Auf dem Weg zum Familienzentrum
Familien stehen heute mehr denn je vor einer Vielzahl von Herausforderungen, für die sie jeweils individuell Lösungen finden müssen. Die sich verändernden tradierten Wertvorstellungen und damit einhergehend sich weiter ausdifferenzierende Familienformen führen zu großer Verunsicherung in der Erziehung und der Suche nach Orientierung. Grundsätzlich wollen alle Eltern ihren Kindern bestmögliche Chancen geben, aber immer weniger Eltern sind sich sicher, wie sie das erreichen können. Darüber hinaus wirken auf Familien hohe Anforderungen ein, wie beispielsweise berufliche Flexibilität, stetige Fort- und Weiterbildung, die Förderung ihrer Kinder sowie die Sorge um die eigenen Eltern. Darüber hinaus rückt seit den Ergebnissen der ersten Pisa-Studie vor zehn Jahren das Thema „Bildung“ immer stärker in den Vordergrund der Elementarpädagogik. Unter Titeln, wie z. B. „Auf den Anfang kommt es an“ richtet sich die Perspektive stärker auf die erste Lebensphase und die Begleitung von Familien von Beginn an. Vor diesem Hintergrund zeigt sich, dass die Herausforderung darin besteht, neue Wege zu gehen und bestehende Systeme und Institutionen weiterzuentwickeln, um passgenauere Antworten zu finden.
Integrierte Familien-Dienstleistungen sind gefragt
Gerade in Deutschland besteht ein sehr ausdifferenziertes Sozialsystem mit vielfältigen Institutionen, die jede für sich Angebote offeriert, die Familien – Eltern und Kindern – Unterstützung anbieten. Diese arbeiten häufig mit ihren jeweiligen Aufträgen nebeneinander her und weniger gemeinsam und aufeinander bezogen. Vor allem ist die trägerübergreifende Zusammenarbeit weniger ausgeprägt. Seit einigen Jahren wird in diesem Kontext immer häufiger von der Notwendigkeit gesprochen, miteinander zu kooperieren und jeweiliges Know-how einzubringen. Netzwerke, in denen themenbezogen und interdisziplinärinterdisziplinär|||||Unter Interdisziplinarität versteht man das Zusammenwirken von verschiedenen Fachdisziplinen. Dies kann auch als „fächerübergreifende Arbeitsweise“ verstanden werden, z.B wenn Psychologen, KinderärztInnen, ErzieherInnen und Lehrende zusammen an einer Fragestellung arbeiten. versucht wird, Ergebnisse zu erzielen, die jeweils als einzelne Institution, als einzelner Träger nicht erreicht werden können, haben Konjunktur. Netzwerke bieten die Chance, immer wieder neue Kooperationen zu generieren und Innovationen zu erzeugen.
Die sechs großen „B“ der Famlienzentren
Die Entwicklung von Familienzentren ist in diesem Kontext der Versuch aus der täglichen Praxis heraus, Familien umfassende Unterstützung dort anzubieten, wo sie leben und arbeiten. Die Öffnung der Einrichtungen in Hinblick auf eine integrierte Zusammenarbeit mit anderen Institutionen ermöglicht es, einen Ort zu schaffen, in dem Begegnung, Beratung, Betreuung, Begleitung, Beteiligung und Bildung wesentliche Bestandteile sind. Diese sechs großen „B“ umfassen die wichtigen Bereiche, die Familien wohnortnah benötigen. Hierbei spielt auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine wichtige Rolle. Neben der Förderung von erzieherischen und persönlichen Kompetenzen bietet die Stärkung der beruflichen Kompetenzen ein wichtiges Element in der Zusammenarbeit mit Familien. Ausgehend von Erziehungspartnerschaften zwischen pädagogischen Fachkräften und Eltern ist es wesentlich, leichte Zugänge auch für bildungsungewohnte Familien zu ermöglichen und sie als Expertinnen ihrer Kinder einzubeziehen und ihnen wohnortnah umfassende Unterstützung anzubieten. Kindertageseinrichtungen sind häufig der erste institutionelle Ort, in dem Familien, Eltern Unterstützung finden und darüber hinaus in die Bildungsprozesse ihrer Kinder einbezogen werden. Durch die vertraute Atmosphäre ist es leichter, Kontakte zu knüpfen und Angebote an den Bedürfnissen von Familien orientiert anzubieten. Die Weiterentwicklung zu Familienzentren erscheint vor diesem Hintergrund eine notwenige Konsequenz. Hierbei ist es wesentlich, an den vorhandenen Strukturen und Institutionen anzuknüpfen, um SynergienSynergien|||||Synergien beschreiben das Zusammenwirken von Faktoren, z.B. Menschen, Stoffe, Umfelder, die sich gegenseitig fördern, sich positiv voran bringen und einen gemeinsamen Nutzen haben. zu erzeugen.
Viele Einrichtungen machen sich auf den Weg
Viele Einrichtungen stellen sich den Herausforderungen und organisieren unter Nutzung vorhandener Ressourcen bestmögliches. Die vielen Nachfragen aus der Praxis zeigen, dass sowohl regional als auch überregional Austausch und Transfer von Erfahrungen und fachlicher Input notwendig ist. Aus diesen Entwicklungen heraus stellt sich die Frage nach der Qualität und den Rahmenbedingungen z. B. für die Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen zu Familienzentren. Die zentralen Fragen liegen in der Qualitätsentwicklung sowohl bezogen auf die räumlichen Voraussetzungen und Ausstattung als auch die Qualifizierung der pädagogischen Fachkräfte und der inhaltlich-konzeptionellen Ausrichtung, wie z.B. nach Early-Excellence-Centre-Ansatz, dem idealen Personalschlüssel sowie der Einbindung externer PartnerInnen in die Familienzentren. Außerdem gilt es, die FortbildnerInnen und Fachberatungen entsprechend fortzubilden, um sich den Herausforderungen in der Begleitung der Veränderungsprozesse zu Familienzentren zu stellen. Nicht zuletzt stellt sich die Frage nach der Ausbildung von pädagogischen Fachkräften und wie die Anforderungen an die Arbeit in Familienzentren in der Ausbildung Berücksichtigung finden können.
Modellregion Hannover
In Niedersachsen beschreitet unter anderem die Landeshauptstadt Hannover innovative Wege, in dem sie durch einen Ratsauftrag 2006 ein trägerübergreifendes Programm „Familienzentren-Hannover“ gestartet hat. Jedes Familienzentren erhält zusätzlich 40.000 Euro für die Einrichtung einer halben Koordinationsstelle sowie Sachkosten. In der Rahmenkonzeption ist die aktive Einbeziehung von Eltern integraler Bestandteil sowie Fort- und Weiterbildung aller im Prozess befindlichen Fachkräfte. Darüber hinaus beinhaltet die Rahmenkonzeption in Hannover die Einführung und Etablierung des aus England stammenden und am PestalozziPestalozzi||||| Johann Heinrich Pestalozzi`s (1746 - 1827) pädagogisches Ziel war es eine ganzheitliche Volksbildung zu erreichen, und die Menschen in ihrem selbstständigen und kooperativen Wirken in einem demokratischen Gemeinwesen zu stärken. Er legte Wert auf eine harmonische und ganzheitliche Förderung von Kindern in Bezug auf intellektulle, sittlich-religiöse und handwerkliche Fähigkeiten. Grundidee ist dabei, ähnlich wie in der Montessori-Pädagogik, dass die Menschen die Fähigkeit entwickeln, sich selbst zu helfen. -Fröbel-Haus Berlin in Deutschland eingeführten Early-Excellence-Centre-Ansatzes. Das ist für alle am Programm in Hannover teilnehmenden Einrichtungen verpflichtend.
Landesweite Expertenrunde
Für Niedersachsen hat das Niedersächsische Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung eine landesweite Expertenrunde eingerichtet, Zentrales Ziel ist es, interdisziplinär und bildungsbereichsübergreifend ExpertenInnen zusammenzuführen, die sich umfassend den Fragestellungen von Familienzentren widmet. Neben einer Bestandsaufnahme zur derzeitigen Situation sollen hier insbesondere Gelingens- und Misslingens-Bedingungen auf dem Weg zum Familienzentrum identifiziert und entsprechende Handreichungen und Empfehlungen für die Praxis entwickelt werden.
- Zuletzt bearbeitet am: Freitag, 13. Juli 2012 13:09 by Karsten Herrmann