Ärger, Wut und Agressionen

Ursachen und professioneller Umgang

Der professionelle Umgang mit Ärger, Wut und Aggressionen fordert PädagogInnen viel ab. Im Kindergartenalltag gibt es täglich Situationen, in denen es zu Konflikten kommt, welche mit aggressiven Reaktionen verbunden sein können. Situationen, in denen Kinder Spielzeuge entwenden, ein anderes Kind schubsen, um als erstes an das Ziel zu gelangen oder wütend schreien. Besonders in einer größeren Kindergruppe häufen sich diese Situationen und stellen die Geduld und Nerven der PädagogInnen auf eine harte Probe.

Zeigen sich Kinder aggressiv, so geht es ihnen immer um ein Voranschreiten. Dieses bringt jedoch auch oft das Zurückdrängen eines anderen Kindes mit sich. Auf den ersten Blick wirkt aggressives Verhalten daher wie ein Angriff, der die bewusste Schädigung des Gegenübers zur Folge hat (vgl. Focali 2011, S. 28).

Früher reagierten Erwachsene auf Aggressionen, Ungehorsam und Auflehnung meist mit Autorität, Macht und Bestrafung. Mit dieser Erziehung wurden Generationen konfrontiert und einige Ausläufer dieser Erziehungsform sind in der Pädagogik und in der Erziehung heutzutage noch spürbar (vgl. Juul 2014, S. 30).

Eine Vielzahl von PädagogInnen haben sich auf den Weg begeben, diese veralteten Sichtweisen zu durchbrechen. Sie streben an, mit den Kindern in einen durch Wertschätzung geprägten Dialog zu gehen und jedes der kindlichen Gefühle anzuerkennen. Dabei sollten sie vermeiden,  Gefühle  zu bewerten. Aufgabe von PädagogInnen ist es, die Kinder im Umgang mit den Gefühlen zu begleiten und zu unterstützen. Hierfür ist ein fundiertes Wissen über die kindliche Entwicklung von Nutzen. Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, wie sich Ärger und Aggressionen im Säuglings- und Kleinkindalter entwickeln.

Ärger und Aggression im Säuglings- und Kleinkindalter

Ärger wird als ein wichtiger nachweisbarer Zustand für Aggressionen angesehen. Es ist das erste Indiz, auf welches eine aggressive Handlung folgen kann. Bereits zwei Monate alte Säuglinge können Frustration und Ärger empfinden, Erwachsene interpretieren diese Äußerungen manchmal als feindselig - was aus der kindlichen Gefühlsäußerung mehr macht als das Kind überhaupt schon leisten kann. Mit sieben Monaten zeigen Kinder sich bereits verärgert, wenn ihnen etwas, womit sie sich beschäftigt haben, entwendet wird. Bei mehrfacher Wiederholung verstärken sich dieser Ausdruck und die Reaktion. Sie intensiviert sich zusätzlich, wenn die Person, die den Gegenstand entzieht, dem Kind vertraut ist (vgl. Dornes 2013, S. 260 ff.). Erste aggressive Handlungen wie Beißen, Kratzen ohne den Ausdruck von Ärger sind bereits im Alter von sechs Monaten beobachtet worden (vgl. ebd., S. 262 f.).

Mit zunehmendem Alter nimmt auch das Bedürfnis nach Autonomie zu und der Bewegungsradius erweitert sich. Die Neugierde und der Drang des Entdeckens verstärken sich zunehmend. Diese Veränderungen bringen auch Gefahren und demzufolge Grenzen und Verbote der Erwachsenen mit sich. In bestimmten Situationen ist ein Eingreifen von Erwachsenen nötig, um das Kind, andere Lebewesen oder Gegenstände zu schützen. Werden Kinder in ihrem Tun und ihrer Selbstbehauptung eingeschränkt, so ärgern sie sich. Dieses Gefühl wird geschwächt, wenn das Kind seine Handlung fortsetzen kann, vielleicht in einer anderen Form. Wird das Kind hingegen beschimpft, „[…] so wird es sich bedroht (frustriert) fühlen und reaktive, selbst­schützende Aggressionen mobilisieren“ (Dornes 2013, S. 253). Problematisch wird es, wenn die Selbstbehauptung des Kindes öfter behindert wird. Aus diesen häufigen Unterbrechungen der Selbstbehauptung und dem Bedürfnis zu explorieren, kann eine ernsthafte Aggression entstehen. An dieser Stelle gilt es das Kind einfühlsam und liebevoll zu begleiten und vor der Gefahr zu schützen.

Im Alter von circa sechs bis sechzehn Monaten wird Ärger auch durch Kratzen, Beißen oder Schubsen zum Ausdruck gebracht. Diese Handlungen haben aber nicht das Ziel, andere zu schädigen. Es geht vielmehr darum, beispielsweise einen beliebten Gegenstand zu erlangen (vgl. Dornes 2013, S. 264 f.). In der Kindertagesstätte haben Kinder im jungen Alter von circa achtzehn Monaten gewöhnlich viele kleine Konflikte (50 %). Aggressiv geprägte Interaktionen sind gehäuft zu beobachten.

 Wie Kinder auf Konflikte und Kränkungen reagieren, ist stark von dem Umgang der Eltern mit diesen Situationen in den ersten eineinhalb Jahren abhängig. Kein Kind ist vor Verletzung gänzlich bewahrt, jedoch lindert ein feinfühliger Umgang mit dem Schmerz erheblich die Last. Bleiben hingegen sensible Antwortreaktionen aus, so ist eine Transformation des Schmerzes in Aggressionen möglich. Feindseligkeit ist nicht angeboren, sondern entwickelt sich und ist häufig die Folge eines lieblosen Umgangs und einer bestrafenden und harten Erziehung (vgl. ebd., S. 271).

Mit zweieinhalb Jahren werden nur noch 20 % an konflikthaften Kontakten beobachtet, die größtenteils von den Kindern ohne das Eingreifen von Erwachsenen gelöst werden (vgl. ebd., S. 268). In diesem Alter entstehen Konflikte zumeist auf Grund von Exploration, Assertion, Handlungsunterbrechungen und auf Grund von „Einsamkeit und Langeweile“ (Haug-Schnabel 2011, S. 54). Im Alter von zwei bis vier Jahren ist häufig von einer instrumentellen Aggression auszugehen (beispielsweise um einen  gewünschten Gegenstand zu bekommen). Mit vier bis fünf Jahren setzen die Kinder verstärkt verbale feindselige Aggression ein und die instrumentelle Aggression nimmt ab.

Der Einfluss des Temperaments

Eltern fragen sich häufig, warum Kinder unterschiedlich auf Ärger und Frustration reagieren. Sie vergleichen die Geschwister oder Kinder aus der Bekanntschaft miteinander und wundern sich, woran es liegt, dass das eine Kind beim Wegnehmen eines Spielzeuges wenige Reaktionen zeigt, während ein anderes Kind vor Ärger kocht. Gleichzeitig  fällt auf, dass die Reaktionen auf eine Störung bei dem gleichen Kind meist ähnlich ausfallen.

Es gibt drei Temperamentgruppen: schwierig, langsam auftauend und pflegeleicht. Kompliziert gestalten sich die schwierigen und langsam auftauenden Temperamenttypen. Während ein schwieriges Temperament bereits im Kleinkindalter auffallen kann, zeigen sich die langsam auftauenden Typen meist erst mit der wachsenden Anforderung im Grundschulalter. Dabei stellt nicht das Temperament als solches eine Schwierigkeit dar, sondern die Umweltanforderungen und der Umgang und die Reaktionen der Bezugspersonen darauf. Kinder mit schwierigem Temperament benötigen von ihren Bezugspersonen einen erhöhten Zeit- und Kraftaufwand sowie erhöhte Feinfühligkeit. Werden die kindlichen Bedürfnisse nicht gestillt und deren Äußerungen überhört, ist eine starke und spontane Aggression beim Kind wahrzunehmen (vgl. Haug-Schnabel 2011, S. 49 ff.).

Aggressionen und Gefühle

Aggressionen treten schneller auf, wenn ein bestimmtes Ausmaß an Frustrationen besteht. Wer Wut äußert, möchte auf etwas Störendes hinweisen, unter Umständen Aufmerksamkeit erlangen oder etwas verändern. Durch die freigesetzten Energien und ausgeschütteten Hormone erhöht sich die Risikofreudigkeit. Bei großer Wut ist Nachdenken kaum möglich. Der Körper scheint zu reagieren und zu handeln, ohne den Kopf dabei einzuschalten. Die Wut unterbindet das sachliche Denken sowie logisches Handeln. Wenn die Erregung  verstärkt wird, verfällt  das Kind nahezu in einen Rausch und reagiert unkontrolliertt. Diesen Ablauf gilt es zu durchbrechen. Hierfür ist es notwendig, Signale frühzeitig zu erkennen, bevor die Stimmung kippt und die Denkfähigkeit stark eingeschränkt wird. In ruhigen und bedachten Momenten gilt es mit dem Kind die erregten Situationen zu besprechen und mögliche Handlungen einzustudieren. Dies ist hingegen nur möglich, wenn das Kind entspannt ist. Mindestens ebenso wichtig ist es für Erwachsene, die zum Ausrasten neigen, korrekte Handlungen einzustudieren (vgl. Haug-Schnabel 2011 S. 86 ff.).
 
Kinder müssen erfahren und erleben, dass Wut ein Gefühl ist, welches zum Leben dazu gehört. Dazu brauchen sie Erwachsene, die sie unterstützen und begleiten, die Ursachen für das Wutgefühl oder andere aufkommende Gefühle hinterfragen und geeignete Umgangsformen aufzeigen. Das Gefühl zu tabuisieren oder gar zu bestrafen, ist hingegen  hinderlich.

Was kann die Fachkraft in der Kita tun?

Die Umgebung hat einen bedeutenden Einfluss auf den Aggressionspegel einer Einrichtung. Erforscht wird dies bereits umfassend im Bereich der Schule, aber auch auf die Kitas ist einiges übertragbar. Große Kindergruppen, welche viel Zeit miteinander in einem Raum verbringen,  fördern die Aggressionsbereitschaft der Kinder, dies wurde durch. Forschungen bewiesen. Die Konflikthäufigkeit kann durch Kleingruppenarbeit mit unterschiedlichen Angeboten und Anforderungsniveaus verringert werden (vgl. Haug-Schnabel 2011, S. 93). Neben dem Raum ist die PädagogIn eine entscheidende Größe. Sie hat den größten Einfluss auf die Regulation der Aggressionen. Verschiedene Studien haben bewiesen, „[…] dass eine positiv gestimmte, heitere, präsente, sensible und antwortbereite ErzieherIn nicht nur großen Einfluss auf die kognitive und sprachliche Entwicklung eines Kindes hat, sondern auch auf seine Kontaktaufnahme und seinen Umgang mit den Kindern“ (ebd., S. 93). Mit Hilfe der PädagogIn gewinnt das Kind gute Kontakte mit anderen Kindern und gestaltet sie bewusst. Dadurch wird das Gruppengefüge gestärkt und die negative Sicht auf andere Kinder verringert sich.
 
PädagogInnen haben dabei hohe Anforderungen zu erfüllen. Dazu ist die Erfüllung von  Qualitätsstandards erforderlich, die  nicht verhandelbar sein dürfen. Hierzu gehört die fachliche Qualifikation der PädagogIn, die verlässliche Betreuungs­beständigkeit und die Zusammensetzung der Kindergruppe. Hinderlich sind unstrukturierte Tagesabläufe, Unregelmäßigkeiten durch die begleitenden PädagogInnen, unorganisierte Schichtwechsel ohne klare Übergaben sowie geringe individuelle Kontakte zwischen Kindern und PädagogInnen (vgl. ebd., S. 93 f.).
 
Eine weitere Gefahrenquelle ergibt sich durch eine unzureichende PädagogIn-Kind-Relation. Ist eine PädagogIn mehrere Stunden am Tag mit vielen Kindern allein, kann dies zur Überforderung und Überbelastung bis hin zur innerlichen Resignation führen. Die schlechten Rahmenbedingungen lassen Schuldgefühle erwachsen, da sie nicht ihrer Qualifikation entsprechend arbeiten kann. Dies wiederum kann bei den zu betreuenden Kindern zu Aggressionen oder auffälligem Verhalten führen. Einige Kinder werden laut und streben nach der benötigten Aufmerksamkeit. Andere werden eher leise, funktionieren und passen sich dieser Situation an. Diese Kinder sind bis zur Pubertät eher unauffällig, später hingegen sind einige von ihnen in kinder- und jugendpsychiatrischer Behandlung. Unkomplizierte und „leicht zu handhabende Kinder“ sind nicht zugleich auch glückliche Kinder (vgl. Juul 2014, S. 19 f.).
 
Kinder benötigen PädagogInnen, die sich Tag für Tag mit all ihren Sinnen auf die Gefühle und Entwicklungsaufgaben der Kinder einstellen können, um diese wertschätzend und einfühlsam zu begleiten. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn die Arbeitsbbedingungen es ihnen ermöglichen, qualitativ hochwertige Arbeit zu leisten.
 
 

Literatur


  • Dornes, M. (2013): Die frühe Kindheit. Entwicklungspsychologie der ersten Lebensjahre. Frankfurt am Main (10. Auflage)
  • Focali, E. (2011): Aggressionen und Gewalt begegnen. Konfliktbewältigung in der Kita. Köln (1. Auflage)
  • Haug-Schnabel, G. (2011): Aggressionen bei Kindern. Praxiskompetenz für Erzieherinnen. Freiburg im Breisgau (2. Auflage)Juul, J. (2014): Aggression: Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist. Frankfurt am Main
  • Juul, J. (2014): Aggression: Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist. Frankfurt am Main

Übernahme des Beitrages mit freundlicher Genehmigung von Frühe Bildung Online



Verwandte Themen und Schlagworte