Ab wann haben Kinder mit Fluchterfahrung Anspruch auf einen KiTa-Platz?

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Flüchtlingskinder erhalten in der Praxis Zugang zu Leistungen der Förderung in Tageseinrichtungen und KindertagespflegeKindertagespflege|||||Kindertagespflege oder Tagespflege umfasst eine zeitweilige Betreuung von Jungen und Mädchen bei Tagesmüttern oder Tagesvätern. Nach dem Tagesbetreuungsausbaugesetz von 2004 ist die Tagespflege neben der Tagesbetreuung in Kindertageseinrichtungen eine gleichwertige Form der Kindertagesbetreuung.  „spätestens nach sechs Monaten“ oder erst dann, wenn die Asylbewerber/innen tatsächlich nach dem landesinternen Verteilungsverfahren untergebracht sind. Aus rechtlicher Perspektive haben die Kinder allerdings schon früher Anspruch bzw. eine Leistungsberechtigung als Ausländer/innen. Der Zeitpunkt bestimmt sich nach § 6 SGB VIII. In dessen Absatz 2 ist geregelt, unter welchen Voraussetzungen Ausländer Leistungen nach dem SGB VIII beanspruchen können. Weitergehend weist allerdings Absatz 4 auf die Vorrangigkeit des über- und zwischenstaatlichen Rechts hin.

Rechtmäßiger oder geduldeter, gewöhnlicher Aufenthalt (§ 6 Abs. 2 SGB VIII)
Ausländer/innen können Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe beanspruchen, wenn sie sich rechtmäßig oder aufgrund einer ausländerrechtlichen Duldung in Deutschland aufhalten (Meysen et al. 2016, S. 18, 52 ff.), wobei ein gewöhnlicher Aufenthalt begründet sein muss (§ 6 Abs. 2 SGB VIII).

Ein gewöhnlicher Aufenthalt ist gegeben, wenn die Umstände erkennen lassen, dass die betreffende Person in diesem Zuständigkeitsbereich nicht nur vorübergehend verweilt, wozu ein zukunftsoffener Verbleib genügt (§ 30 Abs. 3 S. 2 SGB I; BVerwG 30.9.2009 – 5 C 18.08; BVerwG 29.9.2010 – 5 C 21.09, JAmt 2011, 279; Unger 2014). Somit setzt die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts allein darauf ab, ob nach objektiven Umständen eine Ausreise aus dem Bundesgebiet nicht absehbar kurz bevorsteht und subjektiv die betreffenden Personen bis auf weiteres in Deutschland bleiben wollen. Sie setzt keinen Ablauf einer Frist oder das Durchlaufen formaler Verfahrensschritte voraus.

Das BVerwG hat klargestellt, dass ein/e ausreisepflichtige/r Ausländer/in auch dann einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland begründet, wenn der Aufenthalt rechtswidrig ist, aber mit einer unmittelbar bevorstehenden Abschiebung nicht zu rechnen ist (BVerwG 2.4.2009 – 5 C 2.08, JAmt 2009, 322; Lange 2014, § 6 SGB VIII Rn. 34). Somit haben Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft häufig bereits am Tag des Grenzübertritts einen gewöhnlichen Aufenthalt, wenn sie nach Deutschland kommen, um hier internationalen Schutz zu suchen und Perspektiven für ein Bleiben zu schaffen. Darauf, ob sich die Ausländer/innen bei ihrem Aufenthalt im Inland in einer Erstaufnahmeeinrichtung, einer Gemeinschaftsunterkunft oder anderweitig in Deutschland aufhalten, kommt es somit nicht an (a. A. noch OVG Magdeburg 13.9.1999 – A 3 S 638/98).

Tageseinrichtungen und Tagespflegestellen können Flüchtlingskinder somit regelmäßig aufnehmen und von deren rechtmäßiger Zugangsberechtigung ausgehen.

Internationales Recht gewährt Zugang wegen besonderer Schutzbedürftigkeit (§ 6 Abs. 4 SGB VIII)
Überstaatliches (Europarecht) und zwischenstaatliches Recht (völkerrechtliche Verträge) normieren weitergehende Leistungsberechtigungen für Ausländer/innen. Auf den ausländerrechtlichen Aufenthaltsstatus kommt es daher vielfach nicht entscheidend an. Denn das Europa- und Völkerrecht überspielt den eingegrenzten Geltungsbereich von § 6 Abs. 2 SGB VIII (Art. 23 Abs. 1, 25 GG i.V.m. § 6 Abs. 4 SGB VIII). Im vorliegenden Kontext der Förderung in Tagesbetreuung für Flüchtlingskinder ist maßgeblich die Vorschrift des Art. 5 Abs. 1 des Haager Kinderschutzübereinkommens (KSÜ). Danach ist auch Deutschland als Vertragsstaat des Übereinkommens für sogenannte „Schutzmaßnahmen“ zuständig, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Beide Voraussetzungen sind ausschließlich nach dem Verständnis des internationalen Privatrechts zu bestimmen.

Der Begriff der Schutzmaßnahme ist denkbar weit zu verstehen. Davon sind alle individuellen Maßnahmen erfasst, die im Interesse des Kindes erforderlich sind (BGH 20.12.1972 – IV ZB 20/72, NJW 1973, 417; Rauscher 2012, Rn. 940). Die individuellen Leistungen des SGB VIII und auch die bedarfsorientierten Leistungen der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege erfüllen alle Kriterien einer solchen Schutzmaßnahme (Hauck/Noftz/Bieritz-Harder 2013, § 6 SGB VIII Rn. 19; Wiesner/Elmauer 2015, § 6 SGB VIII Rn. 39; Jans u.a./Kunkel 2008, § 6 SGB VIII Rn. 78, 85; Kunkel/Fasselt/Kepert 2016, § 6 SGB VIII Rn. 16; DIJuF-Rechtsgutachten JAmt 2011, S. 459).

Im internationalen Privatrecht wird der „gewöhnliche Aufenthalt“ mittlerweile ähnlich wie in der sozial-rechtlichen Definition des § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I ausgelegt. Auch hier kommt es nicht auf die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts an, sondern allein darauf, ob das Kind seinen sogenannten räumlichen Lebens- oder Daseinsmittelpunkt im betreffenden Land hat. Sind Kinder mit ihren Familien nach Deutschland geflohen, haben sie regelmäßig im Ausland keinen gewöhnlichen Aufenthalt mehr. Wenn der Verbleib in Deutschland auf längere Zeit angelegt ist und die Aufgabe des Aufenthalts im Bundesgebiet, etwa aufgrund einer zeitnah bevorstehenden Abschiebung oder der geplanten Weiterreise in ein anderes Land, nicht absehbar ist, dann begründen Flüchtlingskinder regelmäßig schon mit der Einreise ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet. Eine Mindestdauer, bis von einem gewöhnlichen Aufenthalt ausgegangen werden kann, wird auch im internationalen Privatrecht nicht (mehr) gefordert.

Der Zugang von Flüchtlingskindern zu Leistungen der Förderung in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege besteht somit nicht erst nach der landesinternen Verteilung, sondern in der Regel von Beginn des Aufenthalts in Deutschland an.

Leistungsansprüche und Leistungsverpflichtungen

Flüchtlingskinder haben somit regemäßig die gleiche Leistungsberechtigung auf Förderung in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege wie alle anderen Kinder auch. Unterschieden wird in der maßgeblichen Vorschrift des Kinder- und Jugendhilferecht, dem § 24 SGB VIII, nur nach unterschiedlichen Altersgruppen.

So besteht für Kinder unter einem Jahr kein subjektiver, einklagbarer Rechtsanspruch auf Förderung, wohl aber eine objektiv rechtliche Verpflichtung des Jugendamts zur gewünschten Förderung in Tageseinrichtungen oder Kindertagespflege, wenn die in § 24 Abs. 1 SGB VIII genannten Kriterien erfüllt sind. Als Kriterien sind hier zum einen das kindbezogene Kriterium des Gebotenseins der Leistung für die kindliche Entwicklung (§ 24 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII) und zum anderen elternbezogene Bedarfe wie insbesondere die Erwerbstätigkeit und die Arbeitssuche sowie die Schul- oder Hochschulausbildung oder berufliche Bildungsmaßnahme genannt (§ 24 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII).

Für Kinder ab Vollendung des ersten Lebensjahres besteht dagegen seit 2013 ein subjektiver Rechtsanspruch auf Förderung in Tageseinrichtungen oder in Kindertagespflege, der nicht mehr vom Bestehen bestimmter Bedarfskriterien abhängig ist (§ 24 Abs. 2 SGB VIII). Er besteht als bedarfsunabhängiger Grundanspruch im Umfang eines mindestens vierstündigen Halbtagesplatzes an allen Wochentagen, der als Infrastrukturangebot vorzuhalten ist (Meysen & Beckmann 2013, Rn. 42, 133).

Daneben bestimmt sich der Umfang des Rechtsanspruchs für die Kinder, die mehr oder etwas Anderes benötigen, als vom bedarfsunabhängigen Grundanspruch umfasst ist, zusätzlich nach individuellen Bedarfskriterien (§ 24 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 24 Abs. 1 S. 3 SGB VIII). Umfasst sind davon alle objektivierbaren Gründe für einen vom Grundanspruch abweichenden Bedarf, die aufgrund der Zielsetzung des Gesetzgebers anzuerkennen sind. Im Fall von Flüchtlingskindern kommen kindbezogene Bedarfe in Betracht, wenn die Flüchtlingskinder einen besonderen Bedarf nach Integration und Sicherheit haben, der in Regelsystemen der Tagesbetreuung einen wichtigen Ort finden kann. Daneben kann elternbezogener Bedarf auch die Teilnahme an Integrationskursen und Sprachkursen sein.

Kinder, die über drei Jahre alt sind, haben bis zum Schuleintritt einen Rechtsanspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung (§ 24 Abs. 3 S. 1 SGB VIII). Für diesen Rechtsanspruch wird von einem Mindeststundenumfang von sechs Stunden vormittags ausgegangen (Münder u.a. & Lakies 2013, § 24 SGB VIII Rn. 17; Wiesner & Struck (2015), § 24 SGB VIII Rn. 58; Schellhorn, W. u.a. & Fischer, SGB VIII, 4. Aufl. 2012, Köln, § 24 Rn. 12). Zudem ist in Satz 2 der Vorschrift geregelt, dass die Träger der öffentlichen Jugendhilfe darauf hinzuwirken haben, dass für diese Altersgruppe ein bedarfsgerechtes Angebot an Ganztagsplätzen zur Verfügung steht.

Ob die Anpassung des individuellen Bedarfs auf die Teilnahme an Sprach- und Integrationskursen auch auf die Kinder im Kindergartenalter anzuwenden ist, lässt sich aufgrund der ausdrücklichen Bezugnahme der Gesetzesbegründung auf den Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren einerseits nicht ganz eindeutig bestimmen. Andererseits wird die Ausrichtung am individuellen Bedarf auch für diese Altersgruppe dazu führen müssen, dass die Teilnahme an Integrations- und Sprachkursen anzuerkennen ist, da auch hier spezifische Bedarfskriterien gerade nicht vorgesehen sind (so wohl auch BT-Drucks. 18/6439, S. 6, 7).

Für Kinder ab dem Schulalter schließlich besteht kein Rechtsanspruch auf Förderung mehr. Es ist aber für Kinder im Schulalter, also bis zum 14. Geburtstag ein bedarfsgerechtes Angebot in Tageseinrichtungen vorzuhalten (§ 24 Abs. 4 SGB VIII). Es besteht folglich wiederum eine objektiv-rechtliche Verpflichtung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe. Der Umfang richtet sich auch hier ausdrücklich nach dem individuellen Bedarf, so dass auch Kindern ab dem Kindergartenalter eine dem individuellen Bedarf entsprechende Betreuung während der Zeiten der Integrations- oder Sprachkurse grundsätzlich zu gewähren ist.

Keine Zugangsbarriere durch Fristen für Voranmeldung des Bedarfs

Einige Bundesländer sehen zur besseren Planbarkeit des Platzbedarfs Fristen vor, innerhalb derer die beabsichtigte Leistung angemeldet werden muss (so in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen). In Niedersachsen können die Kommunen eine Voranmeldefrist festsetzen (§ 12 Abs. 5 NdsKitaG).

Für Personen, die erst kürzlich in die jeweilige Kommune gezogen bzw. der jeweiligen Kommune zugewiesen wurden, stellen sich diese Fristen als nur schwer einhaltbar dar. Bundesrechtlich ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe verpflichtet, zum einen bei der bedarfsgerechten Angebotsplanung Vorsorge auch für unvorhergesehene Bedarfe zu treffen (§ 80 Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 2 SGB VIII) und zum anderen grundsätzlich bestehende Rechtsansprüche und objektiv-rechtliche Rechtspflichten durch landesrechtliche Vorgaben nicht zu gefährden. Landesrecht hat daher dafür Sorge zu tragen, dass Bedarfe auch dann erfüllt werden, wenn sie kurzfristig entstehen können und wenn dies von den Erziehungsberechtigten nicht zu vertreten ist, etwa weil diese aus Gründen eines Umzugs oder einer Geburt oder im Fall der kurzfristigen Aufnahme einer bedarfsbegründenden Tätigkeit kurzfristig einen Betreuungsplatz benötigen (Meysen & Beckmann 2013, Rn. 434).

In den Ländergesetzen finden sich deshalb in der Regel auch Vorgaben zu Ausnahmen von der Anmeldefrist. Zumindest sind solche im Wege bundeskonformer Auslegung in die landesrechtliche Vorschrift mit hineinzulesen, wenn entsprechende Auslegungsoffenheit nicht explizit angelegt ist. Unvorhergesehene Bedarfe, die etwa aufgrund einer kurzfristige Zuweisung an einen bestimmten Ort im Rahmen eines Verteilungsverfahrens entstehen, sind daher auch ohne Einhaltung einer Anmeldefrist immer zu berücksichtigen.

Elternbeiträge, Mittagessen und Ausflüge

Die Inanspruchnahme von Förderung in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege unterliegt einer pauschalierten Kostenbeteiligung der Eltern (§ 90 SGB VIII). Die Elternbeiträge sind von der Kommune vollständig oder teilweise zu erlassen bzw. zu übernehmen, wenn den Eltern die Belastung nicht zuzumuten ist (§ 90 Abs. 3 S. 1 SGB VIII). Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) ist die Zahlung eines Elternbeitrags für die Inanspruchnahme von Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege nicht zuzumuten. Der Beitrag ist vollständig zu erlassen bzw. zu übernehmen (§ 90 Abs. 3, 4 SGB VIII). Haben die Eltern eigenes Einkommen, gelten für die Kostenbeteiligung die gleichen Regeln wie für andere Eltern auch.

Zusätzlich besteht für Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG seit 1. März 2015 die Möglichkeit, die Übernahme der Mehrbedarfe bei den Kosten für die (Mittags-)Verpflegung oder der Kosten für die Teilnahme an Ausflügen durch die Tageseinrichtungen zu beanspruchen (§ 3 Abs. 3 AsylbLG i.V.m. § 34 SGB XII). Mit diesen Leistungen des sogenannten Bildungs- und Teilhabepakets (BuT) sollen Bedarfe für Bildung und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben gedeckt werden. Sie werden zusätzlich zu den Regelleistungen nach dem AsylbLG gewährt. Da bezüglich der gemeinschaftlichen Mittagsverpflegung in der Tageseinrichtung oder Tagespflegestelle nur Mehrbedarfe erfasst sind, haben die Eltern wegen der ersparten Ausgaben einen Eigenanteil in Höhe von einem Euro pro Tag zu zahlen (§ 9 Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz, RBEG). Kosten für ein- und mehrtägige Ausflüge mit der „Kindertageseinrichtung“ werden vollständig übernommen. Umstritten ist hier jedoch, ob der Anspruch auch bei einer Förderung in Kindertagespflege besteht (mit umfassenden Nachweisen Meysen & Beckmann 2016, S. 41). Sollen Flüchtlinge in die Lage versetzt werden, die Leistungen durch gesonderte Antragstellung bei der nach Landesrecht zur Ausführung des AsylbLG festgelegten Stelle zu beanspruchen, wird eine entsprechende Beratung und Hilfestellung entscheidend sein.

Ungleichbehandlung bei der Förderung von Flüchtlingskindern

Zwar haben Flüchtlingskinder, die sich nicht nur ganz vorübergehend in Deutschland aufhalten, einen Anspruch auf die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe bzw. sind die Träger der öffentlichen Jugendhilfe zur Leistung verpflichtet. Aber unterschiedliche Regulierungen und Mechanismen können den Zugang der Flüchtlingskinder im Vergleich zu den anderen Kindern deutlich einschränken. So besteht eine deutliche Einschränkung oftmals durch die strengen Regulierungen des Asyl- und Ausländerrechts. Das Diskriminierungsverbot der UN-Kinderrechtskonvention konfligiert mit den ausländerrechtlich determinierten Restriktionen bei der Teilhabe gegenüber Ausländer(inne)n, etwa der Wohnpflicht in Erstaufnahmeeinrichtungen (§ 47 AsylG).

Zugangshindernisse ergeben sich zudem meist daraus, dass Flüchtlingen, die in Deutschland ankommen, die deutschen Strukturen, Angebote und Verfahrensvorgaben wie Antragserfordernisse oder Behördenzuständigkeiten regelmäßig nicht bekannt sind. Erst wenn die Eltern der Kinder über die Möglichkeiten aufgeklärt und informiert wurden, haben Flüchtlingskinder daher tatsächlich die Möglichkeit zur Inanspruchnahme einer Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe trifft insoweit eine Pflicht zur Aufklärung (§ 13 SGB I) und zur Erteilung von Auskunft über alle sozialen Angelegenheiten nach dem SGB VIII (§ 15 Abs. 1 SGB I). Korrelierend haben die Flüchtlinge Anspruch auf entsprechende Beratung (§ 14 SGB I).

Die Kommunen als Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben einen weiten Gestaltungsspielraum, wie sie diese Ansprüche in den Erstaufnahmeeinrichtungen und in der späteren Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften oder anderen Wohnmöglichkeiten, beispielsweise durch Auskunft und Unterstützung durch Sozialarbeiter/innen oder Ehrenamtliche einlösen und ihre Pflichten erfüllen. Zusätzlich zur Kenntnis bedarf es für Flüchtlinge, denen die Strukturen von Staat und Gesellschaft in Deutschland noch nicht vertraut sind, mitunter eines Vertrauensaufbaus in das deutsche System der Tagesbetreuung und seiner Angebote, damit sie ihre Kinder für einen Teil des Tages in „fremde“ Betreuung geben und sich auch die Kinder aufgrund des durch die Eltern vermittelten Vertrauens darauf einlassen können. Auch hierfür bedarf es sowohl der Beratung durch Vertrauenspersonen in den Unterkünften als auch einer entsprechenden Elternarbeit mit Flüchtlingsfamilien in den Tageseinrichtungen und Tagespflegestellen (Müller 2015). Die Zusammenarbeit sowie die Beratung der Erziehungsberechtigten (§ 22 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 23 Abs. 4 S. 1 SGB VIII) bedarf zielgruppenspezifischer Gestaltung und in der Regel die Unterstützung durch geeignete Sprachmittler/innen.

Die Platzknappheit ist vielerorts nach wie vor ein Zugangshindernis. Flüchtlinge sind dann häufig in einer strukturell schwächeren Position. Selbst wenn sie Kenntnis von der Leistungsberechtigung ihres Kindes haben, ist unwahrscheinlich, dass sie die Durchsetzung ihrer Ansprüche aktiv betreiben. Anspruchsvolle ethische Fragen stellen sich, wenn weniger freie Plätze vorhanden sind als leistungsberechtigte Kinder. Hier werden die Kommunen – neben ihrer Pflicht zur Schaffung einer ausreichenden Zahl an Betreuungsplätzen für alle Kinder – und Einrichtungsträger Auswahlmechanismen zu entwickeln haben, die sich entweder an inhaltlichen Kriterien orientieren (Alter, Wohnbedingungen, Familiensituation, Förderungsbedürftigkeit) oder, falls auf diese Weise keine diskriminierungsfreie Auswahl getroffen werden kann, wie die Plätze mit einem Zufallsverfahren verteilt werden können.

Sprachbarrieren und Bedürfnisse nach Sprachförderung, zusätzliche Integrationsaufgaben wegen häufig wechselnder Gruppenzusammensetzung aufgrund der ausländerrechtlichen Verteilung der Flüchtlingsfamilien, gesteigerte kulturelle DiversitätDiversität|||||siehe Diversity sowie besondere Bedürfnisse aufgrund von Traumatisierungen vor und auf der Flucht können die Erfüllung der Rechtsansprüche herausfordernd werden lassen. Auch wenn für die Flüchtlingskinder und ihre besonderen Bedarfe auch andere spezifische Hilfen und teilweise andere Hilfesysteme zur Verfügung stehen, können die besonderen Bedarfe auch besondere Anforderungen an die Förderung in der Tagesbetreuung stellen. Dies erfordert nicht nur Fortbildung für die Fachkräfte oder Unterstützung des Spracherwerbs für Eltern und Kinder.

Besonders in Betreuungsformen mit großen Gruppen, hohem Personalschlüssel und hoher Fachkraft-Kind-Relation, wie beispielsweise in der Horterziehung oder teilweise auch im Kindergarten, dürften angepasste Betreuungsstrukturen mit zusätzlichem Personal, spezifischer Fachlichkeit und Sprachkompetenz erforderlich sein (zu einem Überblick Bertelsmann Stiftung 2015). Solche Vorkehrungen sind allerdings bislang nach den landesrechtlichen Rahmen- und Finanzierungbedingungen nicht getroffen worden. Daher stehen insbesondere Landesgesetzgeber und Landesregierungen vor der Aufgabe, die Vorgaben zu Gruppengröße, Personalschlüssel und Fachkraft-Kind-Relation so zu verbessern und bedarfsspezifisch anzupassen, dass die Betreuungsstrukturen den spezifischen Anforderungen an die Integration von Flüchtlingskindern gerecht werden können.

Die Praxis der Kinder- und Jugendhilfe schafft gerade Innovation. Es entwickeln sich verschiedene Projekte, die in diesem Zusammenhang versuchen, Antworten zu finden und den betroffenen Einrichtungen beratend zur Seite zu stehen – so beispielsweise das Projekt WillkommensKITAs in Sachsen oder Brückenangebote in Nordrhein-Westfalen, durch die Kinder gemeinsam mit ihren Eltern auf die Aufnahme in eine Tageseinrichtung oder Tagespflegestelle vorbereitet werden. Je nach den örtlichen Gegebenheiten wird die Praxis zur Erfüllung der Rechtsansprüche und objektiven Rechtspflichten aufgefordert sein, Strukturen und Konzepte zu entwickeln, mit denen Kinder angemessen gefördert werden können. Die Rechtsansprüche in §§ 22 ff SGB VIII geben hier Unterstützung. Dabei können verschiedene Möglichkeiten von der sofortigen Förderung der Kinder in dafür qualifizierten Tageseinrichtungen oder Tagespflegestellen ebenso wie die vorübergehende, vorbereitende Förderung durch Brückenangebote in (der Nähe von) Erstaufnahmeeinrichtungen oder in kleinen Willkommensgruppen in Kitas (Parität 2015) vorgehalten werden.

Der Beitrag ist eine Kurzfassung einer gleichnamigen Rechtsexpertise, erstellt im Auftrag des Deutschen Jugendinstituts e.V. (DJI), München, durch das Deutsche Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e.V. (DIJuF).

Wir übernehmen den Beitrag mit freundlicher Genehmigung aus frühe kindheit 06-2016, S. 30-35 (Originaltitel: Flüchtlingskinder und der Beitrag der Kindertageseinrichtungen zur Integration)

Literatur

  • Bertelsmann Stiftung (2015): Länderreport frühkindliche Bildungssysteme 2015. Trends der FBBE in Deutschland – Zentrale Ergebnisse des Länderreports 2015, zu finden unter www.laendermonitor.de.
  • Hauck, K. & Noftz, W.,(Hrsg.) (Loseblatt). SGB VIII Kommentar, Erich Schmidt Verlag, Berlin.
  • Jans, K.-W., Happe, G., Saurbier, H. & Maas, U. (Hrsg.) (Loseblatt). Kinder- und Jugendhilferecht. Kommen-tar. Loseblatt, Köln.
  • Kunkel, P.-C. (Hrsg.) (2014): Sozialgesetzbuch VIII. Kinder- und Jugendhilfe. Lehr- und Praxiskommentar, 5. Aufl., Baden-Baden.
  • Lange, B. (2014): Kommentierung zu § 6 SGB VIII. In: Luthe, E.-W., Nellissen, G. (Hrsg.). jurisPraxiskommentar SGB VIII. Sozialgesetzbuch Achtes Buch – Kinder- und Jugendhilfe – Saarbrücken.
  • Meysen, T., Beckmann, J. (2013): Rechtsanspruch U3, Förderung in Kita und Kindertagespflege, Baden-Baden.
  • Meysen, T., Beckmann, J., González Méndez de Vigo, Nerea (2016): Flüchtlingskinder und ihre Förderung in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege. Rechtsexpertise im Auftrag des Deutschen Jugendinstituts, München.
  • Müller, E. (2015): Umgang mit Asylbewerberkindern in Kindertageseinrichtungen. In: Kita BY Heft 2, S. 34-35.
  • Münder, J., Meysen, T., Trenczek, T. (Hrsg.) (2013): Frankfurter Kommentar SGB VIII. Kinder- und Jugendhilfe, 7. Aufl., Baden-Baden.
  • Paritätischer Wohlfahrtsverband Berlin e.V. (2015): Ideenskizze Flüchtlingskinder unter 6 Jahren an frühkindliche Bildungsangebote heranführen.
  • Rauscher, T. (2012): Internationales Privatrecht. Mit internationalem Verfahrensrecht. 4. Aufl., Heidelberg.
  • Unger, E. (2014): Elterliche Sorge im internationalen Kontext, Themengutachten TG-1007, abrufbar unter www.kijup-online.de.
  • Wiesner, R. (Hrsg.) (2015): SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfe, 5. Aufl., München.


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