Diesjährige Preisträger kommen aus Hamburg, Nordrhein-Westfalen (NRW), Rheinland-Pfalz (RLP) und Schleswig-Holstein


Inklusion ist aktuell eine der größten schulpolitischen Aufgaben. Seit im Jahr 2009 in Deutschland die UN-Behindertenrechts-Konvention in Kraft getreten ist, nach der alle Kinder das Recht auf den Besuch einer Regelschule haben, setzen die Bundesländer den gemeinsamen Unterricht in immer größerem Maße um. Die Herausforderungen, die das gemeinsame Lernen an die Schulen stellt, sind dabei groß. Denn jeder Schüler – ob mit oder ohne Behinderung – soll individuell bestmöglich gefördert werden. Dass etliche Schulen dies bereits schaffen, zeigt der Jakob Muth-Preis, mit dem seit 2009 Schulen ausgezeichnet werden, die vorbildlichen inklusiven Unterricht anbieten. Dieses Jahr erhalten drei Einzelschulen – aus Hamburg, Ingelheim (RLP) und Neunkirchen-Seelscheid (NRW) – und ein Schulverbund aus Schleswig-Holstein den Preis. Er ist verbunden mit einem Preisgeld von jeweils 3.000 Euro für die Einzelschulen und 5.000 Euro für den Verbund.

 
Die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, die Deutsche UNESCO-Kommission, die Sinn-Stiftung sowie die Bertelsmann Stiftung würdigen mit dem Preis die Leistung von Schulen, die besonders überzeugende Konzepte für das gemeinsame Lernen entwickelt haben. Die Gemeinschaftsgrundschule Wolperath-Schönau in Neunkirchen-Seelscheid, die Erich Kästner Schule in Hamburg-Farmsen, die Brüder-Grimm-Schule in Ingelheim sowie der Schulverbund Südlicher Bereich des Kreises Schleswig-Flensburg überzeugten die Jury mit ihren innovativen Konzepten besonders.


Balance zwischen individualisiertem und gemeinschaftlichem Lernen

Im Verbund Schleswig-Flensburg arbeiten 26 Schulen aller Schulformen zusammen. Herzstück des Verbundes bildet dabei das Förderzentrum Schleswig-Kropp, das sich zu einer Schule ohne Schüler erklärte und seitdem seine Schüler und seine sonderpädagogischen Lehrkräfte an die Regelschulen im Einzugsbereich aussendet. Mittlerweile können alle Kinder des Förderzentrums inklusiv und wohnortnah zur Schule gehen. Die drei Einzelschul-Preisträger begreifen sich als Lern- und Lebensraum mit Angeboten, die sich über den ganzen Tag erstrecken. Sie nutzen unterschiedliche offene Lernformen, um jedes Kind optimal in seiner Entwicklung zu begleiten. Und sie lenken anhand von selbst entwickelten Kompetenzrastern in der Leistungsbewertung den Blick auf das Können der Kinder. Im Schulalltag überwiegen positive Rückmeldungen der Lehrkräfte an die Schüler. Dabei wird darauf geachtet, eine Balance zwischen Individualisierung und gemeinschaftlichem Lernen zu schaffen. Interdisziplinäre Teams aus Lehrkräften, Sonderpädagogen, Sozialpädagogen und Erziehern begleiten die Lerngruppen. So schaffen die Schulen insgesamt ein Klima, in dem jedes Kind als eigene Persönlichkeit wertgeschätzt wird.


Die Preisträger sind damit Vorreiter auf einem Weg, der sich für alle Schulen abzeichnet: "Inklusion wird mittelfristig zur Normalität an deutschen Schulen. Die vier Preisträger zeigen eindrucksvoll, dass Inklusion nicht zu Lasten der Qualität geht. Die Schulen können die großen Herausforderungen nur mit gut ausgebildetem Personal bewältigen. Dabei brauchen sie Unterstützung“, so Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung.


Eine halbe Million Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf

Rund eine halbe Million Kinder in Deutschland haben diagnostizierten sonderpädagogischen Förderbedarf. Immer noch besuchen 75 Prozent dieser Kinder eine Förderschule, werden also getrennt unterrichtet (Schuljahr 2011/12). Die Umsetzung der Inklusion kommt in den Bundesländern unterschiedlich schnell voran: Während in Hessen 17,3 und in Niedersachsen 11,1 Prozent der Förderschüler inklusiv unterrichtet werden, besuchen in Bremen 55,5 Prozent und in Berlin 47,3 Prozent aller Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf eine Regelschule. In den Ländern der Preisträger sind es 54,1 Prozent in Schleswig-Holstein, 36,3 Prozent in Hamburg, 23 Prozent in Rheinland-Pfalz und 19,2 Prozent in Nordrhein-Westfalen.


Inklusion ist keine Vision mehr, sonder funktioniert schon

"Die Gewinner des Preises zeigen, dass Inklusion keine Vision ist, sondern tatsächlich funktioniert. Inklusive Schulen wie diese müssen eine Selbstverständlichkeit werden, damit junge Menschen mit Behinderung überall gemeinsam mit nicht-behinderten Kindern und Jugendlichen lernen können“, so der scheidende Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Hubert Hüppe. Prof. Dr. Christoph Wulf, Vizepräsident der Deutschen UNESCO-Kommission, betont, dass die erfolgreiche Arbeit in vielen Schulen vor Ort einen unentbehrlichen Beitrag zur Umsetzung inklusiver Bildung in Deutschland leistet. „Wir brauchen Beispiele aus der Praxis, die zeigen, wie Inklusion gut umgesetzt wird und die Qualität unseres Bildungswesens steigert“, so Wulf. Christian Rauschenfels, Vorstandsvorsitzender der Sinn-Stiftung, zeigte sich zufrieden, dass "immer mehr LebensLernOrte eine Kultur gelebter Inklusion erfahrbar machen – so wie es unsere Preisträgerschulen täglich leisten."

Der Preis ist benannt nach dem Pädagogen Jakob Muth (1927-1993), Vorkämpfer und Wegbereiter des gemeinsamen Lernens von behinderten und nicht behinderten Kindern. Mit der Auszeichnung wollen die Projektträger positive Beispiele für gemeinsamen Unterricht bekannt machen und zur Nachahmung anregen. Für den Jakob Muth-Preis beworben hatten sich in diesem Jahr über 100 Schulen aller Schulformen aus ganz Deutschland, davon etliche im Verbund.
 
Quelle: Presse-Info Bertelsmann Stiftung