Vereint durch eine pädagogische Idee ist in Cuxhaven vor mittlerweile 25 Jahren eine Träger-Arbeitsgemeinschaft entstanden, die bis heute durch ihre innovativen Konzepte besticht und beispielhaften Charakter hat.
Das Feuer brennt noch immer, wenn die Frauen und Männer der ersten Stunde auf die Entstehungsgeschichte der Träger-AG zurückblicken. Ausgangspunkt war die Idee, in Cuxhaven Kinder mit Behinderungen nicht länger auszusondern, sondern für sie flächendeckend integrative KiTa zu schaffen. Wir wollten, so der damalige Koordinator und heutige DRK-Fachberater Joachim Büchsenschütz, „auch Kinder mit Behinderungen in ihrem angestammten Umfeld belassen und vor Ort mit ihnen klarkommen.“ Dafür sollten die KiTas sich an die Bedürfnisse der Kinder anpassen - und nicht umgekehrt.
Die AG-Gründer vereinte ein gemeinsames Bild vom Kind als aktiver Akteur seiner eigenen Entwicklung. Für Uwe Santjer, heutiger Geschäftsführer des ev.-luth. Kita-Verbandes, fand damals ein Paradigmenwechsel statt: „Wir sahen das Kind nicht länger als Objekt, sondern als einmaliges, unverwechselbares und von Anfang an kompetentes Subjekt.“ Damit ging ein grundlegender Haltungswechsel in der Beziehung zwischen ErzieherInnen und Kindern einher.
Zur Umsetzung ihres reformpädagogisch ausgerichteten integrativen Konzeptes gründeten die TrägervertreterInnen von der Katholischen und Evangelischen Kirche, vom Roten Kreuz, der Lebenshilfe und der Aktion Kinderbetreuung schließlich eine Trägergemeinschaft. Diese basiert nicht auf einer formalen Rechtsform, sondern auf einer schriftlichen Vereinbarung und dem bis heute stetig weiter gewachsenen Vertrauen zueinander. Als Glücksfall erwies sich dabei die Begleitung und Unterstützung durch die Stadt Cuxhaven, die bis heute keine eigenen KiTas betreibt und so eine neutrale Position einnehmen konnte.
Keimzelle des Offenen Konzeptes
Nach der Einrichtung einer bei der luth.-ev. Kirche angesiedelten Koordinationsstelle für die Träger-AG absolvierten alle ErzieherInnen der KiTas in Cuxhaven zunächst eine Fortbildung zur heilpädagogischen Kraft. Bei der anstehenden Organisationsentwicklung wurden die KiTas durch Axel Wieland und Gerhard Regel begleitet. Dieser gemeinsame Prozess sollte auch zur Keimzelle des heute bundesweit weit verbreiteten „Offenen Konzeptes“ werden. Der Pionier Gerhard Regel beschreibt den Weg zum Offenen Konzept dabei als „konsequenten Weg hin zum Kind“ Für die pädagogischen Fachkräfte bedeute dies „gemeinsam für Kinder da zu sein, sich auf sie einzulassen und ihnen eine eigenständige Entwicklung ihrer Potenziale zuzutrauen und zu ermöglichen.“ In diesem Sinne ist für Regel auch die Teamarbeit und die Teamentwicklung entscheidend.
„Das Feuer für diesen fast revolutionären Veränderungsprozess kam von der Basis“ erzählt Katharina Witte, KiTa-Leiterin und Trägervertreterin der kath. Kirche in der AG. „Wir hatten eine ungeheuren Arbeitsdruck und einen hohen Krankenstand und wollten etwas verändern. Mit der Träger-AG haben wir die Chance bekommen, unsere Pädagogik wirklich zu leben und uns beständig weiter zu professionalisieren. Das macht uns bis heute ungeheuer stolz.“
Leitend sind für die Träger-AG Cuxhaven in der ProfessionalisierungProfessionalisierung|||||Eine Professionalisierung findet im weiteren Sinne statt wenn die Entwicklung einer privat oder ehrenamtlich ausgeübten Tätigkeit zu einem Beruf wird. Im Rahmen der Professionalisierung werden häufig Qualitätsverbesserungen und Standardisierungen erreicht. Professionalisierung bedeutet auch die Entwicklung eines Berufs zu einer Profession, darunter wird meist ein akademischer Beruf mit hohem Prestige und Anerkennung verstanden. dabei zum einen die Handlungsforschung, mit der für bestehende Herausforderungen und Probleme gemeinsam praxisnahe Hypo¬thesen aufgestellt, erprobt und schließlich reflektiert und weiter angepasst modifiziert werden. Zum anderen ist der „Kompetenztransfer“ zwischen den pädagogischen Fachkräften innerhalb der Arbeitsgemeinschaft entscheidend.
Gemeinsamer Pool für Förderkräfte
So haben die hier tätigen TherapeutInnen in erster Linie den Auftrag die ErzieherInnen in ihrem alltäglichen Tun zu begleiten und zu unterstützen - und nicht etwa primär direkt mit dem Kind zu arbeiten. Die TherapeutInnen der Träger-AG sind dabei in einem gemeinsam finanzierten Pool vereint, aus dem jede KiTa nach aktuellem Bedarf ganz flexibel schöpfen kann. „Bei uns“, so Uwe Santjer, „gilt nicht das Gießkannenprinzip. Die TherapeutInnen-Stunden werden so aufgeteilt, wie es das Kind gerade braucht.“ Durch diese gemeinschaftliche Lösung, die auch in der Fachberatung praktiziert wird, kommt für alle Beteiligten ein Mehrwert zustande. Die Vorsitzende der Träger-AG, Helle Vanini, bringt es auf den Punkt: „Das ‚Wir‘-Gefühl entsteht, wenn man etwas macht, wovon alle profitieren.“
Nach diesem Prinzip hat die Träger-AG wie von der neuen Förderrichtlinie gefordert auch gerade ein Konzept zur Sprachförderung beim Land vorgelegt und nach einigen formalen Hürden für dieses ungewohnte Modell auch genehmigt bekommen. Vier Teilzeit-Sprachförderkräfte bilden jetzt einen Pool, aus dem die rund 140 beteiligten KiTas in Stadt und Landkreis Cuxhaven bedient werden. Im Sinne einer „Sprachwerkstatt“ bringen sie den ErzieherInnen die alltagsbegleitende Sprachförderung näher und erproben gemeinsam, wie Sprachanlässe geschaffen und gezielt zur Sprachentwicklung und –förderung genutzt werden können.
Im Fokus: Familienzentrum und Übergang
Aktuell auf der Agenda steht in der Träger-AG zum einen die weitere Öffnung der KiTas für Familien und entsprechende familienunterstützende Angebote. Uwe Santjer schwebt dabei aber weniger die klassische Entwicklung einer einzelnen KiTa zum Familienzentrum vor, sondern setzt auch hier auf die Vernetzung und Kooperation im Verbund: „Wir brauchen ein Familienzentrum für den Sozialraum und müssen dabei sehr genau auf die Bedürfnisse der Familien vor Ort schauen“ unterstreicht er. Zur Zeit wird dafür gemeinsam mit Prof. Stange von der Leuphana-Universität ein passgenaues Modell entwickelt.
Das zweite große Thema ist für die Träger-AG derzeit der Übergang zwischen KiTa und Grundschule. Hier bewirbt sie sich gerade auch für das niedersächsische Modellvorhaben „KiTa und Grundschule unter einem Dach“. Ziel ist es, dafür die 22 KiTas der Träger-AG mit allen elf Grundschulen der Stadt Cuxhaven eng zu verknüpfen. Als erster Schritt sollen die unterschiedlichen Kulturen und Aufträge des Elementar- und Primarbereichs miteinander diskutiert und reflektiert werden, um im Idealfall zu einem gemeinsamen Bildungsverständnis zu gelangen.
Unbequem aus Überzeugung
Natürlich ist aber auch in der Cuxhavener Träger-AG nicht alles eitel Sonnenschein und es gibt immer wieder heftige interne Diskussionen und zähe Widerstände von außen. Nicht immer passen kommunale oder landesweite Verwaltungsstrukturen und –bestimmungen zu den Bedarfen und Ideen der Träger-AG und schon mehrfach kam es deswegen auch zu juristischen Auseinandersetzungen. „Wir sind“, so Büchsenschütz, „durchaus auch unbequem. Aber alles was wir tun, resultiert aus unserer gemeinsamen pädagogischen Haltung und Überzeugung.“ Und diese strahlen Büchsenschütz und seine MitstreiterInnen auf eine für jeden spürbare und inspirierende Weise aus. Sie leben ein Modell, das Schule machen könnte.
Karsten Herrmann