Anhand eines rätselhaften Bildes und den Assoziationen der Teilnehmer*innen drüber, welche Funktion das abgebildete Ding haben und was man damit anstellen könne, führten die beiden Hochschullehrenden in die Thematik. In dem unbekannten Ding, das sich später als japanisches Musikinstrument herausstellte, wurde so die „implizite Aufforderung deutlich, sich handelnd damit auseinanderzusetzen“.
„Im Alltag“, so führten Annika Gels und Edita Jung aus, „sind Kinder von vielen Dingen umgeben, denen Erwachsene eine klare Bedeutung zuschreiben und einen bestimmten Gebrauch intendieren." Bedeutungsoffene Materialien hätten ihr Potenzial darin, zum „Erkunden, Staunen und Verstehen“ anzuregen und sie ganz individuell zu nutzen. Ausgangspunkt für ihre intensive Beschäftigung mit bedeutungsoffenen Materialien an der Hochschule war dabei ein studentisches Projekt, aus dem in Kooperation mit dem nifbe dann auch eine DVD hervorgegangen ist.
Reggio und Remida
Als konzeptionellen Rahmen für die Arbeit mit bedeutungsoffenen Materialien stellte Annika Gels die Reggio-Pädagogik dar. Mit der Remida-Bewegung hätten dann auch hierzulande Reste und Fehlproduktionen aus Handel, Gewerbe und Handwerk Einzug in KiTas und Lernwerkstätten gehalten – von Konservenbüchsen über Papprollen, Stoffe, Bänder, Tapeten und Bänder bis zu vielgestaltigen Plastikteilen, die ästhetisch ansprechend arrangiert und zur freien Verfügung gestellt werden. „Durch ihre Dekontextualisierung lösen sie eine produktive Irritation aus und ermöglichen individuelle Sinn- und Funktionszuschreibungen“, so Edita Jung. Die Arbeit mit bedeutungsoffenen Materialien eröffne zahlreiche kognitive und sinnlich-leibliche Erfahrungen in verschiedenen Bildungsbereichen wie z.B. Ästhetik, Mathematik oder Physik.Im Dialog mit der Tapete
Anhand eines Filmbeispiels, in dem der kleine Paul sich im intensiven Dialog mit Tapetenstücken befindet, führten Annika Gels und Edita Jung auch in die erstmals von Jean Piaget kognitiven Schemata und von Chris Athey später abgeleiteten Handlungsmuster bzw. Verhaltensschemas ein. Über 40 seien dabei mittlerweile von der Wissenschaft benannt worden – vom Verbinden, Verpacken und Rotieren über das Schichten, Stapeln und Transportieren bis zum Sortieren, Einfüllen und Anhäufen. Über die individuellen Handlungsmuster hinaus fördere die Arbeit mit bedeutungsoffenen Materialien in der KiTa und Lernwerkstätten grundsätzlich auch „gemeinsame Denk-, Spiel- und Interaktionsprozesse mit anderen Kindern“. Wie sich im Projekt und den entsprechenden Videoaufnahmen aber zeigte, überwogen im Krippenalter eher die jeweils individuelle Beschäftigung mit den bedeutungsoffenen Materialien oder aber die Interaktion mit der Fachkraft.Als didaktische Implikationen stellten die Referentinnen abschließend einen Kreislauf vor. Dieser führt von einem fragenden und reflexiven Umgang mit Dingen und Materialien und deren bewusste Auswahl über die Wahrnehmung unterschiedlicher kindlicher Deutungen und die Beteiligung an der Sinngenese zu einer grundsätzlich offenen didaktischen Haltung, die den Bildungsbewegungen des Kindes folgt und diese nicht dirigiert.
Zur DVD im nifbe-Shop
Karsten Herrmann