Anker im Tagesablauf

Die Bedeutung von Ritualen in der Krippe

Sicher haben Sie das auch schon einmal erlebt: Sie mochten mit den Kindern im Morgenkreis ein neues Lied singen, haben recherchiert und sich auf ein spannendes Thema vorbereitet und freuen sich auf etwas Abwechslung in der Morgenrunde. Einige Kinder schauen jedoch irritiert, andere vielleicht sogar etwas verängstigt und einige fordern „ihr“ Lied ein. Wo Erwachsene mal eine Abwechslung brauchen, verlieren Kinder schnell den Überblick, wenn sich an den für sie wichtigen Fixpunkten in ihrem Alltag etwas verändert; daher sind Rituale für sie sehr wichtig!

Besonders jüngere Kinder brauchen Kontinuität und Rituale, an denen sie sich orientieren können, damit die Welt um sie herum überschaubar und somit berechenbarer ist. Ein ritualisierter Tagesablauf in der Krippe trägt dazu bei, dass die Kinder zunehmend selbstständig werden.

Ein stetiger Kreislauf

Am Morgen geht es auf vier Beinen, am Mittag auf zwei und am Abend auf drei Beinen. Was ist das? (Der Mensch in seiner Entwicklung vom Baby zum Greis.)

Dieses uralte Rätsel zeigt auf, dass unser Leben gegliedert und gleichzeitig ein fließender Ablauf ist. Wir werden geboren, altern und sterben. Der Ablauf eines Jahres, eines Monats, einer Woche oder eines Tages verläuft nach den gleichen Gesetzmäßigkeiten. Wir entwickeln uns in einem natürlichen Wechsel und erleben gleichzeitig eine verlässliche Wiederkehr. In einer Dynamik von Spannung und Entspannung erweitern wir unsere Fähigkeiten und Einsichten und verändern fortlaufend unser Verhalten. Damit wir das können, greifen wir immer wieder auf uns vertraute Elemente und Gewohnheiten zurück (vgl. Bodenburg /Kollmann 2011).

Rhythmus liegt uns im Blut

Unser Leben verläuft nach biologischen Rhythmen. Unser Organismus ist beeinflusst vom Wechsel der Jahres- und Tageszeiten. Alle Körperfunktionen sind von einem biologischen Rhythmus, der etwa 24 Stunden umfasst, abhängig (vgl. Bodenburg/Kollmann 2011). Besonders beim Schlaf-Wach-Rhythmus wird deutlich, wie unsere biologische Uhr funktioniert. Dieser Rhythmus verändert sich im Leben mehrfach und passt sich unserer Entwicklung an. Bei manchen Menschen weicht die 24-Stundendauer auch etwas ab. Je nachdem ob wir eher „Nachteulen“ oder „Lerchen“ sind, verrückt der Tag- und Nachtwechsel individuell.

Dem Rhythmus Rechnung tragen

„In allen Kulturen regeln Wertevorstellungen, Gebräuche, Rituale und Normen die Jahres- und Tagesabläufe. Damit ist sichergestellt, dass Wachen und Schlafen, Essen und Verdauen sowie der Wechsel zwischen Kraftentfaltung und Ruhigstellung einander ergänzen können und den ihnen zukommenden Platz erhalten“ (Bodenburg/Kollmann 2011, S. 67-68).

Mit einem dementsprechenden Tagesablauf in der Krippe schaffen wir die Basis für Sicherheit im Spannungsfeld zwischen Beständigkeit und neuen Erfahrungen. Am Vormittag ist die Aktivität am größten, fällt in der Mittagszeit ab und steigt nach dem Mittagsschlaf wieder an. Erst wenn die Grundbedürfnisse der Kinder erfüllt sind, können sie sich neuen Anforderungen widmen. Anderenfalls können die Kinder mit Anzeichen von Überforderung, wie quengeln, weinen, Unruhe oder aggressivem Verhalten, reagieren. Daher sollte der Tagesablauf immer auch Raum für die individuellen Rhythmen der Kinder bereithalten. Gerade zu Beginn der Krippenzeit müssen sich die Abläufe der Kinder von zu Hause dem Tagesablauf in der Kindergruppe langsam angleichen
können.

So viele Eindrücke

Ein Tag in der Krippe ist voll mit Anforderungen, die verarbeitet werden müssen. In einem Haus für Kinder gibt es viele Erwachsene und andere Kinder, die Neues und Spannendes in das Gruppenleben einbringen. Junge Kinder sind besonders empfänglich für alle Reize in ihrer Umwelt und nehmen die Welt mit all ihren Sinnen wahr. Für sie ist jedoch alles neu und sie müssen die vielen Eindrücke erst sortieren, verstehen und in eine für sie sinnvolle Verbindung bringen. „Damit es das kann, braucht es eine Umgebung, einen Rahmen, eine menschliche Begleitung, die ihm nicht nur die äußere Gelegenheit hierzu schafft, sondern auch die emotionalen Bedingungen Gewähr leisten, unter denen sich das Kind seiner Aufgabe hingeben kann. Hier sind es emotionale Sicherheit, unaufdringliche, schwebende Aufmerksamkeit der Erwachsenen, die diesen Rahmen bieten“ (Schäfer 2005, S. 82).

Bedeutung von Ritualen

Rituale haben eine mehrfach bedeutende Funktion. Durch immer wiederkehrende Rituale wird der Alltag der Kinder in für sie überschaubare und damit zu bewältigende Etappen eingeteilt. Gerade am Beginn der Krippenzeit können noch Unsicherheiten, Ängste und Spannungen bei den Kindern bestehen. Durch Rituale können diese abgebaut werden und schaffen Vertrauen in die neue Situation und die neuen Bezugspersonen.

In Übergangssituationen müssen die Kinder sich ständig in neuen Situationen, in anderen Räumen, mit anderen Personen zurechtfinden. Rituale unterstützen diese Prozesse und geben ihnen ein Gefühl von Sicherheit. Sie sind vorbereitet, können sich besser orientieren und damit aktiv beteiligen. Das Ich-Gefühl wird gestärkt, die Kinder erwerben in diesem sicheren Rahmen wichtige Kompetenzen. „Ein strukturierter Ablauf hilft außerdem, eine Gruppe von Kleinkindern, die in ihrem Verhalten noch sehr spontan und im Gefühlsleben weniger reguliert sind, durch den Tag zu begleiten“ (Kleemiß 2011, S. 7). Rituale fördern weiterhin den Zusammenhalt in der Gruppe und stärken ein Wir-Gefühl. Die sich wiederholenden Aktivitäten mit den anderen Kindern der Gruppe schafft Verbundenheit und damit Sicherheit zum Ausprobieren von sozialem Miteinander. Die Kinder erfahren ein Gefühl der Zugehörigkeit und somit Werte und Normen in einer Gemeinschaft.

Anfang und Ende

Das Ankommen am Morgen, Essenssituationen, Schlafen und Pflegesituationen sind immer wiederkehrende Ereignisse im Tagesablauf der Kinder die den Tag in Etappen einteilen, die ein Anfang und ein Ende haben. „Diese Situationen sind für das kindliche Erleben prägnant, weil in ihnen die Verbundenheit mit der Gruppe und den Erwachsenen dabei spürbar wird. Ein Anfangs- und ein Übergangsritual halten diese Etappen zusammen und unterstützen die Konzentration der Kinder. Sie können auf diese Weise „soziale Skripte“ für bestimmte Handlungseinheiten entwickeln, die durch die tägliche Wiederholung immer wieder abgesichert werden“ (Viernickel in Kleemiß 2011, S. 7).

Kleine Kinder sind zeitlos

Junge Kinder haben ein Zeitempfinden, was sich von dem der Erwachsenen grundlegend unterscheidet. Sie teilen die Zeit nicht linear in Minuten, Stunden und Tage ein. Zeit ist für junge Kinder eher eine Abfolge von Ereignissen. Sie entwickeln schon früh eine Vorstellung über die Reihenfolge häufig erlebter Handlungen in einem bestimmten Zeitfenster und können diese innerlich organisieren. Zeit wird eher als ein Kreislauf erlebt. Diese Vorstellung ist beruhigend und geradezu heilsam (vgl. Schabel in Kleemiß 2011). Kleine Kinder sind immer im „Hier und Jetzt“ und wollen alles in ihrem Tempo und in Ruhe „zu Ende“ machen. Die Struktur des Tagesablaufs in der Krippe sollte daher flexibel sein und ausreichend Platz für die individuellen Rhythmen, aber auch Ideen
der Kinder bieten.

Tipps für Ihre Praxis

Begrüßung: Wie wichtig die Planung dieser Übergangssituationen ist, zeigt das Ankommen am Morgen. Jedes Kind und auch die Eltern wollen gesehen und begrüßt werden. Jedes Kind, jede Familie hat hier eigene Vorstellungen und wartet darauf, mit einem kleinen Ritual empfangen zu werden.

Teamwork: Gehen Sie in den Austausch mit Ihren Kollegen und stellen Sie ein gutes Ankommen in der Gruppe sicher. Sind die Dienstzeiten zum Beispiel so geplant, dass sich eine Erzieherin auf das Begrüßen der Kinder konzentrieren kann? Kennt sie die individuellen Rituale aller Kinder?

Übergangssituationen: Kinder möchten selbständig werden und „alles alleine machen“: Schuhe anziehen, essen, Händewaschen usw., das braucht Zeit. Planen Sie für die Übergänge von einer in die andere Situation ausreichend Zeit ein.

Übergangsbegleiter: Begleiten Sie alle Situationen wie z. B. das Anziehen und Rausgehen in den Garten, Räume wechseln (ins Bad oder Turnraum) und Pflegesituationen mit kleinen Geschichten oder Liedern. Für junge Kinder sind einfache Melodien mit Texten, die das beschreiben, was sie sowieso gerade tun, leicht zu erfassen und wiedererkennbar. Wenn es noch keinen Song für Ihre Situation gibt, dann werden Sie zum Songwriter.

Hörbare Veränderung: Akustische Signale wie ein Glöckchen oder ein Gong können den Kindern anzeigen, dass sich jetzt etwas verändert, z. B. das gleich aufgeräumt wird und dann das Mittagessen folgt.

Sinnvolle Rituale: Gestalten Sie Ihren Alltag mit den Kindern nach immer wiederkehrenden Mustern und Regeln. Gibt es zum Beispiel eine „Sitzordnung“ im Morgenkreis oder in Essenssituationen, oder suchen die Kinder sich ihren Platz selbst aus? Markieren Sie die Plätze der Kinder z. B. mit einem Foto des jeweiligen Kindes.

Signalfunktion: Gemeinsame Fingerspiele oder Tischsprüche machen viel Spaß und zeigen den Kindern an: „Jetzt geht es los“. Binden Sie die Kinder in die tägliche Vorbereitung dieser Rituale mit ein. Besonders Krippenkinder helfen gern beim Tischdecken, Tische abwischen, Lätzchen holen oder wegbringen o. Ä.

Schlafrituale: Besonders die Gestaltung der Schlafenssituation trägt dazu bei, dass die Kinder nach einem aufregenden Vormittag gut zur Ruhe kommen. Schaffen Sie einen konstanten Rahmen, indem Sie im Vorfeld planen: Wer gestaltet diese Situation? Wer übernimmt, wenn diese Kollegin nicht im Hause ist? Sind die Rituale und Regeln (evtl. Schlafplätze) in der Situation allen bekannt? So ist sichergestellt, dass auch bei Personalwechsel für die Kinder die Situation nicht aus den Fugen gerät.


Ich kenne mich aus: Visualisieren Sie die Abläufe Ihrer Einrichtung mit Fotos oder Symbolen. Das schafft weitere Orientierungshilfen für die Kinder. An einem Tagesablauf mit Fotos der einzelnen Tagesabschnitte können die Kinder auch im Laufe des Tages immer wieder abgleichen, wo am Tag sie sich gerade befinden, aber auch „Wann die Mama wiederkommt“. Im Morgenkreis kann ein Körbchen mit laminierten „Angebotskärtchen“ die Wahl erleichtern, welches Lied gesungen werden soll oder was es als Nächstes tun möchte. Diese zusätzlichen Ausdrucksmöglichkeiten bieten den Kindern die Möglichkeit der Partizipation.

Wichtiger Punkt im Tagesablauf: Der Morgenkreis schafft ein Gefühl von Zugehörigkeit. Ganz nebenbei werden hier auch Naturwissenschaften wie Mathematik und der Verlauf der Zeit erlebt. Wir zählen die Kinder und stellen fest: „Wer ist heute da und wer fehlt?“, vielleicht wird ein Kalender gestellt oder kurz nach dem Wetter geschaut.

Klare Strukturen: Beim Morgenkreis wird deutlich, wie flexibel die Struktur auf die Bedürfnisse der Kinder reagiert werden muss. Junge Kinder können sich noch nicht so lange konzentrieren. Dem muss Beachtung geschenkt werden, indem die Runde max. 15 bis 20 Minuten dauert und dem Bewegungsbedürfnis der Kinder entsprochen wird. Einige Kinder möchten aber auch lieber etwas anderes machen oder lieber zuschauen.


„Der 365-Steine-Kalender“
Hierfür benötigen Sie zwei große Gläser, die 365 Steine fassen. Ein Glas wird am Anfang des Jahres mit den Steinen gefüllt. Jeden Morgen wechselt dann ein Stein aus dem einen Glas in das andere.


Literatur

  • Bodenburg, Inga/Kollmann, Irmgard: Frühpädagogik – arbeiten mit Kindern von 0 bis 3 Jahren. Bildungsverlag EINS 2011
  • Kleemiß, Hannelore: Rhythmus, Konstanz, Rituale und ihre Bedeutung für die pädagogische Arbeit mit Kindern in den ersten drei Lebensjahren. KiTaFachtexte 2011 Abrufbar unter: www.kita- fachtexte.de/uploads/ media/FT_kleemissII_rhythmus_2011. pdf (Stand: November 2017)
  • Schäfer, Gerd E. (Hrsg.): Bildung beginnt mit der Geburt. Ein offener Bildungsplan für Kindertageseinrichtungen in Nordrhein- Westfalen. Beltz, 2005
  • Schnabel, Michael: Die Vielfalt kindlichen Zeiterlebens. In: Frühe Kindheit 5/10. Deutsche Liga für das Kind, 2010
  • Viernickel, Susanne/Völkel, Petra: Fühlen, bewegen, sprechen und lernen. Meilensteine der Entwicklung bei Kleinstkindern. Bildungsverlag EINS, 2009


Übernahme des Beitrags mit feundlicher Genehmigung aus
klein&groß 02/03-2018, S. 14 - 17


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