Qualität in der Krippe


Aus entwicklungspsychologischer Sicht ist gerade bei der Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern unter drei Jahren auf höchste Qualität zu achten, weil in den ersten Lebensmonaten und Jahren die Grundlagen für die weitere gesunde Entwicklung gelegt werden und weil Säuglinge, Babys und Kleinkinder für die Befriedigung ihrer physischen und psychischen Bedürfnisse völlig von ihrer sozialen Umwelt abhängig sind. Ein Kind braucht von Geburt an einige wenige verlässliche Bezugspersonen, die feinfühlig seine Bedürfnisse nach Bindung und Exploration beantworten. Entscheidend für das Kind sind die Stabilität der Beziehungen und die Feinfühligkeit der einzelnen Bezugspersonen gegenüber seinen Signalen.[1]

Kinder unter drei Jahren brauchen eine professionelle Eingewöhnung in die außerfamiliäre Be-treuungssituation, sie brauchen feste Bezugserzieherinnen und ihnen vertraute Ersatzkräfte, sie brauchen liebevolle Pflege und Zuwendung durch ihre Bezugserzieherin beim Wickeln, An- und Auskleiden, Essen, Einschlafen und Aufwachen, aber auch beim Ankommen und beim Abschied in der Kindertageseinrichtung. Kinder unter drei Jahren benötigen altersangemessene, gesunde Frischkost, sie brauchen sorgfältige Hygienemaßnahmen, geeignete Raum- und Materialausstattung sowie sehr gut vorbereitete und dokumentierte Bildungsbegleitung. Kinder unter drei Jahren brauchen hochqualifizierte pädagogische Fachkräfte, die gemeinsam mit den Eltern das Kind in seiner Bildungsentwicklung begleiten und ermutigen.
 

Unterschiedliche Aspekte von Qualität in der Kindertagesbetreuung


Es gibt in Deutschland (noch) keine verbindlichen Standards, die die Qualität frühkindlicher Bildung, Erziehung und Betreuung in öffentlicher Verantwortung bestimmen. Dennoch lassen sich aufgrund nationaler und internationaler Forschungsergebnisse auf unterschiedlichen Ebenen Qualitätsanforderungen beschreiben, die handlungsleitend für die Gestaltung der Arbeit in der Kindertagesbetreuung und deren Finanzierung sein sollten.2  Dabei spielen die Qualitätsdimensionen Orientierungs-, Struktur-, Prozess- und Kontextqualität die entscheidenden Rollen (vgl. Abbildung 1)[2]:

Grafik 1 535
 

Mit der Strukturqualität werden die strukturellen Rahmenbedingungen beschrieben, also Größe der Gruppen, Personalschlüssel, Qualifizierung der Fachkräfte für diese Altersgruppe, aber auch die räumliche und materielle Ausstattung. Die Strukturqualität wird weitgehend vom Träger der Einrichtung und den städtischen oder kommunalen Finanzen bestimmt. Die Orien-tierungsqualität gibt Auskunft über die pädagogische Ausrichtung der Kindertageseinrichtung. Hier finden sich Hinweise darauf, ob die Einrichtung sich an der Entwicklung des Kindes und seiner Bildungsprozesse orientiert. Ob diese Konzepte dann aber auch tatsächlich in die Praxis umgesetzt werden, macht die Prozessqualität der Einrichtung aus. Sie sollte die richtige Mischung zwischen anregenden Impulsen von außen und der Unterstützung der eigenen Ideen eines Kindes bieten. Gerade bei den jüngsten Kindern stellen die Abstimmung mit den Eltern und die Qualität der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft einen wesentlichen Bestandteil der Prozessqualität dar. Die Prozessqualität wird auch durch die Organisationsqualität bestimmt. Wenn also die Abstimmung im Team und die Aufteilung der Aufgaben, die gemeinsame Planung von Fortbildungen usw. gut funktionieren, trägt das ebenfalls zu einer besseren pädagogischen Arbeit und Bildungsförderung der Kinder bei.


Ebene der Orientierungsqualität

Kindertageseinrichtungen brauchen ein Leitbild, bei dem das Kind und seine Entwicklungs- und Bindungsbedürfnisse im Ausgangs- wie Mittelpunkt stehen. Sie müssen über eine Konzeption verfügen; diese muss den Bildungsauftrag der Einrichtung konkretisieren und auf die Aspekte der Arbeit mit dem Kind, der Erziehungspartnerschaft mit den Eltern und die Vernetzung und Einbindung der Institution in den Sozialraum eingehen.[3]

 
Ebene der Strukturqualität

  • Erzieherin-Kind-Schlüssel und Gruppengröße
Anforderungen zur Sicherung einer qualitativ hochwertigen pädagogischen Arbeit lassen sich aus folgender Tabelle ablesen:
 Tabelle 1 535




Das Kinderbetreuungsnetz der Europäischen Union empfiehlt für Kinder von 24 bis 36 Mona-te fünf bis acht Kinder pro Gruppe und einen Personalschlüssel von 1:3 für Kinder im Alter von null bis 24 Monaten, für Kinder im Alter von 24 bis 36 Monate 1:3 bis 1:5.3 Von diesen Vorgaben sollte z.B. bei Kindern mit Behinderung oder bei Kindern mit Migrationshintergrund (Familiensprache ist nicht Deutsch) abgewichen werden, um ihren besonderen individuellen Bedürfnissen gerecht werden zu können.
 
  • Qualifizierung der pädagogischen Fachkräfte
Gestiegene Erfordernisse des komplexer gewordenen Feldes und der Anschluss an europä-ische Standards erfordern eine verstärkte Qualifizierung der pädagogischen Fachkräfte auf akademischem Niveau (BA-Abschluss) und die Bildung multiprofessioneller Teams. Angest-rebtes Ziel ist es daher, den Anteil des akademisch ausgebildeten Personals zu erhöhen. Die Ausbildung an den Fachakademien ist in hohem Maße durchlässig zu gestalten, und es ist ein qualitativ hochwertiges Angebot von Weiterbildungen vorzuhalten.

  • Vor- und Nachbereitungszeiten
Die Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen sollten – analog zu Grundschullehrer/innen und angesichts steigender Anforderungen (z.B. im Bereich der Beobachtung und Dokumentation) – ein Drittel der Arbeitszeit für Vorbereitung und Reflexion zur Verfügung haben.[4]


Ebene der Organisationsqualität

Die Zufriedenheit der pädagogischen Fachkräfte mit der Organisation der Arbeit in der Kin-dertageseinrichtung ist entscheidend für die Qualität der Bildungsarbeit mit dem Kind. Eine gemeinsame Aufteilung der Aufgaben, die weder zu Über- noch zu Unterforderung führt, gut abgestimmte Arbeitsprozesse und gemeinsame Weiterentwicklung der Qualität der pädagogischen Arbeit, eine kompetente und engagierte Leitung der Einrichtung, gute Zusammenarbeit mit Fachkräften und Vernetzung der Einrichtung mit anderen Institutionen sowie Nutzung von Fortbildungsmaßnahmen sind hier die entscheidenden Kriterien.
 

Ebene der Prozessqualität

Kontinuität, Sicherheit und Wohlbefinden sind entscheidend für das Lernen kleiner Kinder. Die Beziehungsqualität zwischen Fachkraft und Kind drückt sich in der Art der Interaktion und Kommunikation mit dem Kind aus. Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen brauchen die Bereitschaft und die Gelegenheit zur Reflexion des eigenen Handelns auf der Grundlage einer systematischen Dokumentation der eigenen Arbeit. Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen müssen systematische Erziehungs- und Bildungspartnerschaften mit den Eltern aufbauen und kontinuierlich gestalten. Die Arbeit in den Einrichtungen muss vom Prozess einer systemati-schen Qualitätsentwicklung getragen sein; diese Qualitätsentwicklung sollte anhand empirisch bewährter Instrumente gesteuert werden.


Ebene der Kontextqualität

Die Arbeit in Kindertageseinrichtungen muss in einem Kontext stattfinden, der durch Ver-bindlichkeit und langfristige Planungssicherheit gekennzeichnet ist. Hierzu zählen insbeson-dere verbindliche, wissenschaftlich fundierte Bildungspläne auf einer überregionalen Ebene und ausreichende, auch langfristig gesicherte Finanzierung der Arbeit auf der Grundlage der dargelegten Qualitätsstandards.
 

Literatur

  • Fröhlich-Gildhoff, Klaus (2007): Wer Qualität will, muss in Qualität investieren. Kindergarten heute, Heft 5, S. 6-13.
  • Grossmann, Karin/Grossmann, Klaus E. (2004): Bindungen – das Gefüge psychischer Sicherheit, Stuttgart. Sachverständigenkommission (2005): Zwölfter Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland, München.
  • Strehmel, Petra (2008): Wovon hängt „gute“ Bildung tatsächlich ab? Kindergarten heute, Heft 1, S. 8-13.



[1] Grossmann/Grossmann 2004

[2] 2 Strehmel 2008

[3] In: Kinder in Europa. November 2004, 14

[4] vgl. Fröhlich-Gildhoff 2007



Der Artikel ist zuerst im Online-Familienhandbuch unter dem Titel "Die Bedeutung der Qualität in der Kindertagesbetreuung für Kinder in den ersten drei Lebensjahren" erschienen und wird hier mit freundlicher Genehmigung des IFP übernommen.





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