Bedeutung von Anamnese-Bogen und Erst-Gespräch mit den Eltern

Begegnen sich Eltern und pädagogische Fachkräfte zum ersten Mal beim Aufnahme-Gespräch, ist beiden Seiten oft mulmig zumute. Sie fragen sich, ist dieser Aufwand nötig, dazu noch mit Fragebogen? Elke Schlösser, Diplom-Sozialarbeiterin und freie Referentin, beschreibt unter dem Titel „Bedeutung und Einsatz anamnestischer Aufnahme-Bögen für das pädagogische Erstgespräch“ aus der Reihe KiTa Fachtexte Bedeutung, Tragweite und Inhalt von Erst-Kontakt und Gesprächsbogen für Eltern und KiTa-Fachkräfte.

Nach Schlösser haben „pädagogische Erstkontakte ... für Eltern und PädagogInnen eine ganz besondere Bedeutung“. Sie übernehmen eine Schlüsselfunktion, denn ihr Ziel ist es, einen Kooperationsprozess in Gang zu setzen – die Erziehungs- und Bildungspartnerschaft. Voraussetzung hierzu ist eine „wechselseitig annehmende Beziehung und Vertrauensvorschuss“. Am Anfang jedoch dominieren auf Seiten der Eltern wie der PädagogInnen Unwissen und Verunsicherung: Beide Seiten haben individuell geprägte Vorstellungen, Sorgen, Befürchtungen und Erwartungen in Verbindung mit dem neuen Gesprächspartner. Umso wichtiger ist es, klare Informationen und Transparenz voneinander zu bekommen. Dazu dient der Aufnahme-Bogen als die AnamneseAnamnese|||||Anamnese "bedeutet Basiserfassung von Daten und Informationen. Das Wort Anamnese stammt aus dem Griechischen und bedeutet Erinnerung, Wiedererinnerung und Gedächtnis. Ziel einer Anamnese ist es, Informationen zum biografischen Hintergrund des Kindes und seiner Familie zu erhalten." (Quelle: Schlösser, KiTa Fachtexte, 2011) und Grundlage.

Die Autorin beschreibt den Anamnese-Bogen als „familiäres Gedächtnis“, in dem Eltern mit den PädagogInnen häuslich-private Erinnerungen sowie Erlebnisse und Prozesse festhalten, die das Kind bis zum Eintritt in die KiTa erfahren hat. Diese werden die weitere Entwicklung des Kindes beeinflussen und sind damit Anhaltspunkte für alle pädagogisch-professionellen Entwicklungsgespräche. Laut Schlösser betrachten die Erziehungspartner damit die „Entwicklung über einen zeitlichen Verlauf“, um sich über kognitive, psychische und physische Entwicklungspotenziale auszutauschen und diese zu unterstützen. Die Eltern werden im Erst-Gespräch gebeten, gemeinsam mit der oder dem Bezugs-ErzieherIn über die Familie und das Kind zu sprechen und währenddessen den Bogen auszufüllen. Das erfordert Vertrauen und Offenheit von den Eltern, von der Fachkraft eine achtungsvolle, einfühlsame Haltung und ein hohes Maß an Kommunikationsfähigkeit.

Inhalte des ersten Dialogs und Anamnese-Bogens

Den wichtigen Zweck von Dialog und gemeinsamem Fragebogen-Ausfüllen sollte die oder der Bezugs-ErzieherIn den Eltern hervorheben: Dies diene der Bestandsaufnahme, optimalen Unterstützung und Entwicklungsentfaltung des Kindes. Schlösser empfiehlt, neben administrativen Grunddaten von Kind und Eltern folgende Aspekte zu erfassen: „..Berufe, Tätigkeiten, Religionen, Familiensprache der Eltern; ...Schwangerschafts- und Geburtsverlauf; ...bisherige kognitive, physische und psychische Entwicklung des Kindes; ...darin eingebettete sprachliche Entwicklung des Kindes (einsprachig/mehrsprachig); ... Vorlieben, Ängste, Eigenschaften und Besonderheiten des Kindes; ...Erziehungsziele und Kooperationsbedürfnisse, ... weitere Entwicklungsgespräche“. Auch Eltern können im Erst-Gespräch die Gelegenheit nutzen,  Informationen zu Entwicklungsschritten oder institutionellen Bildungs- und Erziehungsangeboten zu erhalten oder über die Möglichkeiten weiterer Gespräche zu erfahren.

Einfühlsam und wertschätzend kommunizieren

Schlösser betont mehrfach, dass pädagogische Fachkräfte stetig wertschätzend, sensibel und situativ auf die Eltern zugehen und reagieren sollten. Die Darlegung der eigenen subjektiven Beobachtung und der familiären Umwelt gegenüber einer noch fremden Person ist für Eltern eine große Herausforderung, die die Gefühlsebene berührt. Um Verunsicherung oder Widerstände zu vermeiden, sollte die Fachkraft auf Methoden und Werkzeuge professioneller Kommunikation zurückgreifen: ehrliche Selbstdarstellung, aktives Zuhören, Ich-Botschaften, Meta-Kommunikation.

Die Autorin weist besonders auf Erst-Gespräche mit Eltern interkulturellen Hintergrunds hin, die wenig Deutsch verstehen und sprechen. Ein sprachlich wie kulturell geschulter Dolmetscher kann hier das Gespräch begleiten: „... Da auch Erziehungsziele und -vorstellungen kulturell, gesellschaftlich und religiös geprägt sind, ist der Austausch hierzu ernst zu nehmen, um eine effektive Erziehungs-partnerschaft eingehen zu können. Nur der Dialog, der über ein Mindestmaß an Verständigung hinaus geht und inhaltlich bedeutsamen Charakter hat, ist von Wert für die sich entwickelnde Zusammenarbeit mit Eltern“, unterstreicht Schlösser.