Der Fachkräftemangel sowie die Ausbildung von Erzieher*innen und Fachschul-Lehrer*innen standen im Fokus einer gemeinsamen Tagung von Universität Osnabrück / CEDER, der Universität Lüneburg und dem nifbe. Deutlich wurde, dass der Mangel an Fachschul-Lehrer*innen ein ebenso entscheidender Faktor bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels ist wie der Theorie-Praxis-Bezug für die Qualität der Ausbildung.
Zur Begrüßung unterstrich Prof. Dr. Kai Uwe Kühnberger, Vizepräsident der Universität Osnabrück, dass der Praxis-Transfer in den Hochschulen zunehmend als „third mission“ gleichberechtigt neben Forschung und Lehre tritt. „Wissenschaft muss in die Praxis gehen, ihr Wissen in die Gesellschaft einspeisen und so auch soziale Verantwortung übernehmen“, sagte er. Im Hinblick auf die Fachschullehrer*innen-Ausbildung an der Universität Osnabrück sagte er, dass die jetzigen Studierenden die Lehrkräfte von morgen sind, die die KiTa-Fachkräfte von übermorgen ausbilden. Ziel müsse eine forschungsbasierte Verbesserung der Frühkindlichen Bildung sein und hierbei nehme auch das nifbe eine wichtige Funktion als Transfereinrichtung ein.
In einem zweiten Grußwort ging Cornelia Baden vom Niedersächsischen Kultusministerium zunächst auf den Ukraine-Krieg und die Corona-Pandemie ein, „die sicher Geglaubtes in Frage stellen“. Die übergreifende Herausforderung sei es, „im Krisen-Modus handlungsfähig zu bleiben“ und hier spiele die Fachkräftegewinnung für das Land Niedersachsen eine zentrale Rolle. Entgegen dem Trend in der dualen Ausbildung seien bei der Erzieher*innen Ausbildung in Niedersachsen „stetig steigende Zahlen“ zu verzeichnen. Neben der Regelausbildung über vier Jahre gebe es heute auch diverse dualisierte und berufsbegleitende Formen der Erzieher*innen-Ausbildung und Ziel sei es „möglichst viele verschiedene Zielgruppen mit verschiedenen Lebensentwürfen zu erreichen“. Cornelia Baden machte aber auch deutlich, dass die „fehlenden Lehrkräfte und fehlenden Räume an Fachschulen die limitierenden Faktoren“ bei einer weiteren Steigerung der Ausbildungs-Zahlen seien. Mit dem neben Lüneburg zweiten Standort der Lehrer*innen-Ausbildung an der Universität Osnabrück habe die Zahl der jährlichen Absolvent*innen aber auf aktuell 125 gesteigert und damit im Vergleich vor zwanzig Jahren verfünffacht werden können.
Die verschiedenen Qualifizierungsformate für staatlich anerkannte Erzieher*innen und die daraus resultierenden Herausforderungen beleuchtete in seinem Auftaktvortrag Dr. Mischa Engelbrecht von der Universität Wuppertal. Bei der Vielzahl unterschiedlicher Ausbildungs-Zugänge und -Wege an Fachschulen hob er die Praxisintegrierte Ausbildung (PIA) als derzeitigen „Trend“ hervor. An Hochschulen sei es derzeit möglich über ein Studium der Sozialen Arbeit, der Sozialpädagogik, Elementarpädagogik, sowie die Heil- und Erziehungswissenschaften als Erzieher*in oder Leiter*in in die KiTa einzusteigen. Allerdings führe das Studium der breit ausdifferenzierten Erziehungswissenschaften zumeist nicht zur staatlichen Anerkennung.
Grundsätzlich machte Mischa Engelbrecht deutlich, dass Träger bei vielen Studiengängen wie bei einer Wundertüte nicht genau wüssten, inwieweit die Absolvent*innen tatsächlich für eine Arbeit in der KiTa vorbereitet seien. Aber ebenso vielfältig wie die Ausbildungs-Formate seien auch die späteren Arbeitsfelder von Erzieher*innen, die von den KiTas über die Soziale Arbeit, der Bewährungshilfe bis zur Suchtberatung reichten. Nur in Teilen greife aber dabei das Fachkräftegebot in der Kinder- und Jugendhilfe.
Im Blick auf die tarifliche Eingruppierung zeigte Mischa Engelbrecht ebenso eine große Spannbreite zwischen S2-4 für Sozialassistent*innen über S8 für Erzieher*innen bis zur S11 für Sozial-Pädagog*innen auf. Kritisch bemerkte er hier, dass für den Sozial- und Erziehungsdienst keine Eingruppierung in den höheren Dienst des TVöD wie beispielsweise für Lehrer*innen vorgesehen sei.
Aus der Sicht der Praxis beleuchtete Dr. Ludger Mehring, der die Fachschule St. Franziskus in Lingen leitet und Vorsitzender der BAG KAE (Bundesarbeitsgemeinschaft der katholischen Ausbildungsstätten für Erzieherinnen und Erzieher) ist, die Ausbildung und die notwendigen Qualifikationen. Er markierte in den vergangenen Jahren eine rasante qualitative Entwicklung der KiTa, die sich beispielsweise vom Halbtag zum Ganztag entwickelt habe, das System Familien zunehmend in den Blick nehme oder vor der Aufgabe der Inklusion stehe. Aktuell sei der Alltag jedoch stark durch Krisen geprägt und „das System KiTa steht am Limit“.
Im Hinblick auf die Fachschul-Ausbildung unterstrich er, dass diese „nie so wertvoll war wie heute“. Entscheidende Entwicklungen seien die Einführung der praxisorientierten Lernfelddidaktik und der von der KultusministerkonferenzKultusministerkonferenz|||||Die KMK ist die ständige Konferenz der Länder in der BRD, wurde 1948 gegründet und ging aus der "Konferenz der deutschen Erziehungsminister" hervor. Sie basiert auf dem freiwilligen Zusammenschluss der zuständigen Minister/Senatoren der Länder für Bildung, Erziehung und Forschung. Da nach dem Grundgesetzt und sog." Kulturhoheit der Länder" die Zuständigkeiten für das Bildungswesen bei den einzelnen Ländern liegt, behandelt die KMK Angelegenheiten von überregionaler Bedeutung mit dem Ziel einer "gemeinsamen Meinungs- und Willensbildung, sowie der Vertretung gemeinsamer Anliegen". verabschiedete Rahmenlehrplan gewesen. Die Fachschule verbinde den Lernort Schule mit dem Lernort Praxis und sei im Vergleich mit den Bachelor-Studiengängen „gleichwertig, aber andersartig“. Als Spezifikum der Fachschul-Ausbildung hob er die „Handlungskompetenz und Performanz“ der Absolvent*innen hervor.
Zur Frage der notwendigen Qualifikation von Fachschul-Lehrer*innen führte Ludger Mehring unter anderem folgende Punkte an:
- Authentische pädagogische Überzeugung
- Theoriestärke und Praxiserfahrung
- Doppelte Theorie-Praxis-Vermittlung als didaktisches Prinzip
- Lehrkraft als Lernbegleitung und Moderator*in von Lernprozessen
Abschließend plädierte er für die Möglichkeit eines berufsbegleitenden Lehramts-Studium der jetzt auch als „Bachelor Professionell Sozialwesen“ bezeichneten Erzieher*innen unter Verzicht auf ein zweites Fach, da der Bereich der Sozialpädagogik schon mehrere Fächer beinhalte.
In einer Workshop-Runde standen nach der Mittagspause verschiedene Aspekte der Fachkraft- und Lehrer*innen-Ausbildung auf der Agenda – vom (doppelten oder gar dreifachen) Theorie-Praxis-Bezug über das Lehren und Lernen von Sozialpädagogik und die Lebenswelten von Auszubildenden bis zum gerade in unseren Krisenzeiten unabdingbaren Thema der ResilienzResilienz|||||Resilienz kann als "seelische Widerstandsfähigkeit" verstanden werden mit der Fähigkeit Krisen zu meistern und diese als Anlass für Selbstentwicklungen zu nutzen. In der Resilienzförderung geht es speziell darum die Widerstandsfähigkeit von Kindern und Erwachsenen in belasteten und risikobehafteten Lebenssituationen durch schützende Faktoren zu entwicklen, zu ermutigen und zu stärken. Ein verwandter Begriff ist der der Salutogenese. .
In einer von nifbe-Geschäftsführerin Dr. Bettina Lamm und Prof. Dr. Dominik Krinninger von der Universität Osnabrück moderierten Podiumsdiskussion wurden schließlich noch einmal die Herausforderungen des Fachkräftemangels auf der quantitativen und qualitativen Ebene gemeinsam diskutiert.
Cornelia Baden gab dabei Einblicke in die politischen Prozesse, „die immer Abwägungs- und Aushandlungsprozesse sind“ und häufig folge die Qualität dabei „erst im zweiten Schritt“. Erklärtes Ziel des Landes sei aber die weitere Steigerung der Fachkraft- wie auch der Lehrkraft-Ausbildung. Sie plädierte auch im Hinblick auf die Fachschule für multiprofessionelle Teams mit grundständig ausgebildeten Lehrer*innen und Quereinsteiger*innen. Hierfür sei auch seitens des Landes eine „Ermöglichungsstruktur“ notwendig.
Meike Ferguson von der Familienhilfe in Walsrode beschrieb den schweren Schritt von Ausbildung und Studium in die KiTa-Praxis, in der es „keine idealtypischen Situationen mehr gibt“. Hier sei viel Resilienz und die handlungsorientierte Verbindung von Theorie und Praxis erforderlich: „Praxis ohne Theorie sind Hände ohne Kopf und andersherum“ pointierte sie. Entsprechend sei auch eine Offenheit der Einrichtungen für neues Wissen und neue Methoden aus der Ausbildung notwendig.
Im Hinblick auf das Verhältnis von Fachwissenschaft und Fachdidaktik unterstrich Prof. Dr. Anke Karber von der Leuphana Universität Lüneburg, dass „Fachdidaktik nicht ohne Fachwissenschaft kann und umgekehrt“. Sie plädierte dafür, die ganze Vielfalt der Akteur*innen im Feld bei der Entwicklung der Fachdidaktik einzubeziehen und mitzunehmen.
Ludger Mehring wies als Leiter einer freien Fachschule auf die Schwierigkeit hin, geeignete Lehrer*innen zu finden – nicht zuletzt auch wegen der für Lehrer*innen noch oftmals ungewohnten Arbeitszeiten im Abendbereich oder am Wochenende aufgrund der berufsbegleitenden Ausbildungsformate. Entscheidend bei der Eignungsfrage sei für ihn aber der Berufsbezug.Voneinander Lernen und multiperspektivischer Blick notwendig
Als Leiter der Historisch-ökologischen Bildungsstätte in Papenburg und nifbe-Vorstand hob Dr. Thomas Südbeck das „Prinzip des Lebenslangen Lernens“ hervor. Da das Feld sich stetig und mitunter rasant weiterentwickle, sei immer „ein Anschlusslernen“ notwendig. Wichtig sei dabei die Anschlussfähigkeit der Weiterbildung an die Praxis, damit sich in dieser tatsächlich etwas verändere. In diesem Sinne plädierte er für das „Voneinander lernen der verschiedenen Akteur*innen im Feld“ und für „Kooperationen von Praxis, Aus- und Weiterbildung“.
Einig waren sich alle Podiums-Diskutant*innen, dass für die Entwicklung und Zukunftsfähigkeit des Feldes ein multiperspektivischer Blick und der Dialog miteinander entscheidend sei. In diesem Sinne ist es, wie die Veranstalter*innen abschließend verrieten, auch geplant, dass diese Fachtagung mit ihrer interdisziplinärinterdisziplinär|||||Unter Interdisziplinarität versteht man das Zusammenwirken von verschiedenen Fachdisziplinen. Dies kann auch als „fächerübergreifende Arbeitsweise“ verstanden werden, z.B wenn Psychologen, KinderärztInnen, ErzieherInnen und Lehrende zusammen an einer Fragestellung arbeiten.en Besetzung schon bald eine Fortsetzung findet.
Karsten Herrmann