In welchem Verhältnis steht die Bedürfnisorientierung in der KiTa zur Partizipation und den damit einhergehenden Aushandlungs- und Entscheidungsprozessen? Diese Frage beantworteten Kathrin Hohmann und Lea Wedewardt in der kostenlosen nifbe-Veranstaltungsreihe „Partizipation und Demokratiebildung“. Moderiert wurde die Veranstaltung von Sandra Köper-Jocksch und Kassandra Klumpe vom nifbe.

Zum Einstieg stellten die beiden Referent*innen kurz das Recht des Kindes auf Partizipation in der KiTa insbesondere bei Schlüsselsituationen wie Essen, Schlafen oder Pflege vor. Partizipation beziehe sich einerseits auf die Entscheidungen über das persönliche Leben und andererseits auf gemeinsamen Entscheidungen und Regeln für die Gemeinschaft.

Während die Parizipation sich insbesondere aus den Kinderrechten und dem Kinderschutz herleite, speise sich das Konzept der Bedürfnisorientierung aus verschieden Bereichen der Pädagogik und wissenschaftlichen Disziplinen wie Kommunikations- oder Neurowissenschaften. Die Bedürfnisorientierung setze auf „Beziehung statt Erziehung“ und verstehe sich als eine konsequent gewaltfreie Pädagogik. Ziel sei es dabei, „dass alle Beteiligten mit ihren Gefühlen, Bedürfnissen und Grenzen gesehen und respektiert werden“ – in diesem Sinne bezieht sich die Bedürfnisorientierung in der Kita nicht nur auf die Kinder selbst, sondern auch auf die Fachkräfte und Eltern, die „in gleichwertigen Aushandlungsprozessen“ zusammenkommen sollen. „Wichtig“, so Lea Wedewardt, „ist dabei der achtsame Kontakt mit sich selbst und das Erspüren der eigenen Bedürfnisse“.

Die Kindheitspädagoginnen unterstrichen, dass grundsätzlich erst einmal alle Menschen die gleichen Grundbedürfnisse hätten – neben den körperlichen Grundbedürfnissen spiele dabei die Trias aus Bindung/Beziehung, Autonomie und Selbstwert eine entscheidende Rolle. Neben dieser Prämisse gehe die Bedürfnisorientierung von drei Leitsätzen aus:
  • Jeder Mensch hat denselben Wert
  • Jedes Verhalten hat seinen Grund
  • Alle Gefühle dürfen sein
Auf dieser Grundlage gelte es dann Kompromisse zwischen den verschiedenen Bedürfnissen von Kindern, Fachkräften und Eltern in der KiTa zu finden.

Als Praxisbeispiel führte Kathrin Hohmann eine Situation an, in der Mara sich nicht wickeln lassen möchte, obwohl die Windel voll ist. Hier stehen verschiedene Bedürfnisse im Konflikt: Insbesondere die Autonomie und Selbstbestimmung des Kindes auf der einen Seite, die Sorge um das kindliche Wohlergehen und der Schutzauftrag auf der anderen Seite der Fachkräfte und Eltern. Wenn Erwachsene sich nun einfach über den Willen des Kindes hinwegsetzen und ihre vorhandene Macht ausüben, werden dessen Selbstbestimmung und Selbstwirksamkeit sowie dessen Partizipationsrechte massiv beeinträchtigt. Wie ist diese Zwickmühle nun zu lösen?

Wie Kathrin Hohmann und Lea Wedewardt ausführten, gilt es in dieser Situation nicht Macht auszuüben, sondern einen Rahmen zu schaffen, in dem für das Kind Entscheidungen möglich sind und ihm auch die Situation vor Augen geführt wird: „Du möchtest das und ich möchte etwas anderes – was tun wir jetzt?“ In dieser Situation sei das „Ja-Mantra“ geeignet, um in die Kommunikation und einen gemeinsamen kooperativen Aushandlungsprozess zu kommen: Fachkräfte sollten dann Sätze formulieren, die die Kinder mit „Ja“ beantworten können, wie zum Beispiel: „Du möchtest lieber weiterspielen, oder?“ oder „Du möchtest dich lieber von der (Bezugserzieherin) Andrea wickeln lassen, oder?“ Wichtig sei es in einer solchen Situation auch, den Kindern Zeit zu lassen und sie nicht zu bedrängen.

Grundsätzlich hoben die Referent*innen heraus, dass für das professionelle Verhalten von Fachkräften in solchen konflikthaften Situationen auch die Selbstreflexion und Selbstregulation unabdingbar sei. So gelte es einerseits sich die eigene Biographie und Erziehung vor Augen zu führen und seine aktuellen Erwartungen und Glaubenssätze kritisch zu hinterfragen. In der Situation selber gelte es, vor einer Reaktion innerlich ein Stück zurückzutreten und sich durch ein „Nein“ des Kindes nicht verletzt oder angegriffen zu fühlen, sondern nach dem möglichen Grund für das Nein zu fragen.

Deutlich wurde im Verlaufe des Vortrags, wie nah die Konzepte der Partizipation und der Bedürfnisorientierung beieinanderliegen: Bei beiden geht es um das achtsame Wahrnehmen, Interpretieren und Abwägen von Wünschen und Bedürfnissen sowie um individuelle und gemeinschaftliche Aushandlungsprozesse. In diesem Sinne können damit auch die Grundlagen für eine demokratische und sozial verantwortliche Persönlichkeitsentwicklung gelegt werden.

Doch wie realistisch ist die Umsetzung von Partizipation und Bedürfnisorientierung in der KiTa unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen und einem eklatanten Mangel an Zeit für intensive Interaktionen und Dialoge? Kathrin Hohmann und Lea Wedewardt zeigten sich überzeugt, dass dies nicht nur notwendig, sondern auch möglich ist: „Wie müssen erst einmal Zeit investieren, um dann dauerhaft Zeit zu gewinnen und zu einem Miteinander mit weniger Konflikten und Widerständen und mehr Kooperation und Verständnis füreinander zu kommen.“

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Karsten Herrmann