Religiöse Erziehung im Kindergarten


Religiöse Erziehung im Kindergarten umfasst alle Maßnahmen und den Prozess der Hilfestellung bei der freien Entscheidung des Kindes für oder gegen eine Bindung und Beziehung an einen letzten Sinn – Gott, an Transzendentes, das die Grenzen der menschlichen Erkenntnis überschreitet und sich geschichtlich-kulturell in unterschiedlichen, kirchlich institutionalisierten Religionen ausgeformt hat. Dabei geht die religionspädagogische Literatur davon aus, dass Kinder im Vorschulalter Sinnfragen stellen, empfänglich für Transzendentes sind und ein Recht auf religiöse Erziehung haben, die mehr als eine Werteerziehung beinhaltet. Anders als bei der Schule ist religiöse Erziehung im Kindergarten nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHGKJHG||||| Das Kinder- und Jugendhilfegesetz umfasst die bundesgesetzlichen Regelungen, die die Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland betreffen. Das SGBVIII (Achte Buch Sozialgesetzbuch) ist der Artikel 1 des KJHG. Es umfasst ein Angebote- und Leistungsgesetz für Kinder, Jugendliche und ihre Eltern, welches der früheren Kontroll- und Eingriffsorientierung entgegensteht. Daher steht das Inkrafttreten  (Januar 1991) auch für einen Paradigmenwechsel in der Kinder-und Jugendhilfe. ) kein fester Bestandteil des Erziehungs- und Bildungsauftrages des Kindergartens, in der Praxis jedoch in einer multireligiösen Gesellschaft eine ständige Herausforderung in Form einer PluralitätPluralität|||||Pluralität bezeichnet die Koexistenz von Vielfalt. In der heutigen Gesellschaft bedeutet das, dass es häufig  vielfältige, individuelle  Interessen und Lebensstile, Bildungswege, Familienkonstellationen etc. in der Gesellschaft geben kann. religiöser Voraussetzungen und Erfahrungen seitens der Kinder und widersprüchlicher Erwartungen der Eltern. Religiöse Erziehung im Kindergarten ist heute aber trotzdem kein systematisch integrierter Teil einer Pädagogik der frühen Kindheit. Religiöse Erziehung im Kindergarten war lange, insbesondere in kirchlichen Kindergärten, durch ein Primat der Theologie gegenüber der Pädagogik gekennzeichnet, abhängig vom jeweiligen Theologieverständnis und der damit verbundenen Sichtweise auf das Kind, ob es z.B. idealisiert als unschuldiges Wesen, als durch die Erbsünde verdorben, als defizitäres, frühzeitig zu unterweisendes Objekt oder als selbstständiges Subjekt anerkannt wurde.
Religiöse Impulse und gesellschaftliche Verantwortung führten im 19. Jahrhundert zu unterschiedlichen außerfamilialen Betreuungseinrichtungen beider christlichen Kirchen, in denen die religiöse Erziehung eine zentrale Rolle spielte. Nach Kritik an der Praxis religiöser Erziehung im Kindergarten in der Reformbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfolgte daran anknüpfend seit Mitte der 1960er Jahre erneut eine kritische Diskussion. Den nun in der Bundesrepublik Deutschland entwickelten Curriculumansätzen für den Kindergarten korrespondierte jeweils ein bestimmtes Konzept von religiöser Erziehung im Kindergarten. In beiden Kirchen kam es zur Neuorientierung und zu einem religionspädagogischem Engagement, bei grundsätzlich positiver Aufnahme und zugleich kritischer Auseinandersetzung mit den Situationsansätzen. Im Programm und den Arbeitsplänen für die Bildung- und Erziehungsarbeit der Kindergärten der Deutschen Demokratischen Republik war eine sittlich-moralische, aber keine religiöse Erziehung im Kindergarten, die als reaktionär und Mittel zur Aufrechterhaltung von Macht kritisiert wurde, vorgesehen.
Seit Anfang der 1990er Jahre erfolgte in Deutschland in beiden christlichen Kirchen nicht nur eine stärkere religiöse Profilierung der Tageseinrichtungen im Rahmen der Qualitätsdebatte, sondern auch ein Perspektivenwechsel, der das Kind und die religiöse Erziehung in den Mittelpunkt rückt. In ihren Grundsatzpapieren werden Tageseinrichtungen als familienergänzende, integrale Bestandteile der Kirchengemeinden mit einem aus dem christlichen Menschenbild abgeleiteten Bildungsauftrag und einer pluralitätsfähigen Religionspädagogik bestimmt.
Andere Ansätze und Vorschläge gehen von einer zunächst noch nicht an eine Kirchlichkeit gebundenen, allgemeinen religiösen Erziehung aus, bei der die Verschiedenheit der Religionen vermittelt wird. Empirische, nicht repräsentative Untersuchungen zur religiösen Erziehung im Kindergarten, die ergänzt werden sollten, ergaben, dass es in den konfessionellen Einrichtungen ein umfangreiches Angebot an religiöser Erziehung gibt, während sie in den nichtkonfessionellen Einrichtungen kaum zum Thema wird. Eine interreligiöse Erziehung findet in rund einem Viertel der konfessionellen in einem geringen Umfang statt, in den nicht-konfessionellen bei nur 9%, eine islamische Bildung ist in 90% aller Einrichtungen nicht vorhanden.


Literatur

  • Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hg.) (2004): Wo Glaube wächst und Leben sich entfaltet. Gütersloh. Verband Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder
  • Bundesverband e.V. (Hg.) (2004): Den Glauben neu buchstabieren. Freiburg.
  • Schweitzer, F./Biesinger, A./Edelbrock, A. (Hg.) (2008): Mein Gott – Dein Gott. Weinheim, Basel.

 

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Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. © 2011 Verlag Julius Klinkhardt. Quelle: Klinkhardt Lexikon Erziehungswissenschaft (KLE), hg. v. Klaus-Peter Horn, Heidemarie Kemnitz, Winfried Marotzki und Uwe Sandfuchs. Stuttgart, Klinkhardt/UTB 2011, ISBN 978-3-8252-8468-8. Nutzung mit freundlicher Genehmigung des Verlags. Das komplette Klinkhardt Lexikon Erziehungswissenschaft erhalten Sie im UTB-Online-Shop (Link s.u.)