Kindergärtnerinnen-Ausbildung in der NS-Diktatur
Am Beispiel der NSV-Seminars Friedberg
Das im Mai 1938 ins Leben gerufene Kindergärtnerinnen- und Hortnerinnen-Seminar Friedberg bei Augsburg war die erste und einzige Ausbildungseinrichtung der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) für Kindergärtnerinnen, und Hortnerinnen (später kam noch die Kinderpflegerinnen- und Haushaltsgehilfinnenausbildung hinzu) in bayrisch Schwaben. Die Ausbildungsstätte avancierte zum Vorbild für weitere beabsichtigte Einrichtungen in Bayern und darüber hinaus. Das Seminar wurde bis zu seiner Auflösung von Maria Krawinkel (1903-1992) geleitet. Die Ausbildungsinstitution war eine Heimschule, die die Leiterin, wie sie in einem Interview beteuerte, "nach pädagogischen Grundsätzen der Landerziehungsheime" (Schymroch 1989, S. 128) führte. Anfang Mai 1945 wurde das Haus von den Amerikanern besetzt und geschlossen.
Geschichte
Während der NS-Diktatur zwischen 1933 und 1945 begann auch im Bereich der vorschulischen Erziehung und der damit zusammenhängenden Kindergärtnerinnen-, Hortnerinnen- und Kinderpflegerinnenausbildung "eine Entwicklung, bei der beide zu Instrumenten der inhumanen nationalsozialistischen Weltanschauung herabgewürdigt und alle fortschrittlichen und demokratischen Ansätze in Erziehung und Ausbildung beseitigt wurden" (Metzinger 1993, S. 15).
Erst Ende der 1930er Jahre hatten die Nationalsozialisten verstärkt mit dem Auf- und Ausbau eigener Ausbildungsstätten für Kindergärtnerinnen begonnen, die bis dahin überwiegend an konfessionell gebundenen Seminaren ausgebildet wurden. Anfang Mai 1938 wurde in Friedberg, im Herrenhaus des ehemaligen „Mezgerguts", das erste "NSV-Kindergärtnerinnen- und Hortnerinnen-Seminar" für den Gau Schwaben feierlich eröffnet. Die Stadt Friedberg stellte Grundstück und Gebäude kostenlos der NSV zur Verfügung. Das Seminar erfuhr regen Zuspruch und konnte bereits ein Jahr später zweizügig (mit ca. 25 bis 30 Schülerinnen pro Klasse) geführt werden. 1940 wurde der Bildungsinstitution, die sich ab Ende 1942 "Fachschule für Kindergärtnerinnen des NSV-Kindergärtnerinnenseminars Friedberg" titulierte, noch eine Kinderpflegerinnen und Hausgehilfinnenausbildung angegliedert. Träger der Einrichtung war die „NSV.-Gauamtsleitung Schwaben, Augsburg, Halderstraße 16", die sich in unmittelbarer Nähe der Augsburger Synagoge befand.
Um in das Seminar aufgenommen zu werden, musste die Bewerberin laut Prospekt aus dem Jahre 1938 folgende Aufnahmebedingungen erfüllen:
1. Arische Abstammung - 2. Vollendetes 17. Lebensjahr - 3. Erbgesundheit . 4. Abschluss eines Lyzeums oder einer Mittelschule. Volksschülerinnen müssen erweiterte Allgemeinkenntnisse in einer schulwissenschaftlichen Prüfung nachweisen - 5. Hauswirtschaftliche Vorbildung in Frauenschule, Haushaltungsschule oder Familie. In letzterem Falle ist eine hauswirtschaftliche Prüfung bei der Aufnahme abzulegen - 6. Zugehörigkeit zu BDM oder Frauenwerk - 7. Eignung und Neigung für sozialpädagogische Arbeit (zit. n. Schulprospekt, archiviert im Ida-Seele-Archiv).
Nicht nur die Schülerinnen, auch alle am Seminar tätigen Lehrkräfte mussten der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen angehören, da sie die nationalsozialistische Ideologie rein zu vermitteln hatten. Dazu ist in den vorhandenen Dokumenten nachzulesen:
Die nationalsozialpolitische Erziehung durchdringt alle Fachgebiete der Ausbildung. Im engeren Sinne dienen ihr die Fächer Reichskunde, Heimatkunde, Volkstumpflege und Deutsch. Der Unterricht geht aus von der Erb- und Rassenlehre, führt von der deutschen Geschichte zu Fragen der Volks- und Staatskunde der Gegenwart und verknüpft diese mit der Heimatkunde und der Volkstumpflege (zit. n. Seminar-Dokumenten, archiviert im Ida-Seele-Archiv).
Die angehenden Kindergärtnerinnen (Hortnerinnen und Kinderpflegerinnen) wurden nicht in Klassenverbänden, sondern in „straff geführten Kameradschaften" zusammengefasst, die in "achttägigen Lageraufenthalten" im ersten Halbjahr und am Ende des dritten Halbjahres vertieft wurden, und denen die „Erzieher- und Lehrerkameradschaft" als positiv vorgelebtes Beispiel gegenüberstand.
Das Seminar warb in einem von mehreren Schulprospekten mit der damals typischen Ideologie für den Beruf Kindergärtnerin:
Berufswahl ist eine ernste Sache Wenn früher der junge Mensch seine Schulzeit beendet hatte, fragte man sich: 'Was soll nun der Junge oder das Mädel anfangen, um möglichst rasch möglichst viel zu verdienen und ein möglichst gesichertes und sorgenloses Leben zu haben?' Heute fragen sich verantwortungsvolle Eltern: 'An welchem Platz kann mein Junge, mein Mädel seine Fähigkeiten am besten verwerten und seinem Volke mit seiner Arbeit am meisten nützen?' Darauf kommt es an - Jeder am rechten Platz! Jeder soll dort seine Arbeit und seine Pflichten erfüllen. wo er nach Anlage und Neigung hingehört. Denn nur die Freude an seiner Arbeit befähigt den Menschen zu einer vollwertigen Leistung. Was wäre da für unsere frischen, lebenstüchtigen Mädel gegebener als einer jener Berufe, die ihrem fraulichen und mütterlichen Empfinden am meisten zusagen. Ein solches echt frauliches Wirkungsfeld ist der Beruf der Kindergärtnerin ... Kindergartenarbeit ist seelische Führung und gesundheitliche Betreuung Der Kindergärtnerin ist das kostbarste Gut des Volkes, seine Kinder, anvertraut. Sie hat eine verantwortungsvolle Erziehungsaufgabe - doppelt verantwortungsvoll, aber auch besonders schön, weil es sich um junge Menschen im aufgeschlossensten und bildungsfähigsten Alter handelt. Darüber hinaus aber hat sich der NSV.-Kindergarten, zum Unterschied von den Kindergärten früherer Zeiten, auch eine planvolle Gesundheitsführung zur Aufgabe gemacht. Der NSV.-Kindergärten sind keine Kleinkinderbewahranstalten, sondern Stätten ungebundener kindlicher Lebenslust und Daseinsfreude. Je wertvoller ein junges Mädel ist, umso mehr Freude wird es an der Aufgabe haben, gemeinsam mit den Müttern die ersten Grundlagen für das ganze Leben in die jungen Herzen zu pflanzen. Die Besten sind gerade gut genug Es ist selbstverständlich, daß für einen solchen Beruf die nötigen Voraussetzungen da sein müssen: ein gutes Allgemeinwissen als Grundlage für die Schulung, Eignung zur Menschenführung, körperliche Gesundheit und eine einwandfreie innere Haltung. Kluge Eltern werden dem Wunsche ihrer Tochter, Kindergärtnerin zu werden, nicht entgegenstehen und sagen: 'Das Mädel wird ja doch einmal heiraten. Wozu erst diese Ausbildung?' Gerade diese Ausbildung und die praktische Arbeit im Kindergarten geben dem Mädel die besten Voraussetzungen für seinen schönsten und vornehmsten Beruf als Hausfrau und Mutter. Die Führung des eigenen Haushalts, die Erziehung der eigenen Kinder werden für die Kindergärtnerin einmal keine Probleme sein, wie sie es für die meisten Mädel sind, die aus anderen Berufen kommen (zit. n. Berger 2015, S. 124 ff.). | ||
Im Februar 1945 wurden nach einer um drei Monate verkürzten Ausbildung die letzten 44 Seminaristinnen geprüft, die Schülerinnen sofort entlassen und Flüchtlinge, Mütter und Kinder aus Ostpreußen in das Schulgebäude einquartiert. Zwei Monate später besetzten Amerikaner das Haus und lösten die Ausbildungsstätte auf. Das ehemalige NSV-Kindergärtnerinnen- und Hortnerinnen-Seminar wurde im Jahre 1976/77 abgebrochen und es entstand an dieser Stelle eine Schwimmhalle mit Dreifachturnhalle. Heute erinnert in Friedberg nichts mehr an die einstige NSV-Ausbildungseinrichtung.
Zur Ausbildungssituation
Die politisch Verantwortlichen konstatierten über die Notwendigkeit einer ideologischen gebundenen sozialpädagogischen Ausbildungsstätte, dass im Vorschulbereich „ein neuer Mensch" erzogen werden muss:
Innerhalb des Hilfswerks 'Mutter und Kind' ist eines der wichtigsten Teilgebiete die Arbeit in den Kindergärten und Horten, die zur Aufnahme solcher Kinder bestimmt sind, deren Familienerziehung nicht sichergestellt ist. Es handelt sich um Kinder erwerbstätiger Mütter, um Einzel- oder auch schwer erziehbare Kinder, mit denen die Mütter nicht so recht fertigwerden können. Da in vielen Kindergärten aber bis jetzt noch immer mehr das 'Bewahren' des Kindes, als seine körperliche und geistige Ertüchtigung im Vordergrunde stand, will die NSV. Kindergärten schaffen und erhalten, in denen ein neuer Mensch erzogen wird. Hierzu erforderlich ist aber natürlich auch ein Umschulen der Kindergärtnerinnen bzw. eine gründliche Ausbildung derjenigen jungen Mädel, die Kindergärtnerinnen oder Hortnerinnen werden wollen. Um in diesem Sinne neue Arbeit zu leisten, wird von der 'NSV.-Gauamtleitung Schwaben' im Mai in Friedberg bei Augsburg ein Seminar eröffnet (zit. n. Schulprospekt, archiviert im Ida-Seele-Archiv).
Über das Ausbildungsziel ist im Schulprospekt nachzulesen:
Die Erziehungsauf gabe, die die NSV-Kindergärtnerin zu erfüllen hat, erfordert Menschen, die erzieherische Fähigkeiten mit liebevollen Verständnis und fröhlicher Lebensbejahung verbinden. Unsere Kindergärtnerinnen müssen die Bereitschaft und die Verpflichtung in sich tragen, in nationalsozialistischem Sinne Dienst zu tun an der Volksgemeinschaft, treue Hüterinnen und Wächterinnen zu sein über dem kostbarsten Gut eines Volkes - seinen Kindern (zit. n. ebd.).
Insgesamt dauerte die Ausbildung zwei Jahre, unterbrochen von einem mehrwöchigen Praktikum im ersten und zweiten Ausbildungsjahr in einem Kindergarten, Hort, Kinderheim, Säuglingsheim, Krippe oder Krabbelstube, in Küche, Haus und Garten.
Die theoretische Ausbildung gliederte sich in folgende Unterrichtsfächer:
- Nationalpolitische Schulung
- Geschichte
- Grundlagen von Volk und Staat
- Erb- und Rassenlehre
- Gesundheitspflege und Ernährungslehre
- Volkstumspflege
- Erziehungskunde
- Berufskunde
- Jugendschrifttum
- Naturkunde
- Körperschulung
- Spiel und Sport
- Musik
- Gestalten und Werkarbeit
- Nadelarbeit
- Hauswirtschaftslehre (zit. n. ebd.).
Aus einem überlieferten Jugendschrifttumheft ist zu entnehmen, dass die zukünftigen Kindergärtnerinnen (und Kinderpflegerinnen) sich ein gewisses Repertoire an Kindergedichten, -versen, -liedern, Reimen etc. aneignen mussten. So schrieb beispielsweise die Seminaristin Doris Büttner:
Schon ab dem zweiten Lebensjahr sollen die Kinder für die nationalsozialistischen Ideale begeistert werden. Dazu eignen sich vor allem kurze und bündige Sprüche, Verse, Reime usw. Für das Kind um die drei Jahre ist anwendbar:
Ein deutsches Kind bin ich!
Deutsch ist mein Vaterhaus!
Das Hakenkreuz weht frisch
von unserm Haus ...
Für fünfjährige Buben kommt folgendes Maschierspiel in Frage:
Nun aufgepaßt, ihr lieben Buben,
es wird jetzt stramm marschiert,
in Reihen angetreten,
der Führer kommandiert.
Die Hände an die Hosen,
den Rücken kerzengrad,
das Bäuchlein eingezogen,
so macht es der Soldat.
Juhei, juhei, juheiraßa,
so macht der Soldat! (zit. n. Dokumenten, archiviert im Ida-Sele-Archiv)
Eine Auswahl der schriftlichen Prüfungsthemen gibt einen weiteren Hinweis auf den theoretischen Unterrichts:
Nationalpolitische Schulung/Volkskunde:
1. Deutschlands Stellung in der Welt. 2. Jedes Vol hat das Recht, sich sein Leben auf dieser Erde sicherzustellen (Adolf Hitler). 3. Die Lebensweise der Germanen. 4. Das geistige Gut der bäuerlichen Volkskunde.
Erziehungskunde:
1. Die Erziehung zur Arbeit. Warum Erziehung trotz Vererbung? 2. Ich will Menschen bilden, deren Füße in Gottes Erde eingewurzelt stehen, deren Haupt bis in den Himmel ragt und deren Herz beides, Erde und Himmel eint. Wie kann ich diesen Anspruch auf die heutige Erziehung anwenden?
Gesundheitslehre/Naturbetrachtung/Biologie:
1. Das deutsche Volk braucht Lebensraum. 2. Die Verdauung und ihre Bedeutung für die Gesundheit des Menschen. 3. Die Tuberkulose, ihre Ursachen, Folgen und Bekämpfung. 4. Wie ist die Anteilnahme der Kinder an der heimischen Tier- und Pflanzenwelt zu wecken u. zu fördern.
Berufskunde:
1. Welche besonderen Aufgaben erwachsen dem NSV-Kindergarten durch den vermehrten Arbeitseinsatz? Wie kann die Kindergärtnerin diesen Aufgaben gerecht werden? 2. Die kulturellen Aufgaben der Kindergärtnerin innerhalb der Dorfgemeinschaft. 3. Der Erntekindergarten und seine Aufgaben innerhalb der Dorfgemeinschaft. 4. Wie kann dem Kindergartenkind die notwendige Wachstumsruhe gesichert werden? (zit. n. ebd.).
Die neuen Bestimmungen zur Durchführung des totalen Arbeitseinsatzes erforderten, dass die Schülerinnen ab 1943 frühzeitig entlassen wurden. Diesbezüglich schrieb die Schulleiterin an den "Herrn Regierungspräsidenten":
Die einzelnen Gauleitungen der NS-Volkswohlfahrt, von denen uns Schülerinnen zur Ausbildung zugeschickt wurden, sind mit der Bitte an mich herangetreten, die Schülerinnen so zu entlassen, daß sie bereits schon am 15. März ihre Kindergärten übernehmen können. Es handelt sich hier um dringende Fälle, die durch den totalen Arbeitseinsatz notwendig geworden sind, da durch diese Maßnahme ein Teil der Mütter mit Kindern erfaßt wird, für deren Unterbringung die NSV sofort Sorge tragen muß. Außerdem werden ca. 50% unserer zur Entlassung kommenden Schülerinnen zum 1. 4. 43 zum RAD (Reichsarbeitsdienst; M. B.) eingezogen. (zit. n. ebd.).
Der letzte Ausbildungskurs 1943/45 wurde bereits im Februar 1945 "notgeprüft" und frühzeitig entlassen, da durch die Kriegssituation eine geregelte Ausbildung nicht mehr möglich war.
Literatur
- Berger, M.: "Gelobt sei alles, was hart macht!" Das Kindergartenwesen im nationalsozialistischen Deutschland am Beispiel der Fachzeitschrift "Kindergarten", Saarbrücken 2015
- Ders.: Vorschulerziehung im Nationalsozialismus. Recherchen zur Situation des Kindergartenwesens 1933-1945, Weinheim 1986
- Ders.: Recherchen zur Ausbildungssituation der Kindergärtnerin im Dritten Reich. In: Unsere Jugend, 1985/H. 11, S. 433-442
- Metzinger, A.: Zur Geschichte der Erzieherausbildung, Frankfurt/Main/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1993
- Schymroch, H.: Von der Mutterschule zur Familienbildungsstätte. Entstehung und Entwicklung in Deutschland, Freiburg/Brsg. 1989
- Zuletzt bearbeitet am: Dienstag, 26. Mai 2015 10:59 by Karsten Herrmann