Rosa Katz (1885-1976)


R. KatzRosa Katz (Quelle: Ida Seele-Archiv)Rosa Katz wurde am 9. April 1885 in Odessa geboren. Sie war das zweitälteste von vier Kindern des Ingenieurs Jean Heine (der weitläufig mit dem Dichter Heinrich Heine verwandt war) und dessen Ehefrau Teresa, geb. Farnapolski. Viele Jahre lebte die Familie in Alexandria, wo der Vater als Ingenieur am Bau des Suez-Kanals beschäftigt war. Nach Abschluss der „Höheren Töchterschule“ und der „Höheren Frauenkurse“ an der „Historisch-Philologischen Fakultät“ von Odessa, studierte Rosa Heine ab 1907 Philosophie, Kunstgeschichte, Physik sowie Psychologie in Göttingen. 1913 schloss sie ihr Studium mit der Promotion ab. An der Göttinger Universität lernte Rosa Heine ihren Mann, David Katz, kennen. Die beiden heirateten 1919. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor.

Nach Abschluss des Studiums unterrichtete die junge Doktorin kurze Zeit an der Odenwaldschule, die sie mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges, weil russische Staatsangehörige, verlassen musste. Folgend war Rosa Heine in Berlin tätig, jedoch ohne eine zufrieden stellende Berufsarbeit. Noch im gleichen Jahr ihrer Eheschließung erhielt David Katz einen Ruf als außerordentlicher Professor für Pädagogik und Philosophie an die Universität von Rostock. In der Hansestadt an der Ostsee beschäftigte sich Rosa Katz überwiegend mit der Kinderpsychologie.

Als die Nazis die Macht übernahmen, musste die Familie Katz Deutschland verlassen. David Katz wurde als „jüdisch-marxistischer“ Professor verunglimpft und seiner Frau nachrichtendienstliche Verbindungen in die Sowjetunion unterstellt. Für kurze Zeit lebte die Familie in London, ab 1937 in Stockholm. In letztgenannter Stadt erhielt David Katz eine Stiftungsprofessur für Pädagogik und Psychologie. An der Stockholmer Universität stand Rosa Katz eine eigene kinderpsychologische Abteilung zur Verfügung. Jedoch galt ihr wissenschaftliches Interesse nicht mehr nur allein der Kinderpsychologie, sondern u. a. der Alterspsychologie sowie der philologischen Begabung. Eine universitäre Anstellung hatte sie (zeitlebens) nie erstrebt, um ja nicht in den Verdacht der Vetternwirtschaft zu geraten.

Rosa Katz, seit 1953 Witwe, verstarb knapp 91-jährig am 26. März 1976 in Stockholm. Ihr Tod blieb von der Fachwelt so gut wie unbeachtet.

Überzeugte Verteidigerin der Montessoripädagogik


Rosa Katz war eine der ersten AkademikerInnen, die sich mit der frühen Kindheit befasste. So setzte sie sich beispielsweise mit der „neuen Methode“ der italienischen Ärztin Maria Montessori auseinander, die sie in ihren vielfältigen kinderpsychologischen Untersuchungen immer wieder positiv hervorhob. Im Gegensatz zu vielen damaligen Montessorikritikern konnte sie „wesentliche Elemente der Montessoripädagogik aufgrund eigener Forschungen bzw. der systematischen Beobachtungen an ihrem (1920 geborenen) ältesten Sohn Theodor bestätigen und wurde so zu einer überzeugten Verteidigerin der Montessorischen Idee“ (Konrad1997, S. 214). Mit der Publikation „Das Erziehungssystem der Maria Montessori“ versuchte sie deren umfangreiches Werk „Selbsttätige Erziehung im frühen Kindesalter“ in eine allgemein verständliche Sprache und zugleich in wesentlich kürzere Fassung zu bringen. Das Büchlein, hervorgegangen aus einer Reihe von Vorträgen, die sie vor Kindergärtnerinnen und LehrerInnen gehalten hatte, war eine der ersten deutschsprachigen Einführungen in die Montessoripädagogik, dessen Ziel es war, durch „wohlfeile, aber alles Wesentliche berücksichtigende Darstellung“ (Katz 1925, Vorwort), vielen Eltern die reformpädagogischen Gedanken und praktischen Anregungen der „Dottoressa“ nahe zu bringen. „Das Erziehungssystem der Maria Montessori“ erschien 1939 in schwedischer Sprache und kam fast 15 Jahre später nochmals auf den Buchmarkt.
 
Rosa Katz war nicht nur Theoretikerin, neben ihrer Mutterrolle war sie auch im Sinne der „neuen Methode“ erzieherisch tätig. Im Sommer 1926 gründete sie im Ostseebad Warnemünde, wo sie mit ihrem Mann und den Kindern wiederholt den Sommerurlaub verbrachte, einen „Wandernden Kindergarten“, der sich dort ansiedelte, „wo infolge einer vorübergehenden Ansammlung von Kindern ein Bedürfnis nach ihm vorhanden [war]“ (Katz 1927, S. 492). Ziel der Einrichtung sollte vordergründig sein, die Erholung suchenden Eltern dadurch zu unterstützen, dass deren Kinder tagsüber nicht nur betreut, sondern auch eine fundierte, an der Montessoripädagogik sich orientierende Erziehung erfahren (vgl. ebd., S. 490 ff.).

Psychologische Untersuchungen zur frühen Kindheit


Rosa Katz beschäftigte sich mit unterschiedlichen kinderpsychologischen Aspekten, beispielsweise mit Märchen und ihre Wirkung auf Kinder, dem Tastsinn, der „kindlichen Minderwertigkeit“ oder dem „schöpferischen Schaffen“ des Vorschulkindes, um nur einige zu nennen. Ihre wohl bedeutendsten Untersuchungen hatte sie in enger Kooperation mit ihrem Mann durchgeführt. Daraus gingen zwei essentielle Veröffentlichungen hervor: „Die Erziehung im vorschulpflichtigen Alter“ (1925) und „Gespräche mit Kindern“ (1928). Erstgenannte Publikation, die keine Sammlung pädagogischer Rezepte bietet, möchte Eltern, Kindergärtnerinnen etc. für Fragen der Erziehung des vorschulpflichtigen Kindes sensibilisieren:

„In einem allgemeinen Teil werden Erziehungsaufgaben, die Macht und Grenzen der Erziehung […] erläutert. Im daran anschließenden Teil geht es auf praktischer Ebene um Themen wie Pflege, Gewöhnung, wie auch Beschäftigung des Kindes und Schulung seiner Sinne. Dabei beziehen sich die Autoren sehr stark auf die Aussagen Maria Montessoris. Wesentliches Augenmerk wird der ästhetischen Formung und der Willensbildung in der kindlichen Entwicklung geschenkt. Bei den kindlichen Tugenden legen die Autoren großen Wert auf das Gebot der Wahrheit, weswegen sie auch ‚gegen das Storchenmärchen’ eingestellt sind […] Im Kapitel über Belohnung und Strafen wenden sie sich vehement gegen den Einsatz der Prügelstrafe“ (Riedmann 2002, S. 49 f).

Wichtige Erkenntnisse zur Sprachentwicklung


Rosa Katz selbst bewertete „Gespräche mit Kindern“ als eine der zentralen Veröffentlichungen, die sie zusammen mit ihrem Mann herausgegeben hatte. Und in der Tat, noch heute gilt die Publikation, die ins Englische und Schwedische übersetzt wurde, als Standardwerk über die Sprachentwicklung bei Kindern. Darin analysieren David und Rosa Katz 154 Alltagsgespräche, die die beiden mit ihren Söhnen zwischen Oktober 1925 und Oktober 1926 geführt hatten und diese in einem akribisch geführten Tagebuch festhielten. Wie Rosa Katz rückblickend berichtete, war das Rohmaterial für die Analysen Dialoge „und nicht einzelne Wörter oder Sätze, über die die Untersuchungen zur Kindersprache damals kaum hinausgekommen waren, und damit erhielt das Buch ein holistisches Gepräge. Das Gespräch wurde als die wichtigste und an Konsequenzen reichste Zusammenarbeit zweier Gesprächsteilnehmer erkannt“ (Katz 1972, S. 117). Im Hinblick auf die kindliche Entwicklung, die das Psychologenehepaar als „schöpferischen Prozess“ betrachteten, als auch auf die Funktion, die der Sprache dabei zukommt, bilanzierte es:

„Mit der Erwerbung der Sprache setzt die eigentliche Menschwerdung ein, so bedeutungsvoll auch für die Reifung des Kindes sein persönlicher Umgang mit den Dingen wird, weit größere Wirkung hat in dieser Hinsicht die Belehrung: durch Frage und Antwort, durch Rede und Gegenrede, in unzählig vielgestaltigen Formen der Diskussionen vollzieht sich die Übernahme der tradierbaren Kulturwerte“ (Katz/Katz 1928, S. 4).

In „Gesprächen mit Kindern“ beschrieb das Ehepaar auch das magische (anthropomorphe, animistische) Weltbild. Sie stellten fest, dass diese typische Denkweise des Vorschulkindes mit zunehmendem Alter deutlich abnimmt, jedoch nie ganz verloren geht:

„Nach unseren bisherigen Beobachtungen scheint die straffere Zucht des Denkens, wie sie mit dem Schuleintritt beginnt, dem magischen Denken des Kindes Abbruch zu tun und soll das ja auch, aber das magische Denken weiß dann schon neue Schlupfwinkel in der Seele zu finden; schließlich: wer weiß sich selbst als gebildeter Kulturmensch von einem letzten Rest magischen Denkens ganz frei?“ (ebd., S. 255).

In ihrer profunden Analyse über „Gespräche mit Kindern“ schreibt Elfriede Billmann-Mahecha (2002, S. 162), das angesichts der vielen (heimlichen) „Miterzieher“ die auf die Kinder heute regelrecht einprassen, insbesondere aus dem medialen Bereich, „die Befürchtungen von Katz und Katz geradezu rührend“ wirken, wenn genannte schreiben:

„Eine kurze Unterhaltung mit einer ungebildeten Person kann eine Verwirrung in der kindlichen Seele anrichten, die bei der großen Eindrucksfähigkeit des Kindes nicht so leicht wieder zu beseitigen ist“(ebd., 1928, S. 87).

 

Literatur


  • Berger, M.. Rosa Katz- Ihr Leben und Wirken. Ein Beitrag zur Geschichte der Montessori-Pädagogik, in: Das Kind 2000/H. 27, S. 85 -92

  • Ders.: Rosa Katz – eine bedeutende, aber nicht nur in Rostock unbekannt gebliebene Psychologin. Eine Spurensuche, in: Zeitgeschichte regionale Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern 2002/H. 2, S. 65-73

  • Billmann-Mahecha, E.: Rosa Katz: Auf der Suche nach einer kulturpsychologischen Entwicklungspsychologie, in: Volkmann-Raue, S./Lück, H. F. (Hrsg.): Bedeutende Psychologinnen. Biographien und Schriften, Weinheim/Basel 2002, S. 152-166

  • Katz, R.: Das Erziehungssystem der Maria Montessori, Rostock 1925

  • Dies.: Neue Formen des Kindergartens, in: Zeitschrift für pädagogische Psychologie und Jugendkunde 1927/H. 10, S. 490-509

  • Dies.: Rosa Katz, in: Pongratz, L. J. (Hrsg.): Psychologie in Selbstdarstellungen, Bern 1972, S. 103-125

  • Katz, R./Katz, D.: Die Erziehung im vorschulpflichtigen Alter, Leipzig 1925

  • Dies.: Gespräche mit Kindern. Untersuchungen zur Sozialpsychologie, Berlin 1928

  • Konrad, F.-M.: Kindergarten oder Kinderhaus? Montessori-Rezeption und pädagogischer DiskursDiskurs|||||Der Begriff Diskurs kann verschiedene Bedeutungen haben, wurde ursprünglich jedoch als  „hin und her gehendes Gespräch“ verwendet. Weitere Bedeutungen sind: theoretische Erörterung, systematische, methodische Abhandlung, gesellschaftliche Auseinandersetzung, Erörterung. Sinnverwandt sind auch Debatte, Diskussion, Disput.  in Deutschland bis 1939, Freiburg/Brg. 1997

  • Riedmann, B.: Rosa Katz. Leben und Werk einer Psychologin, Bregenz 2002 (unveröffentl. Magisterarbeit)




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