SWK empfiehlt Konzentration auf basale Kompetenzen in der Grundschule


In ihrem neuen Gutachten „Basale Kompetenzen vermitteln – Bildungschancen sichern. Perspektiven für die Grundschule“ empfiehlt die Ständige Wissenschaftliche Kommission der KultusministerkonferenzKultusministerkonferenz|||||Die KMK  ist die ständige Konferenz der Länder in der BRD, wurde 1948 gegründet und ging aus der "Konferenz der deutschen Erziehungsminister" hervor. Sie basiert auf dem freiwilligen Zusammenschluss der zuständigen Minister/Senatoren der Länder für Bildung, Erziehung und Forschung. Da nach dem Grundgesetzt und sog." Kulturhoheit der Länder" die Zuständigkeiten für das Bildungswesen bei den einzelnen Ländern liegt, behandelt die KMK Angelegenheiten von  überregionaler Bedeutung mit dem Ziel einer "gemeinsamen Meinungs- und Willensbildung, sowie der Vertretung gemeinsamer Anliegen".  (SWK) wichtige Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Grundschule und fordern schon in der KiTa verbindliche Diagnose und Förderung. Sie reagiert damit auf die schlechten Ergebnisse des jüngsten IQB-Bildungstrends.

Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz hat gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz (KMK) ihr Gutachten "Basale Kompetenzen vermitteln – Bildungschancen sichern. Perspektiven für die Grundschule" vorgestellt. Das Gutachten stellt die Diagnose und Förderung grundlegender sprachlicher und mathematischer Kompetenzen als zentrale Herausforderungen in den Mittelpunkt. Darüber hinaus formuliert die Kommission Empfehlungen zu strukturellen und organisatorischen Aspekten des Systems Grundschule.

Alarmierende Ergebnisse des IQB-Bildungstrends

„Die Ergebnisse des jüngsten IQB-Bildungstrends sind alarmierend: Wir können nicht einfach hinnehmen, dass ein wachsender Anteil an Schülerinnen und Schülern die Mindeststandards nicht erreicht. Die Grundschule muss dringend die basalen sprachlichen und mathematischen Kompetenzen fokussieren. Dafür ist es erforderlich nicht nur Einzelmaßnahmen zu ergreifen, sondern eine Strategie zu entwickeln, die das gesamte System von der Schule über die Schulaufsicht bis zu den Kultusministerien in die Verantwortung nimmt. Nur so kann die Grundschule ihrem Bildungsauftrag nachkommen“, fasst Prof. Dr. Felicitas Thiel, Professorin für Schulpädagogik und Schulentwicklungsforschung an der Freien Universität Berlin und Co-Vorsitzende der SWK, zusammen.

Karin Prien, Präsidentin der Kultusministerkonferenz und Ministerin für Allgemeine und Berufliche Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein: „Das Fundament für erfolgreiche Bildungsverläufe wird in der Kindheit gelegt. Daher hat die Kultusministerkonferenz bereits mit der Ländervereinbarung im Jahr 2020 einen besonderen Fokus auf die Grundschule gelegt und in der Folge die SWK um das nun vorliegende Gutachten zur Grundschule gebeten. Der aktuelle IQB-Bildungstrend bestätigt, dass wir uns genauer mit den Bildungsprozessen in der Grundschule und in der frühkindlichen Bildung befassen müssen. Alle Kinder sollen das Recht haben, die in den Mindeststandards definierten Kompetenzen zu erreichen und hierauf aufbauend eine erfolgreiche Schullaufbahn durchlaufen zu können. Ganz unabhängig von ihren Startbedingungen. Ich danke daher der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission für das umfangreiche Gutachten, das sie heute veröffentlicht, und mit dem sie uns in der Politik Hinweise zur Weiterentwicklung gibt. In der vor uns liegenden intensiven Auseinandersetzung mit den Empfehlungen werden wir die vorhandenen Stellschrauben auf allen Ebenen in den Blick nehmen müssen, um die gebotene systemische Weiterentwicklung voranzubringen. Das Gutachten ist eindeutig in dem Punkt, dass wir uns auf den Erwerb der basalen sprachlichen und mathematischen Kompetenzen deutlich konzentrieren müssen. Zudem müssen wir Bildung ganzheitlich denken und sowohl den Spracherwerb als auch die Entwicklung der sogenannten Vorläuferkompetenzen vor der Grundschule, also in Elternhaus und Kita, frühzeitig unterstützen. Das kann nur mit allen Beteiligten gemeinsam gehen. Den Erwerb der basalen Kompetenzen können wir nur durch eine umfassende Fokussierung auf die Unterrichtsqualität sicherstellen. Es geht um geeignete Konzepte und deren wirksame Umsetzung im Unterricht und in der frühkindlichen Bildung. Es geht im Kern um fortlaufende Qualifizierung der Lehrkräfte, der multiprofessionellen Teams und der pädagogischen Fachkräfte in den Schulen und den Kitas. Die für Kitas, Schule, Hochschule und Wissenschaft zuständigen Ministerien in Bund und Ländern müssen hier eng zusammenarbeiten, um die Bedingungen zu schaffen.“

Ties Rabe, A-Länderkoordinator und Hamburgs Senator für Schule und Berufsbildung: „Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass immer weniger Schülerinnen und Schüler über die grundlegenden sprachlichen und mathematischen Kompetenzen verfügen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler empfehlen mit guten Gründen den Unterricht in Deutschland insbesondere in der Grundschule zu intensivieren und nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu gestalten. Dazu gehören auch intensivere und längere Übungsphasen.“

Sprache als Basis für schulischen Erfolg

Prof. Dr. R. Alexander Lorz, B-Länderkoordinator und Hessischer Kultusminister: „Das SWK-Gutachten stellt eine umfassende und gut strukturierte Agenda zum Thema ‚Basale Kompetenzen vermitteln‘ dar, die durch die Befunde des IQB-Bildungstrends 2021 eindrücklich untermauert wird. Die Stärkung der Bildungssprache Deutsch ist dabei ein zentraler Baustein, denn jedes Kind soll von Anfang an mitreden können. Sie zu beherrschen, ist die Basis für schulischen Erfolg. Deshalb ist es so enorm wichtig, schon in der Kita auf die Sprachentwicklung zu schauen und einen gemeinsamen Bildungsplan zu entwickeln. Ein Bildungsmonitoring für den Übergang zur Grundschule kann uns darüber hinaus wichtige Informationen liefern, an welchen Stellen wir nachsteuern müssen.“

Erhöhung der Unterrichtsqualität auf Basis evidenzbasierter Konzepte
Im Kern empfiehlt die SWK eine Verbesserung der Unterrichtsqualität. Prof. Dr. Michael Becker-Mrotzek, Direktor des Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache und SWK-Mitglied: „Sowohl für den sprachlichen als auch den mathematischen Bereich gibt es wirksame Unterrichtskonzepte. Diese sollten Lehrkräfte systematisch im Unterricht einsetzen, um alle Schülerinnen und Schüler zu motivieren und zu aktivieren. Dazu gehört vor allem das regelmäßige und verstehensorientierte Üben der basalen Kompetenzen im Lesen, Zuhören, Schreiben und Rechnen.“ Die Erhöhung der Unterrichtsqualität setzt zum einen ausreichende Lernzeit voraus: Für das Fach Deutsch sollten 24, für das Fach Mathematik 20 Wochenstunden in den ersten vier Grundschuljahren zur Verfügung stehen. Zum anderen empfiehlt die SWK, den Lernstand der Kinder kontinuierlich zu prüfen, mit mehreren Diagnosezeitpunkten pro Schuljahr.

Qualifizierung des pädagogischen Personals für Diagnose und Förderung

Studien belegen, dass die Qualität des Unterrichts entscheidend von der Lehrkraft abhängt. Daher ist die SWK überzeugt, dass die ProfessionalisierungProfessionalisierung|||||Eine Professionalisierung findet im weiteren Sinne statt wenn die Entwicklung einer privat oder ehrenamtlich ausgeübten Tätigkeit zu einem  Beruf wird. Im Rahmen der Professionalisierung werden häufig Qualitätsverbesserungen und Standardisierungen erreicht. Professionalisierung bedeutet auch die Entwicklung eines Berufs zu einer Profession, darunter wird meist ein akademischer Beruf mit hohem Prestige und Anerkennung verstanden.   von Lehrkräften im Studium, Referendariat und im Beruf ein entscheidender Ansatzpunkt ist, um die Unterrichtsqualität zu verbessern. „Qualifizierungsangebote für Lehrkräfte erfüllen häufig nicht die Kriterien für wirksame Fortbildungen. Die Kommission empfiehlt daher die Entwicklung forschungsbasierter Fortbildungsprogramme für die Diagnose und Förderung basaler Kompetenzen in Deutsch und Mathematik, die flächendeckend implementiert werden“, so Felicitas Thiel.

Verbindliche Diagnose und Förderung schon in der Kita

Wissenschaftliche Erkenntnisse belegen eindeutig den Stellenwert frühkindlicher Bildung. Vor diesem Hintergrund empfiehlt die SWK eine stärkere Verbindlichkeit alltagsintegrierter Bildungsangebote in der Kita sowie die Diagnostik eines möglichen Förderbedarfs bei allen Kindern im Alter von drei bis vier Jahren. „Der SWK ist bewusst, dass der Elementarbereich vor zahlreichen Herausforderungen steht, insbesondere hinsichtlich der Personalausstattung. Dennoch halten wir es für dringend nötig, zu prüfen, ob und in welcher Form Förderangebote zumindest für jene Kinder verpflichtend sein sollten, bei denen ein Bedarf festgestellt wurde. Zudem sollte der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz nach Vollendung des ersten Lebensjahres konsequent umgesetzt werden“, erklärt Michael Becker-Mrotzek.

Mehr Investitionen für Personal und Schulen mit einem hohen Anteil an sozioökonomisch benachteiligten Schülerinnen und Schülern
Insbesondere hinsichtlich des Personals sieht die Kommission einen erhöhten Investitionsbedarf. Schulleitungen benötigen ausreichend Zeit für Leitungsaufgaben. Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte sollten über Kooperationszeit verfügen und für ihre komplexen Aufgaben angemessen besoldet werden. Die SWK empfiehlt zudem eine datenbasierte Unterrichts- und Schulentwicklung. Für die Koordination dieser Aufgaben sind in größeren Grundschulen Funktionsstellen, in kleineren Schulen Entlastungsstunden erforderlich.

Besondere Fokus auf "Brennpunkt"-Schulen

Besondere Aufmerksamkeit benötigen aus Sicht der SWK Grundschulen mit einem hohen Anteil an sozioökonomisch benachteiligten Schülerinnen und Schülern. „Es ist wichtig, dass Ressourcen gezielter an den Schulen eingesetzt werden, die sie benötigen. Finanzielle Mittel allein genügen aber nicht. Unterricht und Ganztag müssen auf eine wirksame Förderung basaler Kompetenzen ausgerichtet werden. Dazu ist eine datenbasierte Schulentwicklung erforderlich“, so Felicitas Thiel. Zusätzlich sollten finanzielle Zulagen und weitere Anreize geschaffen werden, um Lehrkräfte und Schulleitungen dauerhaft für die Arbeit an diesen Schulen zu gewinnen
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Die Empfehlungen auf einen Blick


  • Stärkere Ausrichtung der Angebote der Aus- und Fortbildung pädagogischer Fachkräfte auf evidenzbasierte Ansätze der Förderung sprachlicher, mathematischer und sozial-emotionaler Kompetenzen
  • Stärkere Verbindlichkeit, alltagsintegrierte Bildungsangebote zur Förderung sprachlicher, mathematischer sowie sozial-emotionaler Kompetenzen für alle Kinder zu implementieren
  • Implementation einer frühen (im Alter von drei bis vier Jahren) flächendeckenden Diagnostik zur Identifikation eines über die alltagsintegrierte Förderung hinausgehenden zusätzlichen Förderbedarfs und verbindliche Förderung bei identifiziertem Bedarf
  • Entwicklung einer Strategie zur Senkung von Zugangsbarrieren zu Angeboten der Familienbildung und zu Kindertageseinrichtungen zur Stärkung der Teilhabe an frühkindlicher Bildung für alle Kinder
  • Verankerung elternbildender Maßnahmen der Zusammenarbeit von Kindertageseinrichtungen und Familien in allen Kitas
  • Verbindliche Verankerung eines Konzepts zur systematischen Diagnose und Förderung basaler Kompetenzen im Schulprogramm
  • Erhöhung der Quantität und Qualität der aktiven Lernzeit für den Erwerb sprachlicher und mathematischer Kompetenzen
  • Konsequente Umsetzung und Weiterentwicklung der Gesamtstrategie der KMK zum Bildungsmonitoring
  • Bereitstellung von wissenschaftlich fundierten, qualitätsgesicherten diagnostischen Instrumenten und darauf bezogenen Förderinstrumenten
  • Verbindliche Verankerung eines Konzepts zur Förderung sozialer Integration und sozial-emotionaler Kompetenzen im Schulprogramm jeder Grundschule
  • Etablierung von klaren Verfahren zur systematischen Unterstützung von Lehrkräften
  • Entwicklung eines im Schulprogramm verankerten Konzepts für die Zusammenarbeit mit Eltern
  • Verankerung des Kooperationsauftrags von Lehrkräften mit weiterem multiprofessionellem Personal im Schulprogramm
  • Ländergemeinsame Entwicklung eines kohärenten phasenübergreifenden Kerncurriculums für Lehrkräfte
  • Gezielte Gewinnung und Qualifizierung von Fachleiterinnen und -leitern und Mentorinnen und Mentoren in der zweiten Phase.
  • Implementation forschungsbasierter Fortbildungsprogramme zur diagnosebasierten Förderung der basalen Kompetenzen
  • Entwicklung einer angemessenen Aufgabenbeschreibung für (kollegiale) Schulleitungen an Grundschulen
  • Entwicklung von Strukturen (Aufgabendifferenzierung) und Gewährung von (zeitlichen) Ressourcen für eine datenbasierte Schulentwicklung
  • Aktive Kompensation der Benachteiligungen von Schulen mit einem hohen Anteil sozioökonomisch benachteiligter Schülerinnen und Schüler durch eine indexbasierte Zuweisung zusätzlicher Ressourcen auf allen Ebenen
  • Entwicklung von Strategien zur Reduzierung von Segregationstendenzen


Weitere Informationen
Eine Zusammenfassung des Gutachtens können Sie hier herunterladen:
https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/KMK/SWK/2022/SWK-2022-Gutachten_Grundschule_Zusammenfassung.pdf

Die Langfassung des Gutachtens ist hier verfügbar: