Einschulungsrituale als Übergangs-Bruch

Gesellschaft, Familie und Medien tragen dazu bei, die Einschulung für Mädchen und Jungen als einen großen wichtigen Übergang zu proklamieren und somit eine deutliche Grenze zwischen der Lern- und Erfahrungswelt der Kindertageseinrichtung und dem „Ernst des Lebens“ in der Schule zu ziehen. Gängige Rituale mindern damit den Stellenwert der frühkindlichen Bildung in KiTas statt sie mit dem Schuleintritt zu verbinden. Das wird in einigen Artikeln aus lokaler Presse deutlich.

Kommerziell begleitet finden Tornister-Parties quer durch Deutschland statt. Durch diverse Angebote, die der Wirtschaft sicherlich erträglich scheinen, wird den Müttern, Vätern und vor allem den Mädchen und Jungen der „große wichtige Übergang“ verdeutlicht und ritualisiert. Dabei können Mütter und Väter schnell unter Druck geraten, die Wünsche der Söhne und Töchter zu beherzigen. Schließlich sollen sie nicht die einzigen sein ohne modischen, rückenfreundlichen, reflektierenden Tornister (ab 89 Euro).

Mit einer Tornisterparty und einem Einschulungsfest inklusive Gesangs- und Tanzperformances ist es häufig noch nicht vorbei. Ein Beispiel aus dem Raum Lüneburg: Sämltliche Gaststätten sind um die Einschulungswochenenden ausgebucht. Das verdeutlicht, dass die Familien dem Einschulungsritual große Wichtigkeit beimisst. Dazu bekommt man in jedem Fachhandel Glückwunschkarten (ab 2 Euro) zur Einschulung. Auch dieses Ritual, das mehr an einen Geburtstag erinnert als an einen Übergang von einer Lerninstitution zur anderen, lebt den Jungen und Mädchen einen grundlegenden Unterschied zwischen den Erfahrungen in KiTa und Grundschule vor.

Folgender Ausschnitt eines Artikels aus dem Internetauftritt der Stadt Grengel zeigt, wie  Einschulungsrituale unter anderem in Internetmedien versprachlicht werden:

„Einschulungsrituale bleiben ein Leben lang in Erinnerung. Immerhin ist es ein Lebensabschnittsritual. Der Tag ist einmalig, der Schritt unumkehrbar, vergleichbar mit Kommunion, Konfirmation, Hochzeitstag. Der erste Schultag bedeutet für die Kinder einen weiteren Schritt in die Selbständigkeit, für Eltern eine weitere Phase der Ablösung vom Kind. Dem Ritual "Erster Schultag" kann niemand entrinnen, immerhin besteht in unserem Lande gesetzliche Schulpflicht.“

Diese entwickelten Rituale um den Tag der Einschulung als einen „wichtigen Übergang“ darzustellen, widerspricht nicht nur dem Gedanken eines sinnvollen Übergangsmanagements für Mädchen und Jungen. Sie sind auch Teil einer Abwertung der wichtigen Lern- und Erfahrungsfelder, die in frühkindlichen Kindertagesstätten geöffnet werden, und dort professionellen AkteurInnen in KiTas. Das Projekt "BrückenjahrBrückenjahr|||||Das vom Niedersächsischen Kultusministerium aufgelegte Programm "Das letzte Kindergartenjahr als Brückenjahr zur Grundschule" beinhaltet ein Übergangsmanagement von der Bildungs- und Erziehungsarbeit in Kindestageseinrichtungen zu Grundschulen und leistet einen Beitrag zur Anschlussfähigkeit der beiden Bildungsbereiche. Es werden 50 Beratungsteams eingesetzt und zwei mal 250 Modellprojekte gestartet. In den Beratungsteams und Modellprojekten arbeiten Fachkräfte aus Kindergarten und Schule gemeinsam an einem für alle Kinder gelingenden Übergang in die Grundschule. Damit diese Aufgabe geleistet werden kann, werden die Fachkräfte aus dem Elementar- und dem Primarbereich gemeinsam fortgebildet. " ist in Niedersachsen ein Versuch, sich dieser Herausforderung anzunehmen, um ein sinnvolles Übergangsmanagement zu gestalten. Aktives Gestalten und Vernetzung sowie ähnliche Zielvorstellung der beteiligten AkteurInnen sind hier unerlässlich für eine gelingende Entwicklung.

Wenn der erste Schultag in seiner Bedeutung gleichzusetzen ist mit dem ersten Schritt in ein zukunftsfähiges Aufwachsen, wie ernst nimmt die Gesellschaft dann den Bildungsauftrag frühkindlicher Kindertageseinrichtungen? Welche Gestaltungsmöglichkeiten gibt es, diesen von der Gesellschaft weitergetragenen Übergang sinnvoller zu begleiten?



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