Monstern den Kampf ansagen
Kinderängste lauern überall
Ein Monster unter dem Bett? Wer weiß, was im Dunklen noch alles auf mich wartet? Ich will nicht alleine schlafen. Mama und Papa könnte etwas zustoßen? Ich möchte nicht in die Kita gehen. Es geht so viel in der Welt vor. Was, wenn ich in der Stadt verloren gehe? Und was passiert, wenn ich krank werde? Muss ich sterben? Was passiert bei Gewitter? Und warum ist der Donner so schrecklich laut? Wie gefährlich sind Hunde wirklich? Und wie schlimm Spinnen? Hier bekommen Sie Impulse, wie Kinderängste aufgegriffen und bearbeitet werden können.Kinderängste sind so vielfältig wie das kindliche Leben selbst. Sie verdeutlichen, wie schnell sich die Gedanken- und die Gefühlswelt der Kinder in den ersten Lebensjahren verändert. Für pädagogische Fachkräfte in Krippe und Kita bieten Kinderängste vor allem eins: einen wichtigen Gesprächsanlass für Erwachsene und Kind und die damit verbundene Chance, die sichere Bindung zwischen beiden zu stärken.
Kinderängste & Entwicklungspsychologie
Um kindliche Ängste besser verstehen zu können, erscheint ein Blick in die emotionale Entwicklung von Kindern hilfreich. Entwicklungspsychologen gehen davon aus, dass Menschen bereits mit einer Reihe von Emotionen geboren werden. Zu diesen Basisemotionen gehören auch Furcht und Ekel, die bei der Entstehung kindlicher Ängste natürlich eine Rolle spielen können. Direkt beobachtbar beim Kind erscheint Furcht allerdings erst ab dem 7. Lebensmonat, wenn das Fremdeln beginnt und das Kind seine Abwehr gegenüber Unbekannten verdeutlicht. Andere Emotionen im Kontext von Kinderängsten, wie Verlegenheit und Neid, sind erst ab dem 2. Lebensjahr zu beobachten.Dann hat sich das Ich-Konzept der Kinder so weit entwickelt, dass sie in der Lage sind, die Trennung zwischen sich und anderen wahrzunehmen. Wenn dann im dritten Lebensjahr auch das Selbstkonzept – also die Vorstellung davon, wie man gern sein möchte – entwickelt ist, kommen dann noch neue Emotionen wie Scham und Schuld dazu.
Kindliche Ängste sind ein Ausdruck der emotionalen Entwicklung. Kinder benötigen für die Regulation ihrer Emotionen zunächst noch stark die Hilfe der Erwachsenen. Zunächst regulieren die Erwachsenen die Ängste der Kinder allein durch Trösten, Auf-den-Arm-Nehmen, Streicheln. Später fordern die Erwachsenen die Kinder auch vermehrt auf, die Emotionen selbst zu regulieren, durch Ermunterungen („Du bist doch schon groß.“) oder durch Ratschläge („Schau am besten gar nicht hin und denk an etwas Schönes!“).
Erst mit dem Fortschreiten der Sprachentwicklung gelingt es den Kindern zunehmend besser, ihre Emotionen bereits selbst zu regulieren. Sie wissen dann zunehmend besser, dass man die eigenen Emotionen zum Beispiel abdämpfen kann (z. B. durch Ohren- und Augenzuhalten), dass man sich selbst gut zureden kann und dass man auch seine Wünsche ändern kann, wenn sie im Moment nicht erfüllbar sind. Die Entwicklung der emotionalen Selbstregulation ist jedoch im Vorschulalter noch nicht abgeschlossen.
Schulkinder sind mit neuen Erwartungen und stärkerem Druck konfrontiert, mit dem sie umgehen lernen müssen. Selbst im Jugend- und Erwachsenenalter können Emotionen nach wie vor als stark erlebt werden.
Kinderängste sind Gesprächsanlässe
Kinderängste sind vielfältig. Sie bilden die Gedankenwelt der Kinder ab und verdeutlichen, wie sehr sich Kinder mit den an sie herangetragenen Anforderungen bereits auseinandersetzen und nach Lösungen suchen, die ihnen helfen, mit diesen Anforderungen bestmöglich umzugehen. Es erscheint von daher als fachlicher Fehler, die Befürchtungen der Kinder vorschnell als unlogisch und kindisch abzutun, zu ignorieren oder zu minimalisieren. Vielleicht existiert das Monster ja wirklich? Für Kinder stellen sich die Ängste als sehr real dar, sie greifen tief in ihr aktuelles Erleben ein und werden noch bedrohlicher, wenn sich zu ihnen auch noch der erwachsene Druck gesellt, diese Ängste doch gar nicht erst zu empfinden oder ihre Unsinnigkeit doch bitteschön selbst einzusehen. Kinder wenden sich mit ihren Ängsten zunächst an ihre Vertrauenspersonen. Es ist von daher ein Zeichen einer guten Beziehung, wenn ein Kind der pädagogischen Fachkraft seine Ängste anvertraut. Diese gute Beziehung gilt es zu bewahren und zu vertiefen. Hier ein paar Möglichkeiten.Nutzen Sie die geäußerte Angst als Gesprächsöffner
- Lassen Sie sich Zeit im Gespräch mit dem Kind zu seiner geäußerten Angst. Reagieren Sie auf keinen Fall vorschnell mit Argumenten, die das Kind von einer scheinbaren Unmöglichkeit der Angst überzeugen sollen. Bleiben Sie selbst sachlich und neutral, fordern Sie das Kind auf, Ihnen mehr von seinem Erleben zu erzählen. Sie werden feststellen, häufig steckt hinter der geäußerten Angst des Kindes ein ganz anderes Anliegen. Die geäußerte Angst stellt für das Kind einen Testballon dar, mit dem es Ihre Gesprächsbereitschaft prüft.
Beziehen Sie andere Kinder in das Gespräch mit ein, wenn das Kind selbst damit einverstanden ist
- „Meinst du, dass es andere Kinder bei uns gibt, denen es ähnlich geht? Vielleicht haben die Ideen, was man gegen die Angst machen kann? Wen könnten wir dazu befragen?“
Sprechen Sie mit dem Kind ab, ob Sie die geäußerten Ängste mit seinen Eltern besprechen können
- Wenn ein Kind Ihnen von seinen Ängsten erzählt, so stellt das einen Vertrauensbeweis dar. Für ein Gespräch mit den Eltern zu den kindlichen Ängsten sollten Sie sich von daher das Einverständnis des Kindes einholen. Sollte ein Kind das nicht wollen, so müssen Sie dieses gegebene Versprechen einhalten. Kinder machen zum Teil schon sehr früh die Erfahrung, dass es Ängste und Gefühle gibt, von denen sie ihren Eltern nicht berichten können, aus Sorge, dass die Eltern sich dann mehr sorgen könnten als sie selbst. Ihre Aufgabe als Fachkraft ist es, sich als MentorIn des Kindes zu verstehen, es neutral zu begleiten und ihm so das Gefühl zu vermitteln, dass es selbst unangenehme und bedrohliche Dinge mit Ihnen vertrauensvoll besprechen kann.
Lassen Sie das Kind praktische Ideen entwickeln, wie es seinen Ängsten begegnen kann
- Manche der kindlichen Ängste sind recht unspezifisch und schwer greifbar (zum Beispiel die Angst vor dem Tod oder die Angst davor, die Eltern zu verlieren). Andere Ängste hingegen werden recht konkret geäußert und können gemeinsam mit dem Kind auch genauso konkret angegangen werden. Hier sind Großzügigkeit und Fantasie gefragt. Das magische Denken der Kinder kommt den praktischen Lösungen dabei entgegen. Wichtig ist, dass die Kinder durch die Lösungsideen echtes Handwerkszeug erhalten, mit dem sie den angstauslösenden Momenten aktiv-bewältigend entgegentreten können.
PraxisideenMonster unter dem Bett? Besprechen Sie mit dem Kind, wovor sich Monster selbst am meisten fürchten und was die Monster verwundbar macht. Als gute Monsterabwehr haben sich zum Beispiel ein spezielles Monsterspray (eine umgebaute Pumpsprayflasche, die vom Kind dekoriert und mit einer Monsterabwehrlösung gefüllt wird – zum Beispiel Wasser, das mit einem Duftstoff versehen wird). In der Stadt geht man verloren? Entwickeln Sie mit dem Kind einen speziellen Umhänger, der die wichtigsten Informationen enthält, eine Karte nach Hause, die Telefonnummer der Eltern. Kinderfänger entführen die Kinder? Besprechen Sie mit dem Kind (und dann natürlich auch mit den Eltern) ein spezifisches Passwort (z. B. „Ketchup“). Wenn der Fremde dann sagt, er wolle das Kind abholen, seine Eltern hätten ihn beauftragt, so muss der das Passwort von den Eltern wissen. Weiß er es nicht, so kann das Kind ganz schnell weglaufen. Angst vor Dunkelheit? Es gibt eine Vielzahl von kleinen handlichen LED-Lampen, die kaum Strom verbrauchen, aber sehr viel Licht erzeugen. Solche Lampen kann man auch in Licht-Kanonen verwandeln, sehr praktisch im Kampf auch mit dem Monster unter dem Bett. Angst vor bestimmten Tieren (Hunden, Insekten)? Es ist wichtig, dass Sie das Kind nicht aktiv auffordern oder gar zwingen, auf das Tier zuzugehen. Bieten Sie sich stattdessen selbst als Vorbild an und nehmen Sie selbst Kontakt mit dem Tier auf. Lassen Sie sich vom Kind dabei auch instruieren, wo Sie zum Beispiel den Hund streicheln sollen. Zeigen Sie dem Kind, dass Tiere im Allgemeinen selbst ruhig bleiben, wenn man selbst ruhig bleibt und keine hektischen Bewegungen macht. Stellen Sie dem Kind eine Lupe zur Verfügung, mit der es eine Spinne unter einem Wasserglas beobachten kann. Vergessen Sie nicht, die Spinne wieder zu ihrem Netz zurückzubringen. Trennungsangst morgens im Kindergarten? Hier sind Rücksprachen mit den Eltern genauso wichtig wie die Absprachen mit dem Kind. Bieten Sie Kind und Eltern an, sich in der Garderobe oder im Elternzimmer so lange voneinander zu verabschieden, bis das Kind zur Trennung bereit ist. Dafür sollten die Eltern morgens entsprechend mehr Zeit einplanen. Vereinbaren Sie mit Eltern und Kind ein spezielles Abschiedsritual. Vielleicht auch einen Anruf noch mal 20 Minuten nach der Trennung? Lassen Sie das Kind dabei selbst am Telefon sprechen. Manchmal bietet sich auch ein Wechsel der Bezugserzieherin an, denn Trennungsprobleme am Morgen müssen nicht automatisch ihre Ursache in der Familie haben. Lassen Sie das Kind unter zwei Erzieherinnen frei wählen, wer es an diesem Tag in den Kitaalltag starten darf. Wichtig ist, dass das Kind eine Wahl hat und damit die Situation aktiv beeinflussen kann. | ||
Veränderung der Ängste
Nicht allen Ängsten von Kindern lässt sich mit Monstersprays und Lichtkanonen begegnen. Informationen über Krieg und Terror erreichen bereits die Allerkleinsten. Wie uns Erwachsenen auch, fällt es den Kindern schwer, solche Nachrichten richtig einzuordnen und die Auswirkungen der Gefahren in der Welt auf das eigene Leben einzuschätzen.Wie also reagieren, wenn die Kinder ihre Ängste vor Tod, Terror und Krieg an Sie als Fachkraft herantragen? Ehrlichkeit ist hier genauso wichtig wie auch erwachsene Gelassenheit. Ehrlichkeit bedeutet, den Kindern zu sagen, dass auch Sie als Erwachsener sich viele Gedanken darüber machen, was in der Welt vor sich geht, und auch Sie selbst manchmal Angst haben. Sprechen und Zuhören, unter diesen beiden Schlagworten lässt sich das notwendige Vorgehen hier zusammenfassen. Vermitteln Sie den Kindern dabei aber auch das Gefühl von Sicherheit. Sagen Sie den Kindern, dass Sie zu ihrem Schutz da sind und sie sich darauf verlassen können, dass ihnen in Ihrer Obhut nichts zustoßen wird. Berichten Sie den Kindern davon, dass viele Menschen auf der Welt sich gerade darum kümmern, dass es weniger Krieg und weniger Terror gibt. Fragen Sie die Kinder, ob sie vielleicht selbst schon von jemandem gehört haben, der sich für die Kinder und ihre Sicherheit einsetzt. Vielleicht Angela Merkel? Vielleicht die Polizei? Fragen Sie die Kinder, ob sie an diese Leute vielleicht etwas schreiben oder zeichnen wollen, das Sie dann weiterleiten oder vielleicht sogar selbst übergeben.
Ungefiltert sollten Nachrichten aus den sozialen Medien nicht an die Kinder weitergegeben werden. Kindern fällt es schwer, den Gehalt der entsprechenden Nachrichten zu verstehen und einzuordnen. Darauf sollten auch Eltern in entsprechenden Elternbildungsangeboten hingewiesen werden.
Der „Nachtschreck"
Eine abgegrenzte, besondere Form kindlicher Ängste stellt der sogenannte „Nachtschreck“ dar. Von ihm sind ca. 5 % aller Kinder betroffen. Sie wachen häufig mit einem Schrei schweißgebadet aus dem Nachtschlaf auf, sind kaum ansprechbar und wirken stark verstört. In der Regel handelt es sich dabei um ein vorübergehendes Phänomen, das keine längerfristigen Schäden verursacht. Die Kinder schlafen zumeist von selbst wieder ein und können sich am Morgen kaum an den nächtlichen Anfall erinnern. Mit Einschlafritualen, einer gewohnte Schlafumgebung und der Vermeidung von zu großer Übermüdung der Kinder lässt sich dem zumeist vorbeugen. Erst wenn dieses Phänomen länger als drei bis sechs Monate anhält, ist es ratsam, einen Kinderarzt zu konsultieren.Ein kleines Fazit
Ängste begleiten den Menschen ein Leben lang. Sie sind für seine Entwicklung nicht nur wichtig, sondern können sein Leben retten. Sie machen uns auf Gefahren aufmerksam und fordern uns auf, unsere Bewältigungs- und Verteidigungsmöglichkeiten abzuprüfen. Für die Arbeit mit Kindern ist es von daher wesentlich, Ängste als etwas Wichtiges, Natürliches und Hilfreiches zu besprechen, gleichzeitig aber zu verdeutlichen, dass Angst etwas ist, das im Menschen selbst entsteht und dort auch reguliert werden kann. Nicht das Monster unter dem Bett selbst bringt die Angst – die Angst kommt dann, wenn man sich dem Monster nicht gewachsen fühlt.Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus klein & groß 9-2017, S. 6-10
- Zuletzt bearbeitet am: Montag, 23. Oktober 2017 11:11 by Karsten Herrmann