Wie kann der aktuellen Krise der KiTas im Hinblick auf Fachkräftemangel, Überlastung und fehlenden Plätzen begegnet werden? Diese Frage stand im Fokus des „KiTa-Gipfel“ in Bremen, der gemeinsam vom DGB, der Universität Bremen und der Stadt Bremen ausgerichtet wurde und mit rund 500 Teilnehmer*innen schnell ausgebucht war.

Zur Einführung umriss der Sozialwissenschaftler René Böhme noch einmal die aktuellen Herausforderungen:
  • Verbesserung der Arbeitsbedingungen
  • Verbesserung der Qualität
  • Attraktivierung der Ausbildung
  • Ausbau der KiTa-Plätze
  • Verlässlichkeit der Betreuung / Ausdehnung der Betreuungszeiten
Die Bewältigung dieser Herausforderungen, so René Böhme, gleiche dabei der „Quadratur der Kreise“, weil je nach Akteur auch ganz unterschiedliche Perspektiven und Prioritäten gesetzt werden und so beispielsweise ein Widerspruch zwischen quantitativen und qualitativen Ansprüchen bestehe.

Bildungsplan auf Eis gelegt

Im Rahmen des Kita-Gipfels wurde wie an vielen anderen Orten in Deutschland von Fachkräften dann auch der Bildungsplan der Bildungs-Senatorin Sascha Aulepp zur Aufbewahrung übergeben. Bildungsarbeit, so die Fachkräfte, sei aktuell nicht mehr möglich und es gehe nur noch darum, die Kinder zu betreuen und den Tag zu überleben. Der Bildungsplan solle erst dann wieder abgeholt werden, wenn sich die Rahmenbedingungen verbessert hätten.
verdi
Bildungs-Senatorin Sascha Aulepp räumte ein, dass es derzeit „keine einfachen Lösungen und Patentrezepte“ zur Überwindung der Krise gebe. Sie stellte aber klar, dass die Kinder bei allen Überlegengen im Mittelpunkt stehen und dass alle die gleichen Chancen und ein Recht auf gute frühkindliche Bildung haben sollten. In diesem Sinne dürften die Qualitätsstandards auch nicht herabgesetzt werden.

Hoher Anspruch an Professionalität

elkeWie anspruchsvoll die Arbeit der KiTa-Fachkräfte ist, beleuchtete Dr. Elke Alsago von ver.di in ihrem Vortrag „Professionalität in der Kita“. Sie erläuterte die Unterschiede zwischen der Profession als Berufsform, der Professionalisierung als Prozess und der Professionalität als „habitualisiertes Agieren“.

Die Anforderungen an die Professionalität in der KiTa leitete sie dann aus dem SGB VIII und den Beschlüssen der Kultusminister-Konferenzen ab. Es gehe in der KiTa – und zwar in dieser Reihenfolge – um die Trias aus Erziehung, Bildung und Betreuung. Kinder sollten zu selbstbestimmten, eigenverantwortlichen Persönlichkeiten erzogen werden und in der Bildungsarbeit eröffne sich ein weites Spektrum von der ResilienzResilienz|||||Resilienz kann als "seelische Widerstandsfähigkeit" verstanden werden mit der Fähigkeit Krisen zu meistern und diese als Anlass für Selbstentwicklungen zu nutzen. In der Resilienzförderung geht es speziell darum die Widerstandsfähigkeit von Kindern und Erwachsenen in belasteten und risikobehafteten Lebenssituationen durch schützende Faktoren zu entwicklen, zu ermutigen und zu stärken. Ein verwandter Begriff ist der der Salutogenese. förderung und Kompetenzvermittlung in verschiedensten Bereichen bis zur Inklusion, Partizipation und Demokratiebildung.

Grundlage dafür sei eine sichere und wertschätzende Beziehung zwischen Fachkräften und Kindern. In der Betreuung gehe es schließlich um Kindeswohl und Kinderschutz, um Sorge, Sorgfalt und Obhut. Die konkrete sozialpädagogische Interaktion zwischen Kind und Gruppe sei dann durch die jeweilige Komplexität und Unvorhersehbarkeit der Situation und ein entsprechendes reflexives, ko-konstruktives Arbeiten sowie eine tendenzielle Unabgeschlossenheit geprägt. Insgesamt, so Elke Alsago, „wird an die Professionalität von Fachkräften ein sehr hoher Anspruch gestellt“.

Was braucht es für die Professionalität?

Um die Professionalität zu gewährleisten, so Elke Alsago, braucht es in de KiTa neben der Mindestvoraussetzung eines Qualifikationsniveaus auf DQRDQR|||||Der Deutsche Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen soll umfassende, bildungsbereichsübergreifende Kompetenzen, die in Deutschland erworbenen wurden, erfassen. Als nationale Realisierung des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) soll er die Besonderheiten des deutschen Bildungssystems berücksichtigen und zur angemessenen Bewertung und Vergleichbarkeit deutscher Qualifikationen in Europa beitragen. Zunächst sollen formale Qualifikationen des deutschen Bildungssystems in den Bereichen Schule, Berufliche Bildung, Hochschulbildung und Weiterbildung einbezogen werden. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. In weiteren Schritten werden die informellen und nonformalen Kompetenzen ebenfalls berücksichtigt. 6 folgende Voraussetzungen:
  • Gute Rahmenbedingungen
  • Ein professionell aufgestelltes Team
  • Fachlich angemessene Leitung und Führung
  • Zeit für Planung und Reflexion
  • Ein gute Unterstützungssystem (Fachberatung, Supervision, Coaching)
  • Ein professionelles Trägersystem
  • Systematische Fortbildung

„Ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr, ich gehe zu Aldi an die Kasse“

Aktuell sah Elke Alsago die Professionalität zuhöchst gefährdet. Studien zeigten, dass Fachkräfte von einem steigenden Burnout-Risiko und einer steigenden Burnout-Rate betroffen seien und dass immer mehr in Teilzeit fliehen oder das Berufsfeld ganz verlassen. „Durch den hohen Druck und die hohe Überlastung sowie das Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit entfremden sich Fachkräfte von ihrer eigenen Berufsidentität und dem eigenen Professionsverständnis“ mahnte sie und führte abschließend das Zitat einer Fachkraft an: „Ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr, ich gehe zu Aldi an die Kasse“.

Fokus Armuts-Prävention

hilgersIn einem zweiten Fachvortrag unterstrich Heinz Hilgers, der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, noch einmal grundsätzlich die Bedeutung der frühkindlichen Bildung. KiTas müssten sichere Orte und Orte der Prävention sein und dafür sei eine Haltung der Wertschätzung und der Hilfsbereitschaft sowie ein stetig weiter zu entwickelndes Schutzkonzept die Grundlage.

Einen besonderen Fokus warf Heinz Hilgers auf die bei Kindern zunehmende Armut und kritisierte scharf die in Deutschland immer noch starke Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft. Er forderte ein armutssensibles Handeln der Fachkräfte und „mehr Personal in die sozial benachteiligten Stadtteile“. In den Grundzügen stellte er dann das von ihm 2006 entwickelte „Dormagener Modell“ vor, in dem für die Armutsprävention möglichst früh angesetzt wird und Bildung als Bildung zur Selbsthilfe verstanden wird.

Bausteine gegen den Fachkräftemangel

In sieben Workshops wurden auf dem KiTa-Gipfel am Nachmittag die verschiedenen Herausforderungen der aktuellen Situation vom Ausbau der Betreuungsplätze über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bis zur Attraktivierung des Erzieher*innen-Berufs und der Fachkräftegewinnung vorgestellt und diskutiert.

Im Workshop Fachkräftegewinnung stand die Bremer Kampagne „Mach dein Ding“ mit verschiedenen Bausteinen für die Erhöhung der Absolvent*innen-Zahlen und eine entsprechende attraktivere Gestaltung der Aus- und Weiterbildungsformate im Fokus. Folgende Bausteine wurde von Dr. Janna Wolff und Kolleginnen aus dem Senat für Bildung vorgestellt:
  • PIA-Ausbildung in 3 Klassenverbänden und entsprechender tariflicher Entlohnung
  • Quereinsteiger*innen-Programm für Personen mit fachaffinen Fach-, Hochschule- bzw. Berufsabschlüssen (9 Monate berufsbegleitend, Abschluss berechtigt zur Gruppenleitung in Bremer KiTas)
  • Fachkräfte aus Spanien (berufsbegleitende Qualifizierung über 12 Monate, Abschluss als Erzieher*in)
  • Qualifizierungsinitiative on the job für Sozialassistent*innen / Kinderpfleger*innen (berufsbegleitend bei vollem Gehalt über 24 Monate mit dem Abschluss der staatl. Anerkannten Erzieher*in)
  • Wege in Beschäftigung für Quereinsteiger*innen (zunächst 900 Praxisstunden, anschließend eine berufsbegleitende Weiter-Qualifizierung / Umschulung)

PIA als Erfolgsmodell

In der anschließenden Diskussion der Bausteine mit Fachschul- und Weiterbildungs-Vertreter*innen sowie der Fachpraxis, kristallisierte sich die Praxisintegrierte Ausbildung (PIA) als Erfolgs- und Zukunftsmodell heraus. Die schwierige Frage dabei ist allerdings die Finanzierung der Ausbildungsvergütung und ob bzw. inwieweit die Auszubildenden auf den Personalschlüssel anzurechnen sind. Klar wurde dabei aber auch, dass nicht nur im Hinblick auf PIA die Praxisanleitung in den KiTas deutlich verstärkt und ausgeweitet werden muss.

Für Betroffenheit sorgte an dieser Stelle der Bericht einer gerade fertig gewordenen Erzieherin, der in ihren Praktikumszeiten in der KiTa das deutliche Gefühl vermittelt wurde, unerwünscht und ein zusätzlicher Ballast für die Fachkräfte zu sein. Zudem schilderte sie, wie schwierig die soziale Lage einer Fachschülerin im Vergleich zu Auszubildenden anderer Branchen im Vergleich sei und dass im für junge Menschen maßgeblichen sozialen Netzwerk TikTok der Erzieher*innen-Beruf nur mit negativen Posts auftauche – hier zeigte sich, wie viel noch für ein besseres Image des Erzieher*innen-Berufs zu tun ist und dass dies nur über bessere Rahmen- und Arbeitsbedingungen in Ausbildung und Beruf zu schaffen ist.

Am heutigen zweiten Tag des KiTa-Gipfels werden die Workshops fortgeführt und es geht jetzt insbesondere darum, gemeinsam konkrete Vorschläge und einen konkreten Plan zur Bewältigung der KiTa-Krise zu entwickeln.

Hier geht es zu den ersten Ergebnissen: https://www.bildung.bremen.de/kita-gipfel-im-land-bremen-382860

Karsten Herrmann