Potenziale, Grenzen und Perspektiven der digitalen Weiterbildung

Im Verlaufe der vergangenen Monate sind wir alle ein Stück weit zu digitalen Kommunikations-Expert*innen geworden und wie selbstverständlich haben sich für viele ganz neue Arbeitsabläufe und Begrifflichkeiten eingebürgert – da verwendet man statt durchs Land zu reisen jetzt BigBlueButton, Zoom oder Teams, da geht man in Breakout-Sessions, wird „gekachelt“, „entstummt“ oder „gespotet“, hantiert mit digitalen Whiteboards oder Padlets und kann sich sogar schon digital zum Pausentalk in der Küche oder auf der Terrasse verabreden.

Neben digitalen Besprechungen oder auch der digitalen Elternarbeit ist für viele KiTas auch die digitale Weiterbildung zur Selbstverständlichkeit geworden – von digitalen Vorträgen über Webinare und große Tagungen bis zu umfassenden E-LearningE-Learning||||| E-Learning wird als elektronisch unterstütztes Lernen übersetzt und wird auch als E-Lernen oder E-Didaktik bezeichnet. Nach einer Definition von Michael Kerres werden darunter Lernformen verstanden, bei denen digitale Medien verwendet werden um Lernmaterialien bereitzustellen, zu präsentieren oder zum zwischenmenschlichem Austausch genutzt werden.   s. Nachdem E-Learning und digitale Weiterbildung über viele Jahre im frühkindlichen Bereich ein kümmerliches Schattendasein fristeten, sind jetzt im Zuge der Corona-Pandemie neue digitale Weiterbildungsinstitute wie Indipaed, QiK-Online-Akademie oder auch die Waterkant-Academy aus dem Boden geschossen und haben sich schnell etabliert.

Auch im nifbe ist die landesweite Qualifizierungsinitiative rund um den Umgang mit Vielfalt sowie Demokratiebildung und Partizipation zum Teil auf digitale Angebote umgestellt worden – von digitalen Team-Qualifizierungen über digitale Leitungscoachings bis zu der von bis zu 500 Teilnehmer*innen aus dem In- und Ausland besuchten Online-Vortrags-Reihe „KiTa in Corona-Zeiten“. Aber auch für Träger wie Fröbel war Corona ein „Beschleuniger“ und „Türöffner“ für die Digitalisierung in der Weiterbildung frühpädagogischer Fachkräfte. Schnell hat dieser Träger so auch sechs E-Learning-Kurse zu pädagogischen Themen entwickelt und mit großer Resonanz angeboten: „Quasi aus der Not heraus haben Fachkräfte Erfahrungen mit digitalen Weiterbildungsangeboten gesammelt, was durchaus zur Akzeptanz beigetragen hat“, so Ellen Jande, die bei Fröbel für Personalentwicklung und E-Learning zuständig ist.

Im Hinblick auf die konkreten digitalen Weiterbildungsangebote im frühkindlichen Bereich zeigt sich aktuell eine große Vielfalt über das ganze Themenspektrum der frühkindlichen Bildung hinweg – von digitalen Häppchen über kurze Live-Webinare bis zu umfangreichen Selbstlerneinheiten. Mit viel Experimentierlust und Innovationskraft wurden bisherige Präsenz-Inhalte in neue digitale Formen übersetzt und im gleichen Atemzuge die Methodik und Didaktik überdacht. Das Probieren ging hier eindeutig über das Studieren und mittlerweile zeichnen sich die ersten Konturen und Leuchttürme ab (einer davon ist sicherlich auch der schon kurz vor der Corona-Pandemie von der Bertelsmann-Stiftung herausgegebene MOOC „Mitentscheiden und Mithandeln in der Kita“.

Zu unterscheiden ist dabei zwischen digitalem synchronem Lernen und digitalem asynchronem Lernen. Beim synchronen Lernen sind Referent*innen und Teilnehmer*innen zur gleichen Zeit anwesend (z.B. in einer Videokonferenz, einem Webinar oder in einem virtuellen Lernraum). Beim asynchronen Lernen können die Teilnehmer*innen über online oder offline zur Verfügung gestellte Inhalte zeitunabhängig lernen. Dies ist bei klassischen E-Learnings und anderen digitalen Selbstlerneinheiten der Fall.

Die einen – und zwar sowohl die Weiterbildner*innen oder Prozessbegleiter*innen selber wie auch die KiTa-Fachkräfte – zeigen sich nun begeistert über die neuen Möglichkeiten, andere vermissen essentielle Bestandteile einer nachhaltigen Weiterbildung, wieder andere fluchen über ihre mangelnde technische Ausstattung oder sehen die Work-Life-Balance gefährdet.

Wo liegen nun aber konkret die Potenziale, aber auch die Grenzen der digitalen Weiterbildung? Was wird auch nach dem Ende der Corona-Pandemie bleiben? Dieser komplexen und vielperspektivischen Frage wollen wir uns nun ein wenig annähern.

Potenziale digitaler Weiterbildung

Einige Potenziale digitaler Weiterbildung liegen klar auf der Hand. Am offensichtlichsten ist wohl zunächst die Schonung von Zeit- und Geldressourcen: Es entfallen lange Anreisen und Übernachtungskosten für Weiterbildungen in Präsenz, was die Teilnehmer*innen, die Träger und auch die Umwelt deutlich entlastet. Des Weiteren sticht die räumliche und (insbesondere beim asynchronen Lernen) auch zeitliche Flexibilität ins Auge – digitale Weiterbildungen können im Büro, Zuhause oder auch unterwegs mit verschiedenen Endgeräten (PC, Tablet, Smartphone) und zumindest bei Selbstlerneinheiten auch jeweils „just in time“ wahrgenommen werden. Diese Art des digitalen Lernens entspricht auch den gerade bei Jüngeren etablierten Gewohnheit „Inhalte on demand zu nutzen – also jederzeit, überall, nach persönlichem Lerntempo in eigener Intensität, Dauer und Fülle“ . Und so unterstreicht auch Ellen Jande von Fröbel im Interview: „Der größte Vorteil am E-Learning ist das orts- und zeitunabhängige Lernen. Pädagogische Fachkräfte entscheiden, unter Berücksichtigung der Situation in ihrer Einrichtung, selbst wann, wo und mit welchen inhaltlichen Schwerpunkten sie lernen möchten. Feste Seminarzeiten und -orte gibt es nicht. Die daraus resultierende flexible Verteilung von Lernzeiten trägt zur Vereinbarkeit von pädagogischem Alltag und der Teilnahme an Weiterbildungen bei.“ Das selbstbestimmte digitale Lernen über E-Learnings und andere Selbstlerneinheiten kommt also den unterschiedlichen Zeitfenstern, Lerngewohnheiten und Wissensständen von Fachkräften in besonderer Weise entgegen.

Neben der Ressourcenschonung, Flexibilität und Verfügbarkeit kommt es aber natürlich darauf an, ob und wie über die digitalen Weiterbildungsangebote tatsächlich Inhalte, Reflexionen oder sogar Verhaltensänderungen vermittelt bzw. angestoßen werden können. Erste Hinweise geben im Kontext des nifbe und darüber hinaus geführte zahlreiche Gespräche und Interviews mit Expert*innen sowie auch erste kleinere Evaluationen.

Aus einer Erhebung und qualitativen Diskussion mit nifbe-Prozessbegleiter*innen gaben so mehr als die Hälfte an, dass der Umfang an online geführten Unterrichtseinheiten im Vergleich zu den vorhergehenden Jahren „stark“ oder „sehr stark“ zugenommen hat. Digital funktioniert demnach gut bei (Vor-) Absprachen und bei der Vermittlung von Fachwissen. Etwas überraschend ist, dass im Rahmen der nifbe-Qualifizierungsinitiative auch mehr als die Hälfte der Leitungscoachings praktisch komplett online durchgeführt wurden und dass dies als durchaus gelungen bewertet wird. In diesem Sinne scheint der damit essenziell verbundene Austausch und die notwendige Reflexion mit einer entsprechenden Didaktik und Methodik auch digital zu funktionieren. Zugleich wird die „Initiierung von Reflexionsprozessen“ bei den Fachkräften und Leitungen aber auch als „Königsdisziplin“ der digitalen Weiterbildung bewertet.

Die Auswertungen von digitalen Weiterbildungsinstituten und auch Fröbel deuten insgesamt auf eine große Zufriedenheit der Teilnehmer*innen hin. So wurden bei der Fröbel GmbH die zahlreich gebuchten E-Learning-Kurse „in den Kategorien Gesamturteil, Lernerfolg und Praxistransfer gut bis sehr gut bewertet.“ Eine begleitende Pilot-Studie zu dem von Indipaed kostenlos angebotenen Online-Kurs „Was ist Adultismus?“ ergab bei den 4.000 Teilnehmer*innen, die den Fragebogen ausfüllten, ebenfalls sehr positive Bewertungen – bis auf wenige Ausnahmen beurteilten sie den Kurs im Bereich von „gut“, „sehr gut“ und „ausgezeichnet“. Rund 80 Prozent zeigten sich auch mit dem eigenen Lernfortschritt „sehr“ oder sogar „extrem zufrieden“. Eine Teilnehmerin sagte exemplarisch: „Ich finde die Abwechslung, zwischen hören, lesen und Video schauen sehr ansprechend. Einen Online-Kurs so aufzubauen ist große Klasse. Auch die Möglichkeit es nicht in einem Rutsch bearbeiten zu müssen, sondern die Option nach und nach, je nach Zeitkontingent den Kurs zu bearbeiten ist optimal.“ Auch die Resonanz zu den Kursen der QiK-Online-Akademie stellt sich sehr positiv da. Wie Co-Geschäftsführerin Marion Leopold berichtet, „waren 98% der Befragten mit den absolvierten Kursen zufrieden und 96 % bestätigten den Mehrwert der Online-Kurse für ihre pädagogische Arbeit.“ Als die größten Vorteile schätzt sie die „direkte Verfügbarkeit der Online-Kurse“ sowie die „Möglichkeit, sich die Bearbeitungszeit frei einzuteilen, nach eigenem Tempo zu lernen und die Möglichkeit der Wiederholung zu haben“ ein. Auch Ellen Jande von Fröbel berichtet entsprechend, „dass Fachkräfte, neben der abwechslungsreichen Aufbereitung der Inhalte und dem leichten Kurszugang, die Flexibilität beim Lernen am meisten schätzen“.

Barrieren

An dieser Stelle, da wir immer wieder von „direkter Verfügbarkeit“ und „leichten Kurszugang“ hören, müssen wir auch kurz auf zwei zentrale Zugangs-Barrieren zur digitalen Weiterbildung eingehen. Denn so haperte es in der Praxis auf der einen Seite immer wieder an der mangelnden digitalen Ausstattung und gerade auf dem Land an unzureichenden Internetverbindungen in KiTas. Viele Fachkräfte mussten so auf private Geräte zurückgreifen und digitale Weiterbildungen von zu Hause aus und zuweilen sogar in ihrer Freizeit wahrnehmen. Im Laufe der Corona-Pandemie haben hier viele Träger mittlerweile schon stark nachgerüstet, aber vielerorten reicht es noch nicht aus – umso wichtiger ist es, dass die (Bundes-) Politik in einer konzertierten Aktion nicht nur einen Digitalpakt für Schulen, sondern auch für KiTas fördert. Auf der anderen Seite gab es bei den digitalen Fortbildungen gerade zu Anfangszeiten der Pandemie auch gravierende Zugangsbarrieren aufgrund mangelnder digitaler Kompetenzen der Fachkräfte. Für viele war es zumindest eine große Überwindung und mit viel Mühe und Frust verbunden, sich in der neuen digitalen Welt zurechtzufinden und entsprechende Routinen zu entwickeln. Hier ist es zukünftig notwendig, entsprechende digitale Kompetenzen konsequent schon in der Ausbildung und dann auch konstant berufsbegleitend zu vermitteln. Gesine Abel, bei Fröbel ebenfalls für E-Learning zuständig, resümiert, dass „in den Rückmeldungen immer wieder die Notwendigkeit betont wird, die Trainierenden und Mitarbeitenden auch im Umgang mit den digitalen Medien zu schulen und ansprechbar bei Problemen zu sein, um Hemmnissen entgegenzuwirken. Das kleinschrittige Heranführen an die digitalen Weiterbildungsformate sehen wir als einen grundlegenden Pfeiler an, Mitarbeitenden ALLER Personengruppen zu befähigen diese Angebote wahrzunehmen und deren Vorteile sichtbar zu machen.“

Grenzen

Neben solchen Barrieren zeigen die Rückmeldungen aus der Praxis aber auch deutliche pädagogische Defizite und Grenzen der digitalen Weiterbildung auf. Kritisiert wird von Prozessbegleiter*innen und Weiterbildner*innen hier beispielsweise, dass kein mehrdimensionales Lernen oder auch die Selbsterfahrung über die Sinne und den Körper kaum möglich sei. Insgesamt falle es schwer „Gespür für die Atmosphäre“ im Raum zu entwickeln und versteckte Signale über Körperhaltungen oder auch nonverbalen Widerstand zu entziffern. So könnten auch emotional aufgeladene Diskussionen schwer aufgefangen werden. In diesem Sinne scheint digitale Weiterbildung bei Konfliktmanagement, digitalen Selbsterfahrungs- und Selbstreflexionsprozessen sowie auch Team- oder Personalentwicklungsprozessen an Grenzen zu stoßen. Hier braucht es, so Gesine Abel von Fröbel, über die digitalen Weiterbildungsanteile hinaus „Zeit zur Reflexion, persönlichen Austausch und Anwendung in der Praxis, um Gelerntes nachhaltig in den Alltag zu integrieren“. Die persönliche Interaktion sei ein zentraler und unverzichtbarer Bestandteil, „um handlungsorientiert Wissen zu verankern“. Entsprechend bleibt für die Weiterbildungsmanager*innen Uwe Göthert und Susanne Martin auch das „Präsenztraining der Goldstandard für die Entwicklung sozialer Kompetenzen“.

Ein weiterer – nicht zu unterschätzender Nachteil – der digitalen Weiterbildung ist der weitgehende Entfall des informellen Austauschs in der Mittagspause oder bei einem Kaffee. Nicht selten eröffnen sich dabei ganz neue Perspektiven, Vernetzungen und Kooperationen. Mittlerweile versuchen aber auch schon Angebote wie „wonder.me“ oder „gether.town“ mit Lounge-, Wohnzimmer- oder Café-Atmosphäre diesen informellen Austausch digital nachzubilden.

Die Zukunft der Weiterbildung

Aus den vielen verschiedenen Statements und Rückmeldungen ergibt sich die klare Einschätzung, dass das Rad auch nach Corona nicht zurückgedreht wird und das digitale Lernen eine wichtige Rolle beibehält. Digitale Angebote, so Anne Kuhnert von Indipaed, „geben uns einfach MEHR Möglichkeiten und Formate an die Hand, ohne die bekannten und etablierten Präsenzformen zu verdrängen oder zu ersetzen.“

Deutlich kristallisiert sich dabei aber auch heraus, dass für das digitale Lernen eine spezifische Didaktik und Methodik weiterentwickelt werden muss. Eine große Rolle dürften hierbei insbesondere im Live-Bereich digitale Austausch- und Beteiligungsmöglichkeiten spielen - vom Chat und digitalen Whiteboards über Speeddating und Mentimeter-Abfragen bis hin zu Break Out-Sessions. Hier eröffnen sich auch gerade für Fachkräfte, die eher still und rhetorisch unsicher sind, neue Möglichkeiten sich mit ihrer Meinung einzubringen.

Unisono sehen die befragten Expert*innen die Zukunft der Weiterbildung in neuen Misch- oder Hybridformen. So konstatiert Ellen Jande von Fröbel: „Ich denke, dass zukünftig vor allem Blended LearningBlended Learning||||| Blendend Learning bedeutet integriertes Lernen und bezeichnet eine Lernform die auf der einen Seite  traditionelle Präsenzveranstaltungen umfasst, sowie auch die modernen Formen von E-Learning behinhaltet, also elektronische Lernformen übers Internet, die von zu Hause erledigt werden können. Beim Blended Learning findet so soziale Face-to Face-Kommunikation statt, kombiniert mit Lern- und Übungsphasen über das Internet.   eine große Rolle in der Weiterbildung spielen wird. Das heißt die unterschiedlichen Lernformen des Präsenzlernens und des E-Learnings werden immer mehr so miteinander verzahnt, dass sozusagen das Beste aus beiden Welten wirken kann.“

Eine vielversprechende Variante scheint dabei das Konzept des Flipped Classroom aus den USA. „Flipped“ bedeutet dabei, dass die bisherige Trainings- oder Unterrichtsroutine umgedreht wird: digitale und multimediale Selbstlerneinheiten vermitteln den Lernenden in einem ersten Schritt zentrale Inhalte – ganz flexibel, im eigenen Tempo und angepasst an den eigenen Wissensstand. In den sich anschließenden Präsenzformaten ist dann mehr Zeit für Rückfragen, inhaltliche Vertiefung, Austausch und Reflexion. So kann das Erlernte vertieft und der Transfer in die Praxis erleichtert werden.

Ganz in diesem Sinne plant das nifbe im Rahmen seiner Qualifizierungsinitiative und mit einer neu eingerichteten Moodle-Lernplattform auch neue Formen des hybriden Lernens und des „Flipped Classroom“ zu erproben - um so Schritt für Schritt das Beste der analogen und der digitalen Weiterbildungs-Welt miteinander zu verbinden.

Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus
KiTa aktuell ND 12-2021, S. 284-287


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