Treffen profitieren, z. B. indem sie lernen, offen für die verschiedenen Verhaltensweisen zu sein.

Literatur

  • Bandura, Albert: Sozial-kognitive Lerntheorie. Klett-Cotta 1979
  • Hunger, Ina: Empirische Annäherung an die frühkindliche Bewegungswelt unter dem Aspekt „Gender“. In: Bindel, Tim (Hrsg.): Feldforschung und ethnographische Zugänge in der Sportpädagogik. Shaker 2011
  • Hüther, Gerald: Männer. Das schwache Geschlecht und sein Gehirn. Vandenhoeck & Ruprecht 2009
  • Meuser, Michael: Männlichkeit. In: Ehlert, Gudrun/Funk, Heide/Stecklina, Gerd (Hrsg.): Wörterbuch Soziale Arbeit und Geschlecht. Juventa 2011
  • Neubauer, Gunter: Wozu brauchen wir Männer? In: Switchboard. Zeitschrift für Männer und Jungenarbeit, Nr. 194, 2011
  • Rohrmann, Tim: Jungen in Kindertageseinrichtungen. In: Pech, Detlef (Hrsg.): Jungen und Jungenarbeit. Eine Bestandsaufnahme des Forschungs- und Diskussionsstandes. Schneider 2009
  • Rohrmann, Tim/Walter, Melitta: Kindertageseinrichtungen. In: Ehlert, Gudrun et al. (Hrsg.): Wörterbuch Soziale Arbeit und Geschlecht. Juventa 2011
  • Wälte, Dieter et al.: Psychologische Grundlagen der Sozialen Arbeit. Kohlhammer 2011

Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus klein&groß 4-2018, S. 56-59


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