Kinderschutz in der KiTa - Vorgehen und Prävention

Hintergründe, Anzeichen und Maßnahmen gegen die Gefährdung des Kindeswohls

Unter dem Titel "Kinderschutz in Kindertageseinrichtungen" aus der Reihe KiTa Fachtexte erläutert Dr. Jörg Maywald, Soziologe, Geschäftsführer der Deutschen Liga für das Kind e.V. und Engagierter für UN-Kinderrechte, rechtliche Hintergründe und Begrifflichkeiten sowie Anzeichen und Folgen von Kindeswohlgefährdung. ErzieherInnen leisten in KiTas einen wichtigen Beitrag zum Kinderschutz. Maywald gibt Orientierung zum Vorgehen bei Anzeichen von Kindergefährdung und hebt den Einfluss von Präventionsmaßnahmen in KiTas hervor.

Die Grundlage für den Einfluss der Fachkräfte beim Thema Kindeswohl liegt im Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII, Paragraf 8a): Fachkräfte aus Einrichtungen und Trägern der Kinderhilfe (also auch KiTas) haben, so schildert Maywald, einen Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung inne. Bei Anzeichen, die das Kindeswohl beeinträchtigen könnten, sollten und müssen sich ErzieherInnen frühzeitig im Team beraten und erfahrene KollegInnen hinzuziehen. Bei schwerwiegendem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung sieht das Gesetz die Kooperation mit dem Jugendamt vor. Empfehlenswert ist, dass Fachkräfte in KiTas ihre Rolle als Vermittler und Berater zwischen Eltern und staatlichen Ämtern annehmen sowie sensibel und ausgewogen damit umgehen – für eine frühzeitige Abwendung der Gefährdung.

Kinderrechte und Kindeswohl: Vom Menschenrecht zu den staatlichen Gesetzen

Maywald beschreibt die schützenswerten Kinderrechte entsprechend der UN-Kinderrechtskonvention: Es sind unveräußerliche Persönlichkeitsrechte, die dem Kindeswohl, der Würde, dem Schutz, Leben und Überleben sowie der freien Meinungsäußerung Vorrang geben und von allen staatlichen Maßnahmen, Gesetzen und öffentlichen und privaten Einrichtungen (Verwaltung, Soziales) durchgesetzt werden müssen. Gefährdet sind sie jedoch durch „Diskriminierung, körperliche und geistige Gewalt, Verwahrlosung, schlechte Behandlung, Ausbeutung, sexueller Missbrauch“ (Prostitution, Pornografie). Daneben bestätigt die EU-Grundrechtecharta diese Rechte im Anspruch des Kindes auf „persönliche Beziehung und direkten Kontakt“ mit beiden Elternteilen. Das deutsche Grundgesetz beinhaltet diese Grundrechte implizit im „Recht der Eltern und der zuvörderst ihnen obliegenden Pflicht, ihre Kinder zu pflegen und zu erziehen…“. Details klärt das Bundesverfassungsgericht: „Wenn … die Eltern die Menschenwürde des Kindes nicht respektieren und seine Persönlichkeitsrechte grob missachten, „ ... muss der Staat wachen und notfalls das Kind … davor bewahren, dass seine Entwicklung durch den Missbrauch der elterlichen Rechte oder eine Vernachlässigung Schaden leidet. …(BVerfGE 24, 119).“

Ein Konkretisierung liefert laut Autor das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB): Das darin enthaltene „Kindschafts- und Familienrecht … regelt die rechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern“. Laut Paragraf 1627 BGB haben die Eltern „… die elterliche Sorge in eigener Verantwortung und im gegenseitigen Einvernehmen zum Wohl des Kindes auszuüben. Bei Meinungsverschiedenheiten müssen sie versuchen, sich zu einigen“, ohne das Kind zu verletzen oder entwürdigen. Sieht der Staat (Familiengericht) Rechtsbrüche der Eltern, kann er Gebote, Verbote oder den Entzug der Kindessorge durchsetzen. Bei schwerer Vernachlässigung, Misshandlung oder sexuellem Missbrauch durch die Eltern greift das Strafgesetzbuch (StGB).

Begriffe Kindeswohl und Gefährdung – Einflussfaktoren und Folgen für das Kind

Maywald bezeichnet „Kindeswohl“ und „Gefährdung des Kindeswohls“ als „unbestimmte Rechtsbegriffe“, deren Deutung im Einzelfall multiprofessionellen Fachleuten obliegt. Damit unterliegen sie subjektiver Beurteilung und Auslegung. Zur Orientierung aber gilt: „…Ein am Wohl des Kindes ausgerichtetes Handeln“ ist jenes, …“ welches die an den Grundrechten und Grundbedürfnissen von Kindern orientierte, für das Kind jeweils günstigste Handlungsalternative wählt…“ …, den Kindeswillen einbezieht sowie die Entscheidung prozess- und kontextorientiert anpasst.

Den Begriff Gefährdung definiert Maywald als „… eine gegenwärtige, in einem solchen Maße vorhandene Gefahr, dass sich bei der weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Si¬cherheit voraussehen lässt. … Die Gefährdungsformen reichen von gut sichtbarer mangelhafter Gesundheitsversorgung bis schwerem seelischem Leid auf Grund von dauerhaftem elterlichen Streit. Häufig vermischen, überlappen und verstärken sich die Formen von Misshandlung und Gewalt an Kindern (körperliche Gewalt hat seelische Schäden, Vernachlässigung hat körperliche und psychische Folgen), was die Schwere der Auswirkungen verursacht.“

Laut Autor können folgende Faktoren Risiken oder Auslöser für die Gefährdung des Kindes darstellen:

  • psychosoziale Risiken (finanzielle und materielle Notlagen, Arbeitslosigkeit, berufliche oder familiäre Probleme, soziale Isolation, beengte Wohnverhältnisse),
  • elterliche Faktoren (Krankheit oder Sucht, Gewalt in der eigenen Kindheit, Partner-Konflikte, inkonsistenter oder rigider Erziehungsstil, zu hohe Erwartungen an das Kind)
  • auf das Kind bezogene Risiken (pränatal wie unklare Vaterschaft, Risiko- oder frühe Schwangerschaft; perinatal wie Frühgeburt oder Missbildung des Kindes, Trennung nach Kaiserschnitt; postnatal wie Behinderung des Kindes, Gedeih- und Regulationsstörungen des Kindes, Bindungsunterbrechung)

Oft kumulieren sich mehrere Faktoren und führen zu einem Teufelskreis, der durch fehlende Unterstützungssysteme oder Hilfeleistungen verstärkt wird: „In einem Krisenzyklus … wird die äu¬ßere Realität überschätzt, die eigenen Handlungsmöglichkeiten … dagegen unterschätzt. Ein Gefühl der Hilflosigkeit stellt sich ein, das sich in Aggression umwandelt, die sich dann auf Kosten des Kindes entlädt.“

Dem Autor zufolge beeinflussen die Konstitution, ausgleichende Schutz-Faktoren wie Vertrauenspersonen im Umfeld des Kindes (ResilienzResilienz|||||Resilienz kann als "seelische Widerstandsfähigkeit" verstanden werden mit der Fähigkeit Krisen zu meistern und diese als Anlass für Selbstentwicklungen zu nutzen. In der Resilienzförderung geht es speziell darum die Widerstandsfähigkeit von Kindern und Erwachsenen in belasteten und risikobehafteten Lebenssituationen durch schützende Faktoren zu entwicklen, zu ermutigen und zu stärken. Ein verwandter Begriff ist der der Salutogenese. ), Vorerfahrungen und Dauer der Gefährdung den Schweregrad der Folgen, die bei jedem Kind individuell verlaufen. Als Beispiele nennt Maywald „körperliche Verletzungen, psychosomatische Störungen (Ernährungs-, Sauberkeitsstörungen), intellektuell-kognitive Beeinträchtigungen (Lernschwäche), psychische Störungen (Apathie, Angstsyndrome, Hyperaktivität), … posttraumatische Belastungsstörung (sehr niedrige Reizschwelle, Gefühl von dauerhaftem Stress …, Negativ-Wahrnehmung positiver Emotionen).“

Was kann die KiTa unternehmen? Schritte bei Kindeswohl-Gefährdung

Grundsätzlich besteht zwischen KiTa und Jugendamt eine schriftliche Vereinbarung über die Regelungen zum Schutzauftrag (Verfahrensabläufe, Erhebung und Verwendung von Sozialdaten, Gewährleistung der Nicht-Beschäftigung von KiTa-Personal mit Straftaten mit Kindesbezug, Name und Adresse der erfahrenen KiTa-Fachkräfte). Im Einzelfall bleibt der Einrichtung die Aufgabe, autark die folgenden Schritte zu unternehmen – unter Anonymisierung der Daten der betreffenden Familie:

1. Erkennen von Vorfällen:

Aus seiner Erfahrung beschreibt Maywald erste Reaktionen der ErzieherInnen bei Anzeichen: Nach Wut, Angst, Hilflosigkeit oder Aktionismus sollten sie sich in Ruhe im Team beraten und austauschen, planmäßig und bedacht handeln. Für den konkreten Fall bietet sich die Kooperation lokaler, multidisziplinärer (Kinderschutz-)Teams an (Case Management), bei der jede Profession bei ihrem Fachgebiet bleibt: Jugendamt oder KiTa übernehmen Hilfe und therapeutische Behandlung des Kindes oder der Familie, Gericht oder Staatsanwaltschaft übernehmen die Verfolgung des Täters. Wichtig ist, dass derjenige, der Anzeige erstattet (keine Pflicht), nicht davon zurücktreten kann und dessen Hilfe-Angebot wenig akzeptiert wird. Verpflichtend allerdings ist der Schutz des Kindes, dessen Maßnahmen nach Schweregrad entweder freiwillige Hilfs-Angebote oder notfalls familiengerichtlich durchsetzbar sind.

2. Abwägung Kindeswohl-Gefährdung oder Nicht-Gewährleistung der Erziehung:

Zu unterscheiden ist laut Autor die Kindeswohl-Gefährdung von einer Erziehung, die ein Kindeswohl „nicht gewährleistet und es rechtzeitig abwendet“. Unter diesem Aspekt haben Eltern unter Zusammenwirken des Jugendamtes Anspruch auf Hilfe zur Erziehung („Erziehungsberatung, Sozialpädagogische Familienhilfe, Heimerziehung“). Sie können dazu nicht gezwungen, sondern nur mehrmals motiviert werden. Faktoren, die die Risikoabschätzung zwischen Kindeswohl-Gefährdung und Nicht-Gewährleistung des Kindeswohls bestimmen, sind beispielsweise „elterliche Kompetenz, psychische Gesundheit …, Eltern-Kind-Interaktion …, Verhältnis von Risiko- und Schutzfaktoren, … Problem- und Hilfeakzeptanz der Eltern, Stabilität der Familienbeziehungen und des sozialen Umfelds…“.

3. Abschätzung des Gefährdungsrisikos in Beratung mit KollegInnen und Leitung

4. Im konkreten Verdachtsfall: Hinzuziehen einer erfahrenen Fachkraft für Kindeswohlgefährdung (zum Beispiel MitarbeiterIn des Jugendamts)

5. Motivation der Familie zur Inanspruchnahme von sozialpädagogischen Hilfen (in der Regel als schriftliche Vereinbarung), Überblick über tatsächliche Nutzung und Kontakt zu sozialpädagogischen Diensten

6. Meldung an das Jugendamt, sofern Hilfen nicht ausreichen oder nicht in Anspruch genommen werden und die Gefährdung des Kindeswohls droht (gemeinsames Gespräch mit Eltern, Kita-Leitung, Jugendamt)

7. In akuten Krisensituationen kann das Jugendamt (wenn die Entscheidung des Familiengerichts noch nicht vorliegt) eine Inobhutnahme des Kindes erwirken (Kindernotstelle, Bereitschaftspflegedienst, auch ohne Zustimmung der Eltern) oder einen stationären Aufenthalt

Je nach Schritt arbeitet die Kindertageseinrichtung mit den Partnern Jugendamt, Kinder- und Jugendgesundheitsdienst (Untersuchung, Beratung zum Entwicklungsstand), Erziehungsberatungsstellen, Familiengericht, Kinderärzte/-ärztinnen und Kliniken (Diagnostik und Behandlung körperlicher Folgen von Gewalt an Kindern), Polizei (bei allein gelassenen Kindern in der Wohnung) zusammen.

Prävention von Gefährdungen in der Kita

Die einfachsten (präventiven) Maßnahmen zum Schutz von Kindern liegen im Leitbild der KiTa, in der pädagogischen Elternarbeit und Familienbildungs-Angeboten. So haben KiTas laut Maywald die konkrete Aufgabe, die sozialen und emotionalen Kompetenzen der Kinder zu fördern, ihre individuelle Persönlichkeit und Meinungsäußerung zu stärken (Beispiel-Programm „Kindergarten plus“), sie über ihre Rechte zu informieren und sie altersgerecht zu beteiligen. Eltern-Angebote zielen darauf ab eine vertrauensvolle Erziehungs- und Bildungspartnerschaft aufzubauen, die offen für Austausch, Konflikte oder Beschwerden ist, die eine Vertrauenspersonen bereithält, Eltern informiert sowie sich vor Ort vernetzt und den MitarbeiterInnen im Hinblick auf Kindeswohlgefährdung Fortbildung oder Unterstützung anbietet.

Lesen Sie auch Begriffserklärung der Konzepte Prävention / Gesundheitsförderung


Zum Weiterlesen:

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