In Niedersachsen wurde 2021 das Kindertagesstätten-Gesetz novelliert - zunächst kostenneutral und ohne Qualitätssteigerungen geplant, wurden nach massivem öffentlichen Protest Anpassungen des Gesetzentwurfs vorgenommen. Die Verbesserungen der Rahmenbedingungen bleiben jedoch zu gering. Die Landesregierung verweist in diesem Zusammenhang auch auf den Fachkräftemangel und verkennt damit die wesentlichen Mechanismen in dem Berufsfeld.

Bereits seit vielen Jahren besteht unter Kita-Expert*innen Einigkeit darüber, dass die Fachkraft-Kind-Relation der zentrale »Schlüssel zu guter Bildung, Erziehung und Betreuung« ist. Und spätestens seit der gleichnamigen Studie von Frau Prof. Viernickel, Frau Prof. Nentwig-Gesemann und weiteren Kolleg*innen aus dem Jahr 2013 ist diese Erkenntnis auch bis zu den politischen Entscheidungsträger*innen durchgedrungen.

Dass das Wissen über diese Zusammenhänge leider immer noch nicht handlungsleitend ist, kann in diesem Jahr sehr anschaulich in Niedersachsen beobachtet werden. Nach jahrelangen Forderungen novelliert das Land 2021 endlich sein längst veraltetes Kita-Gesetz. Jedoch nicht aufgrund der beharrlichen Rufe nach besseren Rahmenbedingungen und der in diesem Kontext sehr erfolgreich abgeschlossenen Volksinitiative, sondern aufgrund von Verpflichtungen aus den Verträgen mit dem Bund zum »Gute-KiTa-Gesetz«, wonach die KindertagespflegeKindertagespflege|||||Kindertagespflege oder Tagespflege umfasst eine zeitweilige Betreuung von Jungen und Mädchen bei Tagesmüttern oder Tagesvätern. Nach dem Tagesbetreuungsausbaugesetz von 2004 ist die Tagespflege neben der Tagesbetreuung in Kindertageseinrichtungen eine gleichwertige Form der Kindertagesbetreuung.  in das Kita-Gesetz des Landes zu integrieren ist. Niedersachsen hat Angst, sonst Bundesgelder zurückzahlen zu müssen. Sehr viel mehr passierte in dem ersten Gesetzentwurf dann auch nicht, und Gutes schon einmal gar nicht, denn die Maßgabe lautete ursprünglich: »Kostenneutralität«.

Nun weiß aber auch die Niedersächsische Landesregierung, dass es ganz und gar nicht gut klingt, für Kita-Qualität einfach keine zusätzlichen Mittel zur Verfügung stellen zu wollen. Spätestens nachdem vor wenigen Jahren trotz »mantraartig« wiederholtem Kostenargument die Beitragsfreiheit für alle Kinder ab 3 Jahren eingeführt wurde, hat das Kita-Feld das Vertrauen in diesbezügliche Aussagen längst verloren. Trotzdem rechnen Landespolitiker*innen der Öffentlichkeit noch immer eifrig vor, wie immens der Kostenanwuchs der letzten Jahre im Kita-Bereich ist. Alle Personen mit Bezug zum Thema wissen jedoch nur zu genau, dass dieser finanzielle Anstieg vor allem dem Ausbau an Plätzen und Öffnungszeiten sowie eben auch genau jener horrend teuren Beitragsfreiheit geschuldet ist – in der pädagogischen Arbeit kommt von all diesen neueren Investitionen kaum etwas an.

Das alles ahnend, stützt die Landesregierung ihre Argumentation mittlerweile gerne auf ein weiteres Argument: Den Fachkräftemangel. Noch vor wenigen Jahren weitestgehend geleugnet, dient der Mangel an Fachkräften derzeit als eine Art Lieblingsargument der Politik gegen eine Verbesserung der Fachkraft-Kind-Relation: »Wir würden ja gerne, aber vor dem Hintergrund bereits jetzt unbesetzter Stellen ist es nicht zu verantworten«. Dagegen mag man nichts sagen – das klingt gut und so, als würde es vor allem Rücksicht auf die Situation der gepeinigten Kita-Träger nehmen. Flankiert wird diese Argumentation immerhin von Maßnahmen, die zukünftig mehr Menschen den Einstieg in den Beruf ermöglichen sollen. Die Erhöhung von Ausbildungskapazitäten und Erleichterung von qualifizierten Quereinstiegen sind ohne Frage sinnvolle Maßnahmen. Allein darauf zu setzen, verkennt allerdings die Problemlage im Bereich der Kindertagesstätten.

Hohe Fluktuation als Kernproblem

Die Fluktuation ist sehr hoch. Oftmals wechseln die Fachkräfte bereits in den ersten Berufsjahren in ein anderes Arbeitsfeld. In Befragungen lassen sich als Gründe für die hohe Abwanderung in andere Tätigkeitsbereiche vor allem inhaltliche Aspekte sowie hohe Arbeitsbelastungen identifizieren (vgl. Fuchs-Rechlin/Züchner 2018). Die pädagogischen Fachkräfte erleben in ihrem beruflichen Alltag täglich eine große Diskrepanz zwischen dem, was sie als ihre professionelle Aufgabe verstehen, wozu sie durch Aus- und Fortbildungen befähigt sind, und dem, was die unzureichenden zeitlichen Ressourcen an pädagogischer Arbeit zulassen. Es sind also vor allem die schlechten Rahmenbedingungen, durch die die Fluktuation aus dem Berufsfeld in die Höhe getrieben wird. Viele, die dem Beruf trotzdem treu bleiben möchten, sehen sich aufgrund der hohen Belastungen zu einer Reduzierung ihrer Arbeitsstunden gezwungen.

Vor diesem Hintergrund dürfen Fachkraft-Kind-Relation und Personalgewinnung nicht als Gegenspieler verstanden werden. Dass langfristig sogar das Gegenteil der Fall sein dürfte, wird auch in einem Kurzbericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) aus dem Jahr 2020 deutlich. Die Autorin bestätigt darin die Beobachtungen aus der Praxis: »Bessere Betreuungsrelationen würden die Fachkräfteengpässe zwar zunächst verschärfen. Aber sie würden die Möglichkeiten für gute Qualität bei Erziehung und Bildung sofort verbessern und damit das Arbeitsfeld deutlich attraktiver machen. Die Fluktuationen in andere Berufsfelder könnten sich verringern und mehr Teilzeitbeschäftigte könnten sich Arbeitszeitaufstockungen vorstellen«.
Dass sich Fachkräfte tatsächlich bevorzugt dorthin orientieren, wo ihnen gute Rahmenbedingungen geboten werden, zeigt nicht zuletzt die einzige wirkliche Qualitätsmaßnahme, die in Niedersachsen in den letzten Jahren umgesetzt wurde: Seit 2014 finanziert das Land zumindest in den größeren Krippengruppen drei Fachkräfte. Aufgrund des bereits damals immer stärker in den Fokus rückenden Fachkräftemangels war die Überraschung groß, als sich die Mehrzahl dieser neuen Stellen tatsächlich rasch besetzen ließ. Erst im Jahr 2025 wird in Niedersachsen die dritte Kraft in Krippen verpflichtend sein. 11 Jahre wurde sie bis dahin aber immerhin überall dort finanziert, wo die Stellen besetzt werden konnten.

Der Fachkräftemangel sollte daher für Niedersachsen nicht weiterhin Argument gegen die pädagogisch dringend gebotene dritte Kraft im Kindergarten sein. Ein Stufenplan analog zur Einführung der dritten Krippenkraft würde den Trägern die nötige Zeit geben, um entsprechende Fachkraftstellen aufbauen und nachhaltig besetzen zu können.

Fazit

In Niedersachsen hat der über Monate währende Protest mittlerweile Erfolg gezeigt. Allerdings konnte die Fachpolitik trotz harter Verhandlungen nur kleine Schritte erstreiten. Ab dem Jahr 2027 ist eine halbe Kraft in allen Kindergartengruppen vorgesehen, in denen mindestens 19 Kinder ganztägig betreut werden. In den Jahren davor können Auszubildende unterstützend eingesetzt werden. Auch wenn der Stufenplan zu spät und zu zaghaft ansetzt, ist er dennoch ein wichtiges politisches Zeichen. Ob er eine weitere Abwanderung aus dem Berufsfeld verhindern kann, ist jedoch zu bezweifeln. Fachkräfte, Verbände und Familien haben bereits signalisiert, dass die geplanten Verbesserungen nicht ausreichen und die landesweiten Proteste aufrechterhalten werden. Die Landespolitik muss noch einmal nachsteuern. Weder der Fachkräftemangel noch die Corona- Pandemie dürfen als Scheinargumente vorgeschoben werden.

Literatur:

Fuchs-Rechlin, Kirsten; Züchner, Ivo (Hrsg.) (2018): Was kommt nach dem Berufsstart? Mittelfristige berufliche Platzierung von Erzieherinnen und Erziehern sowie Kindheitspädagoginnen und Kindheitspädagogen. Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte, WiFFWiFF|||||WiFF ist ein Projekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, der Robert Bosch Stiftung und des Deutschen Jugendinstituts e.V. Die drei Partner setzen sich dafür ein, im frühpädagogischen Weiterbildungssystem in Deutschland mehr Transparenz herzustellen, die Qualität der Angebote zu sichern und anschlussfähige Bildungswege zu fördern. Studien, Band 27.
Viernickel, Susanne; Nentwig-Gesemann, Iris; Nicolai, Katharina; Schwarz, Stefanie; Zenker, Luise (2013), Schlüssel zu guter Bildung, Erziehung und Betreuung. Bildungsaufgaben, Zeitkontingente und strukturelle Rahmenbedingungen in Kindertageseinrichtungen. Forschungsbericht. Berlin: Alice-Salomon-Hochschule.
Warning, Anja (2020): Rekrutierungssituation im Beruf der Erzieherin/des Erziehers: Engpässe werden immer stärker sichtbar. (IAB-Kurzbericht, 2/2020), Nürnberg.

Martina Ernst
(Bündnis für Kinder und Familien in Niedersachsen e.V.)

Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus
KiTa Aktuell ND 7-8/2021, S. 186-187