ErzieherInnen als personenbezogene soziale Dienstleister - Hintergründe und Entwicklungen

Professionalisierung und Aufwertung des ErzieherInnen-Berufs

In der Diskussion um die ProfessionalisierungProfessionalisierung|||||Eine Professionalisierung findet im weiteren Sinne statt wenn die Entwicklung einer privat oder ehrenamtlich ausgeübten Tätigkeit zu einem  Beruf wird. Im Rahmen der Professionalisierung werden häufig Qualitätsverbesserungen und Standardisierungen erreicht. Professionalisierung bedeutet auch die Entwicklung eines Berufs zu einer Profession, darunter wird meist ein akademischer Beruf mit hohem Prestige und Anerkennung verstanden.   des frühpädagogischen Feldes muss der Aspekt der personenbezogenen sozialen Dienstleistungen beachtet werden: Der ErzieherInnen-Beruf als Teil des personenbezogenen sozialen Dienstleistungssektor unterliegt verschiedenen Merkmalen und Spezifika. Dazu gehört unter anderem die Vielseitigkeit und Komplexität, aber auch die Arbeit mit höchst unterschiedlichen individuellen Menschen, mit jeweils eigenen Haltungen, Sichtweisen und Biografien. Der Beruf ist somit gekennzeichnet durch wenig Planbarkeit und erfordert außerdem die berufliche Kompetenz, Unsicherheiten aushalten und gestalten zu können - und nicht zuletzt eine Aufwertung des Berufs und die Stärkung der mehrheitlich Frauen in diesem Bereich.

Der Bildungsbericht 2008 verdeutlicht, dass sich in den letzten Jahrzehnten tief greifende Strukturveränderungen in der traditionellen Aufgliederung der deutschen Volkswirtschaft vollzogen. Ausgangspunkt ist die Einteilung in den primären Sektor der Land- und Forstwirtschaft, Fischerei, in den sekundären Sektor des produzierenden Gewerbes und den tertiären Sektor der Dienstleistungen.

Gestiegener Anteil sozialer Dienstleistungen - mehrheitlich weibliche Beschäftigte

2007 entfielen auf den Dienstleistungssektor zirka 70 Prozent der Brutto-Wertschöpfung, während dieser 1970 nur 50 Prozent einnahm (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008, S. 22). Dadurch entstanden, und werden zukünftig auch weiter entstehen, neue Arbeitsplätze, vor allem in unternehmensnahen Dienstleistungen der Informations- und Kommunikationstechnologie, aber auch  in öffentlichen und personenbezogenen Dienstleistungen. Infolge dieses Wandels gibt es eine Veränderung bezüglich vieler Berufsbilder und Anforderungsprofile, worauf das (Aus-)Bildungssystem reagieren muss.

Mit der Ausweitung personenbezogener sozialer Dienstleistungen und der zunehmenden Bildungsbeteiligung von Frauen eröffnen sich sowohl individuell als auch gesellschaftlich neue Perspektiven. Da die Dienstleistungs- und Familienarbeit zu 75 Prozent von Frauen erbracht wird, entstehen neue Herausforderungen an den Sozialstaat und an wohlfahrtsstaatliche Arrangements, die differenzierte Bildungs-, Betreuungs-, Beratungs- und Hilfesysteme gestalten müssen (vgl. Mertel 2002, S. 20f). Mit zu berücksichtigen sind auch die veränderten Familienstrukturen und sozialen Rahmenbedingungen, wie Familien mit Migrationshintergrund und dementsprechend vielfältige Kulturen, Religionen und Sprachen.

In Abgrenzung zum alltäglichen Verständnis begrenzen sich Dienstleitungen eben nicht auf Haare-Schneiden oder Reiseberatung, sondern umfassen weitaus mehr Tätigkeiten. Charakteristisch für personenbezogene soziale Dienstleistungsberufe sind Koordination und Kooperation in Interaktions- und Kommunikationsprozessen. Somit ist es nötig, im Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsprozess mehrperspektivisch zu denken, reflektieren, konstruieren, dokumentieren und zu forschen und dies im Gesamtzusammenhang neu zu denken.

Soziale Dienstleistungen: unsicher, komplex, subjektiv

Durch immer neue Aushandlungs- und Interaktionsprozesse mit verschiedensten AdressatInnen entstehen Unsicherheiten, die Kennzeichen von personenbezogenen sozialen Dienstleistungsberufen sind. Denn diese Prozesse sind prinzipiell unabgeschlossen und individuell gestaltet. Diese unsicheren Strukturen, die geringe Standarisierung der Arbeit und die unstetigen Belastungen der Arbeitssituationen stellen spezifische Anforderungen an die Inhaber personenbezogener sozialer Dienstleistungsberufe (vgl. Rabe-Kleberg 1996, S. 294f.).

Die Darstellung Fthenakis´ (2002, S.20) bestärkt diese Einsicht, in der er formuliert, dass Entwicklung und Fortschritt nicht linear verlaufen, sondern dass heutige Gesellschaften von Unsicherheit, Komplexität, DiversitätDiversität|||||siehe Diversity, Nicht-Linearität, Diskontinuität und Subjektivität gekennzeichnet sind. Seiner Ansicht nach wird die Welt und das Wissen in einem Prozess, an dem alle mitwirken müssen, sozial konstruiert. Die Komplexitäten und Unsicherheiten, die sich daraus ergeben, sind jedoch als eine Quelle von Möglichkeiten zu betrachten. Die Tätigen in dem Bereich stehen demnach vor der Aufgabe, ständig neues Wissen und Qualifikationen zu kreieren, die nur auf Basis von Professionalität geleistet werden können.

Professionsbegriff

In der Debatte um die Professionalisierung von Berufen, auch personenbezogener sozialer Dienstleitungen, sind bisher keine einheitlichen, konsensfähigen Definitionen oder Begriffsbestimmungen von Professionen oder Professionalisierung zu finden. Nach Merten ist das Verständnis von "Profession"  abhängig von der zuvor gewählten theoretischen Perspektive (vgl. Merten 2000, S. 515). Nach Dewe/Otto wird der Begriff außerdem als „Schlüsselwort“ in dem modernen sozialwissenschaftlichen DiskursDiskurs|||||Der Begriff Diskurs kann verschiedene Bedeutungen haben, wurde ursprünglich jedoch als  „hin und her gehendes Gespräch“ verwendet. Weitere Bedeutungen sind: theoretische Erörterung, systematische, methodische Abhandlung, gesellschaftliche Auseinandersetzung, Erörterung. Sinnverwandt sind auch Debatte, Diskussion, Disput.  genannt und Professionalisierung in der Sozialpädagogik als „Dauerthema“ herausgestellt (vgl. Dewe 2001, S.1399). Bauer (2000, S.55) differenziert weiter, dass der Professionsbegriff von „verschiedenen Lagern und Schulen der Soziologie ausgeformt“ wurde „und vor allem zur Analyse gesellschaftlicher Übergänge und Modernisierungsprozesse verwendet“ wird. Nach Abbott ist eine genaue bestimmte Definition von Profession sogar überflüssig. Vielmehr behauptet er, dass eine Definition nur stark genug für die eigene Auslegung sein muss, in seinem Fall für eine exklusive Gruppe von Individuen, die abstraktes Wissen in bestimmten Fällen anwendet (s. Abbott 1988 S. 318):

„... a form definition of profession is both unnecessary and dangerous; one needs only a definition strong enough to support one’s theoretical machinery (...) - professions are somewhat exclusive groups of individuals applying somewhat abstract knowledge to particular cases.”

Den Mittelpunkt seiner Ausführungen bildet einerseits die Innensicht professioneller sozialer Arbeit als pädagogisches Handeln, andererseits aber auch die Entwicklung von Sozial- und Erziehungsberufen im gesamtgesellschaftlichen Kontext, also „die Entstehung, Etablierung und Durchsetzung beruflicher Gruppierungen, die sich ihre Zuständigkeiten sichern und langfristig institutionalisieren“ und professionalisieren (s. Hetzer, 2004, S.22; 32).

Prozesse und Wege der Professionalisierung

Generelle Einflussfaktoren für strukturelle Veränderungen haben jedoch nicht die gleichen Auswirkungen auf eine Profession, sondern wirken stattdessen sehr individuell. Dabei werden Effekte sowohl von den inneren und äußeren Kräften des Systems geformt als auch durch das Zutun der Professionellen selbst, wie Abbott deutlich macht (s. Abbott 1988, S. 316): „have not uniform but highly idiosyncratic effects on professions, effects shaped by internal and system forces as well as by professional choices“ .

Dieses dynamische Verständnis ist für die Prozesse der Professionalisierung und für die Besonderheiten der personenbezogenen sozialen Dienstleistungsberufe von besonderer Bedeutung: Abbott vermittelt Diskussionsgrundlagen für einen entsprechenden Bezugsrahmen für Ausbildungskonzepte und somit auch einer möglichen Aufwertung.

Die Entwicklungen von Professionen werden außerdem beschrieben als abhängig von der jeweiligen Gesellschaftsform. In diesem Zusammenhang werden professionstheoretische Sichtweisen abgelehnt, die von starren vorformulierten Merkmalen zur Klassifikation von Professionen ausgehen. Denn sie können die Besonderheiten der Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsberufe nicht erfassen. Durch den dynamischen Charakter von Professionalität, das ständig neue Aushandeln sowie die individuellen Anforderungen personenbezogener sozialer Dienstleistungen kann Professionalität auch als subjektive Fähigkeit und Bereitschaft begriffen werden, Ungewissheit des Handelns zu ertragen und immer wieder neu die Implikationen für dieses Handeln in der Ungewissheit zu reflektieren (vgl. Rabe-Kleberg 1994, S. 55). Außerdem gehört zu Professionalität, auf Basis der verschiedenen Zuständigkeiten die Verantwortung für das Handeln zu übernehmen. Voraussetzung dafür ist, in einem komplexen Lern- und Praxisprozess eine professionelle, berufliche Qualifikation zu erwerben, Ungewissheit zu überbrücken und gegenläufige Anforderungen auszubalancieren. Um diesem gewachsen zu sein, bedarf es allerdings relativ autonomautonom|||||Autonomes Handeln beinhaltet den Zustand der Selbstständigkeit, Unabhängigkeit Selbstbestimmung, Selbstverwaltung oder Entscheidungsfreiheit.er Handlungsräume, die zurzeit noch mangelhaft vertreten sind. Es gehört außerdem dazu, dass die Beteiligten aktiv mitgestalten statt „geduldig“ widersprüchliche Strukturen professioneller Arbeit zu ertragen.

Auf Basis eines historischen Rückblicks auf die Wege der Professionalitätsidee fasst Karsten die Zielformulierung wie folgt zusammen (s. Karsten 1993, S. 258) „Von der Professionalisierungsidee über vielfältige Professionalisierungswege zur professionellen Selbstbestimmung“. Professionen sind folglich durch Verschiebungen und Veränderungen gekennzeichnet, die in ihrer Analyse ein dynamisches Verständnis erfordern. Es gilt immer neu zu fragen:

Wer (Person) hat wann (Zeit), mit wem (AdressatiInnen als Koproduzenten und KooperationspartnerInnen) und wie (Setting) die Kontrolle über was (Arbeitsaufgaben und Zuständigkeiten)? Denn die Zuständigkeiten begründen sich auf das Recht einer Berufsgruppe, eine bestimmte Tätigkeit auszuüben (Mertel 2002, S. 37; Rabe-Kleberg 1996, S. 290): „Die Zuständigkeit basiert auf Wissen und Fähigkeiten‚ das Recht nämlich, abstraktes, das heißt professionelles Wissen auf bestimmte Probleme anzuwenden.“

Ziel: Aufwertung der personenbezogen sozialen Berufe

Somit verlagern sich die Zuständigkeiten von Professionen und damit die „Einheit von Wissen und beruflichem Handeln, Bildung und Beruf“ immer wieder neu (vgl. Mertel, 2003, S. 47). Karsten stellt weiterhin eine Einheit von „Wissen, Können und Tun“ als Grundlage professionellen Handelns dar, gerade im ErzieherInnen-Beruf. Diese Integration der genannten Aspekte umfasst dabei die gesamte Persönlichkeit und ist in den Professionalisierungsprozessen der personenbezogenen sozialen Dienstleistungsberufen von wesentlicher Bedeutung (vgl. Karsten 2008, S. 17). Die Frage, wer daran beteiligt ist, wurde bereits erwähnt: Es arbeiten 75 Prozent Frauen in den personalen sozialen Dienstleitungsberufen, deshalb darf die Diskussion um Gender und Professionalisierung nicht ignoriert werden.

Mit der Darstellung der Profession als gesellschaftlicher Prozess zeigt Rabe-Kleberg auf, dass es sich somit auch um Interessen-Gegensätze und somit um Macht handelt. Historisch gesehen wird Frauen in Frauenberufen traditionell wenig Spielraum für autonomes Handeln ermöglicht oder wenig Chancen für professionelle Handlungsräume eingeräumt. Das resultiert aus dem gesellschaftlichen Geschlechterverhältnis und dem damit verbundenen ungleichen Machtchancen. Die Aufdeckung dieser verborgenen Strukturen wäre ein erster Schritt zu einer gleichberechtigten Chance auf professionelles Handeln (vgl. Rabe-Kleberg 2003, S. 64).