Ob TV-Serien wie „Supernanny“ und „Die strengsten Eltern der Welt“ oder Bücher wie „Die Elternschule“ und „Das Erziehungs-ABC“: Erziehungsratgeber aller Art boomen hierzulande und weisen auf eine große Unsicherheit und einen großen Beratungsbedarf bei jungen Eltern hin. Dies konnten durch die Bank auch die ExpertInnen der restlos ausgebuchten Fachtagung „Familienberatung und Elternarbeit in der KiTa“ des Niedersächsischen Instituts für frühkindliche Bildung und Entwicklung (nifbe) im Osnabrücker Kreishaus bestätigen. Im Fokus stand hier das mittlerweile in rund 70 KiTas in Stadt und Landkreis Osnabrück angebotene nifbe-Modell der „Familiensprechstunde“ als niedrigschwelliges Beratungsangebot für Eltern.
Je früher Hilfe angeboten wird, desto effektiver
Zur Begrüßung der über 150 TeilnehmerInnen aus ganz Niedersachsen von Cuxhaven bis Göttingen hob Kreisrat Matthias Selle die aus einem nifbe-Projekt hervorgegangene Familiensprechstunde als „wichtigen Baustein“ im Präventionskonzept des Landkreises Osnabrück hervor. „Je früher wir Kinder und Eltern mit Problemen erreichen, umso effektiver ist die Hilfe“ unterstrich er auch angesichts der rasant steigenden Jugendhilfe-Kosten für nachsorgende Interventionen.
Nifbe-Geschäftsführer Reinhard Sliwka führte aus, dass Eltern in ihrer Verunsicherung „offenbar nach konkreten Antworten, Orientierungshilfen und Handlungssicherheit suchen“ und sich diese nicht zuletzt von einer kompetenten Erziehungsberatung erhofften. Die Hintergründe für diese Entwicklung machte er an gewandelten Familienmodellen fest, mit denen zum Beispiel nicht mehr auf die Erfahrung früherer Generationen zurück gegriffen werden könne. Er lobte die Familiensprechstunde als exemplarisches Beispiel dafür, „wie ein Projekt in die Nachhaltigkeit überführt und in der Fläche weiter verbreitet werden kann“.
Die ProjektleiterInnen Dr. Jörn Borke und Ariane Gernhardt stellten das Modell der Familiensprechstunde als ein „auf dem Konzept der systemischen Entwicklungsberatung basierendes psychosoziales Angebot für Familien mit Kindern zwischen 0 und sechs Jahren“ vor. „Die Familiensprechstunde ist da, wo die Eltern sind“ betonten sie und durch diese „Geh-Struktur“ seien auch Eltern zu erreichen, die sonst nicht zu Beratungsangeboten gehen würden – darunter auch viele mit Migrationshintergrund. Durchgeführt wird die Familiensprechstunde in KiTas einmal pro Woche für zwei Stunden nach einem „bedarfsorientierten und rotierenden System“. Das Spektrum der Beratungen reiche dabei von Erziehungsunsicherheiten und Problemen nach Trennung oder Scheidung bis zu Verhaltensauffälligkeiten von Kindern. Die ProjektleiterInnen aus der nifbe-Forschungsstelle Entwicklung, Lernen und Kultur werteten die Familiensprechstunde auch als „Unterstützung und Entlastung“ für ErzieherInnen, denen aufgrund ihrer vielfältigen Aufgaben und wenigen Verfügungszeiten „oftmals schlichtweg die Zeit für eine intensive Elternberatung fehlt“. Die Familiensprechstunde übernehme aber auch eine wichtige „Brückenfunktion“ und vermittle bei Bedarf an andere Beratungsstellen weiter.
Evaluation bescheinigt "hohe Qualität und Wirksamkeit"
Auf Grundlage einer von ihr durchgeführten wissenschaftlichen Evaluation attestierte die Diplom-Psychologin Helen Schomaker der Familiensprechstunde eine „hohe Qualität und Wirksamkeit“. Bei 76% der befragten Eltern hätte sich das Wohlbefinden nach der Beratung verbessert und das Problemempfinden signifikant verringert. Insgesamt seien die Eltern mit dem Angebot sehr zufrieden und bewerteten es auf einer Skala von 1 – 5 (Bestnote) mit 4,53. Verbesserungsbedarf sah Helen Schomaker allerdings noch bei der Kooperation zwischen den FamilienberaterInnen und den ErzieherInnen vor Ort.
„Leitung und ErzieherInnen der Kita müssen hinter dem Angebot der Familiensprechstunde stehen und sind entscheidende Türöffner zu den Eltern“ hob so auch Renate Jeron von der Evangelischen Jugendhilfe im Landkreis Osnabrück in einer Podiumsdiskussion zur Praxis der Familiensprechstunde heraus. Daran anknüpfend berichtete Pastor Jürgen Niesmeyer aus Bad Laer, dass das vertrauensvolle Zusammenspiel zwischen den Beteiligten „langsam wachsen“ müsse. In der Folge würden sich „viele gute Netzwerke“ entwickeln. Einhellig unterstrichen die DiskutantInnen die „Notwendigkeit von Kontinuität und einer sicheren Finanzierungsstruktur der Familiensprechstunde“.
Jugendhilfe mehr auf Prävention ausrichten
Wie dies realisiert werden kann, stand im Zentrum einer zweiten, von nifbe-Geschäftsführer Reinhard Sliwka moderierten Podiumsdiskussion mit Vertretern aus der Politik und der Jugendhilfe. Bad Laers Bürgermeister Holger Richard wertete hier die Familiensprechstunde als „wichtigen Beitrag“ zur Qualitätsentwicklung in den KiTas und zur Familienfreundlichkeit seiner Gemeinde. Heiner Dirks, Geschäftsführer des Diakoniewerks Osnabrück berichtete von sehr guten Erfahrungen mit der Familiensprechstunde von Anfang an und resümierte: „Durch die Niedrigschwelligkeit können wir schon ganz viel abfangen“. In diesem Sinne sprachen sich auch Otto Steinkamp, Jugendamtsleiter des Landkreises Osnabrück, und Helmut Tolsdorf als Vertreter der Arbeitsgemeinschaft der Jugendämter dafür aus, das Geld im Jugendhilfeetat „wirkungsorientiert von der Intervention in die zielgerichtete Prävention umzuverteilen“, um somit auch Angebote wie die Familiensprechstunde dauerhaft finanzieren zu können. Dafür müsse jetzt in der Politik geworben werden.
Abgerundet wurde die Tagung mit einem Ausblick von nifbe-Koordinatorin Heike Engelhardt zur Entwicklung von KiTas hin zu Familienzentren als „offene und sozialräumlich vernetzte Orte der Begegnung, Bildung und Beratung für Familien.“ Die Familiensprechstunde könne dabei ein erster Schritt hin zu dem umfassenden und integrierten Angebot eines Familienzentrums sein.
Kontakt für weitere Informationen: Dipl. Psych. Ariane Gernhardt
Tagungsdokumentation:
Vortrag_Gernhardt.pdf
Votrag_Schomaker_Evaluation.pdf
Evaluationsbericht_Familiensprechstunde.pdf
Vortrag_Engelhardt-FZ.pdf