Christliche Kindergärten in der SBZ und DDR

Die beiden christlichen Religionen lebten in der SBZ/DDR in einer Diasporasituation. Was die katholische Kirche betrifft, befand diese sich in einer doppelten schwierigen Konstellation. Einerseits stellte sie konfessionell betrachtet eine Minderheit dar, andererseits lebte sie, wie die evangelische Kirche auch, in einer ideologischen Diaspora. Dies führte zu Solidarisierungseffekten und die gelebte Ökumene war daher eine Selbstverständlichkeit. In vielen aktuellen pastoralen und kirchenpolitischen Fragen stimmte man sich ab und betonte mehr die Gemeinsamkeiten als die Verschiedenheit, auch hinsichtlich der religiösen Zusammenarbeit in Bildung und Erziehung der Kinder im Vorschulalter. Die Kindergärten beider Kirchen waren nach dem Zusammenbruch der NS-Diktatur im Osten (wie im Westen) Deutschlands in einem erbärmlichen Zustand. Es fehlte an geeigneten Räumlichkeiten, Heizungsmaterialien, Hygieneartikeln, ausgebildetem Personal etc. Sofort nach Kriegsende war es den christlichen Konfessionen im gesamten geteilten Land möglich, von den Nazis enteignete Kindergärten wieder in Besitz zu nehmen.

 

In der SBZ: Zwischen Repression und Kooperation

Obwohl in der sowjetisch besetzten Zone (SBZ) die christlichen vorschulischen Einrichtungen von Anfang an vielfältigen Bevormundungen ausgesetzt waren, gab es durchaus Kooperationsversuche der politischen Administrationen im Zeichen des Wiederaufbaus (vgl. Berger 2014, S. 62 ff.). Wie in den anderen drei Besatzungszonen (amerikanische, französische und englische), "wurden auch in der sowjetisch kontrollierten Zone den Kirchen bestimmte Sonderrechte eingeräumt, die es ihnen erlaubten, relativ schnell arbeitsfähige Strukturen zu schaffen bzw. wieder zu beleben. Es lag im Interesse der sowjetischen Besatzungsmacht, angesichts des staatlichen Zusammenbruchs u.a. mit Hilfe der Kirchen zur Linderung des Elends und zur Stabilisierung der Situation beizutragen. Die Kirchen akzeptierten den sich bietenden Freiraum, wobei sie von einer kirchlichen Einheit über die Grenzen der Besatzungszonen und der späteren Teilstaaten hinaus ausgingen" (Hübner 2008, S. 12). Von dieser offenen Ausgangsposition profitierten die örtlichen Kirchengemeinden, diakonische und karitative Einrichtungen und Ordensgemeinschaften als die Träger der Kindergärten. Spätestens mit der Gründung der DDR, 1949, veränderte sich diese Situation drastisch. Immer offenkundiger "wurde das Ziel der SED, alle Bereiche der Gesellschaft entsprechend ihres Totalitätsanspruches zu kontrollieren" (http://www.diakonie.de/diakonie-in-der-sowjetischen-besatzungszone-und-der-ddr-9220.html).

CK1Quelle: Archiv der Evangelischen Kirchengemeinde Berlin-Friedrichhagen

Bereits nach Wiederaufnahme des konfessionellen Kindergartenbetriebs zeigte sich, dass die Partei-Funktionäre der christlichen Kleinkinderpädagogik nicht gerade freundlich gegenüber standen. Dabei verlief die Ablehnung regional sehr unterschiedlich, da die Überwachungsorgane noch nicht ausgebaut und so totalitär gesteuert waren, wie in späteren Jahren. Zum Beispiel gelang es der damaligen Referentin für Kinderfürsorge der Caritas Magdeburg1) "einen Kindergarten, der bis dahin noch nicht bestanden hatte, neu einzurichten. Ordensfrauen, die in Torgau bereits ein Kinderheim hatten, eröffneten ohne Genehmigung einen Kindergarten. Zur gleichen Zeit wechselte die zuständige Referentin in der Abteilung Volksbildung. Die Mitarbeiterin des Caritas-Verbandes nutzte die Gunst der Stunde: Sie beschwerte sich bei der neuen Volksbildungsreferentin über die Widerstände gegenüber dem Kindergarten. Sie behauptete, dieser hätte schon immer bestanden und sei bereits von der Amtsvorgängerin genehmigt worden. Unterlagen über diesen Vorgang waren nicht auffindbar, und so besteht der Kindergarten noch heute" (Hartmann/Rahner 1997, S. 89). Und in Leipzig wurden schon Anfang November 1945 die Kindergärtnerinnen vom zuständigen Jugendamt eindringlich ermahnt, "von 'einer religiösen Beeinflussung' der Kinder abzusehen. Die Einrichtungen sollten sich... als simultane Einrichtungen verstehen, die 'Kinder aller Glaubensrichtungen zur Verfügung stehen'" (Akaltin 2004, S. 219). Im September 1948 kritisierte die Inspektorin Frau Markowa das Referat Kindergarten der "Deutschen Verwaltung für Volksbildung", "'weil der kirchliche Einfluss im Bereich der Kindergärten sich immer stärker' machte... Einzelne Gemeinden schienen also die Profanität der Institutionen nicht zu akzeptieren und damit gegen die Richtlinien sowie das Gesetz zu verstoßen" (zit. n. Hoffmann 1994, S. 125).

 

Eingliederung der konfessionellen Kindergärten in die Kirche


Im Zuge der Vereinsauflösungen zwischen 1945 und 1949 bestand die Gefahr der Auflösung aller konfessionellen Kindergärten. Durch Eingliederung der konfessionellen Kindergärten "in die Kirche im Jahre 1949 konnten sie jedoch, als Teil der Kirche durch das Potsdamer Abkommen und den Befehl Nr. 225 der SMAD ("Sowjetische Militäradministration in Deutschland"; M. B.) geschützt, der ausdrücklich die Unterhaltung und das Betreiben von Kindereinrichtungen durch Privatpersonen und konfessionelle Vereine gestatte, bestehen bleiben" (Akaltin 2003, S. 325). Zum Beispiel musste die evangelisch-lutherische Kirche alle "verfügbaren Ressourcen mobilisieren, um ihre Einrichtungen zu erhalten. Durch den Befehl Nr. 40 der SMAD vom 12. August 1945 war den Kirchen auch die Wiedereröffnung der kirchlichen Seminare auf dem gesamten Territorium der SBZ und späteren DDR untersagt, was rasch zu massiven Engpässen beim Kindergartenpersonal führte. Durch sparsamste Wirtschaftsweise, höhere Elternbeiträge, Zuschüsse des Bezirks- und des Landeskirchenamtes und nicht zuletzt durch zahlreiche Spenden der westlichen Landeskirchen und der EKD wurde es langfristig möglich, den Bestand der Einrichtungen zu sichern" (ebd., S. 330). In einem Schreiben (7. Mai 1951) bedankte sich Pfarrer Vogel vom "Landeskirchlichen Amt für Innere Mission" für die finanziellen Zuschüsse durch den 1947 im schwedischen Lund gegründeten "Lutherischen Weltbund", der die Einrichtungen in der SBZ/DDR über das Zentralbüro Ost des Hilfswerkes der "Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)" unterstützte, mit folgenden Worten:


"Es ist uns ein ernstes Anliegen, die christliche Erziehungsarbeit gerade in den Kindergärten aufrecht zu erhalten, handelt es sich hier doch um das Alter, das für die weitere Entwicklung so entscheidend ist. Müssten unsere Kindergärten geschlossen werden, so würde dies bedeuten, dass die Kinder in kommunale Einrichtungen kommen, in denen nicht nur jeglicher christlicher Einfluss unterbleibt, sondern sicher in vielen Fällen sogar bewusst der Glaube an Gott untergraben und zerstört wird" (zit. n. Akaltin 2004, S. 451).

Die katholischen Kindergärten erhielten Unterstützung u. a. seitens der Patendiözesen in der BRD, durch das "Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken", das heute noch katholische Christen überall dort unterstützt, die in einer extremen Minderheitensituation, in der Diaspora, ihren Glauben leben, vom Bischöflichen Werk "Not in der Welt" und den in der BRD angesiedelten Mutterhäusern der in den Kindergärten arbeitenden Klosterfrauen. Nicht zu vergessen sind die engagierten Eltern, auf evangelischer wie katholischer Seite, die sich für die Erhaltung ihrer Kindergärten einsetzten.

Ab dem 1. Juli 1946 war es den Kirchen untersagt neue Kindergärten zu errichten, jedoch blieb ihnen der bis zu diesem Zeitpunkt bestehender Bestand an Einrichtungen der Kleinkinderfürsorge unangetastet. Die während der Nazi-Diktatur von der "Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt" übernommenen konfessionellen Kindergärten wurden fortan nicht wieder an die ursprünglichen Träger zurückgegeben. Die Kirchen durften "nicht nur keine neuen Kindergärten einrichten, auch die Verlegung an einen anderen Ort oder innerhalb des Ortes war ihnen versagt" (Hartmann/Rahner 1997, S. 90 f).

Was ab 1946 immer deutlicher hervortrat, dass die Errichtung neuer Kindergärten alleinige Aufgabe des Staates sei, wurde schließlich mit der "Verordnung über die Einrichtungen der vorschulischen Erziehung und der Horte", erlassen am 18. September 1952, §2, zur endgültigen Gewissheit. Für die vorschulischen Einrichtungen zeichnete einzig und allein der Staat verantwortlich. Lapidar wurde verkündet:

"Die Errichtung von Kindergärten, Kinderwochenheimen und Horten durch private Personen ist unzulässig" (zit. n. Alkaltin 2004, S. 426).

Die Interpretation der Verordnung vom 18. September 1952 "ging indes weit über das Verbot der Neuerrichtung von Kindertagesstätten durch Privatpersonen hinaus: Die konfessionellen Kindertagesstätten wurden gemäß § 1 der zweiten Durchführungsbestimmung ... erneut dazu aufgefordert, bis zum 28. Februar 1953 einen 'Antrag auf Bestätigung' ihrer Einrichtung beim Rat des Kreises, Abteilung Volksbildung, zu stellen" (ebd., S. 426 f). Im Jahre 1953 erfolgte nochmals ein Versuch, übrigens der letzte, sämtliche konfessionellen Institutionen der Vorschulerziehung auszuschalten. Weitere Übergriffe seitens der Behörden blieben zwar nicht aus, jedoch handelte es sich hierbei meist um gezielte Aktionen gegen einzelne Kindergärten, wie nachstehendes Beispiel aus Cottbus bezeugt:

"1962 übernahm die Evangelische Klosterkirchengemeinde Cottbus die Einrichtung als Kindergarten in Trägerschaft. In der Regel waren Kinderdiakoninnen, welche in eigenen Ausbildungsstätten der evangelischen Kirche ausgebildet wurden, als Kindergärtnerinnen tätig. Doch schon 1970 wurde die Kirchengemeinde durch die DDR-Regierung genötigt, das Grundstück mit dem Gebäude zu verkaufen. Es sollte die repräsentative Stadthalle mit Stadthallenvorplatz entstehen. Gleichzeitig sollte der evangelische Kindergarten, der dem von der DDR beanspruchten Erziehungsmonopol offensichtlich widersprach, abgewickelt werden. Eine Unterschriftenaktion in der Gemeinde und unter den Eltern bewirkte, dass der Kindergarten erhalten blieb und erneut umziehen konnte. Dafür wurde der Dietrich-Bonhoeffer-Saal in der Schillerstraße 56 in einen Kindergarten umgebaut. Dort betreuten damals drei Kinderdiakoninnen 60- 70 Kinder" (http://www.diakonie-portal.de/presse/pressemitteilungen-2014/175-jahre-kindergarten-in-der-evangelischen-klosterkirchengemeinde-cottbus).

Der Bestand an konfessionellen Einrichtungen war mit der "Verordnung vom 18. September 1952 ohnehin auf den 'Ist-Stand' eingefroren worden" (Alkatin 2004, S. 430). Insgesamt existierten in der DDR 417 kirchlich gebundene Einrichtungen, davon 275 evangelische und 142 katholische. Dies entsprach in etwa einem Anteil von 2,9% aller Kindergärten der DDR. Die katholischen Einrichtungen betreffend, hat sich deren Anzahl in "über 40 Jahre DDR nur geringfügig geändert. Zur Zeit der SBZ wurden von diesen 142 unmittelbar nach Kriegsende 111 wieder eröffnet; hierbei handelte es sich um jene Kindergärten, die von den Nationalsozialisten geschlossen worden waren. Zwischen 1945 und 1952 konnten zusätzlich 34 Kindergärten neu eröffnet werden, so dass 1952 insgesamt 145 katholische Kindergärten registriert werden konnten. Im Jahr 1986 waren es dann 142 katholische im Verhältnis zu 13150 staatlichen Kindergärten... Die 142 katholischen Kindergärten wurden zu Beginn der DDR-Zeit hauptsächlich von Ordensschwestern geleitet. Lediglich 11 Kindergärten standen unter der Leitung von sogenannten "Laien-Kindergärtnerinnen". Dieses Bild wandelte sich von Jahr zu Jahr, 1987 war das Verhältnis 34 Ordensschwestern zu 108 Laienkräften" (http://ktkshop.carinet.de/86673.html).

Die meisten katholischen Kindergärten, fast die Hälfte, befanden sich im Jurisdiktionsbezirk Erfurt/Meiningen. In der dort gelegenen Region Eichsfeld blieb das kirchliche Leben zu DDR-Zeiten ziemlich intakt. Auf den Dörfern gab es nahezu ausschließlich katholische Kindergärten, die bestehen blieben, obwohl "der Staat eigene Kindergärten baute und deren Nutzung kostenfrei anbot. Daraus entstand eine Konkurrenzsituation. Die katholischen Kindergärten konnten dennoch bestehen, da die Eltern ihre Kinder so lange wie möglich dem staatlichen Einfluß entziehen wollten und eine christliche Erziehung ihrer Kinder wünschten" (Hartmann/Rahner 1997, S. 90).

BummiPanorama"Bummi": Kinderzeitschrift für Kinder ab den 3. Lebensjahr (Quelle: Ida-Seele-Archiv", 89407 Dillingen)In den meisten katholischen und evangelischen Kindergärten gab es lange Wartelisten, da die Nachfrage nach einem Kindergartenplatz außerordentlich hoch war. Erstaunlicherweise wollten auch nichtkonfessionell gebundene Eltern ihr Kind in einer kirchlichen Einrichtung unterbringen. Die Mütter und Väter, egal ob christlich oder nicht, "fanden es nicht gut, daß selbst schon Vorschulkinder, wie allgemein in den staatlichen Kindergärten üblich, mit militärischen Themen konfrontiert wurden. Ein Beispiel dafür war das für diese Altersgruppe bestimmte 'Bummiheft' (erscheint seit 1957 als illustriertes Bilderheft für kleine Kinder von 3 Jahren bis 6 Jahren bis auf den heutigen Tag; M. B.), das die Kleinen für Volksarmee und Kampfgruppen begeistern sollte, Soldatenlieder und Heldengeschichten abdruckte und Angst vor den bösen Aggressoren verbreitete, die an der Westgrenze zum Angriff auf die friedliche DDR bereitstünden. Um ihre Kinder vor diesem Einfluß zu schützen, suchten die Eltern eine Alternative in den wenigen kirchlichen Kindergärten, die eine Erziehung zu Frieden, Völkerverständigung und Bewahrung der Schöpfung vermittelten" (Behr 2010, S. 49).

Die Einrichtungen der beiden Konfessionen waren im pädagogisch-konzeptionellen Bereich nicht an die staatlich verordneten Bildungs- und Erziehungspläne gebunden und somit auch nicht den staatlichen Bildungs- und Erziehungszielen verpflichtet. Beispielsweise regelte die Schrift "Aufgaben und Ziele in evangelischen Kindergärten", 1979 von der "Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR" herausgegeben, Ziele und Aufgaben der evangelisch-lutherischen vorschulischen Einrichtungen. Demzufolge hatte der evangelische Kindergarten, wie der staatliche auch, die Aufgabe, die Kinder zur Schulreife zu führen. Er hatte als Teil der christlichen Gemeinde, als Ort des christlichen Lebens und der Verkündigung, für die getauften und ungetauften Kinder und Eltern gleichermaßen da zu sein. Die Kinder sollten, entsprechend dem Gesamtziel aller kirchlichen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen (Konfirmanden), "in der Begleitung der Gemeinde... das Evangelium als befreiendes und damit orientierendes Angebot erfahren. Damit soll ihnen geholfen werden, die Welt zu verstehen, Lebenssituationen zu bestehen und mit der Gemeinde zu leben. So sollen sie erfahren, wie Christen in der sozialistischen Gesellschaft verantwortlich vor Gott leben können. Die besondere Chance im evangelischen Kindergarten besteht in der Gestaltung eines gemeinsamen Lebens über einen geschlossenen Zeitraum von drei Jahren. Dabei begegnet der kirchliche Auftrag den Erwartungen der Eltern und gesellschaftlichen Erfordernissen" (zit. n. Grossmann 1992, S. 251).

 

Christliche Gestaltung des Kindergartenalltags


Auf katholischer Seite orientierten sich die Kindergärtnerinnen an den "Arbeitshilfen für die katholischen Kindergärten" sowie an der "Materialsammlung für die Arbeit im Kindergarten", "die verschiedenste Anregungen für Beschäftigungen und Angebote, Spiele, Lieder, Geschichten, Bastelanregungen und methodische Anregungen zu dem jeweiligen Thema enthielt. Es gab Themen wie Freundschaft, Erntedank, St. Martin, Nikolaus, Fasching, Weihnachten, Frühling, Sommer, Herbst, Winter usw. Diese Materialsammlung wurde von der Kirche mit dem Vermerk 'Nur für innerkirchlichen Dienstgebrauch' gedruckt und stand jedem katholischen Kindergarten in der DDR zur Verfügung" (Hartmann/Rahner 1997, S. 95 f).

Sankt Martins FeierSt. Martin-Feier im kathol. Kindergarten St. Agnes in Magdeburg.
(Quelle: Marin Kulessa, Magdeburg)

Die christlichen Fest- und Feiertage standen selbstverständlich in allen christlichen Kindergärten im Zentrum des Jahreskreises. Demgegenüber wurden die staatlichen Feiertage, "voran der 1. Mai oder der Tag der Republik am 7. Oktober und all die Ehrentage für die Nationale-Volksarmee, die Volkspolizei, die Aktivisten usf. " (Behr 21010, S. 64) nicht berücksichtigt. In den evangelischen wie katholischen Einrichtungen bestimmten Ausdrucksformen des Glaubens den Tagesablauf: der Morgenkreis mit Gebet, das Tischgebet (mit Bekreuzigung), das Erzählen biblischer Geschichten und Singen religiöser Lieder, Biblische Meditation, Segenspendung etc. Ferner fehlten in den Gruppenräumen nicht Bilder religiösen Inhalts und Symbole des christlichen Glaubens. So war das Kruzifix als wichtiges und unverzichtbares Zeichen im christlich-abendländischen Kulturbereich für alle, Kinder, Eltern und Besucher, deutlich sichtbar im Gruppenraum platziert. Nachstehendes Beispiel verdeutlicht exemplarisch die religiöse Praxis:


"Meditieren mit Kindern im Vorschulalter... Biblische Meditation... Erzählt oder vorgelesen aus Steinwede wird die Geschichte vom Seesturm MK 4,35-41. Die Kinder spielen mit: Sturm und Wellen, auf- und abschwellend gesummt. Die Bewegung des Bootes wird pantomimisch nachgeahmt, hoch und runter, nach links und rechts schwankend. Angstvolle Gesichter - Angst der Jünger. Jesus (der Anleitende) wird von einem Kind angestoßen und geweckt: 'Herr, macht es dir nichts aus, daß wir untergehen?' Er steht auf, gebietet mit ausgestreckten Armen (wieder pantomimisch) dem Sturm und den Wellen, 'und es trat eine große Stille ein' (auch bei den Kindern!) - Seine Frage: 'Warum habt ihr Angst? Habt ihr keinen Glauben?' - Unsere Frage: 'Wovor haben Kinder Angst? - Ist sie berechtigt?' - Gespräch. Schluß: 'Wir brauchen keine Angst zu heben, Jesus ist immer bei uns.' Gesang (auf selbsterfundene Melodie): 'Ich habe keine Angst, Jesus ist da.' Zum Schluß wird ein Bilderfries zur Betrachtung in Stille gezeigt: 'Jesus stillt den Sturm'" (Geiger 1983, S. 43 ff.).


Die christlichen Kindergärten unterstanden nicht den staatlichen Anleitungs- und Kontrollinstanzen, wenn auch gewisse staatliche Auflagen, wie z. B. Aufsichtpflicht, Hygienevorschriften (die Ausstattung der Gruppenräume mit Stühlen, Tischen und Liegen, die Toiletten und Waschräume, die Reinigung von Materialien oder das Tragen von Hygienekleidung in der Küche usw. betreffend), medizinische Untersuchungen (prophylaktische Untersuchungen durch Arzt und Zahnarzt), Brand- und Arbeitsschutz etc. erfüllt werden mussten. Dementsprechend apodiktisch wurden die Kindergärten häufig und überraschend kontrolliert:


"Beanstandungen konnten schlimme Konsequenzen haben... Es war bekannt, daß der Staat über diese 'Schiene' mit einem Schein des Rechts-Gutachter unsererseits (der Kirchen; M. B.) waren machtlos - die ungeliebte kirchliche Arbeit zum Stillstand bringen konnte. Also mußten wir schon aus Selbsterhaltungstrieb strengstens die Gesetze achten, denn der Staat hatte als Aufsichtsbehörde immer den 'Fuß in der Tür'" (Behr 2010, S. 17 f).


Neben den kircheneigenen Kindergärten hatten sich noch "alternative" Formen der Unterbringung von Kindern entwickelt. Beispielsweise hatte die evangelische Kirche in Sachsen kirchliche Räume zur Verfügung gestellt, in denen sich am Vormittag Kinder von drei bis sechs Jahren versammelten, "und das Miteinander wurde von kirchlichen Mitarbeiterinnen geplant und gestaltet" (Hartmann/Rahner 1997, S. 91). Bereits Anfang der 1950er-Jahre führte die katholische Kirche die religiösen Kleinkinderstunden (später 'Frohe Herrgottsstunden') ein, "die es dann in allen Diözesen und Jurisdiktionsbezirken der DDR gab. Dafür wurden in den Gemeinden Räume und Mobiliar und Spielzeug eingerichtet. Die Zusammenkünfte waren in den einzelnen Gemeinden unterschiedlich lang, von einigen Stunden oder einem Tag bis zu fünf Tagen in der Woche. Sie wurden von Mitarbeiterinnen der Gemeinde (Seelsorgehelferinnen), Kindergärtnerinnen, die für mehrere Gemeinden angestellt wurden, Katechetinnen und Müttern durchgeführt" (ebd. S. 91 f).


Die in den christlichen Kindergärten tätigen Erzieherinnen hatten ihre Ausbildung an eigenen Seminaren der Kirchen, die ihre Lehrinhalte staatsunabhängig bestimmten, absolviert. Die Bildungsinstitutionen waren nicht staatlich anerkannt. Über fünf Ausbildungsstätten verfügte die evangelisch-lutherische Kirche, in Bad Lausick, Berlin, Eisenach, Greifswald und Wolmirstedt. Dort wurden sogenannte Kinderdiakoninnen ausgebildet, mit dem Ziel, den Absolventinnen eine „Verwirklichung des Verkündigungsauftrages" mit Blick auf das Kind, die Eltern, die Gemeinde und Gesellschaft zu eröffnen (vgl. Ruppin 2008). Demgegenüber unterhielt die katholische Kirche drei Seminare, in Michendorf bei Berlin, Erfurt und Heiligenstadt, in welchen "ebenfalls eine breit gefächerte Ausbildung angeboten wurde, dass eine Tätigkeit im gesamten kirchlich getragenen Jugendfürsorgebereich sowie im kirchlichen Religionsunterricht möglich war" (Konrad 2004, S. 228). Den Auszubildenden war von Anfang an bewusst, bzw. wurde ihnen von den Seminaren deutlich mitgeteilt, dass mit einer kirchlichen Ausbildung keine Chancen bestehen würden, in einer staatlichen Einrichtung arbeiten zu können. Für einige konfessionell ausgebildete Erzieherinnen entstanden Probleme, "wenn sie z. B. durch Eheschließung in einen Ort gelangten, der keinen konfessionellen Kindergarten oder keine andere kirchliche Einrichtung hatte... Die Auszubildenden wußten auch, daß ihre Bezahlung den kirchlichen Tarifen entsprach und sie mit ihrem Gehalt weit unter (ca. 1/3) dem einer staatlichen Erzieherin lagen" (Hartmann/Rahner 1997, S. 98).


Anmerkung
1) In der DDR organisierte sich die Caritas im Gegensatz zur Bundesrepublik nicht als Verband, sondern wurde in die Strukturen der Amtskirche eingebunden, um ihre Angriffsfläche zu verringern. Dies stärkte die Caritas gegenüber der Partei und des Staatsapparats, die einen Kirchenkampf in letzter Konsequenz vermied.


Literaturverzeichnis

  • Akaltin, J.: Kindergärten und Kleinkindererziehung im "Dritten Reich" und in der SBZ/DDR am Beispiel Leipzigs 1930-1958, in. Heydemann, G./Oberreuther, H. (Hrsg.): Diktaturen in Deutschland -Vergleichsaspekte. Strukturen,, Institutionen und Verhaltensweisen, Bonn 2003
  • Alkatin, J.: Neue Menschen für Deutschland? Leipziger Kindergärten zwischen 1930 und 1959, Köln/Weimar/Wien 2004
  • Behr, F.: Maria oder Schneewittchen. Kirchliche Kindergärten gegen die SED-Ideologie, Jena-Quedlinburg 2010
  • Berger, M.: Kindergarten und Kleinkindererziehung in der SBZ/DDR, Saarbrücken 2014
  • Geiger, H.: Meditieren mit Kindern im Vorschulalter, in: Doyé, G./Stengel, H. (Hrsg.): Glauben erleben. Zur Arbeit im evangelischen Kindergarten und mit anderen Kindergruppen in der Gemeinde, Berlin (Ost) 19898, S. 43-48
  • Grossmann, W. (Hrsg.): Kindergarten und Pädagogik. Grundlagentexte zur deutsch-deutschen Bestandsaufnahme, Weinheim/Basel 1992
  • Hartmann, U./ Rahner, Ch.: Zur Situation der konfessionellen Kindergärten in der DDR, in: Müller-Rieger, M. (Hrsg.): "Wenn Mutti früh zur Arbeit geht...". Zur Geschichte des Kindergartens in der DDR, Dresden 1997
  • Hoffmann, H.: Sozialdemokratische und kommunistische Kindergartenpolitik und -pädagogik in Deutschland. Eine historische Untersuchung zur Theorie und Realpolitik der KPD, SED, und SPD im Bereich institutionalisierter Früherziehung, Bochum 1994
  • Hübner, J.: Der Weg der Diakonie in der DDR, in: Kaiser, J. C. (Hrsg.): Handbuch zur Geschichte der Inneren Mission, Stuttgart 2008, S. 12-29
  • Konrad, F.-M.: Der Kindergarten. Seine Geschichte von den Anfängen bis in die Gegenwart, Freiburg/Brsg. 2004
  • Ruppin, I.: Kinderdiakoninnen im Transformationsprozess. Beruflicher Habitus und Handlungsstrategien im Kindergarten, Wiesbaden 2008
  • Webseiten
  • http://www.diakonie-portal.de/presse/pressemitteilungen-2014/175-jahre-kindergarten-in-der-evangelischen-klosterkirchengemeinde-cottbus (abgerufen 16. November 2014)
  • http://www.diakonie.de/diakonie-in-der-sowjetischen-besatzungszone-und-der-ddr-9220.html (abgerufen 16. November 2014)
  • http://ktkshop.carinet.de/86673.html (abgerufen 16. November 2014)


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