KorczakJanusz Korczak gilt als einer der bedeutendsten Pädagog*innen des letzten Jahrhunderts und als Wegbereiter der Kinderrechte und der Partizipation von Kindern. Heute sind den meisten pädagogischen Fachkräften jedoch nur noch eine wenige Zitate wie das „Recht des Kindes auf den heutigen Tag“ oder das „Recht des Kindes, das zu sein, was es ist“ bekannt - und Korczaks Leben, seine umfangreichen pädagogische Arbeiten und seine konkreten Praxisansätze bleiben im Nebel des Vergessens. Mit einer Monographie eröffnet die Frühpädagogin Irit Wyrobnik nun neue Perspektiven auf das Leben und Werk Korczaks und beleuchtet insbesondere auch, inwiefern seine Pädagogik heute noch aktuell für die Arbeit in den KiTas ist.

Arzt, Pädagoge, Schriftsteller und Psychologe

Janusz Korczak wurde am 22. Juli 1878 oder 1879 als Henryk Goldszmit in Warschau geboren und studierte dort später auch Medizin. Er spezialisierte sich auf Kinderheilkunde und als approbierter Arzt behandelte er arme Kinder oftmals kostenlos. Schon sehr früh, so Irit Wyrobnik, interessierte er sich aber auch „für Fragen, die Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern bzw. das Aufwachsen allgemein betreffen“. Nach ersten ehrenamtlichen Tätigkeiten in der Betreuung von Kindern in Sommerkolonien leitete er schließlich ab 1912 das Waisenhaus Dom Sierot in Warschau und entwickelte hier seine praktischen pädagogischen Ansätze. Wie Wyrobnik ausführt, war er daneben aber auch immer Schriftsteller, Arzt und Psychologe und formte aus dieser Kombination sein reformerisches Lebenswerk. Zusammen mit seinen 200 Waisenkindern wurde Janusz Korczak im Rahmen der nationalsozialistischen sogenannten „Endlösung der Judenfrage“ im August 1942 in das Vernichtungslager Treblinka deportiert und starb dort an einem unbekannten Datum.

Wertschätzung, Partizipation und Lebensfreude

Wie Wyrobnik aufzeigt, lässt sich Korczaks Pädagogik in ihren sozialen und auch politischen Aspekten hauptsächlich mit den drei Begriffen  Wertschätzung, Partizipation und Lebensfreude zusammenfassen:
„Wertschätzung als eine bestimmte Form von Achtung, Respekt und Anerkennung; Partizipation im Sinne einer Mitbestimmung bzw. Teilhabe an der Gemeinschaft, die jeden einzelnen zusteht und mit Rechten, aber auch mit Pflichten verbunden ist; und nicht zuletzt Lebensfreude, also eine ‚Humorvolle Pädagogik‘“.

In seinem Waisenhaus Dom Sierot hat Janusz Korczak die Partizipation mithilfe unterschiedlicher Instrumente der Selbstverwaltung umgesetzt – beispielsweise über Aushänge und Zeitungen, ein „Kameradschaftsgericht“, einem Parlament oder Kinderkonferenzen. Den Erzieher sah er dabei in heute noch aktueller Weise als Begleiter und Unterstützer, der „Kinder von Anfang an als individuelle Menschen mit Rechten und Pflichten betrachten“ sollte. Kinder sind in diesem Sinn keine Objekte, über die Erwachsene verfügen und die sie nach ihren Vorstellungen formen, sondern eigenständige Subjekte: „Kinder werden nicht erst Menschen, sie sind es bereits“ unterstrich Korczak in für damalige Zeiten fast revolutionärer Weise.

Kinder als eigenständige Subjekte mit Rechten und Pflichten

Erziehende „beobachten, begleiten und unterstützen demnach Kinder in ihrer Entwicklung, helfen ihnen dabei, groß zu werden und ihre Persönlichkeit zu entfalten“ – und zwar in all ihrer Vielfalt, mit all ihren Stärken und Schwächen. Unhintergehbar war für Korczak so das „Recht des Kindes, das zu sein, wie es ist“ und ebenso das „Recht des Kindes auf den heutigen Tag“, auf das unmittelbare Sein im Hier und Jetzt. Korczak, so führt Wyrobnik aus, „lag vor allem daran, dass die Gegenwart von Kindern nicht einer oft noch unbekannten Zukunft geopfert wird.“

Im Hinblick auf Korczaks Bedeutung für die KiTa heute führt Irit Wyrobnik diese zentralen Elemente in Korczaks Werk weiter aus und es scheint eine „Pädagogik der Achtung und Wertschätzung“ auf, die heute aktueller denn je ist – auch im Hinblick auf eine zunehmende Vielfalt in den KiTas: „Nur wenn wir Kinder achten, wird auch ihre Individualität und Diversität respektiert“ und nur wenn wir sie achten „können wir mit ihnen auf Augenhöhe kommunizieren“ schreibt die Autorin. Untrennbar mit dieser Achtung verbunden ist auch die Partizipation der Kinder, „das Recht auf Einspruch und Kritik, das Recht auf Nein-Sagen, auf Beschwerde bzw. Klage“. Wyrobnik unterstreicht die Bedeutung der Partizipation für die „Entwicklungs- und Selbstbildungsprozesse“ und die „Selbstwirksamkeit“ von Kindern und als „Basis für demokratisches und politisches Lernen und Bewusstsein“. Letztliches Ziel von Korczaks Pädagogik war in diesem letzteren Sinne auch immer die Bildung einer gerecht(er)en Gemeinschaft oder Gesellschaft.

Glück und Lebensfreude

Abschließend hebt die Autorin noch die Aspekte der Lebensfreude, des Humors und des Glücks in der Pädagogik Korczaks als hochbedeutsam für heutige KiTas heraus. Mahnend schrieb Korczak in Richtung Erzieher*innen: „wenn für dich das Leben ein Friedhof ist, so erlaube wenigstens ihnen [den Kindern], das Leben für eine Wiese zu halten“. Kinder bräuchten Bewegung, Luft, Licht und den „Blick ins Freie, das Gefühl der Freiheit – ein offenes Fenster“ und sie sollten lachen und fröhlich sein. Auch dafür erarbeitete Korczak praktische Ansätze wie zum Beispiel besondere Feiertage, an denen die sonst geltenden Regeln einfach umgedreht werden – am „Tag des Schmutzfinken“ brauchten die Kinder sich so nicht waschen und am kürzesten Tag des Jahres hießt die Regel „Es lohnt sich nicht aufzustehen“.

Irit Wyrobnik gelingt es in ihrem sehr gut lesbaren und klar strukturierten Buch wichtige Aspekte von Korczaks Pädagogik und seiner ethischen Grundhaltung herauszukristallisieren und in den Bezug zur heutigen Arbeit in den KiTas zu setzen – hierzu tragen nicht zuletzt ganz konkrete Tipps und Empfehlungen zur Umsetzung der Aspekte Partizipation, Wertschätzung und Lebensfreude in der täglichen Arbeit bei. Janusz Korczak zeigt sich in diesem Buch als ein großer und visionärer Pädagoge, der viel vom heute aktuellen Bild des Kindes und der entsprechenden professionellen Haltung der Erzieher*innen vorweggenommen hat und aus dem daher noch viel Honig zu saugen ist.


  • Irit Wyrobnik: Korczaks Pädagogik heute. Wertschätzung, Partizipation und Lebensfreude in der KiTa. V&R, 168 S., 20 Euro



Karsten Herrmann