Konstanz im Krippen-Alltag durch personelle, räumliche und zeitliche Strukturen

Wie Rituale und Beständigkeit unter-Dreijährigen in der Krippe helfen

Unter dem Titel „Rhythmus, Konstanz, Rituale und ihre Bedeutung für die pädagogische Arbeit mit Kindern in den ersten drei Lebensjahren“ aus der Reihe KiTa Fachtexte stellt Hannelore Kleemiß den Alltag für Krippenkinder als große Bildungschance dar, aber auch als anstrengende Herausforderung. Die Leiterin des Bereichs Krippen im „Verein für Kinder e.V.“ Oldenburg, mehrfach beteiligt an der Gründung von Elterninitiativen, skizziert personelle, räumliche und zeitliche Rahmenbedingungen für frühkindliche Bedürfnisse nach Bindung, Struktur und Konstanz.

Die Umwelt wirkt auf unter-Dreijährige noch häufig „unbekannt und überraschend“. Sie benötigen Halt und Orientierung, um mit Erfahrung und Handlungsmöglichkeiten Eindrücke zu sortieren, verarbeiten und verstehen – mit dem Ziel, Ordnungen, Zusammenhänge und Strukturen zu identifizieren sowie Ereignisse vorauszusehen und in ihrem Sinne zu beeinflussen. Die Konstanz umgebener Personen, Räume und Zeit-Strukturen kann Anstrengung und Stress-Faktor mindern.

Bezugspersonen: Die/Der ErzieherIn und die Kindergruppe

Damit ein Kind Offenheit für Begebenheiten in seiner Umwelt  zeigt – Voraussetzungen fürs Lernen –, ist „emotionale Sicherheit, unaufdringliche, schwebende Aufmerksamkeit des Erwachsenen...“ (Schäfer, 2005) notwendig. Laut der Autorin fungiert die Bezugsperson in der Krippe als „Vermittler zur Welt“: Zu ihr kann das Kind zurückkehren, wenn es „in emotionales Ungleichgewicht“ gerät – etwa durch Hunger, Angst oder das Bedürfnis nach Ruhe. Durch Weinen, Festklammern oder Blickkontakt drückt sich das Kind aus und will „Sicherheit tanken“ (vgl. Viernickel, 2009). Voraussetzung für die Akzeptanz der Bindungsperson in der KiTa ist eine sanfte, vertrauensvolle Eingewöhnung. Im Laufe der Zeit sollte es jedoch keine zu starke emotionale Abhängigkeit von der Bezugsperson geben, da aufgrund von Urlaub oder Fehlzeiten Personenwechsel an der Tagesordnung stehen können. „Ein freundlicher Umgangston“ zwischen allen ErzieherInnen und der Kindergruppe stützt diese Umstellung (vgl. Ahnert, 2004). Konzepte zu Haltung, Umgangsformen, Struktur und Ablauf in der Krippe bauen möglichen Personalveränderungen vor.

Schon junge Kinder der Krippen-Gruppe sind zu „pro-sozialem Verhalten“ fähig (Gegenstände anreichen, Zuneigung zeigen, Unangenehmes wiedergutmachen), was im Gegensatz zu den eigenen Interessen steht. Daraus ergeben sich mit den Gleichaltrigen soziale „Verhandlungen“ bis hin zu anstrengenden Konflikten. Je besser und kontinuierlicher die Gruppe sich kennt, desto routinierter können Kinder die Reaktion der Anderen vorausschauen, soziale Kompetenzen ausprobieren und stabile Bindungen mit Spielkameraden aufbauen. Die ErzieherInnen begleiten sie, indem sie „...Verhaltensmöglichkeiten aufzeigen, schützen, bei der Regulation von Gefühlen unterstützen und für die Beachtung von Regeln sorgen.“

Tagesablauf: Orientierende Etappen und Rituale, flexible Spielzeiten

Ein regelmäßiger, strukturierter Tagesablauf mit Wiederholungen und Ritualen sieht Kleemiß als zweite Konstante im Krippen-Alltag. Je jünger das Kind, desto mehr Struktur bedarf es. Als Struktur-Elemente gelten das Ankommen, die Begrüßungsrunde, Mahlzeiten sowie das Schlafen. Beim Essen erleben und üben Kinder nebenbei Gemeinschaftssinn, Regeln des Zusammenlebens und Kulturtechniken. Um sich an das Schlafen in fremder Umgebung zu gewöhnen, sollten Krippenkinder ihrem Bedürfnis entsprechend oft, zu täglich festen Zeiten, an einem festen Platz und mit den gleichen Ritualen hingelegt werden.

Kinder empfinden Zeit nicht linear, sondern kreisförmig. „Schon mit etwa sechs Monaten können sie wiederkehrende Ereignisse innerlich organisieren...durch Skripts... Die Vorstellung, die Zeit ... läuft entlang einer Spirale, ist beruhigend und geradezu heilsam.“ (vgl. Schnabel, 2010). Je stabiler und kontinuierlicher Krippenkinder die Etappen in der Krippe erleben, desto mehr profitieren sie von hinzukommenden Ereignissen und Menschen, die in der KiTa ein- und ausgehen (Eltern, Geschwisterkinder, PraktikantInnen, Essens-Bringdienst, Handwerker) – desto fähiger sind sie, diesen Alltag aktiv zu gestalten. Zur Konzentration darauf und zur Abgrenzung der einzelnen Etappen dienen Übergangs- oder Anfangsrituale, wodurch Kinder absichernde „soziale Skripts“ entwickeln (vgl. Viernickel, 2009). Rituale beschreibt Kleemiß als Anker, die ohne Erklärungen auskommen und „Signalwirkung haben ... in Worten, Gesten, Handlungen."

Für pädagogische Fachkräfte in Krippen besteht Kleemiß zufolge eine hohe Anforderung darin, den Kindern neben strukturierenden Etappen Flexibilität für eigene Bedürfnisse und Rhythmen einzuräumen. „ Die Kinder brauchen Zeiträume, in denen sie im Spiel versinken können, den Augenblick genießen und die Zeit vergessen dürfen. Struktur darf nicht dazu führen, dass die Kinder ständig in ihren Tätigkeiten und Spielen gestört oder unterbrochen werden.“ Klare Strukturen, Verfahren und Regeln erleichtern – den Fachkräften als auch den Kindern – das Zusammenspiel von individuellem und Gruppen-Rhythmus.

Räumlichkeiten: Feste Plätze, freie Kinder

Die dritte Konstante für unter Dreijährige bieten die Krippen-Räume. Nach Kleemiß sollten sie Orientierung aus der Perspektive der Kinder ermöglichen, Aktivitäten oder Gegenstände durch die Gestaltung erkennbar und erreichbar machen und in der Anordnung über Beständigkeit und Anknüpfungspunkte verfügen, um unterbrochene Tätigkeiten zu einem späteren Zeitpunkt fortzusetzen. Besonders junge Kinder empfinden kleinste Veränderungen in der Platzierung von Dingen oder in Laufwegen als irritierend. Optimalerweise sollten sie wahrnehmen, „dass die Welt stabil bleibt, auch wenn sie sich selber ständig verändern.“

 

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