Dialog-Workshop beleuchtet Perspektiven für KiTa-System
Wie kann die Qualität in den KiTas über ein Bundesqualitätsgesetz perspektivisch weiter entwickelt und wie kann der aktuellen Krise der KiTas im Hier und Jetzt begegnet werden? Diese Fragen standen im Fokus eines „Dialogworkshops“, zu dem die AWO, der KTK und die GEW als Bündnis gemeinsam eingeladen hatten.Zur Begrüßung wiesen Lena Przibylla (KTK), Dr. Judith Adamczyk (AWO) und Allessandro Novellino (GEW) auf den zehnjährigen Einsatz des Bündnisses und der Dialogworkshops für ein KiTa-Qualitätsgesetz hin. Hier seien wichtige Impulse gesetzt worden und bei aller Kritik an der konkreten Ausgestaltung sei das sogenannte „Gute KiTa“-Gesetz doch ein Meilenstein gewesen. Jetzt gelte es in der „multiplen Krisensituation in KiTas“ durch Fachkräftemangel, Corona-Pandemie und die Aufnahme von geflüchteten Kindern kurzfristige Lösungen zu diskutieren sowie mittel- und langfristige Perspektiven mit bundesweit einheitlichen KiTa-Standards zu entwickeln.
"14 Milliarden Euro jährlich zusätzlich notwendig"
Norbert Hocke, der in der GEW über 30 Jahre für die Kinder- und Jugendhilfe zuständig war, nahm zum Auftakt eine Bestandsaufnahme vor und zeichnete die Entwicklungen und Diskussionsverläufe der vergangenen Jahre nach. Als Meilenstein hob er die Expertise „Schlüssel zu guter Bildung, Erziehung und Betreuung“ (2009) von Susanne Viernickel, Iris Nentwig Gesemann et. al. hervor, mit der erstmals konkrete Berechnungen für die von den KiTas als Bildungseinrichtung zu erfüllenden Anforderungen angestellt worden seien. Kritik übte er am Steuerungssystem der frühkindlichen Bildung und unterstrich „Wir müssen aus dem Klein-Klein herauskommen“. Seit Beginn des Dialogprozesses rund um ein KiTa-Qualitätsgesetz habe sich die GEW für die „BIG 5“ eingesetzt:- Eine gute Fachkraft-Kind-Relation
- Mehr mittelbare pädagogische Arbeitszeit
- Ein ausreichender Anspruch auf Fort- und Weiterbildung
- Die Freistellung von KiTa-Leitungen
- Den Anspruch auf Fachberatung
Hat das Gute KiTa-Gesetz gewirkt?
In der Folge berichtete Prof. Dr. Maike Rönnau-Böse von der Evangelischen Hochschule Freiburg über die Evaluation der Wirkungen des jetzt auslaufenden Gute Kita-Gesetzes. Dieses war vor drei Jahren mit vier Zielen gestartet:- Verbesserung der KiTa-Qualität
- Mehr Teilhabe
- Gleichwertige Lebensverhältnisse
- Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf
„Grundsätzlich“, so Rönnau-Böse, „ist das Gute Kita-Gesetz ein wichtiger Schritt zur Aufwertung und Weiterentwicklung des Feldes gewesen“. Notwendig erscheine mit den Evaluationsergebnissen allerdings eine Fokussierung auf weniger Handlungsfelder und eine stärkere Steuerung der Maßnahmen. In der Laufzeit des Gesetzes habe sich der Fachkräftemangel auch überall als zentrales Problem und behindernder Faktor in der Umsetzung der Maßnahmen gezeigt.
Auf den Fachkraft-Kind-Schlüssel bezogen konstatierte Maike Rönnau- Böse, dass mit dem Gesetz „nur ein erster Anstoß zur Verbesserung“ gegeben werden konnte. Nach wie vor könnten Fehl- und Ausfallzeiten gerade von kleineren Trägern nicht kompensiert werden.
Im Hinblick auf die Gewinnung und Bindung von Fachkräften hob sie die Förderung des PIA-Ausbildungsmodells hervor. Wichtig seien hier allerdings ein enger Austausch zwischen Fachschule und KiTa sowie eine systematische Anleitung vor Ort. Positiv seien auch die Möglichkeiten zum Quereinstieg zu bewerten, aber auch hier komme es auf die Begleitung an, denn „multiprofessionelle Teams sind keine Selbstläufer“.
Entscheidend für Fachkräftebindung ist die Arbeitszufriedenheit
Als entscheidenden Faktor für die Fachkräftebindung hob Maike Rönnau-Böse die generelle Arbeitszufriedenheit hervor. Zentral sei hier wiederum das Belastungserleben, daneben stünden die Zufriedenheit mit Leitung und Team, aber auch die persönlichen Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten.In der Konsequenz der bisherigen Evaluationsergebnisse stellte Maike Rönnau-Böse vier Punkte heraus:
- Die Notwendigkeit einer langfristigen Finanzierung
- Die Konzentration auf wenige Handlungsfelder und hier insbesondere auf den Fachkraft-Kind-Schlüssel und die Fachkräfte-Gewinnung
- Der Ausbau des Unterstützungssystems aus Fachberatung, Supervision etc.
Lösungen für das Hier und Jetzt notwendig
Zum Auftakt der anschließenden Diskussion führte Alessandro Novellino noch einmal das Maximalziel des Bündnisses aus GEW, KTK und AWO von 15 Milliarden jährlich zusätzlich für das KiTa-System und die Konzentration auf die „BIG 5“ an. Hierfür müsse gemeinsam eine Strategie und ein Stufenplan entwickelt werden. Generell gebe es für den frühkindlichen Bereich „kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem“.Überdeutlich wurde in der Diskussion der Träger- und Verbandsvertreter*innen aber auch, dass für die multiplen Krisen des Feldes „hier und jetzt Lösungen notwendig sind“. Sophia Koch vom Bundesverband der Volkssolidarität berichtete so von aktuellen Ausfallquoten der Fachkräfte von 30 Prozent und damit „kann der Kinderschutz nicht mehr gewährleistet werden“. Notwendig erschien daher Strategien zur Fachkräftegewinnung und Entlastung, „noch einmal neu und anders zu denken“.
Elke Alsago von ver.di forderte in diesem Sinne „jetzt die Notbremse zu ziehen, den Ausbau zu stoppen und das bestehende System zu stabilisieren“. Angesichts einer Dilemma-Situation zwischen dem Wohl des Kindes, der Kompensation von sozialen Ungleichheiten und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf fand Alessandro Novellino ein bezeichnendes Bild: „Wir versuchen uns gerade gleichzeitig an der Quadratur des Kreises, während wir im Dreieck springen“.
Ausblick auf die kommende Schritte
Im Anschluss zeigte Claudia Fligge-Hoffjann die Perspektiven der Qualitätsentwicklung in der KiTa aus Sicht des Bundesfamilienministeriums auf. Mit dem bisherigen Gute KiTa-Gesetz seien erste Verbesserungen der Qualität und der Teilhabe zu verzeichnen, eine große Herausforderung bleibe angesichts der großen Unterschiede in den Bundesländern allerdings die Herstellung gleicher Lebensverhältnisse.Für das mit insgesamt vier Milliarden ausgestattete neue KiTa-Qualitätsgesetz ab 2023 bis 2024 kündigte sie entsprechend der Empfehlungen der Evaluation eine „stärke Priorisierung der personalbezogenen Handlungsfelder“ an. Hier müsse eine finanzielle Schwerpunktsetzung mit mindestens 50 Prozent der Fördersumme liegen. Nicht mehr möglich seien neue Maßnahmen der Beitragsbefreiung und für die bestehenden solle eine soziale Staffelung verpflichtend sein.
Ab 2025 ist geplant in einem zweiten Schritt ein „Qualitätsentwicklungs-Gesetz“ mit perspektivisch bundesweiten Standards auf die Bahn zu bringen. Für die Entwicklung gebe es nun wieder begleitende Expert*innen-Dialoge und die AG Frühe Bildung mit Ländern und kommunalen Spitzenverbänden. Zur zusätzlichen fachlichen Unterstützung seien auch Expertisen für die Sprachliche Bildung, die Ganztagsbetreuung und die Steuerung / Gesetzgebung im System beauftragt worden. Kürzlich schon vorgelegt haben Petra Strehmel und Susanne Viernickel eine Expertise mit Empfehlungen und Berechnungsmodellen für den Fachkraft-Kind-Schlüssel in der KiTa sowie zur Freistellung von KiTa-Leitungen.
Claudia Fligge-Hoffjann verdeutlichte die Komplexität des Dialogprozesses und die sehr unterschiedlichen Interessenlagen nicht zuletzt zwischen Bund und Ländern. „Aber Dialog und Kooperation sind die Grundbedingungen für einen Erfolg“ sagte sie und verwies auch auf den schwieriger werdenden Kampf um Mittel angesichts einer schwierigen Haushaltslage. Grundsätzlich sei aber auch in der Politik die Erkenntnis da, dass eine qualitativ hochwertige frühkindliche Bildung einen großen volkswirtschaftlichen Nutzen hat. „Jeder Euro ist hier gut angelegtes Geld“ sagte sie.
Es braucht Druck aus der Zivilgesellschaft
Zum Abschluss des Dialogworkshops trugen noch die bildungspolitischen Sprecher*innen der Bundestagsparteien ihre Statements zur Unterstützung der frühkindlichen Bildung vor. Bei allen Unterschieden im Detail kristallisierte sich aber heraus, dass sich alle für eine dauerhafte Lösung und einen Beitrag des Bundes für die Qualitätsentwicklung in den KiTas einsetzen wollen. Dieser Beitrag sei aber „on top“ und die Länder müssten ebenfalls ihre Hausaufgaben machen und für auskömmliche Rahmenbedingungen der KiTas sorgen. Angesichts zu erwartender Verteilungskämpfe wurde in den Statements der Fachpolitiker*innen aber auch deutlich, dass für die zusätzlichen Mittel und einen eher langfristigen volkswirtschaftlichen Nutzen der frühkindlichen Bildung auch „ein gesellschaftlicher Konsens“ hergestellt werden müsse. Nicht zuletzt brauche es dafür „Druck aus der Zivilgesellschaft“ – und in diesem Sinne sind insbesondere Eltern und Fachkräfte gefragt, aktiv zu werden und ihrem Anliegen für gute Rahmenbedingungen und qualitative gute KiTas eine laute Stimme zu verleihen.Karsten Herrmann