Selbstbildentwicklung im Vorschulalter

Jedes Kind braucht Kompetenzen und Selbstbewusstsein. Vor allem wenn ein großer Schritt wie der Übergang vom Kindergarten zur Grundschule ansteht. Für die Entwicklung eines gesunden Selbst-Bewusst-Seins ist ein positives Bild von sich eine wichtige Voraussetzung. Finden Sie hier Anregungen, wie Sie die Selbstbildentwicklung bei Ihren künftigen Schulkindern positiv unterstützen können.

Auch wenn die Entwicklung des Selbstbildes schon sehr früh in den ersten Lebensjahren beginnt, gewinnt das Thema der Identität immer mehr an Bedeutung: wer bin ich, was kann ich, was will ich? Das Bild, das ein fünf- bis sechsjähriges Kind von sich selbst entwickelt, bestimmt sein weiteres Denken und Handeln bis weit ins Erwachsenenalter hinein.

Da Kinder ihr Bild von sich im lebendigen Austausch mit ihren wichtigsten Bezugspersonen entwickeln, zu denen die Erzieherinnen auf jeden Fall gehören, spielen deren Äußerungen und deren Verhalten eine wichtige Rolle. Worte, Mimik, Ton und Gesten der Bezugspersonen wirken wie ein Spiegel, in den das Kind schaut. Jede Reaktion ruft bei ihm bestimmte Empfindungen hervor, so kann es sich z. B. geschätzt und angenommen oder aber abgelehnt und beurteilt fühlen. Dies ist ein lebendiger Entwicklungsprozess zwischen Selbstausdruck und Anpassung, der für die Bezugspersonen bisweilen auch schon einmal zu einer Herausforderung werden kann.

Wer bin ich?

Je achtsamer Erzieherinnen im täglichen Zusammensein mit Kindern mit Bewertungen und Urteilen umgehen, umso mehr können sie ihnen helfen, Zutrauen zu ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten zu gewinnen, und sie so bei der Entwicklung eines positiven Selbstbildes unterstützen. Umgekehrt werden Kinder vorsichtig, ängstlich und unsicher, wenn sie befürchten, negativ bewertet zu werden. Sie lernen eher ihre eigenen Fähigkeiten selbst in Gedanken abzuwerten und in Frage zu stellen. Eigeninitiative, Einfallsreichtum und Kreativität fallen diesen Denkprozessen leicht zum Opfer: „Bevor ich Ärger bekomme, lasse ich es lieber.“

Dabei entsteht die Tendenz, Eindrücke so wahrzunehmen, dass sie das Selbstbild bestätigen.Mit circa vier Jahren lernen Kinder ihre Aktivitäten nach Erfolg und Misserfolg einzuschätzen und entsprechend sich und ihre Fähigkeiten zu bewerten. Sie brauchen Interesse an ihren Fortschritten und Anerkennung. Zu hohe Leistungsansprüche können kindgemäße Unbekümmertheit und Neugier leicht zerstören und das Selbstbild nachhaltig beeinflussen in Richtung Selbstüberforderung oder Selbstunsicherheit.

Eine wichtige Rolle für die Entwicklung der Identität spielt auch der familiäre Hintergrund, die Familiengeschichte, mit der Kinder in eine Einrichtung kommen. Erzählen Eltern, Großeltern oder andere wichtige Bezugspersonen Erlebnisse und Erfahrungen aus ihrem eigenen Leben, oder selbst wenn es nur Andeutungen und eher beiläufige Bemerkungen gibt, dann hören Kinder sie. Je näher ihnen die erzählende Person steht, desto leichter nehmen sie die Gefühle, die Gedanken und Einstellungen auf und sie werden Teil ihres eigenen Fühlens und Handelns, ihres Bildes von sich selbst.


„Unpassende“ Erfahrungen werden abgewehrt oder ignoriert. Ein Kind oder ein Jugendlicher, zu dessen Selbstbild es gehört, er sei unbeliebt, neigt eher dazu, eine besondere Anerkennung seiner Person zu überhören oder abzuwerten, um bei seinem Bild von sich zu bleiben. Erlebt es auf seine Selbstäußerungen immer wieder wertende Urteile und Zuschreibungen (wie z. B. „Der ist hyperaktiv, zurückgeblieben“ o. Ä.), die dann auch noch von anderen Kindern und Erwachsenen aufgenommen werden, kann es sein, dass ein Kind sein Bild von sich den Aussagen anpasst und dann gegebenenfalls die Erwartungen erfüllt. Nicht wenige der sogenannten Verhaltensstörungen sind sehr oft unbewusste Ausdrucksweisen des Selbstbildes (vgl. Krenz 2012).

Das „Lebensdrehbuch“

Wie ein Kind jedoch seine Eindrücke letztendlich für sich bewerten und verarbeiten kann und daraus sein ganz persönliches „Lebensdrehbuch“ entwickelt, wird auch noch von seinem Temperament, seinen familiären und kulturellen Lebensbedingungen beeinflusst. Untrennbar verbunden mit der eigenen Familie sind auch deren kulturelle Wurzeln. Mit ihnen wachsen Kinder auf und sie sind ein wichtiger Bestandteil ihres Selbstbildes. Wird diese Tatsache als selbstverständlich geachtet und erfährt ein Kind deshalb keine Abwertung oder Ausgrenzung, dann kann es sich zugehörig fühlen.

Probleme entstehen besonders dann, wenn Kinder durch Anpassung an die jeweilige Situation verschiedene Identitäten einnehmen (sollen) – zuhause eine in der Familie gelebte und vom jeweiligen kulturellen Hintergrund geprägte und in der Einrichtung eine andere. Hier benötigen sie Hilfe, die manchmal sehr verschiedenen Lebenswelten zu einem eigenen Selbstbild zusammenzubringen. Das geht nur mit der Erfahrung von Wertschätzung, von gegenseitigem Respekt und von Toleranz seitens aller Bezugspersonen.

Gerade die Qualität all dieser Lebenserfahrungen im Vorschulalter spielt eine wichtige Rolle. Wenn ein Kind erlebt, dass seine erwachsenen Bezugspersonen, wie die Erzieherinnen, die es täglich sieht, seine Gefühle ernst nehmen und ohne Wertung widerspiegeln, dann kann es lernen, mit diesen Gefühlen umzugehen. Die Gefühle und damit die Person des Kindes zu respektieren heißt aber nicht auch gleichzeitig alle Verhaltensweisen zu billigen. Besonders bei Konflikten z. B. gilt es, Lösungen zu finden, die einem Kind nicht seinen Willen an sich verbieten, sondern ihn anzuerkennen und ihm abzuwägen helfen, ob und wie das Anliegen umsetzbar ist. Ignorieren des Willens kann sich auswirken wie ein Verbot von Eigeninitiative und Selbstständigkeit.

„Ich-Bild“

Ein Kind, das das Gefühl dafür verliert, was es will, kann Schwierigkeiten entwickeln, sich zu orientieren und zu entscheiden, und es fehlt ihm gegebenenfalls der Mut dazu, Nein zu sagen, wann es wirklich angebracht ist. Werden Kinder besonders im Vorschulalter zum Lernen und Ausprobieren ermuntert, fördert dies den Spaß am selbstständigen Denken. Gemeinsam mit ihnen Lösungswege für die unterschiedlichsten Alltagsprobleme zu suchen, fördert die Entwicklung von Verantwortungsbewusstsein und ist entscheidend für das Gefühl, auf das eigene Leben Einfluss nehmen zu können, was wiederum das Selbstbewusstsein stärkt. Auch kleine Hilfsaufgaben gegenüber den neuen kleinen Kindern in der Einrichtung können soziale Kompetenzen fördern und stärken ein entsprechendes Bild von sich. Gerade die Großen in der Kita brauchen diese Ermunterung.

Hilfreich für die Entwicklung des Selbstbildes sind PortfolioPortfolio||||| Ein Portfolio bezeichnet ursprünglich  eine Sammlung von Objekten eines bestimmten Typs. Im  Handlungsfeld frühkindliche Bildung werden Portfolios beispielsweise wie "Ich- .Mappen" für Kinder genutzt um eigene Fortschritte zu dokumentieren. Auch in Studiengängen gibt es Beispiele, wo Portfolios als Prüfungsleistung oder Dokumentation von Entwicklungen zählen können. s und andere kreative Möglichkeiten: z. B. ein Ich-Bild. Hier malt oder schreibt jedes Kind auf,
  • was es gerne isst und was es nicht gerne essen mag,
  • was es gerne sieht und was es nicht gerne anschaut,
  • was es gerne hört (z. B. Musik) und was es nicht hören mag (z. B. Schimpfen und Streit der Eltern),
  • was es gerne riecht und was nicht,
  • was es gerne anfasst (z. B. den Teddy) und was nicht,
  • was es gerne tut und gut kann und was es nicht machen mag.


Literatur

  • Friedrich, Hedi: Beziehungen zu Kindern gestalten. Cornelsen Verlag, 2014
  • Krenz, Armin: Kinderseelen verstehen: Verhaltensauffälligkeiten und ihre Hintergründe. Kösel Verlag, 2012

Weitere Beiträge zu diesem Thema können Sie hier downloaden:

Das letzte Jahr im Kindergarten. Wundertüten-Aktionen für Vorschulkinder
www.kleinundgross.de/kug20100739

Stärkung der Ich-Kompetenz und sozialer Fähigkeiten. Worauf es in der Vorschule ankommt ...
www.kleinundgross.de/kug20100710

Mit Schwung ins letzte Kindergartenjahr. Tipps und Impulse für die „Großen“
www.kleinundgross.de/kug20140648

Das Übergangsbuch. Dialoge im Übergangsprozess stärken
www.kleinundgross.de/kug20130638

Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus "klein und groß" 4-2017, S. 7 - 9


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