Mütterlichkeit
Mütterlichkeit als normativnormativ|||||Normativ bedeutet normgebend, somit wird etwas vorgeschrieben, dass Normen, Regeln oder ein „Sollen“ beinhaltet.es Konzept, als ein spezifischer weiblicher Habitus und als bestimmter Modus weiblichen Handelns entstand mit der modernen bürgerlichen Familie und der darin angelegten klaren Trennung von Innen und Außen, Privat und Öffentlich, von Funktions- und Arbeitsteilung sowie einer hierarchischen Ordnung zwischen Männern und Frauen, Vätern und Müttern.
Historisch kommt es in Preußen zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu zwei entscheidenden kulturellen Revolutionen: Zum einen wird in literarisch und akademisch gebildeten Kreisen eine Vorstellung von Gattenliebe und partnerschaftlicher Ehe entwickelt, die einhergeht mit einer romantischen Idealisierung alles Weiblichen – damit auch der Mutterschaft –, zum anderen entsteht im deutschen Bildungsbürgertum aber auch ein Berufsbegriff, der Bildung und Arbeit untrennbar miteinander verbindet und so als Vorgänger des modernen Professionsverständnisses gilt.
Als Teil des öffentlichen Raums ist Beruf selbstverständlich Männern vorbehalten. Den Frauen wurde dagegen der Beruf der Mutter angeboten, ein Begriff, der an den emphatischen Berufsbegriff des Bildungsbürgertums an- und eine Vorstellung von Bildung und weiblicher Arbeit einschloss. Der weibliche Beruf allerdings verzichtete auf anerkannte Zertifikate und damit auf gesellschaftliche Positionierungs- und Partizipationschancen. Der Beruf der Mutter und Mütterlichkeit als berufliche Kompetenz sind vielmehr ein Ergebnis des Ausschlusses von Frauen aus der Öffentlichkeit und ihres Einschlusses im privaten Raum der Familie.
Diese Vorstellung von den Aufgaben der Mutter entwickelte sich im Bildungsbürgertum, wo sich bereits die Zwei-Generationen-Familie durchgesetzt hatte und die Frau nicht über Dienstboten und Gouvernanten, mit denen sie die Haus- und Mutterarbeit hätte teilen können, verfügte. So entstand hier das für Deutschland bis heute bestimmende Bild der für alles allein zuständigen Mutter.
Diese Entwicklung in Deutschland unterscheidet sich von der in Frankreich, wo sich das Mutterbild stärker an dem großbürgerlichen Familienmodell orientierte, oder in Skandinavien, wo bis weit ins 20. Jahrhundert hinein eine agrarisch eher gleichberechtigte Arbeitsteilung im Geschlechterverhältnis bestimmend war, aber auch von der in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA), wo sich die klare Zuweisung von Geschlechtscharakteren erst um die Wende ins 20. Jahrhundert ausdifferenzierte. Solche historisch begründeten kulturellen Unterschiede haben ihre Auswirkungen bis heute und können in ihrer Nachhaltigkeit gar nicht überschätzt werden.
Das deutsche Verständnis der Generationenbeziehung basiert somit auf einer verantwortungsethisch bestimmten Mutterschaft, nach der der Mutter in erster Linie eine die gesellschaftliche Kälte kompensierende emotionale und auf Mutterliebe basierende Funktion zugeordnet wird. Dieses Mutterbild hat sich bis in die kleinbürgerlichen und proletarischen Schichten und Klassen durchsetzen können. Die einseitige Zuordnung von Mütterlichkeit zum weiblichen Geschlecht – als normative Erwartung an, aber auch als Fähigkeit und Bereitschaft zu emotionaler Nähe und Bindung sowie Geduld und Zurückhaltung – sichert nicht nur hierarchische Genderstrukturen, sondern begrenzt auch die Entwicklung entsprechender männlicher Kompetenzen.
Mütterlichkeit wird immer noch ohne die Frage nach der Eigentümlichkeit der Väterlichkeit diskutiert. Die vor allem in den USA und Skandinavien virulenten Auseinandersetzungen über die Aufgaben der Männer im Generationsverhältnis sind in Deutschland kaum rezipiert.
Die Beziehung einer Mutter zu ihrem Kind hat sehr viele Ähnlichkeiten zur Beziehung eines Professionellen zu seinem Klienten – und sehr viele Unterschiede. Professionelles Handeln greift in die materielle und soziale, die physische und psychische Existenz eines Menschen ein, es wird durch Freiwilligkeit des Klienten und durch ein Arbeitsbündnis zwischen Professionellem und Klienten legitimiert, das auf gegenseitigem Vertrauen und Respekt sowie auf einem hohen Maß von Verantwortlichkeit basiert. Es ist nicht nur der Unterschied zwischen privat und öffentlich, persönlich und beruflich, exklusiv und universell, emotional-expressiv und gefühlskontrolliert. Mütterlichkeit und Profession unterscheiden sich vor allem in Bezug auf das spezifische Wissen. Dieses ist notwendig, um das eigene Handeln und das des Klienten in der professionellen Beziehung ständig neu zu reflektieren, zu begründen, zu kritisieren – mit anderen Worten zu kontrollieren. Die Paradoxie von Nähe und Distanz, von Wissen und Ungewissheit, die hier auftritt, ist eben nicht durch mütterliche Herzlichkeit zu überwinden, sondern nur professionell auszuhalten, zu balancieren und zu gestalten.
Literatur
- Mayer, C. (1996): Zur Kategorie „Beruf“ in der Bildungsgeschichte von Frauen im 18. und 19. Jahrhundert. In:
- Glumpler, E./Kleinau, E. (Hg.): Frauen in pädagogischen Berufen. Bd. 1. Bad Heilbrunn, 14-38.
- Schütze, Y. (1991): Die gute Mutter. Bielefeld.
- Wunder, H./Vanja, C. (1991): Wandel der Geschlechterbeziehungen zu Beginn der Neuzeit. Frankfurt.
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Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. © 2011 Verlag Julius Klinkhardt. Quelle: Klinkhardt Lexikon Erziehungswissenschaft (KLE), hg. v. Klaus-Peter Horn, Heidemarie Kemnitz, Winfried Marotzki und Uwe Sandfuchs. Stuttgart, Klinkhardt/UTB 2011, ISBN 978-3-8252-8468-8. Nutzung mit freundlicher Genehmigung des Verlags. Das komplette Klinkhardt Lexikon Erziehungswissenschaft erhalten Sie im UTB-Online-Shop (Link s.u.)
- Zuletzt bearbeitet am: Mittwoch, 11. Juli 2012 15:10 by Karsten Herrmann