Interaktionsgestaltung in der KiTa
Auf das Wie kommt es an!
Dass die Beziehungsgestaltung ein wesentliches Qualitätsmerkmal ist, um frühkindliche Bildungsprozesse zu unterstützen, ist in der Kindheitspädagogik unbestritten. Welche Rolle aber spielt die Gestaltung von Interaktionen in lebenslangen Bildungsprozessen?Lassen Sie uns zunächst auf uns selbst schauen. Sicher kennen Sie die Situation, dass Sie Arbeitskollegen, die Freundin oder der Partner fragen: Hast du mal einen Augenblick Zeit für mich? Wir fragen das, weil uns womöglich etwas besonders interessiert, weil uns etwas auf der Seele brennt, das wir schnell besprechen müssen, oder weil wir vielleicht etwas entdeckt haben, das wir unbedingt mitteilen wollen. Entscheidend ist in einem solchen Moment die unmittelbare Reaktion unseres Gegenübers. Bekommen wir eine knappe Antwort? Vielleicht auch gar keine Reaktion? Oder nimmt sich die Person, der wir so dringend etwas mitteilen möchten, die Zeit, uns aufmerksam zuzuhören und unsere Gedanken nicht nur zu teilen, sondern vielleicht auch weiterzubringen? Wie die Reaktion auch ausfällt: Sie wird sich darauf auswirken, wie wir in diesem Moment mit dem für uns so wichtigen Thema weiter umgehen. Nichts anderes passiert auch bei Kindern, wenn sie sich im Alltag in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen mit ihren Signalen und Äußerungen an uns wenden. Jedoch – mit dem wichtigen Unterschied – dass wir ihre Bildungsprozesse in solchen Augenblicken viel entscheidender beeinflussen, als es womöglich bei Interaktionen unter Erwachsenen der Fall ist.
Die Gestaltung von Beziehungen zwischen pädagogischen Fachkräften und Kindern ist deshalb »als Grundstein für alle Lern- und Bildungsprozesse von Kindern“ (1) unmittelbar mit der Entwicklung von Qualität in der frühen Bildung verbunden. Mit der Ausweitung der Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren rückte das Interaktionsgeschehen zwischen frühpädagogischen Fachkräften und Kindern immer stärker in den Fokus pädagogischer und entwicklungspsychologischer Forschung.
WissenschaftlerInnen untersuchen die Auswirkungen von Beziehungsqualität (2), das professionelle Handeln von pädagogischen Fachkräften (3), die Interaktionsqualität in spezifischen Bildungsbereichen, wie z.B. Sprache (4) oder die Gestaltung von Interaktionsgelegenheiten im pädagogischen Alltag (5). Wadepohl und Mackowiak (6) ermittelten die Qualität der Begleitung sowie der Planung und Durchführung von Bildungsangeboten in Freispielsituationen.
Auf die Ebenen Inhalt-Methodik, Emotion und Beziehungsgestaltung fokussierend stellten die ForscherInnen fest, dass die untersuchten Fachkräfte nur sehr selten »stressreduzierende und die Exploration unterstützende Impulse « einsetzten (7). Darüber hinaus griffen die PädagogInnen organisatorische Anliegen der Kinder sehr viel häufiger auf als deren Bildungsanliegen. Da »die meisten kindlichen Anliegen im Bereich Bildung auftreten« (8), stimmt dieses Resultat hinsichtlich eines angemessenen und bildungsbegleitenden Reagierens auf Kinder besonders nachdenklich.
Videostudien ermöglichen es, die Wechselwirkungen der Interaktionsprozesse zwischen FrühpädagogInnen und Kindern mikroanalytisch zu betrachten (9). In einer Studie zur Feinfühligkeit in der Fachkraft-Kind-Interaktion (10) zeigte sich, dass Kinder sich insbesondere dann wiederholt, zusammenhängend und fortlaufend mitteilen, wenn sie an einer Sache sehr interessiert sind und wenn sie zugleich emotional stark beteiligt sind. Forschungsergebnisse belegen, dass Kinder durch feinfühlige, achtsame Reaktionen der Fachkräfte dazu angeregt werden, ihre Emotionen zu äußern, im Interaktionsverlauf interessiert bei der Sache zu bleiben, ihre Gedankengänge weiterzuentwickeln und in ihren inhaltlichen Aussagen komplexer zu werden. Dies geschieht vor allem dann, wenn die pädagogischen Fachkräfte eine beobachtende Haltung einnehmen und den Kindern viel Freiraum lassen, damit die Kinder den Interaktionsverlauf weitgehend selbst bestimmen und sich mitteilen können (11).
Gerade weil wir inzwischen aufgrund gestiegener Forschungsaktivitäten mehr über ein bildungsförderliches Interaktionsgeschehen im Elementarbereich wissen, wird die Beziehungsgestaltung zu Kindern heute als »didaktisches Prinzip « in den Mittelpunkt gerückt (12). Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden gefragt:
- Wie sehen Bildungsprozesse von jungen Kindern eigentlich aus?
- Wie müssen Erwachsene Interaktionen mit Kindern gestalten, damit sie deren Bildungsprozesse unterstützen?
- Was können wir aus der Gestaltung dieser Interaktionen für die Prozesse eines lebenslangen Lernens ableiten?
Bildungsprozesse von Kindern
An einem Beispiel soll zunächst ein Einblick in den Bildungsprozess eines Kindes gegeben werden:Videobeispiel des 1,7-jährigen Laith
Laith befindet sich auf einem Podest in einem Raum einer Kinderkrippe. In seinen Händen hält der Junge eine Holzkiste, die fast so groß ist, wie er selbst. Mit weit geöffneten Armen kann er die Kiste gerade so halten. Laith lässt sich engagiert darauf ein, die für ihn doch schwere Kiste im Raum hin und herzubewegen. Er trägt sie im Raum umher und »wuchtet« die Kiste auf ein Rollbrett. Auf diese Weise lernt der Junge das Hantieren mit der Kiste und bekommt ein Gespür für ihr Gewicht. Er probiert aus, wie er sie heben und greifen muss, um sie auf dem Rollbrett mit anderen Kisten zu stapeln und im Raum zu bewegen. Sehr ausdauernd und begleitet von freudigem »Tönen« und angestrengtem Seufzen nutzt Laith dazu ganz unterschiedliche Strategien, hebt und rollt die Gegenstände umher und macht dabei erste Erfahrungen mit physikalischen Gesetzen.
Das große Interesse des Jungen, sein Engagement in dieser Lernsituation, seine Wege sich mitzuteilen und seine Standhaftigkeit, weiter mit den Kisten zu hantieren, obwohl sie ganz offensichtlich sehr schwer für ihn sind, werden in der Pädagogik der Kindheit als Lerndispositionen bezeichnet (14).
Lerndispositionen gelten in der Wissenschaft als grundlegende Voraussetzungen für die Bildungsprozesse von Kindern (15). Zentral an dem Beispiel ist jedoch, dass sich die Lerndispositionen des Jungen in einer sehr bewusst gestalteten Lernumgebung und in ganz bewusst gestalteten Interaktionen entwickeln. Die pädagogischen Fachkräfte stehen in der aufgezeichneten Situation als »sichere Basis« zur Verfügung, beobachten, halten sich sehr zurück und intervenieren nicht. Auf diese Weise lassen sie dem Jungen alle Freiheit, sich auszuprobieren. Sie nehmen ihm das Ausprobieren nicht ab, weil die Kisten vermeintlich zu schwer für ihn sein könnten und er sich verletzen könnte. Und sie geben dem Kind sofort eine Rückmeldung, indem sie seine suchenden, interessierten und freudigen Blicke achtsam aufnehmen und erwidern. Auf diese Weise lernt der Junge, dass ihm etwas zugetraut wird und er erlebt sich als Jemanden, der selbst etwas schaffen kann. Zugleich erfährt er, dass auch etwas Anstrengendes gut gelingen kann, dass sich also Anstrengung und Ausdauer lohnen.
Wie die Forschung zeigt, lernen Kinder vor allem in einer Umgebung, in der sie sich wohl und sicher fühlen. Es geht hier um eine Lerngemeinschaft, in der alle einander vertrauen, in der zusammen gearbeitet, ausprobiert, geforscht und kommuniziert wird – verbal und nonverbal. In diesem Idealtypus einer Lerngemeinschaft können sich alle zugehörig fühlen und sich aktiv beteiligen. Hier werden die Grundlagen dafür geschaffen, dass Kinder als kompetent und selbstbewusst Lernende und Kommunizierende aufwachsen können.
Ein solches Umfeld hilft ihnen später eher dazu in der Lage zu sein, für Gerechtigkeit und Fairness einzutreten und selbstbewusst ganz eigene Standpunkte einzunehmen (16). Neben der Lernumgebung benötigen Kinder hierzu Interaktionspartner, die feinfühlig auf ihre Signale reagieren und sich mit ihnen auf vielfältige Weise austauschen (17).
Interaktionsgestaltung mit Kindern
Wie aber schaffen wir im Alltag Interaktionen, die Kinder auf ihren Lernwegen unterstützen? Neueste Forschungsergebnisse geben hier unterschiedliche Antworten. Während einerseits auf eine Intensivierung kognitiv aktivierender Strategien in Interaktionsprozessen mit Kindern fokussiert wird18, wird andererseits darauf verwiesen, dass »Interaktionen (...) jedoch gleichfalls eine hohe Qualität haben (können), wenn kein verbaler Austausch stattfindet. (...) Ein Gespräch ohne Worte kann in bestimmten Situationen einen ganz anderen Wert entfalten; unpassende oder gar stereotype ›offene‹ Fragen wirken dagegen störend und abstoßend. Wichtiger als ›messbare‹ verbale Interaktionsanteile ist aus der Perspektive des Kindes demnach die Kongruenz des Interaktionsverhaltens der Fachkraft« (19).
Gerade in der nonverbalen, anregenden Gestaltung von Interaktionen zwischen FrühpädagogInnen und Kindern dürfte demzufolge ein besonders Potential liegen. Ob Interaktionsprozesse mit kleinen Kindern gelingen, hängt also auch entscheidend davon ab, wie wir die Kinder agieren lassen und wie wir auf sie reagieren. Das bedeutet:
- Warten wir ab,
- beobachten wir mit Ruhe, Gelassenheit und Geduld, wie Kinder vertieft ihren Interessen nachgehen,
- widerstehen wir unserem inneren Drang zur Intervention,
- unterbrechen wir den eigenen Rede- und Handlungsfluss,
- bekunden wir Interesse durch Mimik, Gestik und Tonlage,
- stimmen wir uns mit den Kindern durch Beobachtungen und Blicke ab,
- nehmen wir uns zurück und lassen die Kinder erzählen, überlegen und handeln,
- passen wir uns dem Tempo der Kinder an und verlangsamen wir eigene Handlungen und
- sind wir verlässlich für sie da, wenn sich die Kinder an uns richten. (20)
All dies ist stimulierendes pädagogisches Interaktionsverhalten und hilft gleichzeitig, Kinder differenzierter wahrzunehmen, ihre Beweggründe zu erkennen und schließlich zu entdecken und zu verstehen, welche Lernaktivitäten sich hinter ihren Handlungen verbergen.
Interaktionsgestaltung für ein lebenslanges Lernen
Beziehen wir diese Interaktionsgestaltung in kindlichen Bildungsprozessen nun auf ein lebenslanges Lernen, wird schnell deutlich, dass wir alle – und damit meine ich uns als erwachsene Lernende und Studierende – angemessen gestaltete Umgebungen und Beziehungen brauchen, um gut lernen, zu arbeiten und uns weiterentwickeln zu können. Auch wir Erwachsenen brauchen Themen, die uns brennend interessieren, Fragen, die uns zum Grübeln bringen, Herausforderungen, die uns wachsen lassen. Für all das benötigen Erwachsene – ebenso wie Kinder – eine Umgebung, in der sie sich wohl und sicher fühlen, in der sie Zeit haben, sich vertieft auf Fragen einzulassen, nachzudenken und zu forschen, Dinge auszuprobieren, Fehler zu machen und sie zu korrigieren.
Auch lernende Erwachsene sind auf engagierte Interaktionspartner angewiesen, die Spaß daran haben, gemeinsam zu forschen und Neues zu lernen, die ihnen zur Seite stehen, wenn Lernprozesse ins Stocken geraten und die sich selbst als Lernende betrachten, die in ihren Sichtweisen beeinflusst werden können – und wollen.
Letztendlich macht es demnach keinen Unterschied, ob wir Interaktionen in Lernprozessen mit Kindern oder Erwachsenen gestalten. Es spielt keine Rolle, ob wir Erzieher, Kindheitspädagoginnen, Sozialarbeiter, Eltern, Architektinnen, Professoren oder was auch immer sind. Es kommt nicht darauf an, wer wir sind, sondern WIE wir sind. Deswegen müssen wir alle uns fragen:
- Bin ich zugänglich und interessiert an dem, was mein Gegenüber erzählt, zeigt oder tut?
- Höre ich mit Ruhe und Geduld zu und gehe auf das ein, was mein Gegenüber einbringt?
- Begegne ich dem anderen mit Offenheit, Wertschätzung, Respekt und Akzeptanz, auf Augenhöhe?
- Können Gefühle und Stimmungen authentisch zum Ausdruck gebracht werden?
- Habe ich Freude am Austausch mit anderen und reizen mich neue Sichtweisen und neues Wissen?
- Lasse ich anderen genügend Freiräume, damit sie sich selbsttätig und eigenständig erproben können?
- Lasse ich mich von der Begeisterung meines Gegenübers anstecken und bringe ich mich selbst mit neuen Ideen ein?
Fußnoten
(1) Fröhlich-Gildhoff & Nentwig-Gesemann 2013, S. 7
(2) Glüer, 2011; Schreyer-Mehlop et al., 2012
(3) Jooß-Weinbach, 2012; Gutknecht, 2012
(4) Fried 2013
(5) Weltzien 2013
(6) Wadepohl 2013, vgl. auch »Pädagogische Interaktionen zwischen Fachkräften und Kindern
« in Betrifft KINDER 10/2015
(7) ebd., S. 87
(8) ebd., S. 106
(9) vgl. u.a. König 2009
(10) Remsperger 2011a
(11) Remsperger 2011a, b
(12) König 2010, S. 48 ff.
(13) Videomaterial aus dem Begleitfilm des Projekts »Bildungs- und Lerngeschichten«, DJI München.
(14) Carr 2001
(15) Leu et al. 2007
(16) vgl. ebd.
(17) Remsperger 2008, 2011a, b
(18) Wadepohl & Mackowiak 2013; König 2009
(19) König, Stenger & Weltzien 2013, S. 17 ff.
(20) Remsperger 2011a
Literatur
- Fröhlich-Gildhoff, K., Nentwig-Gesemann, I., König, A., Stenger, U. & Weltzien, D. (Hrsg.) (2013): Forschung in der Frühpädagogik VI. Schwerpunkt: Interaktion zwischen Fachkräften und Kindern. Freiburg: FEL Verlag Forschung – Entwicklung – Lehre
- Jooß-Weinbach, M. (2012): Ein Arbeitsbündnis mit den Jüngsten? Die Herausforderungen professioneller Interaktion mit Krippenkindern. In: S. Viernickel, D. Edelmann, H. Hoffmann & A. König (Hrsg.): Krippenforschung. Methoden, Konzepte, Beispiele. München: Ernst Reinhardt Verlag.
- Remsperger, R. (2013): Das Konzept der Sensitiven Responsivität – Ein Ansatz zur Analyse des pädagogischen Antwortverhaltens in der ErzieherInnen-Kind-Interaktion. In Frühe Bildung (1/2013). Hogrefe Verlag: Göttingen.
- Remsperger, R. (2011a): Sensitive Responsivität – Zur Qualität pädagogischen Handelns im Kindergarten. Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwissenschaften.
- Viernickel, S. & Stenger, U. (2010): Didaktische Schlüssel in der Arbeit mit null- bis dreijährigen Kindern. In: D. Kasüschke (Hrsg.): Didaktik in der Pädagogik der frühen Kindheit. Kronach: Carl Link.
Erstveröffentlchung in Betrifft Kinder 11-12/2015, S. 26 - 29 unter dem Titel: "Auf das Wie kommt es an! Interaktionsgestaltung in lebenslangen Prozessen." Übernahme mit freundlicher Genehmigung vom Verlag Das Netz
- Zuletzt bearbeitet am: Montag, 11. Januar 2016 14:54 by Karsten Herrmann