Frühförderung

Unter Frühförderung fasst man ein komplexes System verschiedenartiger, spezieller Hilfsangebote für Kinder mit körperlichen, geistigen oder seelischen Auffälligkeiten im Vorschulalter zusammen. Diese Angebote haben das Ziel, eine kindliche Entwicklungsgefährdung möglichst früh zu erkennen und ihr in einem Zusammenwirken von Experten und Eltern präventiv, beratend und therapeutisch zu begegnen.
Spezielle Angebote früher Förderung von Kindern mit spezifischen Beeinträchtigungen gab es in Einzelinitiativen schon weit vor den 1970er Jahren, eine institutionalisierte Frühförderung wurde in der Bundesrepublik Deutschland jedoch erst nach dem Erscheinen der Empfehlungen des Deutschen BildungsratBildungsrat|||||Der Deutsche Bildungsrat wurde ab 1966 als eine Kommission für Bildungsplanung eingesetzt. Er wurde von Bund und Ländern gegründet. Aufgaben waren unter anderem: Strukturvorschläge zu machen, Bedarfs- und Entwicklungspläne für das deutsche Bildungswesen zu entwerfen, den Finanzrahmen zu berechnen und Empfehlungen für langfristige Planungen auszusprechen.es (1973) aufgebaut. Auf der Grundlage dieser Empfehlungen und in deren Folge wurde deutschlandweit ein flächendeckendes System von 1. Sozialpädiatrischen Zentren (SPZ) und 2. Pädagogischen Frühförderstellen aufgebaut.
SPZ arbeiten überregional, ihr Aufgabenbereich liegt in der frühen (medizinischen und psychologischen) Diagnostik und Therapie. Frühförderstellen hingegen sind regional organisiert. Sie haben die Aufgabe, Kinder mit Behinderungen oder Entwicklungsproblemen pädagogisch zu fördern sowie deren Eltern zu beraten und bei der Förderung und Erziehung ihres Kindes anzuleiten und zu unterstützen. Während die Arbeit in den SPZ weitestgehend medizinisch geprägt ist, arbeiten in den Frühförderstellen in erster Linie (Sonder-)Pädagogen und Psychologen, teilweise zusätzlich aber auch Ergo- und Physiotherapeuten.
Das Frühfördersystem ist ein niederschwelliges und offenes Angebot, welches sich den Prinzipien Interdisziplinarität, Regionalisierung, Familienorientierung und Ganzheitlichkeit und verpflichtet sieht.
Rechtsansprüche auf die Maßnahmen der Frühförderung sind im Sozialgesetzbuch (SGB) IX, § 30, im SGB V und für Kinder mit seelischer Behinderung im Kinder- und Jugendhilferecht (SGB VIII) festgeschrieben.
Die Komplexität der zu erbringenden Leistungen, die Vielzahl und Unterschiedlichkeit der beteiligten Träger (z.B. Diakonie, Lebenshilfe, Caritas u. a.) sowie länderspezifische Finanzierungen führten in den letzten Jahren dazu, dass die Leistungen der Frühförderung äußerst unterschiedlich waren. Aus diesem Grund wurde im Juni 2003 eine Rechtsverordnung zur Früherkennung und Frühförderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder, auch Frühförderungsverordnung (FrühV) genannt, erlassen. Diese Verordnung legt die Frühförderung als Komplexleistung fest, d.h. medizinisch-therapeutische und heilpädagogische Leistungen sollen nunmehr stärker verzahnt und auf der Grundlage von Finanzierungsvereinbarungen besser abgestimmt erbracht werden. Die mit dieser Verordnung verbundenen Hoffnungen haben sich bisher jedoch nur teilweise erfüllt, in den wenigsten Ländern ist es bisher zum Abschluss entsprechender Landesrahmenempfehlungen und zum Aufbau einer interdisziplinärinterdisziplinär|||||Unter Interdisziplinarität versteht man das Zusammenwirken von verschiedenen Fachdisziplinen. Dies kann auch als „fächerübergreifende Arbeitsweise“ verstanden werden, z.B wenn Psychologen, KinderärztInnen, ErzieherInnen und Lehrende zusammen an einer Fragestellung arbeiten.en Frühförderung gekommen.
Aussagekräftige Analysen zur Wirksamkeit der Frühförderung gestalten sich aufgrund der Komplexität der kindlichen Entwicklung als problematisch, dennoch werden als Fazit verschiedener Studien zur Wirksamkeit zwei zentrale Tendenzen deutlich:


1. Effekte werden langfristig dann stabilisiert, wenn sie in lebensalltäglichen Interaktionen des Kindes bedeutsam sind.


2. Von entscheidender Bedeutung für die Gesamtentwicklung eines Kindes ist die frühe Einbeziehung seiner Bezugspersonen sowie die Berücksichtigung seines gesamten psychosozialen Umfeldes.

 

Das bestehende System der Frühförderung kann, eine qualitativ hochwertige Förderung vorausgesetzt, für Kinder mit organisch bedingten Entwicklungsbeeinträchtigungen angemessene Hilfen bieten. Schwierigkeiten zeigen sich aber bei der Früherkennung von entwicklungsverzögerten Kindern, insbesondere wenn sie unter eher ungünstigen psychosozialen Umständen aufwachsen. Sie werden häufig zu spät und nur in unzureichender Zahl erreicht. Die Ursache dafür wird vor allem in der sog. Komm-Struktur gesehen, die zu einer mangelnden Teilnahme an den Kindervorsorge-Untersuchungen sowie zu einer mangelnden Inanspruchnahme der Frühförderungsangebote führen.

 

Literatur

  • Klein, G. (2002): Frühförderung für Kinder mit psychosozialen Risiken. Stuttgart.
  • Koch, K. (1999): Frühfördersystem – Überblick, Analyse und perspektivischer Ausblick. Berlin.
  • Kühl, J. (2002): Was bewirkt Frühförderung? In: Frühförderung interdisziplinär 1, 1-9.

 

 

Copyright-Hinweis:
Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. © 2011 Verlag Julius Klinkhardt. Quelle: Klinkhardt Lexikon Erziehungswissenschaft (KLE), hg. v. Klaus-Peter Horn, Heidemarie Kemnitz, Winfried Marotzki und Uwe Sandfuchs. Stuttgart, Klinkhardt/UTB 2011, ISBN 978-3-8252-8468-8. Nutzung mit freundlicher Genehmigung des Verlags. Das komplette Klinkhardt Lexikon Erziehungswissenschaft erhalten Sie im UTB-Online-Shop (Link s.u.)