Zur Begrüßung unterstrich nifbe-Direktorin Prof. Dr. Renate Zimmer die starken Parallelen zwischen ihrem Institut und dem Netzwerk Fortbildung. Denn neben der Netzwerkphilosophie und dem wechselseitigen Transfer zwischen Forschung und Praxis sei das Thema der unter Dreijährigen in der KiTa ein „Herzstück des nifbe“. „Gemessen an den Chancen“ beurteilte sie die derzeitigen Quoten der Bildungsbeteiligung der unter Dreijährigen „gerade auch im Hinblick auf sozial benachteiligte oder bildungsferne Familien besorgniserregend gering“.
Nachhaltige Weiterbildung durch Vernetzung
Im ersten Hauptvortrag stellten die nifbe-Transfermanager Jörg Hartwig und Gerlinde Schmidt-Hood die aktuelle Qualifizierungsinitiative des nifbe für den Bereich der Arbeit mit den unter Dreijährigen in der KiTa sowie erste positive Evaluationsergebnisse vor. Zentrale Faktoren seien hier die Team-Fortbildung, das passgenaue Ansetzen an den Bedarfen der einzelnen Einrichtungen sowie die Prozessorientierung. Als einen wichtigen Nachhaltigkeitsfaktor unterstrich Jörg Hartwig auch die Einbindung der Fachberatung und Gerlinde Schmidt-Hood führte anhand ihrer alltäglichen Arbeit die Herausforderung aus, tragfähige Netzwerke mit allen Beteiligten zu etablieren. Transfer, so schlussfolgerten die nifbe-Transfermanager, „gelingt umso besser, je konsequenter er sich an den vorhandenen Strukturen orientiert und je konsequenter diese Strukturen vernetzt sind.“Kinderbetreuung als Arbeitsmarktinstrument
Einen erstaunlichen Blick über den Tellerrand gewährte Serv Vinders von Childcare International den TagungsteilnehmerInnen mit seinem Hauptvortrag zur System der Kindertagesbetreuung in den Niederlanden. Die frühe Kinderbetreuung sei hier ein reines Arbeitsmarktinstrument für Familien, in denen beide Eltern arbeiten und so würden auch die Arbeitsgeber ein Drittel der Kosten tragen. Sehr ausgeprägt sei in den Niederlanden schon traditionell ein „Teilzeitsystem“ mit „Mama“ und „Papa“-Tagen in der Woche. Die Kinderbetreuung in der Krippe werde pro gebuchter Stunde bezahlt und entsprechend unterschiedlich seien die Kinder dort. „Diese Flexibilität erfordert einen sehr guten Personalschlüssel“ und so gebe es beispielsweise auch einen Pool für Vertretungskräfte bei Krankheit oder Urlaub von ErzieherInnen. Eltern und Wirtschaft seien sehr zufrieden mit diesem System, allerdings, so Venders, „erreicht man damit nicht die Kinder, die es am nötigsten haben“. Kinder aus sozial benachteiligten Familien oder mit Migrationshintergrund hätten erst ab zweieinhalb Jahren und dann auch nur für zehn Stunden Anspruch auf Kinderbetreuung und hier stünde dann die Sprachförderung im Fokus. Mit dem Tag des 4. Geburtstages beginne in den Niederlanden dann auch schon die Grundschule.Flexibilität auf Kosten des Kindeswohls?
Zum Schwerpunktthema „Flexibilisierung der Kindertagesbetreuung“ stellte Katrin Schmalenberger-Laukert vom Bundesfamilienministerium das neue Programm „Kitaplus“ vor. Ziel sei eine bedarfsgerechte Erweiterung der Öffnungszeiten in den Randbereichen und an Wochenenden oder Feiertagen, um beispielsweise auch SchichtarbeiterInnen eine Kinderbetreuung zu ermöglichen. Entscheidend für eine Förderung sei neben einer Bedarfserhebung das pädagogische Konzept für die erweiterten Öffnungszeiten und das Wohl des Kindes.Das Wohl des Kindes in der flexibilisierten Tagesbetreuung nahm Dorothee Gutknecht dann anhand des Themas „Schlafen in der Institution“ in den Fokus. Notwendig sei hier in den ersten Jahren eine „intensive responsive Schlafbegleitung“. In der ersten Zeit seien die Kleinsten auf „personenbezogene Regulationshilfen beim Einschlafen und Aufwachen“ angewiesen, was auch eine hohe Personalkontinuität voraussetze.
In der anschließenden Diskussion wurde insbesondere auch die Verantwortung der Arbeitsgeber für familienfreundliche Arbeitszeiten und Teilzeitmodelle herausgehoben. Hier seien für das Wohl des Kindes und der Familie „flexible und kreative Lösungen“ gefragt.
Vielfältige Workshops und Open Space-Panels
In sieben Workshops wie zum Beispiel zur Ressourcenorientierten Videoarbeit, zum Forschen von Kindern oder zu Haltung und Selbstkompetenz stiegen die TeilnehmerInnen in weitere aktuelle Themen der Frühpädagogik ein. Ganz sinnlich-konkret konnten sie dabei mit Ilse-Marie Strotkötter den Werkstoff Ton als Bildungsmedium für Kinder und Erwachsene kennen lernen oder mit Kariane Höhn, die Erfahrungen in Indien gesammelt hatte, ganz neue interkulturelle Geschmackserfahrungen machen.Intensiv diskutiert wurde im Laufe der drei Tage auch in Open Space-Panels. Einen Schwerpunkt bildete dabei auch der Komplex Bindung / Beziehung und Eingewöhnung in der Krippe. Viele TeilnehmerInnen plädierten dabei für eine „Entbindung von der Bindung“ in der Krippe, denn hier könne es nur um Beziehungsaufbau und Beziehungsgestaltung gehen. Kritisiert wurden auch die etablierten Eingewöhnungsmodelle, weil sie zu starr seien und der Individualität der Kinder und ihrer Eltern nicht immer gerecht werden könnten. Besonders deutlich wurde diese Thema auch bei den Kindern und ihren Eltern mit Fluchterfahrungen in der Krippe.
Schwerpunktthema Kinder mit Fluchterfahrungen
Intensiv beleuchtet wurde das Thema Kinder und Familien mit Fluchterfahrungen dann in einem Hauptvortrag von Gülcan Yoksubalacan. Sie unterstrich, dass auch geflüchtete Kinder vor allem erst einmal Kinder seien und entsprechende universelle, aber auch ganz individuelle Bedürfnisse hätten. Grundsätzlich seien viele KiTas, die zum Beispiel die Arbeit mit Kindern mit Migrationshintergrund kennen, auch schon gut auf den Umgang mit geflüchteten Kindern aus anderen Kulturen vorbereitet.Die Diversity-Managerin aus Bremen stellte zwei hilfreiche Anamnese-Modelle vor, mit der sich die Kitas überprüfen und wichtige Informationen über das Kind mit Fluchterfahrungen einholen könnten. Für die Einrichtung stellten sich beispielsweise folgende Fragen:
- Welche Erfahrungen im Umgang mit Vielfalt / DiversityDiversity|||||Im Deutschen wird der Begriff auch auch als Vielfalt benutzt und meint besonders, dass soziale Vielfalt konstruktiv genutzt wird. Im Diversity Management wird besonders auf eine positive Wertschätzung der individuellen Verschiedenheit eingegangen, um eine produktive Gesamtatmosphäre zu erreichen. liegen bereits vor?
- Welche interkulturellen Erfahrungen liegen bereits vor?
- Welche Erfahrungen mit Trauma / Belastungsstörungen liegen bereits vor?
- Welche KiTa-Konzept liegt vor? Muss es im Hinblick auf die besonderen Bedarfe von Kindern mit Fluchterfahrungen (zum Beispiel Sicherheit, Struktur) angepasst werden?
Für die Kinder mit Fluchterfahrungen sollten folgende zentrale Fragen beantwortet werden:
- Was waren die Gründe der Flucht (Bürgerkrieg, Politische Verfolgung, Strukturelle Diskriminierung) und wie waren die Fluchtumstände?
- Wie ist der soziale und der Bildungs-Hintergrund der Familie? Liegen Erfahrungen mit institutioneller Kinderbetreuung vor?
- Welche Talente / Ressourcen hat das Kind?
- Wie sind aktuell die Lebensumstände des Kindes?
Einen Schwerpunkt ihres Vortrages legte Gülcan Yoksubalacan auf das Thema der Traumatisierung. Nach Schätzungen wären rund 40% der Kinder mit Fluchterfahrungen traumatisiert und hier seien Traumata aus wiederkehrenden, sequentiellen Mikro-Erlebnissen von Traumata zu unterscheiden, die aus einem einmaligen schlimmen Erlebnis herrührten – wie zum Beispiel der Verlust eines Elternteiles, das Miterleben von grausamer Gewalt. Folgen der Traumatisierung könnten ebenso auffälliges Verhalten wie (Über-) Anpassung seien. Grundsätzlich riet sie dazu, in der KiTa nicht direkt an der Traumatisierung zu arbeiten, sondern ein sicheres Ankommen im Hier und Jetzt zu ermöglichen. Neben einer sicheren Beziehung und Struktur im Tagesablauf seien hier Selbstwirksamkeitserfahrungen und das Schaffen von Perspektiven wichtig.
„KiTa kann!“
In einer anschließenden Fishbowl-Diskussion waren sich alle TeilnehmerInnen und das Plenum einig, dass es für den Umgang mit geflüchteten Kindern und ihren Familien in der KiTa keiner eigenen Pädagogik bedarf. Das Thema solle auch nicht isoliert betrachtet, sondern in den Kontext von Inklusion und den Umgang mit Vielfalt gestellt werden. Es bedürfe keiner grundsätzlich neuen Lösungen, aber punktuell müssten sich ErzieherInnen neues Wissen erwerben (zum Beispiel zur Traumatisierung oder auch zur Asylgesetzgebung und Kinderrechten) und sich gezielt im Sozialraum vernetzen (mit Therapeuten, Dolmetschern, Hilfsorganisationen). „KiTa kann“ hieß so ein Mut machender Slogan zum Abschluss der Runde.Mit viel Applaus und kleinen Geschenken für das Organisationsteam ging die Tagung des "Netzwerk Weiterbildung Kinder bis Drei" schließlich nach intensivem Austausch und konstruktiver Diskussion zu Ende. Die nächste Netzwerktagung wird vom 26. - 28. April 2017 in Berlin stattfinden. Die Dokumentation der Tagung und Infos rund um das Netzwerk finden Sie hier.