Wie kann man in unruhigen Zeiten und auf stürmischer See in der KiTa den Kurs halten und die vielfachen Klippen und Untiefen der Pandemie umschiffen? Diese Frage stand im Zentrum eines Vortrags von Petra Wagner im Rahmen der kostenlosen nifbe-Vortragsreihe „KiTa in Corona-Zeiten“. Moderiert wurde die Veranstaltung von den nifbe-Transfermanagerinnen Sanda Köper-Jocksch und Gisela Röhling.

Soziale Ungleichheiten wurden verstärkt

Zum Auftakt unterstrich Petra Wagner als langjährige Geschäftsführerin des ISTA und der Fachstelle Kinderwelten, dass die Corona-Pandemie die soziale Ungleichheit noch einmal verstärkt und wie unter einem Brennglas hervorgehoben habe: Je prekärer die Arbeit oder je beengter die Wohnverhältnisse desto höher sei das Risiko an Corona zu erkranken. „Wir müssen uns sehr bemühen die Lebenswirklichkeit von nicht-privilegierten Familien ins Auge zu fassen“ forderte sie und machte die enormen Ressourcenunterschiede im Hinblick auf Freizeit, Wohnen, Ernährung, private Betreuung oder therapeutische Unterstützung deutlich. Zudem sei in der Pandemie eine steigende Kinderarmut, eine zunehmende Gewalt in Familien sowie eine „Re-Traditionalisierung“ der Rollen in der Familie zu verzeichnen gewesen.

Bedürfnisse von Kindern sind aus dem Blick geraten

Lange Zeit wären darüber hinaus auch die Bedürfnisse von Kindern kein Thema gewesen und es hätten sich „adultistische Muster“ gezeigt. Kinder hätten „verwirrende Infos“ zum Virus bekommen und die Ethnisierung des Virus hätte zu neuen Formen des Rassismus geführt. So habe ein Junge zu einem asiatisch aussehenden Mädchen in der KiTa beispielsweise gesagt „Hau ab, du bist ein Virus!“. Schwierig einzuordnen sei für Kinder auch die Frage um die Systemrelevanz auf der einen und um die einer tendenziellen Kindeswohlgefährdung auf der anderen Seite gewesen. In dieser Phase hätten Kinder den „nahen und unaufgeregten Beistand von Eltern und ein bewusstes Entgegenwirken gebraucht“.

Mit Spannungen konstruktiv umgehen

Für das KiTa-Personal markierte Petra Wagner „starke Spannungsverhältnisse“ so zum Beispiel zwischen Infektionsschutz und pädagogischem Anspruch, im Hinblick auf Unklarheiten und Unsicherheiten bei den Verordnungen sowie auch eigene Ängste und Überlastungen. Zudem sei es immer wieder zu wechselseitigen Anschuldigungen zwischen Fachkräften und Eltern gekommen. Zentrale Frage sei es nun, so Petra Wagner, wie man darauf nicht mit „Gelähmtsein, Aktivismus oder Abwehr“ reagiere, sondern „produktiv mit solchen Spannungen umgehen kann“. Gefragt seien Strategien, „die zur Solidarisierung und zur Stärkung der Handlungsfähigkeit beitragen können. Dies wären zum Beispiel:
  • Das Tempo drosseln,
  • zur Ruhe kommen,
  • Konzentration auf die eigenen Aufgaben,
  • Rückbesinnung auf eigene Werte und pädagogische Ansprüche,
  • den Dialog suchen mit Kindern, Eltern/ Bezugspersonen, Kolleg*innen,
  • das ständige Abwägen- und Entscheiden-Müssen als Teil der eigenen Aufgabe akzeptieren, genauso wie das Kommunizieren darüber,
  • Fehler als unvermeidlich sehen
  • interessiert sein an Lernchancen und neuen Perspektiven, die sich in der unübersichtlichen Situation auftun.

Konzentration auf einen inneren Wertekern

In den Fokus rückte Petra Wagner in der Folge eine „Wertekernbasierung als Kompass“ für die aktuellen Krisenzeiten. Nötig sei dafür ggf. eine „Rückbesinnung“ oder Neu-Reflexion der in der Kita zentralen Werte. Als Leitlinien böten sich hier die Grundsätze der vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung an, nämlich die Wertschätzung von Vielfalt und Unterschiedlichkeit, die entsprechende Stärkung der jeweiligen Identität sowie entschiedenes Auftreten gegen Rassismus und Diskriminierung.
Grundsätzlich sei es in Krisenzeiten wichtiger denn je Reflexionsprozesse und Austausch im Team zu ermöglichen und Unterstützung von außen in Form von Coaching oder Supervision in Anspruch zu nehmen. Sinnvoll sei es hier, bei den Erfahrungen der Einzelnen zu beginnen und von da aus Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu finden und zu „inklusiven Werteklärungen“ und „Interventionsstrategien“ in diskriminierenden Situationen zu kommen.

Im Hinblick auf die KiTa-Praxis empfahl Petra Wagner intensiv mit Kindern über ihre Erfahrungen in der Pandemie sowie über ihre Fragen und Vermutungen dazu zu sprechen. Hier böten sich Persona Dolls an, zu denen die Kinderwelten Gesprächsleitfäden zu Themen wie Lockdown, Quarantäne, Corona-Test, Kurzarbeit oder Risikogebiet entwickelt hätten (Download hier). Zudem gibt es von den Kinderwelten eine Liste mit Kinderbuch-Empfehlungen zu Corona (Download hier) sowie eine Handreichung zur Einführung eines diskriminierungskritischen Beschwerdeverfahrens (Download hier).

Im Hinblick auf die Kommunikation mit Familien empfahl sie neue Kommunikationswege zu erproben und hergebrachte auf den Prüfstand zu stellen. Ziel müsse immer eine „gute Verständigung mit allen Familien“ sein.

Resümierend unterstrich Petra Wagner zum Abschluss, dass es insbesondere in Krisenzeiten darauf ankomme, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und die Verantwortung für gelingende Bildungsprozesse von allen Kindern zu übernehmen. Hierzu böten sich die Orientierung an Kinderrechten, den Leitsätzen der Inklusion und der Teilhabe sowie dem Respekt vor Vielfalt an.

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Karsten Herrmann